Ökonomie und Staat in Griechenland – Faschismus in Hellas?


Das von den griechischen Obristen in den letzten Monaten mit großem Aufwand polierte Bild von der Rückkehr Griechenlands zu „Demokratischen Zuständen“ wurde in den letzten Tagen durch dunkle Flecken getrübt: Panzeraufmärsche, Verhaftungswellen und die Verhängung des Kriegsrechts waren die Antwort auf Versuche von seiten der Bevölkerung, die Demokratieversprechungen der Obristen beim Wort zu nehmen. Während jedoch noch die bürgerliche Presse ihren Wahnsinn offenbarte, indem sie an eben diese Obristen appellierte, alles in ihrer „Macht stehende zu tun, um dem Blutvergießen“ ein Ende zu bereiten und den Weg für die Wiedereinsetzung der demokratischen Rechte freizumachen“ (SZ, 20.11. 73), wurden diese durch einen neuen Putsch von eben jener Macht verdrängt. Ein Ereignis, das dem „Cheffeuilletonisten“ der SZ, Hans-Ulrich Kempski, wieder einmal Gelegenheit bot, seine Talente zu zeigen: unfähig, die Ereignisse in Griechenland anders, als unter dem reduzierten Aspekt von Demokratie-Diktatur zu begreifen, wägt er ab, wie oft in der Regierungserklärung die Demokratie erwähnt wird, um daran feststellen zu können, ob die neuen Herren es mit ihren Versprechungen ernst meinen. Das Ganze wird garniert mit einem Stimmungsbild, in dem die „hellen, spürenden Augen“ des neuen Diktators nicht fehlen. In Formulierungen wie der von der Armee „als Ordnungsfaktor hinter einer Übergangsregierung …, deren Aufgabe es sein soll, einen gesunden Parlamentarismus einzuführen“ scheint die Nähe des Liberalen zu eben dieser Diktatur auf. (Zitate SZ vom 30. 11. 73)

Den „Analysen“ der griechischen Zustände, die von einem Vergleich zwischen der Diktatur dort und der Demokratie hier zehren, ist zunächst ein Wort Mephistos des Ahnvaters bürgerlicher Wissenschaft und Journaille entgegenzuhalten:

„Hier dacht ich lauter Unbekannte
Und finde leider Nahverwandte
Es ist ein altes Buch zu blättern
Vom. Harz bis Hellas lauter Vettern.“

Erst aus der Einsicht in die Identität, auf der der Vergleich beruht, den Zwangszusammenhang der kapitalistischen Gesellschaft, wird auch die Differenz erklärbar und zugleich verbieten sich Feststellungen der Art, die die Alternative zu den bestehenden Zuständen in Griechenland in einer Demokratisierung sehen wollen und nicht in der Aufhebung der dieser Alternative zugrunde liegenden Verhältnisse.


Überwiegen der agrarischen Produktion

Die Struktur der griechischen Gesellschaft ist auch heute noch durch das Überwiegen der agrarischen Produktion bestimmt. Deren wesentliches Kennzeichen ist die Parzellenwirtschaft, die aus der zu Beginn dieses Jahrhunderts eingeleiteten und bis in die späten 50er Jahre fortgesetzten Aufteilung des Großgrundbesitzes hervorging. Aufstände der Bauern und Pächter auf den Latifundien Thessaliens leiteten die Enteignung des Grundgrundbesitzes ein, weiterer Anstoß war die Notwendigkeit, für die nach dem verlorenen Krieg gegen das osmanische Reich 1922 aus Kleinasien nach Griechenland strömenden Flüchtlinge eine minimale Basis der Existenz zu schaffen.

Unter dem Großgrundbesitz war die griechische Landwirtschaft der Monokultur unterworfen worden, Resultat der Einbeziehung Griechenlands in die internationale Zirkulation, die die Vielseitigkeit der Produktion vereinseitigte auf diejenigen Produkte,die unter den gegebenen Bedingungen am profitabelsten zu produzieren waren. Die monokulturelle Struktur der Landwirtschaft änderte sich auch nach der Aufteilung nicht, nicht zuletzt deshalb, weil es an Mitteln fehlte, eine Umstellung finanzieren zu können. Monokultur und geringe Größe der Parzelle (85% der landwirtschaftlichen Nutzfläche besteht aus Höfen, die kleiner als fünf Hektar groß sind und damit weit unter der von der EWG geforderten Mindestgröße von 20 Hektar liegen) bilden den Keim für die Pauperisierung der Landbevölkerung. Die Monokultur, selbst Produkt der unter dem Großgrundbesitz vollzogenen Einbeziehung Griechenlands in den Weltmarkt, zwingt den Bauern zum Austausch seiner Produkte, um die für die eigene Erhaltung notwendigen Güter kaufen zu können. Dieser Austausch findet jedoch statt unter der Voraussetzung des Weltmarktes, damit aber konkurrieren seine Produkte mit solchen, die in Ländern mit höherem Produktivitätsniveau. erzeugt worden sind. Will er in dieser Konkurrenz bestehen, wird die rationellere Bewirtschaftung, der Einsatz von Maschinerie für ihn notwendig. Dem steht jedoch die geringe Größe der Parzelle entgegen, die einen sinnvollen Einsatz von Maschinen nicht erlaubt.

Ein weiteres Moment, das die Lage der Bauern bestimmt, ist die Verschuldung durch Kredite. Um die auf ihnen lastenden Entschädigungsleistungen für den Großgrundbesitz aufbringen zu können, sind sie gezwungen, Kredite aufzunehmen, die eigentlich für die Verbesserung der Produktionsstruktur benötigt würden. Neben diese langfristigen Kredite treten solche, die dazu dienen, die Zeit von Ernte zu Ernte zu überbrücken, da der Erlös für die Produkte zu gering ist, um Rücklagen bilden zu können. 1/3 der Kredite an die Landwirtschaft' besteht aus solchen kurzfristigen Darlehen, die das bloße Überleben ermöglichen. Das Eigentum des Bauern an seinem Land ist nicht die Grundlage seiner Subsistenz, sondern der Vorwand für die Agrarbank, ihm unter dem Titel des Zins die Früchte seiner Arbeit abzuzwacken.

Die Ergänzung zur Hypothek bildet die staatliche Steuer, die nicht auf das „Einkommen“ erhoben wird, sondern indirekt über die Besteuerung der Waren, die die Bevölkerung zu ihrem Lebensunterhalt benötigt. Reaktion auf die Lage der Landwirtschaft war die Erhebung von Schutzzöllen, der Versuch, tendenziell die Konkurrenz aufzuheben, in dem die Preise der unter günstigeren Bedingungen erzeugten Produkte den griechischen Verhältnissen angepaßt wurden. Diese künstliche Abschließung Griechenlands vom Weltmarkt, ständig bekämpft von der griechischen Handelsbourgeoisie, fand ihr endgültiges Ende mit dem Abschluß des Assoziierungsabkommens an die EWG, das die Zollschranken beseitigte..

Versuche, durch zwangsweise Zusammenlegung der Parzellen die Konkurrenzfähigkeit zu verbessern, scheitern daran; daß durch sie die industrielle Reservearmee, die bei der fehlenden Entwicklung der griechischen Wirtschaft ohnehin keine Beschäftigung findet, weiter vergrößert würde.

Panzer in Athen

 

Pauperisierung der Landbevölkerung und ihre Folgen

Folge und Indiz der Pauperisierung der Landbevölkerung sowie der gleichzeitig fehlenden Nachfrage nach Arbeitskräften ist die seit der Jahrhundertwende fast beständig steigende Anzahl von Auswanderern bzw. Gastarbeitern. Allein in der Zeit von 1960-1968 verließen jährlich ca. 87 000 – zumeist junge – Griechen das Land; die Zahl der Gastarbeiter beträgt zur Zeit allein in der BRD 269 000.

Obgleich Arbeitskräfte massenhaft billig zu haben sind, erfolgen kaum Investitionen im Produktionsbereich; das vorhandene Kapital bleibt vorwiegend in der Zirkulationssphäre als Handels– und Bankkapital verhaftet, das zum Teil noch dem Handel aus der Zeit der Türkenherrschaft, zum Teil den Eigentumsentschädigungen der ehemaligen Großgrundbesitzer entspringt, oder von Flüchtigen eingeführt wurde.

Nächstliegende Ursache für das Primat des Handelskapitals und damit die Verknöcherung der alten Produktionsweise ist das aus der ökonomischen Struktur Griechenlands folgende Ausbleiben einer agrikolen Revolution aus den oben genannten Gründen. Da die Produktivität auf dem Land nicht einmal der Bedarfsdeckung genügt, entsteht kein überschüssiges Produkt, das als Äquivalent für industrielle Mehrprodukte dienen könnte. Damit fehlt auch das für die kapitalistische; Produktion erforderte zahlungsfähige Bedürfnis, es fehlt die Masse der Konsumenten. Wie der Inhalt jeder Warenproduktion von den Absatzmöglichkeiten auf dem Markt bestimmt ist, bleibt die mehr oder weniger industrielle Produktion in Griechenland wesentlich auf Konsumgüterherstellung beschränkt. Sie kann somit nicht zu einer Erweiterung des inneren Marktes beitragen, die selbst wiederum notwendige Voraussetzung für die volle Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise wäre.

Die Profitbildung durch Ausbeutung der Lohnarbeit findet ihre quantitative Schranke noch in anderer Hinsicht in dem Entwicklungsstand der Landwirtschaft. Die Wertgröße der Ware Arbeitskraft ist bestimmt durch die zur Produktion ihrer Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, wobei die Lebensmittel für die Familie mit eingeschlossen sind. Die Arbeitszeit ist, wie oben dargestellt wurde, in Griechenland sehr hoch. Unter den dort gegebenen Umständen kann Kapitalbildung auf der Basis der Ausbeutung von Mehrarbeit nur erfolgen, indem die Arbeitskräfte weit unter ihrem Wert bezahlt werden. So benötigt z. B. eine 4köpfige Familie in.den Städten monatlich DM 500,-– für das Lebensnotwendigste, während der Monatslohn eines Arbeiters ca. DM 200,-– beträgt. Die Mehrzahl der Arbeiterfamilien in Griechenland ist, um überhaupt existieren zu können, auf Nebeneinkünfte aus dem Fremdenverkehr und finanzielle Unterstützung durch Angehörige aus dem Ausland angewiesen.

Gesamtgesellschaftlích betrachtet führt so die Ausbeutung der Lohnarbeit zu keiner Vermehrung des Reichtums, sondern zunächst zu einer bloßen Umverteilung, da das, was auf der einen Seite als Gewinn auftaucht, keinen Mehrwert darstellt, sondern lediglich einen Abzug aus dem Reproduktionsfonds der Arbeiter. Der auf diese Weise in Untemehmerhänden angesammelte Überschuß könnte allerdings eine Grundlage der Reichtumsvermehrung im gesellschaftlichen Maßstab abgeben, unter der Voraussetzung, daß dem vorhandenen Mehrprodukt auf dem Markt ein Äquivalent gegenübersteht. D.h.: Neu geschaffener Wert muß sich im Preis realisieren. Da diese Bedingung kapitalistischer Akkumulation aufgrund der geringen Produktivität der Arbeit auf dem inneren Markt Griechenlands nicht erfüllt ist. bliebe als Hebel für die Umwälzung der Produktionsweise nur der Handel mit dem Ausland.


Abhängigkeit vom Weltmarkt

Der Weg der Bereicherung über den Außenhandel ist Griechenland allerdings von vornherein versperrt, denn Profit in diesem Bereich – und damit Geldakkumulation – setzt wiederum einen relativ hohen Entwicklungsgrad der inländischen Produktivkräfte im Verhältnis zu denen der Handelspartner voraus. Aufgrund seiner Abhängigkeit vom Weltmarkt durch die Monoproduktion und seiner gleichzeitigen Unterlegenheit im Bereich der Produktion geriet Griechenland jedoch schon bald nach dem Aufblühen der inländischen Manufaktur in ein koloniales Abhängigkeitsverhältnis zu den kapitalistischen Großmächten; es diente diesen selbst als Mittel zur Kapitalakkumulation.

Die einmal erfolgte ökonomische Unterordnung brachte die Perpetuierung dieses Verhältnisses mit sich:

– Die Monokultur schafft nicht nur eine hohe Anfälligkeit für Schwankungen auf dem Weltmarkt, wie sie besonders deutlich zu Anfang des Jahrhunderts im wirtschaftlichen Zusammenbruch infolge der Überproduktion von Korinthen zutage trat; sie beinhaltet zugleich die beständige Notwendigkeit, einen großen Teil der lebensnotwendigen Nahrungsmittel – z. B. Getreide. Fleisch etc. – einzuführen. Die Abhängigkeit ist also eine doppelte.

– Zudem kann sich die inländische Manufaktur nicht ohne große Schwierigkeiten zur Industrie fortentwickeln, da sie gegenüber dem ausländischen Kapital mit seinen geringeren Marktpreisen nicht konkurrenzfähig ist. Hierin liegt ein Grund für das häufige Scheitern kleiner Handwerksbetriebe ebenso wie für die Monopolbildung durch das ausländische Unternehmen in den wenigen industriellen Produktionssektoren.

Die Folge der geschilderten Abhängigkeit Griechenlands von den Industrienationen ist eine beständig passive Handelsbilanz, die bereits zweimal im Staatsbankrott eskalierte.   


Entstehung des griechischen Staates

Verweisen die Staatsbankrotte auf das Unvermögen des griechischen Staates, seine ihm notwendig zukommenden Aufgaben zu meistern, und damit auf seinen spezifischen Charakter, so offenbart sich dieser auch in seiner Form. Sie zeigt wohlvertraute Züge eines demokratischen Staates, wie Parlamentarismus und Parteien, zugleich aber Merkmale, die nicht recht zu den demokratischen Verkehrsformen passen wollen: Korruption, Wahlmanipulationen, etc. Diese Staatsform – und damit auch die Willkür einzelner Staatsagenten – bedarf ihrer Begründung aus den ökonomischen Verhältnissen Griechenlands als Resultat des Kapitalismus im Weltmaßstab.

Nach der Befreiung von der Türkenherrschaft 1821 begann der Einbezug Griechenlands in die internationale Zirkulationssphäre der Industrienationen. Es stellte sich ihnen ein Land dar, das günstige Möglichkeiten für die Entfaltung ihrer nationalen Kapitale bot, als Absatzmarkt eigener Produkte und Lieferant von Primärprodukten. Der Eingriff der Schutzmächte" Rußland, Frankreich und vor allem England in den gesellschaftlichen Umwandlungsprozeß Griechenlands zu jener Zeit – sichtbares Zeichen der beginnenden Abhängigkeit vom Weltmarkt – erklärt sich aus dem Charakter jener Staaten. Als Produkt des Kapitalverhältnisses müssen sie die Konkurrenzbedingungen der in ihnen lebenden Individuen sichern, d. h. auch die Expansion des nationalen Kapitals gewährleisten und gegen die Konkurrenz anderer nationaler Kapitale schützen. Die daraus entspringende territoritoriale Abgrenzung des Staates stellt zugleich eine Schranke für den Expansionsdrang des nationalen Kapitals dar, da sich jeder Staat gegen die anderen abgrenzt und Märkte entstehen, die für den internationalen Warenaustausch versd?lossen bleiben. Diese Schranke aufzuheben, bedarf es einer vermittelnden Dazwischenkunft des jeweiligen Staates, der durch mannigfaltige Mittel, von diplomatischen Beziehungen, Wirtschaftsverträgen bis zu militärischen Interventionen die Regierung des für die Verwertung des nationalen Kapitals günstigen Landes „bewegen“ will, das Eindringen des Kapitals auf den inländischen Markt gewähren zu lassen.

Daß die nationalen Kapitale sich in den sog. unterentwickelten Ländern ausdehnen können, ist der Staatsform jener Länder geschuldet. Aufgrund der ökonomischen Verhältnisse als nichtkapitalistischen ist sie nicht das Resultat der allseitigen Aktion der konkurrierenden Indivíduen. Ihre Existenz als souveräne Macht neben der Gesellschaft begründet sich nicht aus ihrer abstrakten Allgemeinheit, in der das besondere Wohl des einzelnen gerade anerkannt ist, sondern aus dem Absehen von den Mitgliedern der Gesellschaft und ihren Interessen überhaupt. Die Allgemeinheit des Staates erscheint mit besonderen Gruppen oder einzelnen Personen verhaftet, deren besondere Interessen als allgemeines Interesse dargestellt wird. Macht und Gewalt sind so Privileg der Herrschenden, für besondere Interessen einsetzbar, sind nicht der Kontrolle aller Gesellschaftsmitglieder unterworfen. Darin liegt die Möglichkeit unmittelbarer Eingriffe kapitalistischer Staaten in diese gesellschaftlichen Verhältnisse zugunsten ihrer nationalen Kapitale.

So bot der Übergangscharakter, den die griechische .Gesellschaft durch die nach 1821 beginnende Auflösung der feudalen Strukturen annahm, den „Schutzmächten" die Grundlage, eine ihren Bedingungen entsprechende Staatsform einzusetzen und auch den sie praktizierenden Herrscher mitzubringen: Das Haus Wittelsbach. Daß die kapitalistischen Staaten den Erhalt dieser Staatsform und der sie tragenden Individuen notfalls auch mit direkter Einflußnahme zu sichern bereit waren, zeigt sich beispielsweise am Verhalten Englands vor der Errichtung der Diktatur Metaxas 1936 oder am Druck, den die USA nach 1945 ausübten..   


Staat und Imperialismus

Als souveränes Subjekt muß der griechische Staat wie jeder andere Staat die Anforderungen erfüllen, die aus der Gesellschaft.erwachsen, sie also als ganze in ihrem. Bestand sichern. Durch die Abhängigkeit vom Weltmarkt bedeutet die Sicherung der gesamten Gesellschaft jedoch, daß die beständige Veräußerung der Produkte auf dem Weltmarkt gewährleistet ist, so daß die Förderung und der Schutz der Interessen des Handels und der Großgrundbesitzer notwendig zum allgemeinen Interesse der Gesellschaft und des staatlichen Handelns werden muß. Indem so die Durchsetzung des Interesses eines bestimmten Teils der griechischen Gesellschaft zum allgemeinen Interesse wird, das der Staat in seinem Handeln verkörpert, ist die Gewähr für die Verfolgung aller besonderen Interessen nicht gegeben, denn sie sind nicht in jenen aufgehoben und als berechtigt anerkannt. Das Prinzip, dem der Staat zur Verwirklichung verhilft, ist nicht die Verfolgung des besonderen Wohls jedes Individuums als konkurrierendes, vielmehr ein der Gesellschaft äußerliches, das über den Bezug auf den Weltmarkt die Bedingungen der Kapitalverwertung der imperialistischen Länder im eigenen Land durchsetzt. So erweist sich der griechische Staat als notwendiges Produkt der maßlosen Bewegung des Kapitals. die sich über den Weltmarkt vermittelt.

Das Ineinsfallen des Interesses eines besonderen Teils der Gesellschaft mit dem allgemeinen Interesse des Staates führt zu beständigen Konflikten, in denen die nicht anerkannten Interessen sich zu behaupten suchen. So entstanden Gewerkschaften – Ausdruck der notwendigen Organisation der Arbeiter in beginnenden kapitalistischen Produktionsverhältnissen –, doch wo sie Ansätze zeigten, die ihnen formal zugestandenen Funktionen auszuüben, wurden sie durch staatliche Eingriffe daran gehindert. Werden aus der Bestimmung des Staates, der als Repräsentant des allgemeinen Interesses inhaltlich ein besonderes vertreten muß, einerseits die direkten staatlichen Eingriffe erklärlich, so auch die Versuche, die „Einheit der Nation" durch eine der gesellschaftlichen Struktur äußerliche „Klammer“ herzustellen, sei es die Gestalt des Monarchen oder die Ideologie des Panhellenismus.


Scheitern der nationalen Kapitalakkumulation

Die dem griechischen Staat zukommende Funktion, die ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie ihm vorausgesetzt sind, zu sichern, macht sich ihm bemerkbar als Sorge um seine Selbsterhaltung. In der Handelsbilanz als Ausdruck des vorhandenen gesellschaftlichen Reichtums und damit der dem Staat selbst zur Verfügung stehenden Mittel (Steuern, etc.), wird dem Staat ersichtlich, ob Mängel im gesellschaftlichen Prozeß des Güteraustausches bestehen. Eine negative Handelsbilanz bedeutet für ihn also, Maßnahmen zur Veränderung des gesamtökonomischen Prozesses zu ergreifen.

Die chronisch negative Handelsbilanz zwang den griechischen Staat zu Maßnahmen, die sich wesentlich auf den Schutz und die Ausweitung der griechischen Ökonomie bezogen, um sie gegenüber den anderen Nationen konkurrenzfähig zu machen. Durch Schutzzölle und Festsetzung von Mindestpreisen für die auf dem Weltmarkt gefährdete Monoproduktion versuchte der Staat, die ungestörte Entfaltung der inländischen Produktivkräfte zu erreichen. Allerdings bedeuteten diese Maßnahmen zugleich die Hemmung der angestrebten Entwicklung die durch den gewaltsamen Abschluß vom Weltmarkt begonnene Konkurrenz gegen ihn führte zu einer Stagnation der ökonomischen Entwicklung, da die griechische Produktion auf den Handel mit anderen Nationen angewiesen ist.

Der gleichzeitig unternommene Ausbau der Infrastruktur sollte die Voraussetzung für die Entwicklung der Produktion schaffen, damit auch die Bedingungen für zukünftige Vergrößerung des gesellschaftlichen Reichtums. Doch die verbesserte Infrastruktur – als Anreiz zu Investitionen. also als erster Schritt zur Angleichung der Verhältnisse auf dem Weltmarkt – erfüllte diesen Zweck nicht. Es fanden keine vermehrten Investitionen statt, die zu einer allgemeinen Industrialisierung Griechenlands hätten führen können. Die immensen Mittel, die der Staat sich durch Anleihen im Ausland besorgt hatte, flossen ihm nicht als vermehrte Einnahmen zurück. Die Staatsverschuldung wuchs und entlud sich zweimal in Staatsbankrotten.

Dieser Widerspruch im staatlichen Handeln – notwendige Maßnahme zum Schutz und zur Verbesserung der griechischen Wirtschaft durchzuführen, die in ihrem Resultat die gesamte Gesellschaft und damit den Staat gefährden – entspringt der spezifischen kapitalistischen Form der Produktion. Als Produkt des imperialistischen Systems haben sich in ihr nur die Bereiche kapitalistisch entwickelt, die auf dem Weltmarkt eine Chance haben, zu konkurrieren. Trotz verbesserter Infrastruktur war deshalb der Anreiz zu Investitionen für die Einzelkapitale nur in jenen Produktionsbereichen gegeben, oder in solchen, in denen mit geringem Aufwand hohe Profite zu erwarten waren. Bekanntlich richten die Einzelkapitale ihre Investitionen nach dem Zweck der Erhöhung ihrer individuellen Profitrate und orientieren sich bei durchgesetztem Weltmarkt nicht an der Profitrate des einzelnen Landes, sondern vergleichen diese mit möglichen Profitraten in anderen Ländern. Deshalb beschränkte sich die Investitionstätigkeit auf die Bereiche, in denen die individuelle Profitrate in Griechenland über denjenigen lag, die in anderen Ländern zu erreichen wäre.

Die Gegenmaßnahmen, die der griechische Staat notgedrungen unternahm und die seine ursprüngliche Tätigkeit korrigieren sollten, waren zum einen die Lockerung der Schutzzölle und der Beitritt zur EWG als assoziiertes Mitglied 1962, zum anderen eine verstärkte Öffnung der Produktion für ausländische Investitionen. Letzteres war der Versuch, das chronische Handelsbilanzdefizit, also den Überhang an gesamtgesellschaftlich unproduktiven Ausgaben, dadurch zu verringern, daß die bisher importierten Waren im Land selbst produziert wurden. Darin lag die Möglichkeit, daß die ökonomische Struktur verbessert wurde: Vorantreiben der Kapitalakkumulation und Schaffung neuer Arbeitsplätze. Doch auch dieser Versuch erreichte nicht seinen Zweck: Der Staat mußte ausländischen Kapitalen Investitionsmöglichkeiten bieten, die ihm überhöhte Ausgaben oder Einnahmeverringerungen aufzwangen (z. B, Gewährung eines verbilligten Strompreises an ein ausländisches Aluminiumwerk 1960 oder die Zusicherung eines festgelegten Abnahmepreises für bestimmte Waren). Hinzu kam, daß ausländische Kapitale denselben Kriterien in der Investitionstätigkeit unterwerfen sind, wie sie oben für inländische Kapitals ausgeführt wurden. so daß Investitionen auch nur in Bereichen stattfanden, die hohen Profit. in kurzer Zeit versprachen. nicht aber die prognostizierte längerfristige Ankurbelung der Wirtschaft herbeiführten (etwa: Ölraffinerien. Petrochemie). Der unterentwickelte Stand der griechischen Produktionsverhältnisse blieb bestehen. Resultat der Bemühungen des griechischen Staates ist so ein beständiger. jedoch vergeblicher Versuch, die ihm gesetzten Forderungen einzulösen. Jede der ergriffenen Maßnahmen enthält zugleich ihre Aufhebung.

An der Ambivalenz der geschilderten Maßnahmen des griechischen Staates und ihrer Wirkungen zeigt sich die Unmöglichkeit für ihn, die Funktion, die ihm aus der ökonomischen Struktur der Gesellschaft erwächst, zu erfüllen: die Bedingungen freier Konkurrenz im Inland durchzusetzen und die Konkurrenzfähigkeit der griechischen Wirtschaft im internationalen Rahmen herzustellen. Wie oben ausgeführt, ist sein beständiges Scheitern Resultat der Stellung Griechenlands innerhalb des imperialistischen Systems des Weltmarkts: Das weltweite Kapitalverhältnis selbst konserviert hier seine eigenen Vorformen – im Verhältnis zum entwickelten Kapitalismus – und schafft und erhält auf diese Weise das imperialistische Abhängigkeitsverhältnis Griechenlands von den weiter entwickelten Industrienationen, das auf der Ebene des Staates nicht abgeschafft werden kann. Seine hierin begründete Fixierung als Übergangsform, das Sisyphos-hafte seiner Maßnahmen, findet notwendig seinen Ausdruck im „politischen Leben“ Griechenlands.


Politik in Griechenland

Die griechische Bourgeoisie, repräsentiert in den verschiedenen Parteien, ist in zwei große Lager zerspalten, die jeweils in sich zersplittert sind. Die Differenzen ihrer politischen Programme bestehen in der unterschiedlichen Gewichtung der Staatsaufgaben: auf der einen Seite Reformen, um die Bedingungen der freien Konkurrenz zu schaffen, auf der anderen Seite Erhaltung des status quo.

Mit der Erlangung relativer Selbständigkeit der Regierung gegenüber dem Monarchen begannen die Liberalen seit 1875 unter Charilaos Trikoupis mit der Bodenreform, die eine fortschreitende Enteignung des Großgrundbesitzes und Verteilung staatlicher Ländereien beinhaltete. aber aufgrund der Parzellierung und der hohen Entschädigungen für den Großgrundbesitz, die zum Teil vom Staat übernommen werden mußten, nicht zum gewünschten Erfolg führte. Die Verbesserung der Infrastruktur und Organisierung des Kommunikationswesens bewirkten anfangs zwar ein rasches Aufblühen der Manufaktur und des Handels; zu einer Überwindung dieser Entwicklungsstufe konnten sie jedoch nicht führen, Auch die Fortsetzung der Reformpolitik in der zweiten liberalen Ära unter Venizelos –– Einführung der Schulpflicht, Anerkennung der Gewerkschaften etc. – scheiterte, ebenso wie die spätere Regierung Papandreou, an den ökonomischen Voraussetzungen, die durch die Stellung Griechenlands innerhalb des Weltmarktes bestimmt sind.

Wie alle bürgerliche Politik ihren Ausgangspunkt und Zweck im Privatinteresse hat, geht die liberale Bourgeoisie in Griechenland in Verfolgung ihres Interesses davon aus, mittels Reformen die Kapitalakkumulation im eigenen Land durchzusetzen und gegenüber dem Ausland konkurrenzfähig zu werden. Dabei ist es aber nicht zuletzt das bürgerliche Interesse selbst, das dieses Vorhaben vereitelt: Sein Ziel ist der Erhalt von möglichst hohem Profit. Da dieser aber kaum im eigenen Land zu holen ist, wird überwiegend im Ausland, unter günstigeren Produktionsbedingungen, investiert.


Die Schranken liberaler Politik

Obgleich auch die liberale Politik in Griechenland ständig scheitern muß bedeutet sie eine reale Bedrohung für den Großgrundbesitz; die Bodenreform machte ihn zum Gegner. Das Handels- und Bankkapital wurde ihm dabei zum Verbündeten. da es um seine finanzielle Vormachtstellung fürchten mußte.

In den Versuchen, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu reformieren, greift die Politik der Liberalen zugleich die bestehende „Mischform" des Staates an. Der Staat, bis vor nicht langer Zeit inkorporiert im Monarchen, sieht sich durch die liberale Politik in seinem Bestand gefährdet. Die Absetzung liberaler Regierungen durch den jeweiligen Monarchen ist daher in der jüngeren griechischen Geschichte keine Seltenheit. Daß diese Gefährdung keine Fiktion ist. zeigt die nicht seltene Bereitschaft der Liberalen, sich auch mit Mitteln direkter Gewalt durchzusetzen. Das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist der Militärputsch von Goudi (1909), der vielfach als Einleitung der bürgerlichen Revolution verstanden wird, und der die Regierung Venizelos erst ermöglichte.

Das Interesse an der Erhaltung des status quo vereinigte so den Monarchen, Großgrundbesitz und das Handels– und Bankkapital häufig zu einem gemeinsamen politischen Handeln.

In der Reaktion, die immer dann folgte, wenn die liberalen Bemühungen zu scheitern drohten, waren die Konservativen zunächst damit befaßt unliebsame Steuern abzuschaffen und eingeleitete Reformen wieder rückgängig zu machen – wo dies auf dem legalen Weg nicht möglich war, mithilfe von Verfassungsänderungen oder -brüchen. Wesentlich unterschied sich die konservative Politik von der liberalen auch in ihrem Verhältnis zum Ausland.

Während die Liberalen das Land vor der überlegenen ausländischen Konkurrenz zu schützen und wettbewerbsfähig zu machen versuchten, richteten sich die Konservativen im allgemeinen gegen die Herstellung freier Konkurrenz überhaupt und beteiligten sich stattdessen in quasi-feudalistischer Manier an der Ausbeutung des Landes zum Zweck der persönlichen Bereicherung. Daß auch die konservative Politik – eingeschlossen die verschiedenen Militärdiktaturen –– notgedrungen Reformen durchführen muß, liegt daran, daß sie trotz ihres Gegensatzes zur Gesellschaft auf diese angewiesen ist. Um sich selbst als Regierung zu erhalten, muß sie ebenso ihre Aufgaben wahrzunehmen versuchen, die sie negiert.

Die griechische Staatsform ist weder feudalistisch noch demokratisch, enthält aber gleichwohl vorbürgerliche neben bürgerlichen Elementen. Es bleibt damit der Beliebigkeit der jeweiligen Regierung überlassen,welcher der beiden Seiten sie zur Geltung verhelfen will, d.h.: welche Art Interessen sie durchzusetzen versucht. Der Umstand, daß der griechische Staat nicht die herausgesetzte Allgemeinheit der bürgerlichen Gesellschaft ist, macht sich also darin geltend, daß er von jeweils besonderen Interessengruppen als bloßer Machtapparat funktionalisiert werden kann. Ausdruck hiervon sind der in Griechenland weitverbreitete Parteityp des Klientelverbandes und die viel beklagte Vetternwirtschaft in der Bürokratie, die eine Unmenge überflüssige: Posten als Mittel für leicht verdiente Nebeneinkommen enthält.

Die Ambivalenz des griechischen Staates, die eine solche Instrumentalisierung ermöglicht, gibt zugleich den Grund dafür ab, daß sich hier mit jedem politischen Machtwechsel die staatlichen Maßnahmen selbst in einem ganz anderem A??smaß wandeln, als es beispielsweise der Spielraum zwischen den demokratischen Parteien in der BRD zulassen würde.

Einig sind sich Liberale und Konservative allerdings dort, wo sie ihre gemeinsame Grundlage bedroht sehen: Noch die liberale Regierung Venizelos leitete 1929 die Verfolgung der Kommunisten ein, die von der Militärdiktatur Metaxas verschärft und von den Konservativen unter Karamanlis fortgeführt wurde. Dennoch gelang es 1944 der „Nationalen Befreiungsfront" (EAM), in der die verschiedenen sozialistischen Parteien den Widerstand gegen die deutsche Besatzung organisierten, vier Fünftel des Landes unter Ihre Kontrolle zu bringen und eine Provisorische Regierung (PEEA) zu errichten

Das Scheitern der kommunistischen Politik – nahe am Erfolg – war wesentlich der militärischen Intervention der imperialistischen Mächte England und später Amerika geschuldet. Durch eine falsche Einschätzung dieses Sachverhaltes besiegelten die Kommunisten selbst ihr Schicksal, indem sie sich an die demokratischen Spielregeln hielten, in der Illusion, diese würden auch von ihren Gegnern eingehalten.


Die Armee als Garant der Staatsform

Die Schwäche der griechischen Gesellschaft, diese Koexistenz von einander widersprechenden Formen der Produktion findet ihre Entsprechung in der Stärke der griechischen Armee. Nicht erst in dem 67er Putsch, sondern zu wiederholten Malen seit der Befreiung Griechenlands von der türkischen Herrschaft hat sich die Armee als die einzige Macht erwiesen, die in der Lage war, den griechischen Staat ihrer Verfügung zu unterwerfen. jene Ereignisse, die die griechische Gesellschaft aus dem dumpfen Dahindämmern ihrer quasi-kolonialen Existenz rissen, waren zumeist mit der Armee verbunden, sei es nun der Putsch sog. republikanischer Offiziere, der Venizelos an die Macht brachte oder die Restauration unter Metaxas.

Griechenlands Geschichte stellt sich so dar als eine Geschichte von Staatsstreichen, wobei es gleichgültig ist, ob diese von „Republikanern" oder „Royalisten", von „fortschrittlichen“ Offizieren, die eine bürgerliche Staatsform installieren oder von Königstreuen", die den status quo erhalten wollten, inszeniert wurden. Denn gerade in diesem umstandslosen Umgehen der Armee mit dem Staat drückt sich aus, daß die griechische Gesellschaft den Staat noch nicht sich unterworfen hat, ihn nicht als ihre Allgemeinheit aus sich herausgesetzt hat, sondern der griechische Staat wie oben dargestellt – von außen gesetzt ist, als unverbunden mit dieser Gesellschaft sich darstellt. Als eine solche Staatlichkeit, die sich nicht auf die Basis allgemeiner Anerkennung stellen kann, bedarf er der Armee als eines Mittels zur permanenten Absicherung gegenüber den sei Herrschaft Unterworfenen. Die nach jedem Putsch vorgenommenen »Säuberungen der Armee sind Indiz dafür, daß diese nicht die allgemeine Macht der Gesellschaft verkörpert, sondern Herrschaftsmittel des jeweiligen Machthabers gegen die Gesellschaft darstellt. Daraus auch resultiert die Identifikation der Armee mit dem Bestand der spezifischen Staatsform: ihr Fortbestand hängt vom Fortbestand dieser Staatlichkeit ab, eine Einsicht, die ihr in jüngster Zeit etwa an den Maßnahmen Zentrumspolitikers Georgios Papandreou aufging, der versucht hatte, den Einfluß der Armee z??rückzudrängen, und sie der Kontrolle durch die parlamentarische Regierung zu unterwerfen.


Das Regime Papandreous

Die von der Zentrumsunion betriebene Politik läßt sich unter die oben gegebene Beschreibung liberaler Politik in Griechenland subsumieren. Sie stellte den Versuch dar, die permanente Krise der Unterentwicklung durch die Schaffung von Anreizen zu einer nationalen Akkumulation zu beheben. Weder die Verflechtung Griechenlands in den Weltmarkt, noch das „freie Unternehmertum“, die Freiheit, dort zu investieren, wo man sich die höchsten Profite erwartet, wurden durch sie gefährdet. Die von der Zentrumsregierung geplanten und zum Teil ausgeführten Verbesserungen der Infrastruktur, des Transportwesens, der Energieversorgung stellten zwar notwendige Bedingungen dar, um die griechische Industrie überhaupt unter gleiche Voraussetzungen zu stellen, wie sie in anderen Ländern bestehen, sie sind jedoch keine hinreichenden Bedingungen dazu, in Griechenland und nicht in einem anderen Land und wenn in Griechenland, in Zweigen zu investieren, die der Industrialisierung Griechenlands dienen und nicht in denen, die gegenüber anderen profitabler sind. So trug die Zentrumspolitik in ihrem Versuch, nationale Akkumulation bei gleichzeitigem Gewährenlassen der freien Konkurrenz, zwei Bedingungen zu vereinbaren, die nicht zu vereinbaren sind, von allem Anfang den Keim ihres Scheiterns in sich. War ihre Politik auch nicht dazu angelegt, die grundsätzlichen Schwierigkeiten Griechenlands zu beheben, so bedrohte sie doch unmittelbar die Interessen derer, die von der Erhaltung dieser spezifischen Form der Staatlichkeit abhängig sind. Versuche, das Klientelsystem – steter Garant dafür, daß aus den Wahlen immer nur die rechten Leute als Sieger hervorgingen – zu beseitigen, die Armee durch eine Säuberung ihrer Führer an die parlamentarische Regierung zu binden, den Verwaltungsapparat des Staates zu reorganisieren und ihn dem Einfluß der Monarchie zu entziehen, bildeten den Anlaß, Papandreou als Ministerpräsidenten zu entlassen. Als sich herausstellte. daß die Bemühungen der verschiedenen Übergangsregierungen unter Stephanopoulos und Kanellopoulos, die Wahlen so einzurichten. daß in Zukunft Reformen dieser Art nicht zu befürchten seien, scheitern würde, putschte die Armee, auf diese Weise zunächst einmal ihr eigenes Interesse am Fortbestand des status quo sichernd.


Die Diktatur der Obristen

Einmal an der Macht, sah sie sich jedoch mit den gleichen Schwierigkeiten konfrontiert, wie die Regierung der Zentrumsunion.

Ihre Reaktion darauf mußte jedoch noch ein Spezifikum berücksichtigen, durch das sie sich von den Versuchen bürgerlicher Politiker, mit diesen fertigzuwerden, unterschied: die widersprüchliche Grundlage der griechischen Gesellschaft:

Putschführer Ioannidis  

zwar schon von der Konkurrenz bestimmt zu sein. zugleich aber noch Elemente einer Gesellschaftsform in sich zu enthalten, die auf persönlicher Herrschaft beruhte und die die Grundlage für die Herrschaft der Armee bilden, veranlaßte diese dazu, derem Auflösungsprozeß mit Mitteln der Gewalt Einhalt zu gebieten. Während das Prinzip der Konkurrenz darauf beruht, daß die jeweiligen besonderen Interessen sich als solche anerkennen und jedes sich nur befriedigt darüber, daß auch das andere seinen Zweck erreicht, beruht die Herrschaft der Armee gerade darauf, daß ihr besonderes Interesse sich unter Ausschaltung aller anderen mit Gewalt durchsetzt. Die Unvereinbarkeit beider Prinzipien trat zu Tage in der Notwendigkeit, wieder so etwas wie demokratische Formen einzuführen, die zur Einsetzung der Zivilregierung unter Markezinis führte. Aber auch die neue Verfassung ist gekennzeichnet von dem Versuch, beide Prinzipien zu vereinbaren, wie es etwa in dem Einbau verschiedener „ Sicherungen" zum Ausdruck kommt, die der Armee die Möglichkeit zur letzten Entscheidung lassen sollen.

Nach dieser kurzen Skizzierung der griechischen Verhältnisse verbietet sich zumindest jede Politik, die meint, mit einer Denunzlation der Junta als Faschisten wesentliches geleistet zu haben. Gerade die Einsicht in die durch den Imperialismus geschaffenen und ständig reproduzierten Unterentwickeltheit der griechischen Verhältnisse und der daraus entspringenden Beziehung des Staates auf die Gesellschaft macht es unmöglich, diese mit dem Begriff des Faschismus zu kennzeichnen, wenn anders dieser Begriff nicht zu einem bloßen Namen für Erscheinungen werden soll, die sich durch besondere Gewalttätigkeit von der gewöhnlichen des Kapitalismus unterscheiden (vgl. dazu MüSZ Nr. 6/1973 „Grundrisse zu einer Kritik des Faschismus“).

Ebenso verfehlt jede sich sozialistisch nennende Politik ihr Ziel, die nicht auf einem Wissen von der Produziertheit der griechischen Verhältnisse durch den Kapitalismus beruht, sondern sich in der umstandslosen Parteinahme für „Demokratie“ gegen die Diktatur der Obristen erschöpft. Allerdings schafft die Wiederherstellung demokratischer Verkehrsformen bessere Voraussetzungen für die Befreiung Griechenlands vom Kapitalismus, als sie die Diktatur der Junta darstellen; deshalb gilt unsere Solidarität denen, die von den Panzern der Obristen niedergewalzt und in die Zellen ihrer Gefängnisse gepfercht werden.

 

aus: MüSZ 9 – 1973

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