Brecht das Raumverbot

Veranstaltungsverbot durchbrochen – Polizei stürmt leeren Hörsaal – Meinungsterror


Freunde des Staatsschauspiels kamen am 4. Juli nachmittags gegen 15.50 Uhr am Eingang Adalbertstraße der LMU voll auf ihre Kosten:

Gegeben wurde das bekannte Stück „Besetzung der Universität durch die Polizei“.

Diesmal hatte Kultusminister Maier, der sonst nur die Ideen liefert, auch gleich die Inszenierung übernommen. Lobo sah sich in die Rolle des Kulissenschiebers verdrängt. Was war geschehen, daß ahnungslose Kommilitonen angesichts des Riesenpolizeiaufgebots meinten, hier müsse Henry Kissinger bei einer Stippvisite in der LMU geschützt werden?


Maier verbietet KSV-Veranstaltungen

Im April schon hatte KM Maier in einem Erlaß die Uni aufgefordert, Veranstaltungen „verfassungsfeindlicher“ Gruppen (explizit angeführt wurden der KSV, der MSB Spartakus und die Roten Zellen / AK) prinzipiell in der Uni nicht zu dulden. Lobo reagierte auf die Willenserklärungen des KuMis zunächst überhaupt nicht. Dies kein Indiz von „Zivilcourage“ bei unserem Rektor, vielmehr ein taktisches Kalkül, der den Ärger, den die Durchsetzung dieser Maßnahme hervorrufen würde, störender wertete, als den täglichen Ärger kommunistischer „Indoktrination“. Vor drei Wochen schließlich hakte Maier nach, erinnerte Lobo an seine Verfügung und forderte insbesondere eine Durchsetzung des Verbots von KSV-Veranstaltungen. (Den Rücken gestärkt hatte ihm dabei eine Äußerung des „linken“ SPD-MdL Böddrich, die ein Verbot des KSV fordert. Wer will sich schon kurz vor den Landtagswahlen – rechts überholen lassen?)


Lobo führt einen Abschreckungsschlag

Zum Showdown kam es am 4. 7. nachmittags: eine vom KSV beim AStA beantragte Veranstaltung zum Programm der „KPD“ war von der Uni nicht genehmigt worden. Dennoch versammelten sich ca. 300 Studenten um 14 Uhr im Lichthof der Universität und gingen in den Hörsaal 101, dessen Türen auch offen waren! Das Teach-in war bis 15.45 ein Vorbild an „ruhiger und ordentlicher“ Durchführung: es wurde über das „KPD“-Programm einerseits, die Konzeption kommunistischer Politik der Roten Zellen/AK andererseits diskutiert. Gegen 15.50 wurden die Teilnehmer des Teach-ins von der Meldung überrascht, daß ca. 4 Hundertschaften Polizei sich bereits im Sturmeinsatz auf das Hauptgebäude befanden. Da die Vermutung nicht von der Hand zu weisen war, der Einsatz gelte dem Teach-in und nicht, wie auch vermutet, der Staffage eines Kissinger-Besuchs, beschlossen die versammelten Kommilitonen, das Teach-in zu beenden. Sie zogen geschlossen durch den Ausgang Geschwister Scholl-Platz aus der Uni hinaus und sahen gerade noch, wie die Polizei durch den Eingang Adalbertstraße in die Uni hineinzog.


Die Moral des Schauspiels

Auch Komödien haben einen bitterernsten Hintergrund: das war auch den Genossen der Roten Zellen / AK klar, als sie den wieder abrückenden Polizeikräften zuklatschten und gelegentlich hipphipphurra riefen: die Freude über das „ins Leere laufen lassen“ der Polizei kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß am 4. Juli einer' den gravierendsten Vorfälle den letzten Jahre an dieser Universität sich ereignete Der Gegner geht dazu über, bereits Diskussionsveranstaltungen sozialistischer Organisation mit Gewalt zu verhindern. Ehe der Gedanke überhaupt praktische Gestalt annimmt, soll er schon niedergeschlagen werden. Was wir bislang – angesichts der Polizeieinsätze bei den Kampagnen gegen das BHG und das Berufsverbot als Aktionismus der Staatsgewalt gekennzeichnet haben, eskaliert zum offenen „Meinungsterror“: die Staatsagenten, die zum Schutz der Meinungsfreiheit sich berufen fühlen, negieren gewaltsam die Diskussion der Kommunisten an dem Hochschulen, weil sie irgendwo gemerkt haben, daß kommunistische Politik nicht bei den Meinung stehen bleibt, sondern Wissen zum Ziel hat und gegen dieses Wissen die Staatsagenten ihre Meinung nicht mehr argumentativ, sondern mit mit Gewalt durchsetzen können. Das Wort vom Meinungsterror muß hier wörtlich verstanden werden: wer nicht einer Meinung mit den herrschenden ist, der wird terrorisiert. Nun zerbricht jene liberale Geborgenheit, die die Ideologie des Meinungspluralismus verheißt. Wen diesen selbst noch zum Objekt der wissenschaftlichen Kritik macht, den Meinungen wissenschaftliche Politik entgegensetzt, wird selbst da schon gewaltsam gehindert, wo solche Politik noch in der Form der Meinungsäußerung auftritt.


Was lernen wir daraus?

Kommunistische Politik kann nur begrenzt darauf hoffen, die bürgerlichen Freiheiten als Schongehege benutzen zu können. Der Staat, hier durch den Erlaß des KM Hans Maier, schlägt gerade im Namen der Freiheit und Demokratie zu, wenn er diese durch eine Politik gefährdet sieht, die er für kommunistisch hält, mag sie auch noch so mangelhaft und damit letztlich harmlos sein, wie diejenige des KSV in der Tat ist. Nach dem Inkrafttreten des BHG wird solches Vorgehen eine Bedingung kommunistischer Politik sein, mit der die Kommunisten fertig werden müssen. (Notabene: vielleicht wird den Urabstimmungsfans jetzt klar, daß sie im Begriff sind, eine Klamotte zu inszenieren, wo der Gegner längst schon beim Drama angelangt ist.)


Die Ritter der Phrase: Symbolisch präsent

Ein eindrucksvolles Beispiel ihrer Entschlossenheit, um demokratische Positionen keinen Fußbreit Boden kampflos aufzugeben, lieferten der MSB Spartakus und der KHB (samt Fußvolk der Demokratischen Front) am Nachmittag des 4. Juli, als der massivste Eingriff in Positionen studentischer Politik stattfand, den die LMU bislang erlebt hat. Als 400 Kommilitonen, einem Aufruf der Roten Zellen/AK und des KSV folgend, das Hörsaalverbot durchbrachen und in einer solidarischen Aktion eine verbotene Veranstaltung durchsetzten, bewiesen auch die oben erwähnten Freunde ihre Kampfkraft und Entschlossenheit: je 2 (in Worten: zwei) Beobachter von MSB und KHB saßen im Hörsaal und unterstrichen so symbolisch, auf wessen Seite sie stehen. (Quantitativ sogar noch hinter dem RCDS, der mit drei Mitgliedern anwesend war und ebenfalls symbolisch das Veranstaltungsverbot durchbrach.)

 

aus: MüSZ 6 – 1974

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