Naher Osten:

Politik des Terrors, Terror der Politik


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In Israel haben die Heimatvertriebenen wieder einmal zugeschlagen: „Wie konnte es geschehen, daß Terroristen am hellichten Tag in Israel eindringen konnten?“ fragt sich die dortige Öffentlichkeit besorgt und auch der rasche Sieg von Armee und Polizei über die Freischärler ist insofern nicht ungetrübt, als 37 Israelis dabei ihr Leben lassen mußten (die toten Araber werden traditionsgemäß bei solchen Verlustziffern nicht mitgerechnet).

Menachem Begin kam die Wahnsinnstat des Palästinenserkommandos nicht ungelegen, erweist es doch seine Theorie, daß es sich bei der PLO um nichts anderes handelt als um ,,grausame Verbrecher“. Der Verteidigungsminister Weizmann, der eben in Washington eine Milliarde Dollar Militärhilfe lockergemacht hat, verglich die radikalen Palästinenser mit den Nazis und nannte sie „feige Mörder“. In der Tat gehört schon ein gerütteltes Maß an Feigheit dazu, am „hellichten Tag in Israel einzudringen“. Mutig hingegen und keine Mörder, sondern Bürger in Uniform, sind die israelischen Bomberpiloten, die im Südlibanon Weizmanns Versprechen wahrmachten:

„Wir werden einen Vergeltungsschlag führen, der eine Wiederholung solcher Anschläge ausschließt.“


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Die Einäscherung eines Palästinenserlagers, bei der – wieso auch? – auf Frauen und Kinder keine Rücksicht genommen wird, darf natürlich nicht mit dem Naziterror in Lidice verglichen werden; die Einwohner dieses tschechischen Dorfes sind nämlich deswegen liquidiert worden, weil ein Partisanenkommando den Reichsstatthalter Heydrich erschoß, die Palästinenser hingegen überfielen einen Bus, in dem ausschließlich Zivilisten saßen. Wie man sieht, haben die Juden, zumindest in Israel, aus ihrer Geschichte gelernt: Ein Staat muß her und eine Armee, dann kann man die Gewalt, deren Opfer man einmal geworden ist, selbst ausüben.


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Der Anschlag der Palästinenser auf israelische Busse hatte 37 Tote und 80 zum Teil schwer Verletzte zur Folge, unter ihnen „Frauen und Kinder“, meldete der Judenstaat (Die Verluste an eigenen Soldaten gab er nicht bekannt. Deren Tod ist ebenso selbstverständlich in ihrem Geschäft wie die Toten auf der Gegenseite. Nur mit dem Unterschied, daß die Vernichtung von 7 Palästinensern immer für eine Erfolgsmeldung gut ist), über die „unschuldigen Frauen und Kinder“ dagegen, die bei der Invasion im Südlibanon draufgingen, ließ der israelische Pressedienst nichts verlauten, handelt es sich dabei doch nicht um die abscheulichen Taten palästinensischer „Terrorkommandos“, sondern um die der eigenen Kriegsmaschinerie. Andererseits ließen es sich die Kommentatoren im deutschen Fernsehen nicht nehmen, auch an dem staatlich verordneten Überfall auf den Südlibanon zu bemängeln, welch übergroßes Leid doch „auch wehrlose Frauen und unschuldige Kinder“ treffe, obwohl sie mit dem Konflikt nichts zu tun hätten (Die wehrhaften Frauen in der israelischen Armee fallen natürlich nicht unter die Rubrik „unschuldige Opfer“.)

Die Moral von der Geschicht’ mit den Frauen und Kindern liegt darin, daß sie immer ins Feld geführt werden, wenn sie nicht mehr und nicht weniger als die Herren der Schöpfung daran glauben müssen:

– Wenn „Terrorkommandos“ ohne staatliche Legitimation zuschlagen, sind die Schwachen und Kleinen dafür gut, xxdie grausame „Unmenschlichkeit“ der „Untermenschen Terroristen“ herauszustreichen.

– Wenn gegnerische Staaten und vor allem kommunistische Krieg führen, müssen die zivilen Opfer in Gestalt von xxFrauen und Kindern belegen, wie brutal die Feinde und vor allem die Kommunisten Krieg führen, so als würde xxman selbst in einem Krieg Milde und die Haager Landkriegsordnung walten lassen.

– Wenn man selbst oder die eigene Seite Krieg führt (wie z.B. Israel, dem man jeden Sieg gönnt) distanziert man xxsich moralisch von dem Gemetzel, das man für das Selbstverständlichste von der Welt hält („Kriege wird es xx xximmer geben“). Nur daß der Krieg, der ja auch als der Vater aller Dinge gilt, Frauen und Kinder wegputzt, sei xx xxäußerst beklagenswert und eine unangenehme Begleiterscheinung von Kriegen, die sich nun mal nicht verhindern xxlassen.


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So heucheln die Berichterstatter von Kriegen und anderen Gewalttätigkeiten Schmerz, wenn ganz einfach Menschen umgebracht werden. Aber warum ausgerechnet an Weibern und kleinen Rotznasen? Was soll da schlimmer dran sein, wenn das schwache Geschlecht krepiert? Und weshalb ist der Tod eines erwachsenen Mannes eine Lapalie gegenüber von Granatsplittern zerfetzten „unschuldigen“ Blagen, deren Unschuld eine glatte Lüge ist, was jeder an seinen eigenen Kindern feststellen kann?

Nun, heute, wo ja bekanntlich alle Menschen gleich sein sollen, weshalb die Gewalt des Staats sich auch nicht um Geschlecht und Alter kümmert, wenn es zuzuschlagen gilt, haben die Frauen – außer daß sie billige Arbeitskräfte sind – und die Kinder – außer daß sie die Arbeiter und Soldaten der Zukunft abgeben sollen – auch noch die Bedeutung, daß sie die moralische Wirkung ganz schön verstärken.


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Menachem Begin, Ministerpräsident von Israel und ehemaliger Kommandant der Terroristenbande IRGUN, deren Massaker in palästinensischen Ortschaften damals in den vierziger Jahren dem Volk der Juden den Lebensraum beschafften, nahm einen Anschlag von Nachfahren der so Vertriebenen zum Anlaß, endgültig aufzuräumen: auf breiter Front sind israelische Soldaten, Panzer und Bomberflugzeuge in den Südlibanon eingedrungen. Im „heute Journal“ pappte Dieter Kronzucker Papierblitze auf die Stätten des Vormarsches und die ,,Tagesthemen“ brachten eine Stunde später die Bilder des Erfolgs: rauchende Trümmer und auch „die ersten gefangenen Palästinenser“: zwei Burschen in Zivil mit verbundenen Augen, die deutlich machen, wer nördlich der Grenze alles zum Kanonenfutter der zionistischen Armee zählt: alles, was Beine hat. Menahem Begin und die Männer seiner Regierung setzen also kompromißlos auf die Endlösung der Palästinenserfrage.


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Klar ist allerdings jetzt schon, daß das Massaker im Fatah-Land das Gegenteil seines offiziellen Ziels erreichen wird, ein für allemal Terroranschläge zu verhindern. Die ihrer letzten militärischen Basis beraubten PLO-Freischärler, zusammengepfercht in den verbliebenen Flüchtlingslagern werden in Zukunft natürlich nur noch Terroranschläge in Israel und anderswo verüben. Männer wie Menachem Begin rechnen natürlich mit allem. Der Fernsehkommentator:

„Vor dem Anschlag auf die Autobusse war Begins politischer Stern im Sinken. Es entstanden Bürgerinitiativen gegen seine unnachgiebige Haltung. Nach dem Anschlag wird sie von allen Israelis geteilt.“

Ein Volk, ein Staat, eine Führung!


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Seit die Juden über einen Staat verfügen, haben sie Erstaunliches zuwege gebracht. Obwohl sie in den 30 Jahren seit der Landnahme in Palästina ihr Staatsgebiet in mittlerweile vier Kriegen verdreifacht haben, polieren sie das Image vom bedrohten Israel inmitten einer Welt von Feinden immer wieder erfolgreich auf. Kritiker seiner Gewalt werden mit den Nazis verglichen, woraus ersichtlich ist, daß Nazimethoden zum anerkannten politischen Repertoire eines Staates zählen, solange er anerkannt wird. Das mehr oder weniger offene Einverständnis der Staatenwelt mit dem israelischen Überfall zeigt, daß die Welt für Staatsnotwendigkeiten Verständnis hat, weil Staatsmänner wissen, daß für ihre Ziele bisweilen nicht nur ein anderes Volk weggeräumt werden muß, sondern auch die eigenen Bürger über die Klinge springen müssen.

(Aus Extrablättern der MARXISTISCHEN ARBEITER ZEITUNG vom März 1978.)

Zur Lage im Nahen Osten vgl. auch MSZ Nr. 20/ 1977Sadats Reise nach Jerusalem“, MSZ Nr. 14/1976Der Untergang der PLO: Die Revolution, die keine war“ und MSZ Nr. 10/1976Zur Lage im Libanon: Ein Blutbad für die friedliche Lösung.“

 

aus: MSZ 22 – April 1978

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