Sadats Reise nach Jerusalem


Im Nahen Osten nichts Neues

 

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Eine Geste Anwar as-Sadats hat die Öffentlichkeit so bewegt, daß ihr bis dahin brennendstes Anliegen, endlich Taten gegen den Terrorismus und seine Sympathisantenszene, in offene Anteilnahme für die Mission eines Mannes umschlug, der zwar an Taten nur einen Krieg vorzuweisen hat, nun aber entschlossen scheint, Druck nur noch mit der Grußhand auszuüben, die er seinen Feinden entgegenstreckte. Daß es bislang nicht nur 3 Kriege, sondern zwischen denselben ständig Scharmützel unter Verwendung des gesamten Arsenals von Aggression unterhalb der großangelegten militärischen Operation im Nahen Osten gegeben hat, darf nicht zu dem Schluß verleiten, hier gebe es reale Gegensätze.

Sadat zufolge ist „der arabisch-israelische Konflikt zu 70 % psychologischer Art und zu 30 % ein echtes Problem weshalb die Reise nach Jerusalem erstens die seelischen Probleme zu lösen hatte, wofür selbst Golda Meir geküßt werden mußte, und da Staaten über kein Gefühlsleben verfügen, fand der Abbau des 70-prozentigen Problemstaus vor ihren Repräsentanten in der Knesseth statt, was dem Besuch den Charakter eines Hoheitsakts verlieh und den jeweils Repräsentierten das sichere Gefühl, die Angelegenheit werde für sie Folgen haben. Daß sie diese für angenehme halten und deshalb jubeln in Israel und in Ägypten, verwundert nicht, denn die Bevölkerung beider Staaten ist so sehr davon überzeugt, ein Leben lohne sich nur als Israeli oder Ägypter, daß sie bislang in regelmäßigen Abständen ihre Bereitschaft zum Sterben für Israel oder Ägypten nicht nur demonstrierte. „Das Blut von Zehntausenden von Märtyrern“ wird so von beiden Seiten mit der gleichen Brutalität gegen die Opfer beschworen: einmal von Sadat und Begin, wenn sie die in den Krieg geschickten als Blutzeugen des Friedens anrufen, das andere Mal von Gadhafi und Assad, die ihrem ehemaligen Alliierten vorwerfen, er mache sich einer „Frechheit gegenüber den Opfern der arabischen Nation im Kämpf gegen den Zionismus“ schuldig.


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Doch die Toten, die aufgrund psychologischer Schwierigkeiten drauf gingen, ließ man beim Besuch ruhen bzw. hochleben, was dasselbe ist, und machte sich Gedanken über die Zukunft. Den Weg zu ihr hatte Sadat freigemacht, als er vor der Knesset den Staat Israel nicht nur offiziell, wenn auch nicht völkerrechtlich, anerkannte, sondern ihn „willkommen“ hieß. Die staatsmännische Leistung, die Sadat zum Ersten in der arabischen Welt macht, besteht darin, das Eingeständnis des Scheiterns aller Versuche, sich gegen den imperialistischen Brückenkopf im Nahen Osten durchzusetzen, dadurch zum Sieg zu machen, daß man die ganze Nation mobilisiert, sich selbst zum Ausdruck ihrer Würde und Geschlossenheit macht und die Kapitulationserklärung „in der Höhle des Löwen“ diesem als Forderung vorträgt. Dies Verfahren, gerade in der jeweiligen Variante des Unterwerfens unter die vom Imperialismus gesetzten Bedingungen die Souveränität des eigenen Staates zu behaupten, ist auch nichts Neues: Sadats erster großangelegter Rückkehrversuch ins westliche Lager wurde als „Schlag gegen den Sowjetimperialismus“ geführt und darauf sind hierzulande die Maoisten voll reingefallen, weswegen sie jetzt plötzlich „Tod dem Verräter!“ fordern.


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Das Charakteristische am Gang der Geschäfte des Imperialismus im Nahen Osten und zugleich das für ihn so erfreuliche, ist der kostensparende Umstand, daß sie ohne sein unmittelbares Engagement ihren Lauf nehmen. Die Abkehr Ägyptens von der Sowjetunion, also Sadats Weigerung weiterhin die Konfrontation mit Israel als ein Instrument sowjetischen Drucks auf die USA zu betreiben, ist ja nichts anderes als Resultat eines praktischen Systemvergleichs, dessen Konsequenzen eine Händlernatur wie Sadat ziehen konnte, während sein Vorgänger Nasser zu einem Zeitpunkt starb, wo Ägypten durch den verlorenen Krieg noch zu angeschlagen war, um größere Kursänderung zu vollziehen, weswegen sein Andenken der Nachwelt als Antiimperialist erhalten blieb. Die Erfahrung, daß westliches Kriegsmaterial die MIGs wie die Mücken abschoß und sogar der alte Sherman-Panzer schneefeste Sowjettanks überrollte, war nur die bitterste Erfahrung, Vorher schon und nachher erst recht konnten die sowjetischen Rubel die ökonomische Misere in Ägypten zwar vor dem endgültigen Desaster bewahren, aber nicht zuletzt der Blick auf Israel zeigt, wie weit es ein Staat mit Dollars, Integration in den westlichen Markt, Know-how und Kapital bringen kann. Soweit, daß der Wirtschaftsboykott ihm zwar einen Teil des möglichen Geschäfts vorenthält, Ägypten aber selber fast ums ganze Geschäft bringt, und die Militärmacht des zionistischen Staats die Möglichkeit eines erfolgreichen Waffengangs ausschließt, was zwar keineswegs ein zwingendes Argument gegen Krieg ist, aber die Spekulation mit dem Frieden nahelegt, weswegen Sadat nicht nur auf den Krieg, den er nach dem Bruch mit der SU ohne die US nicht führen kann und damit überhaupt nicht, „verzichtet“, sondern offensiv auf Frieden setzt.


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Um an die Dollars und langfristig israelische Unterstützung für Ägyptens Wirtschaft in Form von Geld, Technikern, Touristen etc. zu kommen, entrichtet Sadat erst einmal eine Vorleistung. Der Imperialismus sorgt dadurch, daß er Ägyptens Werben bisher nicht honoriert, dafür, daß Sadat alles bieten muß, was er zu bieten hat, womit er selber dafür sorgt, daß es nicht viel sein wird, was er kriegt. Für den Erfolg dieser imperialistischen Erpressung sorgen seine Freunde in der Araberwelt, die sich größtenteils von ihm abgewandt haben, weil sie sich wie z.B. Libyen einen anderen Bezug auf den Imperialismus leisten können, innerhalb dessen sich das Ölgeschäft mit ihm (dis-)harmonisch mit „revolutionären“ Sprüchen gegen ihn vereint. Die Ideologie von der arabischen Nation blamiert sich endgültig und öffentlich vor den unterschiedlichen Interessen der arabischen Staaten. Mit Sadats Aufgabe der negativen Gemeinsamkeit (gegen Israel) ist der ohnehin reichlich brüchige Kitt zwischen Monarchen, Faschisten und „arabischen bzw. islamischen Sozialisten“ endgültig hin und die Araberliga wird wohl solange nicht mehr komplett tagen, bis die „Friedliche Lösung“, an der zur Zeit ja so kompetente Leute wie Sadat, Begin, Carter und Breshnew (letzterer allerdings nur beratend) arbeiten, jedermann in der Region zur Vernunft zwingt.


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Daß Sadat die Aufgabe der Gegnerschaft zu Israel ausgerechnet dem Palästinenserschlächter Begin, dessen Irgun-Terroristen im wesentlichen für das sogenannte Flüchtlingsproblem gesorgt haben, als ersten großen innenpolitischen Erfolg beschert, beweist, daß der Imperialismus alles „Undenkbare“ wahrmacht; was die bürgerliche Journaille begeistert reportierte, Küßchen für Golda, Freundlichkeiten mit dem Ex-General Ariel Sharon, für dessen Partei die Westbank zum Großisraelischen Reich Eretz Israel zählt und das besondere „kameradschaftliche“ Verhältnis mit dem einäugigen Galgenvogelgesicht enthüllt nur noch einmal die menschenverachtende Beliebigkeit, mit der die Staatsmänner ihre Bürger je nach Bedarf ins Feuer hetzen oder auf die Straßen zum Fähnchenschwenken. Daß sie untereinander sich verstehen („Call it professional courtesy!“ nennt es der Killer in dem US-Western El Dorado) muß nicht geheuchelt sein und Anwars „Trost“ an „Moshe, es wird alles gut“ hat mit der Gemeinsamkeit des Wunsches nach Frieden deshalb Begeisterung ausgelöst, weil nun nicht nur der Journalist weiß, was für die Region „gut“ ist, sondern auch die markantesten Exponenten nahöstlicher Querelen erkannt haben, daß das imperialistische System künftig sowohl Israel, als auch Ägypten umfaßt und beide sich jetzt nur noch darüber Gedanken machen müssen, wie sie ihren Vorteil daraus ziehen können. Wer zu wem kommen mußte, ist so ein protokollarischer Hinweis, wer dabei nichts mehr zu verlieren hat und wer hiervon nur gewinnen kann.


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Gleichsam als Fußnote noch ein Wort zu denen, die im Kalkül aller Beteiligten am Nah-Ost-Konflikt als Störfaktor auftauchen: die Palästinenser sind so recht erst jetzt zum Problem geworden, wo sie als Mittel gegen Israel nichts mehr taugen. Trotzdem werden sie weiter als dieses eingesetzt. Sadat hält sie als moralische Pflicht zu Konzessionen den Israelis unter die Nase, die Syrer verwenden ihre Saika nicht mehr als Teil ihrer Invasionstruppen im Libanon, sondern als Todesschwadron gegen Verräter, während der bislang als solcher von der PLO beschimpfte Assad gemeinsam mit Arafat die Sitzungen des PLO-Rates leitet. Und auch Begin setzt die PLO als Argument dafür ein, daß Israel sichere Grenzen brauche, womit sich die Konturen einer friedlichen Endlösung des Palästinenserproblems abzeichnen, bei der es ziemlich gleichgültig ist, ob diese eigenstaatliche Form haben wird oder nicht.

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Über das Wirken des Imperialismus im Nahen Osten und die Anstrengungen der Beteiligten, ihm hierfür die Geschäftsbedingungen zu erhalten vgl, auch MSZ Nr, 14/1976 über „den Untergang der PLO: Die Revolution, die keine war“, MSZ Nr. 10/1976Libanon: Ein Blutbad für die friedliche Lösung“, sowie MSZ Nr. 7/1973 „Im Nahen Osten ein Krieg“, über Zionismus und ,,arabischer Sozialismus“.

 

aus: MSZ 20 – Dezember 1977

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