Gegen AKWs zu sein ist etwas ganz anderes

 

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... als das Engagement für eine ALTERNATIVE ENERGIEPOLITIK. Der Unwille über AKWs ist kein Grund für die Forderung, der Staat solle dem ,,oft proklamierten Vorrang für die heimische Kohle“ (BBU) endlich entsprechende Taten folgen lassen. Warum will der BBU eigentlich nicht zur Kenntnis nehmen, welche Zwecke der Staat mit dem kombinierten Einsatz von Atom und Kohle und Öl verfolgt? Stattdessen macht er sich Illusionen über den Zweck des Energieprogramms. Er behauptet, daß der Strom aus AKWs nicht billig, sondern teuer sei, weil die hohen Anlagekosten für AKWs über Steuern und Strompreis der Masse der Bevölkerung aufgebürdet werden. Eben: So ist der AKW-Strom billig für diejenigen, die mit dem Strom nicht Herdplatten, sondern rationalisierte Produktionsprozesse betreiben.

Am 14. Oktober sah Bonn „die größte Demonstration der Nachkriegszeit“: Zwischen 80- und 120 000 Menschen versammelten sich im Hofgarten anläßlich des „Atomprogramms der Bundesregierung“. Aus diesem Anlaß hätte man auch gerne den Kanzler als Redner gewonnen. Dessen Auftrittsverweigerung mußte befremden, weil die Regierung, der er vorsteht, weniger im Zentrum der Kritik stand, als vielmehr der Mensch: Die eindrucksvollste Parole gegen diesen Umweltschädling: „Jedes Atom ist unteilbar. Was die Natur zusammengefügt, soll der Mensch nicht auseinanderreißen!“ Dennoch wurden luftverschmutzende Traktoren im Demonstrationszug nicht nur toleriert, sondern freudig begrüßt und neben den ebenfalls mitgeführten Kinderwagen postiert. Die Polizei kreiste im Hubschrauber über die Festwiese. Keine Zwischenfälle.


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... als die Bewahrung der Demokratie vor dem ATOMSTAAT. AKWs gefährden Leben und Gesundheit der Leute – was fällt Jungk und seinem Freundeskreis ein? Der Staat geht ein Risiko ein. Worin besteht es? Terroristen könnten sich Plutonium beschaffen und den Staat erpressen. Das glauben zwar nicht einmal Herold, Meyer und ihre Auftraggeber, die jedesmal, wenn ein Terrorist erledigt ist, der Öffentlichkeit dessen Pistole als Beweis für die Gefährlichkeit solcher Leute vorzeigen lassen, während sie in Hamburg ihren Giftkampfstoff auf einem Kinderspielplatz lagern. Jungk & Co. glauben das schon, weil die Gruselgeschichte vom Terroristen, der einen Plutoniumstab klaut (Filmemacher vor!), die ganze Wucht der Ideologie ausmacht, daß das Atom unserem Staat keine andere Wahl lasse, als jede Regung seiner Bürger auf Staatstreue hin zu kontrollieren. Angesichts der Lebensgefahr, die von den AKWs ausgeht, spielen sich bürgerliche Ideologen als Gewissen der Demokratie auf, indem sie bei jeder Gelegenheit die Lügen in Umlauf bringen, mit denen der Staat den Ausbau seiner Mittel zur Unterdrückung jeder Unbotmäßigkeit legitimiert.


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... als Sympathie mit Erhard EPPLER. Warum missioniert dieser sauertöpfische Studienrat mit dem gepflegten schwäbisch-pietistischen Background wohl ausgerechnet Energiekommission und Vorstand der SPD, steckt die unvermeidliche Abstimmungsniederlage weg, ringt sich sodann ein Bekenntnis zugleich gegen AKWs und für die SPD ab, und das in aller Öffentlichkeit? Eben. Solange Wähler mit einer Abneigung gegen AKWs dieses miese Schauspiel mit Sympathie für den Hauptdarsteller quittieren, behält der Mann seine Nebenrolle in Bonn, obwohl er eigentlich schon längst auf den Posten eines Provinz-Oppositionspolitikers abgeschoben ist. Ein paar Tausend Stimmen für Helmut Schmidt werden dabei schon abfallen.


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... als das Eintreten für ENERGIESPAREN. Diesem Standpunkt Zufolge werden AKWs gebaut, weil zu viel Energie verbraucht wird: Irrationalität im Umgang mit Energie lautet das Urteil, und es läuft darauf hinaus, daß ein rationeller, sprich: sparsamer Umgang mit Energie nottut. Aber einen Menschen von einem Ort zum anderen zu befördern, kostet immer Energie, gleichgültig ob mit Fahrrad, Auto oder Straßenbahn. Ob jemand auf seine eigene Energie oder auf die im Benzin zurückgreift, ist eine Frage des Geldbeutels, also eine ökonomische. Nichts ist lächerlicher als die Rechnerei kritischer Energieexperten, die der hierzulande üblichen Nutzung von Energie nachweisen wollen, daß sie in der Verpulverung von Energie bestünde. Sie tun gerade so, als wären wärmedurchlässige Fenster eine Versündigung an der Energie. Es kommt ihnen nämlich auf die Moral an, daß der adäquate Gebrauch der Energie im Verzicht auf ihren Gebrauch besteht. Diese Moral, als Kritik an den AKWs vorgetragen, ist nobelpreiswürdig. Während die AKWs Land und Leute verseuchen, damit billiger Strom für Rationalisierung, also für verschärfte Ausbeutung bereitsteht, jammern kritische Energieexperten darüber, daß die strahlenden Stromfabriken energiemordenden Umgang mit Energie ermöglichten. Dabei liebäugeln sie mit der Vorstellung, daß die Bevölkerung teueres Öl spart, indem sie noch teuerere Doppelglasfenster kauft. Das wiederum paßt ganz gut in die ökonomische Kalkulation, die der Staat mit Kohle, Gas und Erdöl anstellt und für die er seine Bürger so oder so zahlen läßt.


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... als den Standpunkt der ENERGIEKNAPPHEIT zu propagieren. Energie ist nämlich nicht knapp, sondern überall auf der Welt im Überfluß vorhanden. Wenn Politiker mit der Phrase von der Energieknappheit hausieren gehen, haben sie denn auch nicht die Energie überhaupt im Auge, sondern bestimmte Energieträger, die ihnen zu teuer sind. Und der Normalbürger versteht sehr richtig, nämlich dahingehend, daß er zur Kasse gebeten werden soll. Nur die Anti-AKW-Bewegung nimmt die Phrase wörtlich. Hier wird der Unwille darüber, daß atomare Stromfabriken Leib und Leben bedrohen, in die Bereitschaft, umgewandelt, auf Energie zu verzichten.


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... als das Engagement für intakte UMWELT. Leider können wir an der ökologischen Bewegung nicht feststellen, daß sie die Natur erhalten will, damit man sie weiter ausnutzen kann. Ihre Gegnerschaft gegen die Zerstörung der Natur verbindet sie nämlich stets mit einem Angriff auf die Naturbeherrschung. Die radioaktive und chemische Vergiftung der Natur führen Ökologen nicht auf die Art und Weise zurück, wie hierzulande in die Natur eingegriffen wird; daß überhaupt in die Natur eingegriffen wird, soll schon die Zerstörung sein. So wird ein regelrechtes Mysterium aufgemacht: Die Behauptung, der Gebrauch der Natur sei die Anwendung von Gewalt gegen sie, läuft doch wohl darauf hinaus, die Natur als ein eigenes Wesen zu betrachten, dessen Würde mit der Benutzung nicht zu vereinbaren ist.


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... als der Verzicht auf „SINNENTLEERTEN KONSUM“. Wir meinen nämlich, daß es letzteren gar nicht gibt. Jeder Konsum hat seinen „Sinn“ in dem Nutzen oder Genuß, den er gewährt, oder er findet nicht statt. Wer dem Gebrauch eines Dinges einen weitergehenden Sinn anhängt der dem Konsum verlorengehen könnte, bestreitet, daß der „Sinn“ des Konsums im Nutzen einer Sache für den Benutzer liegt und verlangt einen höheren Nutzen als den des Individuums. Man hat es hier mit einer reaktionären Ideologie zu tun, die aber zum Öko-Ideal der über jede Benutzung erhobenen Natur paßt wie das Kreuz zur Kirche. Wenn die Natur möglichst wenig angetastet werden soll, dann heißt die Devise: Kampf den Bedürfnissen des Individuums. Es ist schon ein eigenartiger Fortschritt, den das Individuum in der Ökologenbewegung vollzieht: Daß das Kapital für die Ausbeutung der Arbeitskraft auch die Natur zerstört, nehmen Umweltfreunde zum Anlaß, gegen das Bedürfnis vorzugehen.


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... als die Anwendung ALTERNATIVER TECHNIKEN. Wo diese praktiziert werden, kommt zur Anschauung, daß die Verhimmelung der Natur zur gleichgewichtigen, eigenwertigen etc. Wesenheit die freiwillige Unterwerfung des Individuums unter die Barbarei ist. Ein Kampf wird hier schon geführt, aber nicht gegen AKWs, Zerstörung der Natur, geschweige denn gegen die Ausbeutung, sondern um das unfreiwillig komische bis trostlose Zurichten jeder Lebensäußerung der Individualität zum Mittel unberührter Natur. Die letzte Konsequenz der Ökologie ist die letzte Konsequenz ihrer Tollheit: Die Atom- oder „Öko-Katastrophe“ verhindern, indem man lebt, als wäre sie bereits eingetreten.


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... als die Parole: „KÄMPFT FÜR DAS LEBEN“. Nach allem, was wir von der Ökologie-Bewegung wissen, können wir nicht mehr glauben, die Parole solle heißen: Gegen die Beschränkung der Bedürfnisse, gegen die Gefahren für Leben und Gesundheit. Uns kommt es eher so vor, als verfolge die Ökologie-Bewegung das Ideal eines Lebens, das um eines Naturideals willen von allem Abstriche macht, was nicht überleben heißt. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Bewegung eine Alternativ-Bewegung im schlechtesten Sinn des Wortes ist: nämlich neben der Ausbeutung und ihrer Folge, der Naturzerstörung, eine Bewegung kritischer Menschen existiert, die nichts kritisieren, sondern alles nur zum Anlaß nehmen, im Idealismus des solidarischen Verzichts zur Gemeinde zu verschmelzen.

 

aus: MSZ 31 – Oktober 1979

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