Terroristengesetze:

Die Legalität gewinnt an Boden


Die seit der Schleyerentführung im Bundestag verabschiedeten Terroristengesetze (Kontaktsperre, Razzien, Verteidigerausschluß usw.) sind in dem, was sie für rechtmäßig erklären, so neu nicht, wie parlamentarische Dissidenten sie in gekonnt folgenlosem Gejammer gerne darstellen: angehende Juristen werden auf den neuesten Stand des Rechts zur Isolation von Gefangenen gebracht, indem man ihnen klarmacht, daß aufgrund einer „lex spezialis“ („Kontaktsperre: § 31 StPO) die „lex generalis“ („Rechtfertigender Notstand“: § 34 StGB), mit dem man schon bisher Inhaftierte von der Außenwelt abschneiden konnte, nicht mehr zur Anwendung gebracht werden darf (=braucht); an Übungsfällen müssen sie dann mit den neuen Gesetzen zu den alten Resultaten kommen. Für die – egal ob zur Untersuchung oder zur Sühne – einsitzenden Terroristen heißt das, daß sich praktisch nichts ändert. Die Mittel, die der Staat gegen sie einsetzt, hatte er schon vorher, nur bedurfte ihre Anwendung eines kleinen, sehr wohl rechtsstaatlichen Umwegs. Und daß die Polizei „auf öffentlichen Straßen und Plätzen und an anderen öffentlich zugänglichen Orten Kontrollstellen“, wo „jeder ... seine Identität feststellen und seine Sachen durchsuchen lassen“ muß, schon vor der Novellierung der StPO einrichten durfte, ist nicht nur den Gesetzeskommentatoren bekannt.


Der Ausbau des Rechtsstaats

Bisher wurden

„solche Kontrollstellen – zum Beispiel an Bundesautobahnen – mangels anderer Rechtsgrundlagen mit einer Hilfsbegründung (wie das Vorhandensein des Warndreiecks überprüfen zu wollen) eingerichtet.“

Die Koalitionsfraktionen weisen deshalb entschieden die linke Kritik, in der BRD würden „demokratische Rechte abgebaut“ mit dem Verweis darauf, daß mit den neuen Gesetzen nur die bestehende gerichtliche und polizeiliche Praxis legalisiert werde, zurück und handeln sich damit gleichzeitig die Kritik der CDU/CSU ein, daß eben deswegen die Gesetze zur „Ausrottung des Terrorismus“ untauglich seien. Wenn jedoch die Verwandlung des „Ausbaus des Rechtsstaats“ zur „wehrhaften Demokratie“ in einen „Abbau demokratischer Rechte“ eine Revierfindung ist, die den Status quo ante verharmlost, so heißt das noch lange nicht, daß die Volksvertreter reine Schaumschläger wären: mit den neuen Paragraphen der StPO haben sie dem Staat ein Instrumentarium als explizites Recht an die Hand gegeben, über das er bislang nur in extensiver Auslegung begehenden Rechts und umständlichen Verfahrensweisen verfügte. Der neue „gesicherte Rechtsboden“, auf dem sich die Exekutivorgane nun bewegen können, läßt seinerseits wieder einen gewissen Spielraum, was in der Praxis nichts anderes heißt, als daß die vom Gesetz gesetzten Grenzen ein gutes Stück erweitert worden sind. Zudem schafft man sich eine lästige öffentliche Diskussion darüber vom Halse, wie weit der Staat gehen darf und wie weit nicht, indem man sich das Recht gibt, so weit zu gehen.

Dies rief nun seinerseits gedämpftes bis lautstarkes Räsonnieren darüber hervor, ob der Rechtsstaat durch allzu intensiven Ausbau nicht abgebaut werden würde. Aber mit solcher Kritik verhält es sich so, wie mit der demokratischen Empörung über die Notstandsgesetze: einmal geltendes Recht geworden, verfallen sie der Selbstverständlichkeit des Bestehenden und was gestern noch als „Ende der Demokratie“ beklagt wurde, ist heute längst normale Errungenschaft des wehrhaften Rechtsstaats. Selbst die neuen Paragraphen der StPO, so z.B. der 163c, die ausdrücklich die Verhaftung von „Nichttatverdächtigen“ zum Zwecke der „Identitätsfeststellung“ vorsehen, gehen nicht über das bislang Mögliche hinaus: sie ersparen es der Polizei lediglich, erst einen „Tatverdacht“ zu konstruieren und sich hinterher beim Festgehaltenen zu entschuldigen. Statt über den „Abbau demokratischer Rechte“ zu lamentieren, sollte man sich angesichts des aktuellen Ausbaus derselben die Funktion des Rechts vor Augen führen: es ist die festgeschriebene Gewalt des Staats gegen seine Bürger, gegenüber der er ihnen bestimmte Rechte gewährt, was immer schon impliziert, daß er sie zurücknehmen kann, solange die Bürger die ihnen übergeordnete Gewalt akzeptieren. Gerade die demokratische Mehrheit ist es, die dem Staat die Möglichkeit als Legitimität einräumt, anhand der Gleichung Terrorist = Kommunist = Staatsfeind mit allen „Angriffen auf den Staat“ so gründlich aufzuräumen, wie er es für geboten hält.


Die Verteidiger des Rechts

Das Institut der freien Advokatur als „Organ der Rechtspflege“ hat im System der Durchsetzung der Staatsgewalt die Funktion, unter Ausschöpfung aller rechtlich zulässigen Mittel, vor allem unter Würdigung der Motive des Angeklagten diesem zu seinem Recht zu verhelfen, d.h. ihn dem Spruch des Gerichts zu unterwerfen.

Seitens des Rechtsanwalts setzt dies die Bereitschaft voraus, den Interessen seines Mandanten allein dadurch Geltung zu verschaffen, daß er sie als rechtmäßig überzeugend darzustellen versteht. Dies erfordert vom Mandanten, daß er nicht nur die Gewalt des Rechts über sich anerkennt (vulgo: er führt sich vor Gericht anständig auf), sondern den zumindest geheuchelten Idealismus aufbringt, sich auch noch in der Strafe gerecht behandelt zu wissen, was der philosophische Idealismus wie folgt formuliert:

„Daß die Strafe ... als sein eigenes Recht enthaltend, angesehen wird, darin wird der Verbrecher als Vernünftiger geehrt.“ (Hegel, Rechtsphilosophie, § 100)

Solche „Vernünftigkeit“ ist natürlich von Leuten nicht zu erwarten, die im Verdacht stehen, eine „kriminelle Vereinigung“ allein zu dem Zwecke gegründet zu haben, „unsere rechtsstaatliche Ordnung zu zerstören“. Jeder Rechtsanwalt, der freiwillig die Verteidigung von RAF-Gefangenen übernimmt, damit also dokumentiert, daß er sich „das Vertrauen der Angeklagten“ erworben hat, macht sich folglich allein dadurch verdächtig, Sympathisant von Staatsfeinden zu sein, auch wenn es bislang in keinem Fall gelungen ist, einem der „Terroristenanwälte“ die aktive Komplicenschaft mit seinem Mandanten nachzuweisen. Die neuen Bestimmungen der StPO, die die Rechte der Anwälte in Sachen 129 a StGB („Bildung einer kriminellen Vereinigung“) nicht nur einschränken, sondern auch den Ausschluß von Anwälten vorsehen, „wenn bestimmte (!) Tatsachen den Verdacht begründen“, es bestehe Komplicenschaft zum Täter, machen eine „ordentliche“ Verteidigung faktisch unmöglich, wofür nicht nur Trennscheibe und „Überwachung des schriftlichen Verteidigerverkehrs“ (§148 StPO) sorgen, sondern der Umstand, daß die bloße Grundlage einer Verteidigung angeblicher Terroristen – besagtes Vertrauensverhältnis – den Verteidiger außerhalb der Legalität stellt, er das Vertrauen des Gerichts verliert.

Weil aber das Recht auch solche Angeklagte voll treffen soll, hält der Rechtsstaat

„ ... aus gutem Grund die Verteidigung in Strafsachen selbst gegen den Willen des Beschuldigten für notwendig.“


Die Pflicht der Verteidigung

Damit der Angeklagte den Beweis antreten kann, auch vor Gericht noch seine „ungebrochene kriminelle Energie“ zu zeigen, die Würdigung seiner Motive dadurch ermöglicht, daß er alle ihm angebotenen Rechtsmittel ausschlägt, werden sie ihm aufgezwungen und dazu gibt es die Einrichtung des Pflichtverteidigers, der die Wahlverteidiger ersetzt, wenn sie das Vertrauen des Gerichts verloren haben. Neuerdings werden sie gleich vorsorglich bestellt, weil das Gericht zu den Wahlverteidigern jedes Vertrauen verloren hat, was im Westberliner Drenckmann-Prozeß zu dem Problem führte, daß die Pflichtadvokaten Probleme mit ihrem Rechtsidealismus bekommen, den sie im „normalen“ Prozeß als ergänzendes Mittel ihres strafmildernden Einsatzes für das Recht gebrauchen: Können sie sich doch weder voll für „ihren“ Mandanten engagieren, weil ihnen sonst das gleiche droht, wie ihren Wahlkollegen, noch einfach aussteigen, weil sie dazu einer „Entpflichtung“ durch das Gericht bedürfen, das sie gerade verpflichtet hat, um den Schein der Verteidigung zu wahren.

Mit diesen Maßnahmen sorgt der Staat dafür, daß Leuten, die er aus dem Verkehr ziehen möchte (und darunter fallen potentiell nicht nur Terroristen, was die Ausweitung des Verteidigerausschlusses um „Staatsschutzsachen“, §138 b, zeigt), faktisch ohne Verteidigung abgeurteilt werden können: Da die Pflichtverteidiger unter die gleichen Bestimmungen wie die Wahlverteidiger fallen, wird ihnen, selbst wenn sie wollten, eine effektive Vertretung ihrer Mandanten unmöglich gemacht, und die Wahlverteidiger müssen sich künftig wie Pflichtverteidiger aufführen, wenn sie Anwälte bleiben wollen.

Hinweis:
über Justiz und Strafverfolgung vgl. auch „Der Tod des Holger Meins und der Rechtsstaat“ (in: MSZ 3/1975), sowie „Die Justiz und ihre Kritiker: Plädoyer für ein gerechteres Recht“ und „Paragraph 88a StGB: Staatsschutz – Verbrechensbekämpfung im Vorfeld“ (in: MSZ 11 & 12/1976)

 

aus: MSZ 23 – Mai 1978

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