Die Szene wird zum Tribunal:

Mit seinen Opfern eine Feier für den Rechtsstaat


 
„Zwei Parteien stellen kontinuierlich die Gewaltfrage, die einen, weil sie um die Gewalt fürchten, die sie ausüben – die andern, weil sie keine ausüben dürfen!“ (MSZ Nr. 17/1977)

Zwei Parteien interessieren sich brennend für die Frage, ob der in Stammheim inhaftierte Kern der RAF selbst Hand an sich gelegt hat, oder ob ausführende Organe der Staatsgewalt beim Selbstmord Baaders, Ensslins und Raspes auf irgendeine Weise die Hand im Spiel gehabt haben. Merkwürdigerweise verfolgen beide Seiten mit unterschiedlichem Ergebnis ihrer Recherchen das gleiche agitatorische Ziel: Für einen sauberen Rechtsstaat!:

– „Am Selbstmord der Stammheimer Häftlinge besteht kein vernünftiger Zweifel mehr.“

So die offizielle Untersuchungskommission, womit der Rechtsstaat sich als solcher erwiesen hat, weil er sich auf die Inhaftierung seiner Feinde beschränkte und die darüber hinausgehende Gewaltanwendung ihnen selbst überließ, woraus sich ein letztes Argument gegen die terroristische Gewaltanwendung ergab: der Suizid als Gipfel der Perfidie von Leuten, die auch im Knast die Autorität des Staates nicht anerkennen und sich ihrer gewaltsam entziehen, so Bundesinnenminister Maihofer am Tag nach den Stammheimer Ereignissen. In der „peniblen Aufklärung aller Umstände des Selbstmordes“ die diverse Kommissionen „mit internationaler Beteiligung“ vornehmen, stirbt der „harte Kern“ gleichsam zum zweiten Mal und diesmal erst richtig, weil mit offizieller Klärung der Todesursachen durch die dafür zuständigen Steilen. In den „personellen Konsequenzen“, die gezogen wurden, bewährt sich das Rechtsstaatsprinzip durch die Opferung einiger Figuren, die „persönlich integer geblieben“ (Filbinger über Traugott Bender) ihren Hut nehmen, um das Amt, das sie verwalteten, über jeden Zweifel rein zu erhalten.

–  „Wir glauben nicht an Selbstmord!“

So der KB im „Arbeiterkampf“ über das Resultat seiner inoffiziellen Untersuchungskommission, die in dem erschütternden Vorwurf an den Staat gipfelt, beim Vorgehen gegen Rechtsbrecher sei das Recht verletzt worden. Seit dem 18.10., 7.41 h, schreibt der KB das Wort Rechtsstaat nur noch mit Anführungszeichen, und im Verdikt über den westdeutschen Rechtsstaat, er sei gar keiner, vollzieht er den Kotau vor der Idee des Rechts mithilfe der Anprangerung angeblicher Verstöße gegen es. Posthum erfahren die toten Terroristen die volle Solidarität derer, die sie herzeigen als Blutzeugen einer gemeinsamen Sache. Wo die „demokratischen Rechte“ mittels Abstimmungen beider demokratisch gewählter Häuser des Parlaments und der akklamatorischen Zustimmung des Souveräns Volk so ausgebaut werden, daß der Rechtsstaat sich nicht nur gegen aktuelle Bedrohungen, sondern auch gegen jede zukünftige mögliche erfolgreich zur Wehr setzt, klagt der KB den „Abbau der demokratischen Rechte“ an und wundert sich, „daß die Linke zur Zeit isolierter denn je“ dasteht.


Gegen das Recht ein Gericht

Wo das Recht zuschlägt, machen ihm seine Opfer einen Prozeß: Das „Sozialistische Büro“ und der „Kommunistische Bund“ unterstützen ein „Russell-Tribunal“ über die BRD (über die Affinität dieser beiden linken Sammlungsbewegungen haben wir in unserer Kritik des KB in MSZ Nr. 17/1977 bereits das Wesentliche angemerkt) mithilfe dessen „nach Mogadischu notwendiger denn je!“ um den „Erhalt von Freiheitsrechten und demokratischen Verfassungspositionen“ alle „Radikaldemokraten und Radikalliberalen“ im Bündnis „mit Sozialisten und Kommunisten“ zu einem „breiten Spektrum“ zusammengefaßt werden sollen. (Zitate aus der SB-Postille „links“)

Die Opfer der Repression planen also eine Feierstunde abzuhalten, wo sie sich dadurch moralisch ins Recht setzen, daß sie dem Staat öffentlich vorhalten, wie er mit ihnen umspringt und was er noch mit ihnen zu machen gedenkt. In Gestalt seiner „Kritischen Öffentlichkeit“ soll der Staat vor sich selber erschrecken und unterm Druck des „moralischen Gewichts“ der „Russell-Peace-Foundation“ von dem Abstand nehmen, was zu tun er sich bislang berechtigt sieht. Um den moralischen Druck zu erhöhen und zu demonstrieren, daß man nicht nur im Recht sei und bei aller Kritik rechtmäßig und ordentlich vorgehe, ist das Resultat des Tribunals ein „Urteil“ mit dem nicht Recht gesprochen wird, weil es sich nicht um ein Gericht handelt, sondern lediglich bestimmte Taten der BRD- Exekutive an den Pranger gestellt werden, was den Freispruch des BRD-Staates allemal impliziert: Ziel der Urteilsfindung ist nämlich der Nachweis, der BRD-Staat verstoße gegen Grund- und Menschenrechte seiner eigenen Konstitution. So wie er es mache, sei es verwerflich, anders müsse er es machen!

Allerdings sind mittlerweile einige nicht unwesentliche Teile des „Spektrums“ aus der Anti-Repressionsfront wieder ausgeschert. Die Humanistische Union, die meint, durch ein solches Tribunal sei

„eine weitere Vergiftung des politischen Klimas in der BRD nicht mehr auszuschließen“ (FR vom 10.10.)

und damit zu erkennen gibt, daß sie sich durch die humane Lösung des Entführungsfalls Schleyer und des Lufthansa-Befreiungsunternehmens (*1) beeindrucken ließ; die Jungsozialisten halten ebenfalls „eine Durchführung des Russell-Tribunals gegenwärtig nicht für sinnvoll“, weil sie angesichts der Erfolge ihres Parteifreunds Helmut Schmidt ihre weitere Mitgliedschaft in der SPD besonders hoch einschätzen; und die Jungdemokraten haben die besonders bewegende Begründung für ihre Ablehnung eines Anti-Repressionstribunals parat:

„Diese Tätigkeit der Unterstützung des Russell-Tribunals ist für die Jungdemokraten undurchführbar, da die bestehende politische Repression die Existenz des Verbandes in elementarer Weise gefährdet ...“

womit das einzig wirksame demokratische Mittel gegen die Staatsgewalt wieder einmal auf den Begriff gebracht worden ist: man unterwirft sich ihr!

Wo die Parteigänger der Gewalt unseres existierenden Staates demonstrieren, daß dies nicht die Stunde ist, an ihr herumzumosern, bleiben die Fans des besseren, sprich gerechteren, emanzipatorischen, menschlichen oder gar des Arbeiter- und Bauernstaates unter sich und im Bündnis allein mit Lady Edith Russell, die mit Recht darauf hinweist, daß ihr Verstorbener genauso hinter dem Tribunal über die BRD stehen würde, wie er weiland gegen Joe McCarthy auftrat. In der Tat: der notorische Antikommunismus des Lords setzte immer mehr auf die Sozialdemokraten und die agitatorische Wirkung ihrer Ideale, denn auf den brutalen Zuschlag der Staatsmacht.


... im Namen der höheren Staatsmoral

Obwohl das Russell-Tribunal peinlich darauf bedacht ist, den Schein eines Justizorgans exakt zu kopieren („Die Jury ist unabhängig und überparteilich“ wofür ausgerechnet der Umstand Garantie sein soll, daß es sich bei den Juroren um Ausländer handelt), worin die Sehnsucht seiner Träger zum Ausdruck kommt, selber Gewalt über andere ausüben zu dürfen („bedauert“ wird, daß die Jury außer „moralischen keine Sanktionen verhängen kann“. Das Ideal dieses Tribunal ist folglich das Nürnberger, mit dem die siegreichen Staaten ihre unterlegenen Konkurrenten aufhängten), ist der Staat ihm gegenüber allemal im Recht, weil er seine Maßnahmen von ordentlichen Gerichten überprüfen läßt, die notfalls auch ein Russell-Gericht verbieten können, wenn es zu weit geht beim Versuch

„die BRD in eine Propaganda-Kampagne hineinzuziehen und dabei den Namen des verehrungswürdigen Bertrand Russell zu Lasten der BRD zu mißbrauchen.“ (Willy Brandt)

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*1 zu beiden hier erwähnten Ereignissen siehe auch Die unheimliche Konsequenz des Terrorismus und Demokratischer Realismus in MSZ 19/77

 

aus: MSZ 20 – Dezember 1977

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