The Best of Johnny Paul

Die jüngste West-Tournee, die ,,Johannes Paul II., der Vikar Christi und 264. Nachfolger Sankt Peter“, wie sich der aus einfachem polnischen Arbeitermilieu stammende Entertainer Karol Wojtyla von seinen Fans nennen läßt, in Sachen moralische Ermunterung unternahm, war wieder einmal ein irrer Erfolg: Kaum war der Mann in „taubenweißer (!) Soutane“ mit dem Jumbo–Jet vom Himmel in Dublin auf die irische Erde herabgeschwebt, sang die Millionenschar, die die Ausgießung des Heiligen Geistes längst erwartet hatte und dessen schon voll war, sogleich in der einen Zunge (und nicht in vielen), die dem Heiligen Geist heute weltweit zu Gebote steht, das schöne Lied „Rivers of Babylon“. Das bewies „Seiner Heiligkeit“, daß sie sich überflüssigerweise ein paar nette gälische Grußworte als Vorspiel überlegt hatte und unverzüglich zum Höhepunkt kommen konnte. Und mit welch „frischem, kraftvollem, männlichem Charme“ der Kuttenträger sein übersittliches Faltenhemd raffte und die Massen schaffte!

„Der Materialismus legt den Menschen heutzutage in vielen Formen und mit einer Aggressivität, die niemanden ausspart, seine Herrschaft auf“ (Herrschaftszeitennocheinmal!). „Die heiligsten Prinzipien, die ein sicherer Führer für den einzelnen und für die Gesellschaft waren, werden heutzutage ausgehöhlt durch eine falsche Sicht“ (daschauher!) „der Freiheit, der Heiligkeit des Lebens und Unauflösbarkeit der Ehe, des wahren Sinns der menschlichen Sexualität und der rechten Einstellung“ (Normalstellung!) „zu den materiellen Gütern, die der Fortschritt anzubieten hat.“

Ganz gerührt über so viel gekonnte Anmache ihrer eigenen miserablichten Einstellung zu einer Welt, die’s nicht so besonders gut mit ihnen meint, als Grund für deren Herzlosigkeit, bekamen die Millionen schon feuchte Knie, doch hatte der oberste geistige Exhibitionist noch ein paar schärfere Nummern drauf, um mit seinem Plädoyer für Selbstbeherrschung vollends in die Abgründe der auf solche Steigerung ihres Selbstgefühls geilen Seelen vorzustoßen. Hatte doch der clevere Beatus Usus(1) aus Rom bereits massenhafte Begeisterung mit so eindeutigen Aufforderungen wie z.B. der geweckt, sich beim Zwang, den man sich anzutun hat, wenn man für den ,,wahren Sinn der menschlichen Sexualität“ auf die Matte geht, als Sau zu begreifen, die dabei auf dem anderen rumbumst (die Kirche ist also so prüde nicht, zumal die öffentliche Propagierung solcher Unzucht von den staatlichen Garanten der Institution Ehe entgegen anderslautenden Gerüchten ja auch gar nicht bekämpft wird), so durfte er den Volksmassen den kleinen beglückenden Zusatz nicht vorenthalten, daß ihr Engagement für eine bessere Welt sich in nichts anderem als in derlei aufopferungsvollen Diensten am Sinn des Lebens erfüllen könne.

Daß Idealismus von der die Welt eifernd herausfordernden Art nicht des Heiligen Vaters Anliegen sein konnte, war seiner hochgeputschten Anhängerschaft allerdings eh kein Geheimnis, weshalb sie auch den stärksten Beifall losließ, als ihr geistiger Seelsorger den unfriedlichen Satz herausließ:

„An alle Männer und Frauen, die sich an Gewalttaten beteiligen: Auf Knien flehe ich euch an: Kehrt um auf dem Weg der Gewalt und kehrt zurück zu den Wegen des Friedens!“

Womit denn auch das simple Agitationsvorhaben der diversen irischen Massen-teach-ins als erledigt abgehakt werden konnte: Dem Petrijünger kam es gerade im „traditionell unruhigen Irland“ darauf an, Menschen mit einem Seelenfrieden zu angeln, für den sie gefälligst mit einem bißchen Gewalt gegen sich eine Welt in Ruhe zu lassen haben, die dank solcher Verrücktheit ihre gewaltsame Idealisierung als eine – bei manchen diesseitigen Unbequemlichkeiten – prinzipiell auf Frieden, Gerechtigkeit und ähnlichen Mumpitz hin angelegte erfährt. Wenn das nicht gut ist und nicht schlecht!

Jedenfalls konnte der Kirchenfürst, der so eine gewisse Zufriedenheit mit allem Irdischen bekundete, nun nicht von der in Irland versammelten und per Satellit live hinzu gebetenen Menschheit scheiden, ohne ihr – nach Art der Jenseitsapostel – auch gleich ein sinnliches Zeichen gesetzt zu haben, wie der korrekte Dienst am weltlichen Reich der Notwendigkeit aussehen müsse: Er schritt aus diesem Grunde, streng im Gleichschritt mit einem säbelzückenden Offizier, eine Ehrenkompanie von Langen Kerls der irischen Armee ab und neigte sich andächtig vor den ihm präsentierten Waffen. Nun denn:

„Was denkt sich ein Papst, wenn er, von Millionen Augen im Fernsehen verfolgt, an Gewehren vorbeischreitet und weiß, daß er ... vor Hunderttausenden von Gläubigen die Gewalt, die Bomben und das Schießen bedingungslos verurteilen wird?“

Ganz klar: Er fühlt sich einerseits den Idealen verpflichtet, in deren Namen in Irland wie sonstwo auf der Welt geschossen und massakriert wird – das Gute liegt ja so nah, man muß es nur sehen! –, andererseits

„bleibt ein Erdenrest zu tragen peinlich, und war er von Asbest, er ist nicht reinlich,“ (2)

was aber – hienieden oder wie man so sagt – ganz in der Ordnung ist und dem 264. Sankt Peter schon aus kirchengeschichtlicher Erfahrung geläufig sein dürfte. (Hieb nicht schon 001 einem wackeren Römer das Ohr ab, ließ Gregor VII. nicht den armen deutschen Kaiser vor Canossa in der Kälte stehen, spaltete Papst Urban nicht egoistischerweise die kirchliche Einheit, auch wenn dieser Klemens VI. in Avignon nicht gerade heilig war, zeugte Alexander VI. Borgia nicht pflichtvergessen den daher auch so bösen Sohn Cesare, war Leo X. Medici nicht von der Sammelleidenschaft beherrscht, Pius XII. vom Schluckauf, Paul VI. von der Pille und Johannes Paul I. vom Grinsen?) – Kurz und gut: Nach seiner stark nobelpreisverdächtigen Einschwörung der Massen auf das Beste in der besten aller Welten (was allerdings dieser berufsmäßigen Friedenstaube mit einer und dazu noch materiellen Prämie nie und nimmer zu lohnen wäre), bliebt Johannes Paul nichts Höheres zu tun übrig, als seinen Jumbo zu besteigen und in die USA abzuschwirren, um der in New York versammelten Staatenwelt (UNO) zu ihren Idealen zu gratulieren, aus denen auch er seinen feierlichen Quark fabrizierte: Jede Menge Menschenrechte als Grundmasse, zwei Löffel planvolle Zusammenarbeit der Nationen, eine Prise gerechte Verteilung der materiellen Güter und ein paar sonstige Geschmacksstoffe – das alles gut verrührt, um der vor allen Dingen an Hoffnung darbenden Welt an ihren Politikern vorzuführen, daß sie mit diesen Profis in Sachen Menschheitsbeglückung so schlecht nicht fährt.

Wie unser UN-Beobachter Kalle Marx uns soeben kabelte, handelte es sich bei den Ausführungen des Papstes seiner Meinung nach um die eines „verkehrten Weltbewußtseins“, aus dem er den „Seufzer der bedrängten Kreatur“(3) heraushöre. Wohl aus diesem Grunde habe sich der als ,,Superstar“ gefeierte Wojtyla dem Konfettiregen der New Yorker ausgesetzt gesehen und hinterher Jimmy Carters hoffnungsvolles Früchtchen Amy betätscheln müssen. Da man zu dieser Einschätzung ohnehin stehen kann, wie man will, geben wir sie an dieser Stelle unkommentiert wieder, meinen jedoch, schon schärfere Analysen gelesen zu haben. Wie dem auch sei – sicher unrecht hat jener Kommentator, der schreibt:

„Es scheint, daß der Beifall, den Johannes Paul II. heute trotz seiner konservativen innerkirchlichen Position erntet, nicht dem Inhalt seiner Verkündigung gilt, sondern der guten Darbietung durch den begnadeten Charismatiker.“

Das ist mißgünstig gedacht! Was sollen „differenziertere Lebenshilfen, zumindest mehr Verständnis“ als der Kuttenbrunzer doch millionenfach überzeugend anbot? Die MSZ meint: Intellektuelle, die mit der Kirche ein Problem haben, sollten sie im Dorf lassen!

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(1) Anspielung auf die Sexshop-Unternehmerin Beate Uhse

(2) Goethe, Faust II, Vers 11954 ff. (Die vollendeteren Engel)

(3) Karl Marx, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Einleitung

 

aus: MSZ 31 – Oktober 1979

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