3. o. Mitgliederversammlung der VDS in Giessen

Die Farce als Tragödie


Prolog in Bonn

Der Erfolg des „Ersten nationalen Studentenstreiks“: Willy Brandt empfängt eine Delegation der VDS (Verein Demokratischer Studenten), um mit ihr über die „Anliegen der Studenten“ zu sprechen. Der MSBler im Vorstand zieht sich eine politische Grippe zu, weil Brandt mit Kommunisten nur spricht, wenn es sich um Kollegen handelt, also um Staatsmänner, von denen was zu holen ist. Die Jusos schweigen – sie haben das Rendezvous vermittelt, und sind darüber schon wunschlos glücklich – und der Basisgruppler gibt ein Statement ab, in dem Brandt alles das vorgehalten wird, was die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung so mit den Studenten treibt. Daran platzt das Gespräch nicht, vielmehr der VDS-Vorstand: Jusos und LHV ziehen sich aus ihm zurück, weil – so der Liberale in seinem Rechenschaftsbericht – es

„für einen Studentenverband, der auf eine demokratische Partei hin orientiert, unzumutbar ist, mit dieser Partei so zu konfligieren, daß er rausgeworfen wird.“


Ouvertüre im Foyer

Die angereisten Studentenschaften müssen warten: in den Fraktionsräumen konstituieren sich die Fraktionen. Die Jusos schwer zerspalten in „Stamokaps“, „Antirevisionisten“ und „Barackenjusos“, die Basisorientierten schwankend zwischen spontaner Unfrohheit über die „ganze parlamentarische Scheiße“ und schwäbischem Pragmatismus ihrer Fraktionsführung, geschlossen hingegen und gleich den SHB mitumfassend der MSB und auch die Liberalen, die zu klein sind, um sich ernsthaft spalten zu können. 2 Tage verzögert sich die MV. Der Gegenstand, um den in Fraktionen, Vorstand und Zentralrat gerungen wird, ist ein vorgeschobener: das Stimmrecht des Bremer AStA. Entschieden wird von beiden Seiten streng demokratisch: MSB/SHB, LHV und ein Teil der Jusos schlägt sich auf die Seite der Rechtsabteilung des Bremer Unisenats, Basisgruppen und die Anti-MSB-Jusos entdecken die Mehrheit des Wählerwillens. Das Recht obsiegt, wie auch anders in einem Dachverband, der sich auf seiner zweiten MV per Beschluß auf die FDGO verpflichtet hat.


1.Akt: Ohnmacht und Moral

Eine Institution, die über keinerlei Macht verfügt und sich trotzdem gerne in Szene setzt, als wäre sie ein Staat, Verfaßte deutsche Studentenschaften, nimmt auf die „realen Kräfteverhältnisse“ keine Rücksicht, obwohl von ihnen dauernd die Rede ist. Schauplatz solch parteilicher Interpretation der Tatsachen ist der Tagesordnungspunkt „Rechenschaftsberichte des Vorstands“, die ihr Material von der Lüge und der Moral beziehen, je nach Fraktion das eine oder das andere oder gleich beides zusammen:

„Nach der von der a.o. VDS-MV in Giessen verabschiedeten Empfehlung für einen einheitlichen bundesweiten Streik gegen das HRG ... erbrachte die nachfolgende Diskussion an den Hochschulen ... eine breite Unterstützung dieser Empfehlung ... durch die Masse der aktiven Studenten.“

Beifall brandet auf bei der GO-Fraktion. Die BG-Fraktion klatscht hinterher, als ihr Vertreter erklärt, der bundesweite Streik sei wegen seiner Ausrichtung auf das GO-Konzept der DGH gescheitert. Daß Erfolg oder Mißerfolg keine Frage des Resultats ist, macht nachfolgender Satz aus dem GO-Bericht deutlich:

„Das von der VDS-MV empfohlene Streikkonzept erwies sich auch als richtig im Kampf gegen das reaktionäre BaWü-LHG.“

Nun hat Filbinger sein Gesetz bekanntlich durchgesetzt, aber

„die BaWü-Studenten werden sich auch nach Verabschiedung der Umsetzung des LHG entschieden widersetzen.“

Was ist schon die Vollendung der staatlichen Hochschulreform angesichts der Tatsache, daß

„der Streik so zu der bisher größten Manifestation der Ablehnung des reaktionären HRG durch die Studentenschaften der BRD ... wurde“?

Wer so in der Niederlage zumindest moralisch Recht behält, hat nur Erfolge vorzuweisen. Gerecht folglich die Entlastung der GO-Vorständler durch die Mehrheit der GO-Fraktion auf der MV. Der BG-Vorständler wurde konsequenterweise nicht entlastet, weil er zugab, daß sein Konzept des Streiks – Mobilisierung der Basis – gescheitert war. Aus seiner Sicht jedoch ungerechterweise, weil die Basis „an sich“ kampfbereit gewesen wäre, die „Funktionäre“ jedoch alles abgewürgt hätten. Seine Nichtentlastung also ein weiterer Beweis für die Richtigkeit seiner basisnahen Orientierung. Der Juso im Vorstand ging auf seine Tätigkeit des letzten Jahres überhaupt nicht ein, vielmehr analysierte er die Studentenbewegung seit 1968 und wies ihr einen hohen Grad an „Verdinglichung“ nach. Er überwies die Verantwortung an die Geschichte und wurde deshalb als Person mit großer Mehrheit entlastet. Der Liberale problematisierte gleich offensiv seine Stellung im Vorstand, zählte alle ihm bekannten Sachzwänge auf und wurde glänzend rehabilitiert.


2.Akt: Macht und Unmoral

Wo die Moral auf die Macht stößt, wird sie melodramatisch. Der einzige. Gegenstand, über den die MV „inhaltlich“ diskutierte, war die Entscheidung, ob man das Russell-Tribunal unterstützen sollte. Jene Veranstaltung also, auf der die Maßnahmen des BRD-Staates im Namen einer höheren Staatsmoral (zusammengefaßt in den Menschenrechten) verurteilt werden sollen. Der MSB Spartakus, dem dieses Tribunal mißfällt, weil er prinzipiell nichts gegen Berufsverbote hat, sofern sie die Richtigen treffen, andererseits aber als Verfechter der „wahren Demokratie“ sich schlecht gegen eine Veranstaltung stellen kann, wo in deren Namen der wirklichen Demokratie der Prozeß gemacht wird, ließ durch seinen Altvorsitzenden erklären, er wolle eine „positive Stellungnahme der VDS zum Russeltribunal nicht blockieren.“ So hielt er seine Einwände gegen das Tribunal aufrecht, vermied es aber, den Antrag zu Fall zu bringen, was er aufgrund der VDS-Geschäftsordnung durch Stimmenthaltung hätte machen können, und die VDS unterstützen nun das Russell-Tribunal, wo moralische Riesen, wie sie in der Jury vertreten sind, dem Staatsapparat den Protest der von seinen Maßnahmen Betroffenen entgegenschleudern. Dieses Abstimmungsergebnis ließ die nicht GO-ler von einem „Linksrutsch“ in den VDS schwärmen, der dadurch zustande kam, daß der MSB einen Bruch mit den Sozialdemokraten der Juso-HG nicht riskieren wollte, weil er auf ein Bündnis mit ihnen im


3. Akt: Ohnmacht und Unmoral

angewiesen war. Das Finale einer VDS-MV verblüfft den unerfahrenen Zuschauer immer wieder aufs Neue, weil er auf das Programmheft hereinfällt, in dem zu lesen steht, daß die Vertreter der deutschen Studentenschaften

„die kontroversen Positionen der demokratischen Studentenbewegung ausdiskutieren und zu einem Aktionsprogramm vereinheitlichen“

werden. Bis zum Finale nämlich stellt sich heraus, daß die Fraktionen die jeweils andere für „Totengräber der Demokratie“ (BG und Jusos über die GO) bzw. für „objektiv die Geschäfte der Reaktion besorgende Sektierer“ (GO über die BG), bzw. für „Erfüllungsgehilfen bürgerlicher Parteien“ (GO und BG über Jusos und LHV) halten, deren restlose „Entlarvung vor der Masse der Studenten“ Ziel auch dieser VDS-MV sei. Üblicherweise kommt dann doch ein Aktionsprogramm zustande, auf dessen Basis GO, Jusos, und LHV ihre Politik unterbringen und die BG als „linke Opposition“ einen Platz haben. Diesmal jedoch ließ man den mühsamen Versuch der Zusammenfassung aller Plattitüden zu einer gemeinsamen Plattform fallen und ging umstandslos zur Verteilung der Pfründe (ca. 1 Mio. DM) über, d.h. man wählte den Vorstand ohne Aktionsprogramm. Jusos und LHV, die aus Protest über die „unbedachten Äußerungen des BG-Mannes aus dem alten Vorstand ausgetreten waren, bestanden auf eben dessen Wiederwahl. Ebenso natürlich die BGs, die nach der nicht erfolgten Entlastung ihren Mann durch Wiederwahl gerechtfertigt sehen wollten. Dieser, obwohl seinen Schilderungen zufolge die Zusammenarbeit mit den „undemokratischen Funktionsfiguren“ eine einzige Qual gewesen sein muß, hatte die Diäten fürs laufende Jahr schon fest in seinen Reproduktionsfonds eingeplant und biß die Zähne zusammen. Die GOler, die vorher den BGler als Gefahr für die Studentenbewegung an die Wand gemalt hatten, akzeptierten ihn im 8. Wahlgang, womit sie einerseits den Posten ihrer beiden Vorständler sicherten, andererseits demonstrierten, daß auch die (Ohn)machtpolitik pur nicht ganz auf die Moral zu verzichten braucht.


Die Meinung des Kritikers

„Zwischen Umarmung und Befehdung“ kommentierte der FAZ-Reporter die MV, der er vier Tage lang bei kalten Würstchen und warmem Bier beigewohnt hatte, reichlich verständnislos. Er hatte nicht bemerkt, daß die Umarmung („Wir halten am Bündnis zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten fest!“) die Form ist, mit der man den Gegner am effektivsten befehdet („Wir haben die Jusos erneut in die Koalition mit dem MSB gezwungen!“) und daß das wechselseitige Anpinkeln der traditionelle Auftakt des Bündnisses ist, mit dem jeder jeden bescheißen will („Die Unterschiedlichkeit der Standpunkte erfordert einen Vorstand, der alle Fraktionen der MV einschließt!“) Auch die Kommentierung des BG-Führers, mit ihren Novellierungsvorschlägen zum HRG seien die VDS wieder auf den Stand von 1968 zurückgefallen, tat sowohl den VDS von damals, als auch den VDS von heute unrecht. Nach dem Satz von Marx wiederholt sich zwar alles in der Geschichte, aber das eine mal als Tragödie, das zweite mal als Farce. Doch lehrt die Geschichte der Studentenbewegung und ihrer VDS, daß der dramatische Ansturm gegen die Hochschule im Dienste des Kapitals zur kapitalistischen Hochschulreform führte, die Tragödie also eine Farce war, die die an ihr Beteiligten auf Lehrstühle und in die bürgerlichen Parteien schwemmte (die, für die dies nicht zutrifft, spielen in den VDS keine Rolle mehr). Während heutzutage die Farce eines Dachverbandes der deutschen Studenten, die längst ihren Frieden mit der Effektivierung des Universitätsbetriebs geschlossen hat, was im „ersten nationalen Studentenstreik“ demonstriert wurde, als Tragödie sich aufplustern möchte, wo die „Kräfte des Fortschritts“ nimmermüd zum staatlichen Durchmarsch gegen die Positionen der Studentenbewegung die nicht einmal mehr allzu kritische Begleitmusik blasen. Deshalb war das in Giessen gegebene Stück eine so fade Angelegenheit, was nicht heißt, daß die früheren Aufführungen relevanter gewesen wären. Allenfalls waren sie amüsanter, weil die Protagonisten noch reale Konflikte austrugen, folglich die Polemik noch einen politischen Gegenstand hatte. Heute streitet man sich nur noch darum, ob die Regie manipuliert wurde und ob die Beleuchtung stimmt. Dies interessiert aber nur noch die Fachleute und diese haben die Katharsis verschlafen, weil sie sonst bemerken müßten, daß ihr Stück nicht einmal mehr Theater ist, weil die Realität die Konflikte längst im Sinne des Veranstalters entschieden hat. Dieser, der die Studentenschaft einmal eingerichtet hat, um seinen akademischen Bürgern einen Teil der Aufgaben ihrer Zurichtung zu übertragen, hat das Interesse ohnehin verloren. Er strich die Subventionen und neuerdings hat er in Baden-Württemberg das Theater geschlossen. Unbeirrt vom längst geschwundenen Interesse des Publikums, in dessen Namen gespielt wird, findet dort und anderswo die Fortsetzung dieses Schauspiels als Vereinsaufführung statt. Daß nicht einmal der freie Eintritt das Publikum anzulocken vermag, spricht nicht für dessen Verstand, vielmehr für seine Kunst, auch in gänzlich untheatralischen Verhältnissen seine Rolle zu spielen.

Kein AstA in Bremen

Das Ergebnis der StuPa-Wahlen im Januar an der Universität Bremen war für die AStA- Koalition aus MSB/SHB und Juso-Hochschulgruppen ein schmerzliches: die Mehrheit futsch! Nach der Devise aller Revisionisten „Die Massen können sich nicht irren!“ verwandelten die MSB-Strategen die Niederlage behende in einen Sieg, wozu der Nachwahlkampf gleich an 3 Fronten erfolgreich geschlagen wurde:

1. Publikumsbeschimpfung: Wähler waren auf die „intellektualistischen Sprüche“ der MG Bremen hereingefallen und hatten der von ihr unterstützten Liste BRECHT DAS BHG unbeabsichtigterweise – um nicht zu sagen leichtfertig – zu 5 Sitzen verholfen.

2. Realsozialistische Arithmetik: Hierzu der MSB/SHB/JHG–AStA in einem Flugblatte vom 20.2.1978:

„Sicher, MG, KSV, KSB, KB und jene Kräfte der Basisgruppen, die sich „Trotz alledem“ nennen, verfügen über eine 13-Sitze-Mehrheit im SR. Doch diese Mehrheit ist rein zahlenmäßiger Natur. Politisch ist dieser AStA nicht homogenisierbar. Ihr gemeinsamer Nenner erschöpft sich in der Gegnerschaft zum jetzigen AStA ... Politisch ist diese Negativkoalition zur umfassenden Interessenvertretung der Studenten also nicht in der Lage.“

Weshalb dankenswerterweise die Rechtsabteilung der Universitätsverwaltung dem MSB beisprang und den von der neuen Mehrheit gewählten AStA

3. per Rechtsaufsicht für „nicht im Amt“ erklärte, wozu sich die auf der konstituierenden StuPa-Sitzung anwesenden MSB-Mandatare einfach für nicht anwesend erklären mußten. In den Ferien hatte nun das KSB(=KBW)Mitglied der Liste „Gemeinsamer Kampf“ den Artikel „Marx II, Fertl I.“ im Theoretischen Organ seiner Zentrale („Kommunismus und Klassenkampf“) gründlich studiert und seinem Verständnis für die KBW-Linie, derzufolge die MG „Speerspitze der Bourgeoisie“ an den Hochschulen ist, dadurch Rechnung getragen, daß er am 13. April auf der SR-Sitzung, die endgültig einen neuen AStA wählen wollte, durch Abwesenheit votierte. Dadurch kam kein neuer AStA zustande und die Bremer Studentenschaft darf ab 8. Mai ein neues Studentenparlament wählen.

Die MG wird bei diesen Wahlen erneut auf der Liste BRECHT DAS BHG! antreten und dafür Sorge tragen, daß der Ausgang der letzten Wahlen und was daraus gemacht wurde nicht das einzige Thema des Wahlkampfs wird.


aus: MSZ 22 – April 1978

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