Der Boom der Basisgruppen:

Das produktive Mißvergnügen


Ein Produkt der Hochschulreform, die mit HRG und den Novellierungen der Landeshochschulgesetze den Studenten die Gemütlichkeit des Akademikerdaseins ausgetrieben hat, ist die sogenannte Neue Studentenbewegung, mit der die Revisionisten alles das wiederkehren sehen, was ihnen an der alten lieb und teuer war: zahlreiche studentische Protestaktionen in Form von Vollversammlungen, Demonstrationen, Fachschaftsinitiativen u.a.m. Weniger angenehm dabei ist ihnen aber der organisatorische Ausdruck, den sich diese neue Jugendbewegung gegeben hat: Basisgruppen. Nicht daß der MSB etwas gegen die Basis hätte, im Gegenteil, liegt doch hier das Feld, wo „jeder Spartakist“ nicht nur ansprechbar ist, sondern wo dieser Marxistische Studentenbund seine „Verankerung in den Massen“ sucht. Die Basisgruppen sind ihm deshalb ein Gegner, weil diese Studenten tatsächlich nichts anderes wollen, als sich als Studenten zu artikulieren, wobei ihnen die hehren Reviideale vom Frieden, dem realen Sozialismus, den es anzusteuern gelte, schnurzegal sind. Weil die neuen Studenten studieren wollen und dies gemütlich mit gesicherter „Berufsperspektive“, sind ihnen nicht nur die staatlichen Maßnahmen im Hochschulbereich ein Hindernis, sondern auch die revisionistischen Organisationen, die sie politisch auf ihr Ideal verpflichten wollen. Daß dahinter jedoch keineswegs ein „gesunder Antirevisionismus“ steckt, wie z.B. der KB meint, der in der „Basisgruppenfraktion in den VDS“ (ca. 25 % der Stimmen) einen wertvollen Bündnispartner entdeckt hat, sondern der handfeste Antikommunismus von Leuten, die sich die „Freiräume“ des Hochschulbetriebs und die Privilegien akademischer Berufe erhalten wollen, ohne die damit verbundenen Zwänge staatlicherseits aushalten zu wollen, bleibt dabei unberücksichtigt. Denn solches Festhalten an der bürgerlichen Libertinage ohne die Zucht, die zu ihr gehört, wie die Henne zum Ei, wird logischerweise auch zum Feind jeder Form organisierter Politik gegen Staat und Kapital, weil sie ihren Subjekten allerlei Ungemütlichkeiten abverlangt. Hierin sind sich die Basisgruppen einig mit den Spontis, von denen sie die Aktionsformen und den elenden Psycho-Jargon übernehmen, allerdings mit dem umgekehrten Ziel: nicht ausflippen wollen sie, sondern ihr Mißvergnügen produktiv machen für ein lustiges Studentenleben und ein lukratives Berufsdasein hinterher. Daß sie damit keineswegs, wie sie meinen, ihren Bedürfnissen zum Durchbruch verhelfen, sondern vielmehr der staatlichen Reformierung zur Durchsetzung, soll im Folgenden gezeigt werden.


Ein Klo für den Bildungssenator

Die Universität Bremen war vor kurzem Schauplatz eines bemerkenswerten Vorfalls: Bildungssenator Franke erzählt den Studenten über die Notwendigkeiten der Hochschulreform, als ein Haufen Studenten das Podium betritt und ihm ein eigenhändig abgeschraubtes Uni-Klo als Zeichen einer ganzen Menge Unmuts überreicht. Da dies ein gelungener Scherz ist, lacht auch der Senator herzlich und weist darauf hin, daß es ja ein Klo ohne Inhalt sei, worauf die Demonstranten friedlich wieder abziehen.

Daß es sich hier um Spontaneisten gehandelt haben muß, entnimmt man der so witzigen Form der Aktion, nämlich dem Gegner auf lächerliche Weise zu verdeutlichen, daß man seine Hochschulpolitik Scheiße findet, was insofern schon eine Aktion gegen den Bildungssenator gewesen sein soll, weil er dadurch lächerlich gemacht werde. Wenn man aber was von Spontis weiß, so fällt sofort der gesittete Charakter der ganzen Veranstaltung auf: früher hätte ein Ei, zumindest ein bißchen Mehl, und die Scheiße in der Kloschüssel nicht fehlen dürfen. Das Credo dieser Leute ist denn auch nicht „Das System anbohren, wo immer sich eine Möglichkeit findet!“, oder gar „Den Gegner in die Weichteile treffen, wann immer er sie entblößt!“ sondern: „Verwirrung stiften, Aufklärung provozieren, Vergnügen bereiten!“

Diesen Protestlern kommt es also zunächst einmal darauf an, Spaß an der Politik zu haben, was die Vermutung nahelegt, daß sie ihn sonst nicht finden können. Dieses spaßige Erleben soll dann –  wenn möglich – etwas in den Köpfen der daran Beteiligten in Bewegung bringen, wobei man ihnen keinesfalls mehr als einen Denkanstoß versetzen will – sie selbst mögen sich bittesehr aufklären. Und Vergnügen und Aufklärung stellen nur dann sich ein, wenn man Verwirrung stiftet, also die Normalität ein wenig durcheinanderbringt. Indem sie den Bildungs-Senator lächerlich machen wollen, protestieren sie nicht gegen das, was er repräsentiert, nämlich Universitätsbetrieb und Staat, sondern verharmlosen das Problem, das sie offensichtlich mit beiden haben, dahingehend, daß man mit ein bißchen Jux und Dolierei der Sache schon zum Besseren verhelfen könne. Nicht kämpfen wollen sie, sondern ihren Unmut auf ihre Weise kunstvoll demonstrieren.


Lob der Universität

Was ihnen maßlos stinkt, ist, daß es an der Universität eigentlich so sehr schön ist:

„Die Uni ist deshalb so wichtig für uns, weil im Rahmen ihrer Freiräume irre viel Politisierung abgelaufen ist (man weiß ja: die Studenten verwirrt, aufgeklärt, vergnügt) und abläuft. Hier ist die Möglichkeit, sich die Realisierung seiner Tagträume vorzustellen.“

Der Grund dafür, warum es nicht mehr so sehr schön ist, sondern nur der Möglichkeit nach, daß nämlich die „Freiräume zugleich Leerräume sind“, die das studentische Subjekt eigentlich tagträumerisch auszufüllen habe, wobei allerdings verwundert, daß es das nicht einfach tut, wenn dies sosehr sein innerstes Anliegen ist – der Grund dafür liegt in der Wissenschaft, die es an der Universität immer noch gibt, und zwar in den vollen Räumen. Die Wissenschaft ist nun nicht darum böse, weil sie falsch ist – nein, sie gibt dem Studenten

„die Möglichkeit zu denken und zu reflektieren“,

wobei er dann

„lernt, systematisch zu rationalisieren“,

was schließlich sogar dazu führt, daß man mit der Wissenschaft

„die Wirklichkeit begreifen“

kann. Die Wissenschaft ist darum was Schlimmes, weil es sie gibt:

„Gerade die Möglichkeit zu denken und zu reflektieren macht uns kaputt.“

Und weil es sie gibt, kann man nicht irgendwas nach eigenem Gusto mit ihr anstellen, was der aufbegehrende Student so ausdrückt, daß er sie lernen muß, ohne sie umstandslos mit seinen eigenen Wünschen und Tagträumen zusammenbringen, d.h. sie dafür benutzen zu können:

„Realität zu begreifen, ohne sie verändern zu können ... Im Studentsein drückt sich eine ganz bestimmte Art von Entfremdung aus. Die Diskrepanz, die entsteht einerseits aus dem vielen Wissen und andrerseits der Realitätsferne, Weltfremdheit, Abgeschnittenheit und Sterilität dieses Wissens. Lebensunfähigkeit und viel Geschwätz sind Produkt dieser Situation.“


Tadel für die Wissenschaft

Die Wissenschaftsfeindlichkeit der Basisgruppler ergibt sich also aus der einfachen Tatsache, daß die Wissenschaft und ihr Leben nicht dasselbe sind, woraufhin sie sofort einen Moloch entdecken, der sich ihrer Subjektivität bemächtigen will:

„Mit dem Anspruch, in der Uni arbeiten zu wollen, laufen wir ständig Gefahr, von diesen Strukturen aufgefressen zu werden.“

Da sie sich die Freiräume erhalten wollen, muß sich was am Verhältnis zwischen ihnen und der Wissenschaft ändern, man muß sie angenehmer empfinden können:

„Was wir brauchen, ist ein produktiveres Verhältnis zur Theorie, in dem sie ihren entfremdeten Charakter verliert.“

Und da fällt diesen Menschen ein, daß die Wissenschaft überall dort sein solle, wo sie sich befinden, womit sie nicht nur ein weiteres Mal erklärt haben, daß sie gegen diese Wissenschaft nichts haben, sondern daß sie vielmehr aus ihr größten Nutzen ziehen könnten, wenn sie sich für die eigenen Zwecke handlicher gestalten ließe. Dabei ist das augenzwinkernde Zugeständnis überdeutlich, daß man die Theorieaneignung gemütlicher vollziehen will, worunter man sich bei diesen Spontis etwas ganz praktisches vorstellen muß, nämlich daß sie die Scheine schon für ihre Spontitätigkeit nachgeschmissen haben wollen:

„... Vorstellung, daß die Uni verbunden werden muß mit bestehenden und entstehenden Zentren, Läden, Freien Schulen, Kneipen (!), aller Art von Gegenkultur ...“

Zugleich verraten sie damit, was es mit der Gegenkultur auf sich hat: eine Veranstaltung neben den Zwängen des täglichen Lebens und durchaus mit diesen vereinbar – indem ihnen entgegen gelebt wird, lassen sie sich besser ertragen, in die eigenen Vorstellungen von einem angenehmen Leben einbauen.


Befreiung durch Gegenkultur

Die Überreichung des Klos an Franke war eine typische Aktion, wie sie sich die Männer der Gegenkultur ausdenken: der Protest zeigt dem Bildungssenator, daß er sich hier unverständig einer Welt fröhlicher junger Menschen gegenüberstellt, einer Welt, in der durchaus selbstständige Verkehrsformen herrschen, die zu tolerieren der Staatsagent doch die Güte haben solle. In diesen Verkehrsformen („Zentren, Läden, Freie Schulen, Kneipen“) materialisiert sich die Vorstellung von einem befreiteren Leben. Dafür macht man alles so, wie die Bürger es machen, nur eben mit einem Anspruch. Freilich tut man damit etwas Kritisches gegen die bürgerliche Gesellschaft – Gegenkultur – und gibt also zu erkennen, daß man mit ihr nicht nur unzufrieden ist, sondern auch etwas gegen sie unternehmen sollte. Wesentliches Anliegen ist es jedoch sich vom bürgerlichen Leben nicht eingemeinden zu lassen, wofür man auf kulturellem Gebiet – was ein ausgiebig weitläufiger Begriff ist, um alle Verwechslungen mit politischen Bestrebungen zu vermeiden – allerlei Aktivitäten entfaltet, die mit schöner Regelmäßigkeit den Instituten bürgerlicher Geselligkeit und Moral eine Alternative vorsetzen.

Wenn solche Leute also an der Uni tätig werden, dann produzieren sie

1. Regelverstöße, d.h. sie beschädigen universitätseigenes Eigentum, aber so, daß niemand von einer tatsächlichen Gefährdung des Betriebs sprechen kann und sich sofort darüber beruhigt, daß der Schaden reparabel, d.h. das Klo wieder anschraubbar ist;

2. nennen sie sich Basisgruppen, womit sie den Anspruch erheben, überhaupt das Allerallgemeinste zu sein, umgekehrt: mit den engstirnig festgelegten Zielen der bestehenden Gruppen, die auch gegen den Universitätsbetrieb auftreten, wollen sie nichts zu schaffen haben; und

3. feiern sie an der Uni Feten.

Das folgenlose Aufbegehren gegen Universität und Staat lebt von der spielerisch vorgetragenen Drohung, daß es – sollte der Staat seinen eingeschlagenen Kurs weiterverfolgen – auch radikaler zugehen könnte. In dieser Drohung, die ja davon lebt, daß der Staat sich einsichtig zeigen und sich unnötigen Ärger ersparen möge, fühlen sich die Basisgruppler einig mit den Studenten, die ja auch mit dem gegenwärtigen Universitätsleben unzufrieden sind und sich wünsche daß das Studieren lustiger vonstatten gehe:

„So mußte zu einem Zeitpunkt zunehmender Verschärfung der Studienbedingungen die Identifikation (mit der Institution Uni) endgültig brechen.“

Natürlich ist sie nicht gebrochen, denn wer gegen die Universität kämpft, schraubt nicht ihre Klos ab – aber es könnte ja bis zu dieser Konsequenz kommen. Da es um diese Identifikation geht, haben die Basisgruppler entschieden etwas gegen die Kommunisten, deren Auftreten gegenüber den Studenten mit dem Anspruch, sie sollten sich für eine bessere Wissenschaft („demokratischer, im Dienste des Volkes“ etc.), oder gar gegen gesellschaftliche Ursachen (was sie da auch nennen mögen) der allgemein empfundenen Misere einsetzen, natürlich nur ein Spiegelbild einer desolaten Uni, die nicht so schön, wie man doch von ihr erwartet, sein kann:

„Daß sich diverse Gruppen in ritualisierter Form um die Unterstützung der studentischen Massen streiten, entspricht der Fremdheit gegenüber einer Universität, die in jedem Winkel ihrer Architektur Ungastlichkeit ausstrahlt. Wie in diesen Räumen mit ihren Plastiktischen, körpergerechten Stühlen, Teppichböden und Breitwandfenstern das Subjekt zu Hause bleibt und auf das Lehrobjekt reduziert wird, so ist der Student in der politischen Arena auf das gleiche Maß zurechtgestutzt. Wer sich nicht ausreichend auskennt in den MEW, macht auf „seiner“ VV ebensowenig den Mund auf wie in einem Seminar bei Helmut Reinholt.“


System macht Subjekt kaputt

Die Suche nach der Bestätigung als Subjekt, das an der Universität mitreden und in den Seminaren frei heraus seine Meinung äußern darf, findet als Hindernis also nicht nur die Ungastlichkeit der Universitätsräume in ihrer kalten Funktionalität vor, sondern stellt als weiteres, dem artverwandtes übel fest, daß es hier Leute gibt, die den schweren Fehler machen, etwas Bestimmtes zu wollen, was sich darin ausdrückt, daß sie organisiert sind.

Ist das Schlimme an der Universität nicht, daß man Lehrobjekt ist, sondern darauf reduziert ist, daß man darüberhinaus und dabei noch viel mehr sein möchte, so fallen die Kommunisten auf ihre Art unter genau dieselbe Rubrik: sie wiederholen nur die Feindseligkeit des Systems, indem sie ihre Mitglieder – und liebend gern auch alle Studenten – auf bestimmte Meinungen festlegen, ihre Subjektivität also auch ganz schön herunterreduzieren:

„Die dritte Gruppe sind die Organisierten, die ein schlechtes System gegen ein gutes eintauschen wollen, ohne dabei zu sehen, daß gerade in der Überbewertung eines Systems das Unterdrückung auslösende Moment liegt. ... Etwas, was anfangs förderlich ist, kann später zur Unterdrückung führen, oder kennt etwa einer ein sozialistisches Land, in dem er selbst leben möchte? Diese Leute fragen den Arbeiter nicht »Was willst Du, Arbeiter?«, sondern sie sagen »Das und das ist das beste für Dich, Arbeiter!«. Hinter dieser Verhaltensweise versteckt sich nicht nur grenzenlose Arroganz und an Größenwahnsinn erinnernde Denkweise, sondern die manchmal schon pervers anmutende Tatsache, daß diese Leute sich selbst im Namen von Emanzipation und Freiheit unterdrücken, indem sie die elementarsten menschlichen Bedürfnisse im Namen der Sachen hintanstellen und dasselbe dann auch noch von den Arbeitern erwarten.“

Basis der Basisgruppen sind hingegen die Studenten in ihren vorfindlichen Interessen, die zugleich als elementarster Ausdruck studentischen Wesens gelten. Dazu hat man sich kulturell zu verhalten, also nicht irgendwelche politischen Sachen heranzutragen, und von überragender Bedeutung ist es, daß sich zwischen Basisgruppler und Student die richtigen vibrations einstellen, wobei das Verhältnis der miteinander schwingenden Subjektivitäten ein fragiles Gebilde ist, das leicht durch artfremde Einflüsse zerstört werden kann: „Für die Germanisten spricht nur die Basisgruppe Germanistik!“ Nicht zuletzt an dieser Sorte Antikommunismus tritt ein wesentliches Moment dieser Bewegung zutage: nebeneinander stehen hier die grundsätzliche Übereinstimmung mit der Universität bzw. dem Lehrbetrieb – man will ja durchaus „Lehrobjekt“ sein, allerdings nicht so – und das Aufbegehren gegen die Institution und das sie tragende „System“ – die Subjektivität der Studierenden soll zu ihrem Recht kommen und kann nicht. Die Einteilung der Welt in das „System'' einschließlich seiner Subsysteme (Kommunisten) versus das geknechtete Subjekt sagt nicht, was dem Subjekt denn nun von wem und wie angetan werde, sondern zieht sich auf die allgemeinste Unzufriedenheit zurück und begnügt sich mit der bloß positiven Parteinahme für die Entfaltung des Subjekts schlechthin. Die Gegnerschaft ist damit so radikal inhaltsleer, wie sich nur vorstellen läßt: die Welt schrumpft zusammen zum großen Repressionsmechanismus, gegen den als ganzes sich zu behaupten den Revolutionär überhaupt ausmacht:

„Und gegen Repression kann man nicht kämpfen, wenn man nicht auch für eine andere Identität kämpft.“


Der Kampf als inneres Erlebnis

Diese eindeutige Aussage läßt keine Zweifel offen, worum es denn nun wirklich geht: das Subjekt hat an sich selber herumzumachen – was eine Beschimpfung darstellt –, um in seiner neuen „Identität“ die Gegnerschaft zum „System“ zu verwirklichen. Kampf ist also nicht Kampf gegen die als mies empfundenen Zustände, Kampf ist Selbstfindung der daran Beteiligten: „Der Kampf muß ein Fest sein, oder er ist keiner!“ Der Kämpfer hat Spaß an seinem Aufbegehren und dadurch ändert er die Zustände, nämlich in sich selbst.

Umgekehrt bejammern sie laufend die Tatsache, daß das Kämpfen an einem bestimmten Gegenstand sich ausrichtet, nicht einfach irgendetwas gemacht werden kann:

„In den Abwehrkämpfen gingen unsere eigenen autonomen Bedürfnisse, die die Studentenbewegung auf die Tagesordnung gesetzt hatte, verloren.“

Die „Abwehrkämpfe“ die sich gegen bestimmte staatliche Maßnahmen richteten, waren uneigentliche Kämpfe, da nicht Selbstzweck. Weil es gegen etwas Bestimmtes ging, ging es nicht mehr um die Bedürfnisse, darum waren die Kämpfe für die Katz. Die praktische Erfolglosigkeit früherer Zeiten ist ihnen also ganz gleichgültig und der unerbittlich folgende Frust immer nur Beleg dafür, daß die Aktion eben noch nicht originell und kreativ genug war.


Und man bewegt sich doch!

Das notwendige Scheitern kann keineswegs also dazu führen, daß man aufhört und die Kloaktion war da schon ein schöner Schritt auf dem Weg zur neuen Identität. Der Witz liegt im trotzigen Weitermachen, darin daß man überhaupt eine Bewegung darstellt und drinbleibt:

„Es gibt einen sinnvollen Standpunkt: das Interesse an der revolutionären Wiederaneignung dieser Bewegung.“

So kann das offene Eingeständnis schließlich nicht ausbleiben:

„Wir gehen somit nicht davon aus, daß wir mit unserer Politik die Entfremdung an der Uni aufheben können, doch gerade darum machen wir die Politik ja auch – um die Entfremdung nicht größer, nicht übermächtig werden zu lassen.“

Ließe man sie nämlich übermächtig werden, was zu verhindern also am einzelnen liegt, ließe es sich an der Uni einfach nicht mehr aushalten – eine schreckliche Vorstellung, will man doch mit aller Gewalt in ihr bleiben. Mit zynischer Bescheidenheit wird hier also eingestanden, daß diese Politik an der Uni auch gar nichts ändern will – wobei immer noch offen bleibt, warum es sie dann so gibt –, sondern diese als gerade noch erträglich für's Subjekt erhalten werden soll. Der „betont subjektive Charakter“ der Revolte dieser „entschieden in erster Person“ handelnden Menschen sehnt sich nach einem glücklicheren Leben in den Mauern der Wissenschaft, und enthält den völligen Verzicht, die Widerborstigkeiten, die einem im Studium so begegnen, sich nicht länger gefallen zu lassen.

So feiern sie mit Vorliebe Uni-Feten und verherrlichen so ihren Arbeitsplatz. Er läßt sich, zwar Ort der Repression, in einen Ort schrankenloser Bedürfnisauslebung umfunktionieren; die Anwesenden vereint das Gefühl der Einheit im Gefühl des Dagegenseins, wodurch das schlichte Außersichsein zweifelsfrei eine politische Tat ist; es ist die vollkommene Art, der Repression, die womöglich noch – woraus immer „eine irre dufte Politisierung“ folgt – in Gestalt einiger starrsinniger und verklemmter Ordnungshüter auftaucht, die Zähne zu zeigen, lächelnd natürlich. Und studieren läßt sich in den so angeeigneten kalten Räumen nächstentags auch leichter.


Du bis nicht allein ...

„Die heutige Bewegung ist aus einer tiefen existentiellen Betroffenheit heraus sehr stark durch eine soziale Unmittelbarkeit geprägt. Der heutige »Sozial«kampf unterscheidet sich daher völlig von den althergebrachten sozialpolitischen Kampagnen. Basis dieser tiefen existentiellen Betroffenheit ist eine materielle und psychische Verelendung der Universität. Ausdruck einer Massenuniversität ohne Identifikationsmöglichkeiten. Wir sind heute mit den Trümmern technokratischer Reformversuche, einer Mischung von Repression und Irrationalität konfrontiert. Das Ergebnis ist Perspektivlosigkeit. Diese Perspektivlosigkeit ist nicht auf die Universität selbst bezogen, einem Ort, wo man seine Zeit weder auf nützliche, noch auf interessante Weise verbringen kann, sondern die Vorstellung, daß selbst nach Berechnungen staatlicher Institutionen wahrscheinlich 75% der Hochschulabsolventen heutiger und zukünftiger Jahrgänge keine ihrer Qualifikation entsprechende Arbeit finden werden, hat zu der existentiellen Verunsicherung der Studenten ebenso beigetragen.“

Die bohrende Sorge um Identifikationsverlust und Isolation, um Leistungsangst und hoffnungslose Perspektivlosigkeit, der Widerwille gegen „ein im stillen Kämmerlein durchgezogenes Studium ohne Hoffnung auf Rückhalt in einer Gruppe“, – die heutige Studentengeneration hat zweifelsohne unter den Bedingungen der Hochschulreform zu leiden, worüber in ihr auch Einigkeit herrscht: jeder hat vom anderen die Vorstellung, daß auch er Schwierigkeiten hat, die staatlichen Zwangsmaßnahmen effektiv für das eigene Fortkommen zu nutzen, oder anders: das Gefühl, mit den Anforderungen nicht mehr zurechtzukommen, ist nicht länger nur individuelles Problem, sondern stellt sich als allgemeine Belastung der Studenten dar, als grundlegende Mangelhaftigkeit des gesamten Universitätsbetriebes. Dies ist der Nährboden, auf dem Sehnsucht nach Solidarität entsteht, einer Solidarität, die sich gegen die „Vereinzelungstendenzen“ wendet und dafür dreist die Lüge von den schönen alten Zeiten des stillschweigenden intersubjektiven Konsensus, d.h. eines konkurrenzlosen Zustands auffährt:

„Verhaltensweisen, die als längst überholt erschienen, hielten wieder Einzug in den Seminar- und Vorlesungsbetrieb. Individuelle Konkurrenz, Leistungsstreben, formelhafte Aufnahme des Lehrstoffs, Anpassung an die Verschulungstendenzen innerhalb der Universität usw. ... Aber trotz alledem ... alles dies sind erst Tendenzen, die zwar bedrohliche Gestalt annehmen, aber noch nicht durchgesetzt sind und noch nicht tiefgreifend das Verhalten der Studenten bestimmen.“


Lucky Streik

Diese Solidarität hat also noch alle Chancen den negativen Tendenzen, die der Staat mit seinem Reformwerk in Gang gesetzt hat, entgegenzuwirken und wieder eine Gemütlichkeit und Sicherheit in den Berufserwartungen an die Uni zu holen. So wiederentdeckt die Bewegung den Streik, keinesfalls jedoch, um dem Staat zu zeigen, daß man ihm die Brocken vor die Füße schmeißt; schließlich sieht sie

„das Studium im Gegensatz zur ML-Phase wieder als Übergangszeit zu einem Beruf oder Job“

und ist sich auch darüber im klaren,

„daß wir auch bestimmte Nachteile – Scheinvergabe, mehr Referate und Klausuren im nächsten Semester – in Kauf nehmen müssen.“

Wichtig am Streik ist vielmehr, daß man viele Diskutiergruppen bildet, in denen man „Menschen kennenlernt, die man/frau sonst nur vom Sehen kannte“, wichtig ist, daß sich in ihm die tröstende Einheit des geknechteten Studentenvolks herstellt, daß also möglichst alle in den Diskutiergruppen aufgefangen werden. Deshalb ist das Wort „Boykott“ dem Streik vorzuziehen, denn

„Erfolgskriterium kann nicht sein, sogenannte »Streikbrecher« daran zu hindern, zu arbeiten“,

(also den Unibetrieb lahmzulegen), vielmehr sind sie

„zunächst unsere Ansprechpartner innerhalb der Diskussionszusammenhänge, die durch den Boykott hergestellt werden sollen.“

In den Diskussionszusammenhängen geht es natürlich anti-repressiv und rational zu, jedermann kann mit seiner sozialen Unmittelbarkeit zu Wort kommen – denn nur so lassen sich an der Massenuniversität die Trümmer der Hochschulreform so arrangieren, daß darin eine ordentliche Übergangszeit zu einem Beruf oder Job durchgezogen werden kann. Wenn der Staat keine richtige Reform zustande bringt – dies die Ausdrucksform dafür, daß man mit ihr seine Schwierigkeiten hat und sich von seinem Staat grundsätzlich schönere Dinge erwartet –, so muß man die Sache eben selber anpacken:

„Nur mit der größten Anstrengung hätte der Fachbereich einen Neuzugang von 80 Studenten verkraften können“,

hätten nicht selbstorganisierte „Studienkollektive“ dafür gesorgt, die „Vereinzelung“ der Neuankömmlinge aufzufangen; wenn der Staat demonstriert, daß seine Ausbildungsreform den Aufstieg der Jungakademiker zu den Berufspfründen nicht garantiert u. nicht garantieren soll, richten sie sich selbst einen Leistungszirkus um die wenigen Akademikerplätze ein und haben sich vorgenommen,

„nebenbei die formalen Qualifikationsbescheide für den Oberritus Prüfung zu erledigen.“

Ihre kritische Haltung zur Ausbildungsmaschinerie bringt sie zu allerhand interessanten Verweigerungs- und Konfliktstrategien, hoffen sie doch dadurch, den Staat zu beeindrucken:

„Unterlaufungs- bzw. Konflikt- und Verweigerungs- Strategien, die die Durchsetzung des Gesetzes auf Universitäts- und Institutsebene verhindern, und die Konflikte schaffen, in denen die Auswirkungen des HRG und ihre Folgeentwicklungen für jedes einzelne studentische Individuum nachvollziehbar und damit kollektiv diskutierbar werden.“

Sie sind sehr gekränkt darüber, daß auf sie als einzelne nicht mehr die gewohnte Rücksicht genommen wird bzw. nicht die Erleichterungen mehr eingeräumt werden, die ihnen als künftiger Elite der Nation zustehen, wenn sie sich an einen Ort begeben,

„wo man seine Zeit (eigentlich!) auf nützliche und interessante Weise verbringt.“

So gekränkt sind sie, daß sie sogar mit dem Schlimmsten drohen:

„Verweigern wir die Lehrveranstaltungen! Und zwar“ (das wäre am schönsten) „unbefristet! Wir machen nicht mehr mit!“

Da es dann aber mit dem Elitedasein ganz aus wäre, besinnen sie sich sehr schnell dessen, daß man mit Drohungen allein auch nicht weiterkommt und – solange der Staat zögert – zwischenzeitlich etwas getan werden muß:

„Wir wollen uns z.B. als Basisgruppe organisieren, um uns nicht von der DPO, von Leistungsnachweisen verhackstücken zu lassen, d.h. wir wollen die Sachen kollektiv angehen, um als Gruppe den Streß leichter tragen zu können. Wir können (und wollen) ein Studienkollektiv bis zum Diplom bilden.“

Damit auch jedermann einsieht, wie vorteilhaft das für ihn ist, biedert man sich an jedermann an:

„Wird man als Streikbrecher geboren? ... Wie kaputt hat man dich gemacht, damit du Bullen auf deine Kommilitonen einschlagen lassen kannst? Vielleicht könnten wir doch noch miteinander reden??“


Durch gruppendynamische Solidarität ...

Die hier mit Zaunpfählen winkende Verlockung, mit der zum Eintritt in die große Gemeinde der Solidarischen geworben wird, heißt: Merkst du denn nicht, wie nützlich Solidarität für dich selber sein kann? Die Erfahrung, daß das Zurechtkommen im Ausbildungsbetrieb – gerade unter den heutigen Bedingungen – nicht deswegen ein hartes Geschäft ist, weil man viel lernen muß, sondern deswegen, weil man mit dem Erlernten besser sein muß als die anderen, wird für die Überlegung hergenommen, ob man es denn nun nicht einmal gemeinsam probieren sollte. Solidarität ist eine feine Sache, wenn sie ermöglicht, die unangenehmen Auswirkungen der Konkurrenz auszuschalten, d.h. dafür zu sorgen, daß man von den anderen nicht dauernd untergebügelt wird. Jedermann soll anerkannt werden als einer, der auch eine unverwechselbare Subjektivität hat und somit irgendetwas wertvolles beitragen kann, jedermann soll frei nach Schnauze vor sich hinreden dürfen und dadurch zu besserem Erfolg im Studium gelangen:

„Ich meine damit, daß jeder sich als entdeckungswürdig begreifen lernt (endlich heraus mit der verschütteten Subjektivität – zur neuen Identität!), daß jeder seinen Teil Unfähigkeit und Angst verstehen und anzugehen lernt, und daß jeder seinen Überlebenswillen dafür einzusetzen für wissenschaftlich wertvoll begreifen lernt.“

Schluß also mit Triebverzicht und Anpassung, sind diese Verklemmnisse doch störend für eine gelungene Berufspraxis:

„ ... Wirkungsweise der Universität, deren Praxisferne verstärkt hauptsächlich Triebverzicht und Anpassung, hält aber wenig Qualifikation für die alltägliche Berufspraxis bereit.“


... zu einem neuen Konkurrenzgefühl

Da jedem die Beseitigung von Ängsten, Hemmnissen, Sprachstörungen etc. durch gruppendynamische Prozesse versprochen wird, heißt das natürlich nur, daß nun die Konkurrenz auf neuer Stufenleiter sich austoben darf. Der eigentliche Zweck der Solidarität, die dafür gut sein soll, daß jeder für sich selbst besser zurechtkommt, erweist sich spätestens dann, wenn diese Solidarität plötzlich als Zwang sich entpuppt, sich für den Kommilitonen zu öffnen, die Konkurrenz also unter Ausschaltung gewisser Rückzugsfechte derart wie

„Ich hab da eben 'ne Macke, da kann man nichts machen“ oder „Da halt ich mich raus, das kapiere ich eh nicht“

stattzufinden hat: der Streikbrecher wird nicht als einer angegriffen, der den Streik unterläuft, sondern als psychisch kaputter Mensch, als einer, der nicht mitmacht. Das Stochern in anderen Individualitäten wird zur Pflicht und kein Studienkollektiv läuft ab ohne ständiges Belabern dessen, warum der oder jener nun nicht das Maul aufmacht – vielleicht käme doch was Verwertbares raus! –, oder warum der oder jener sich denn nun so überheblich aufführen muß. Offen führen sie sich gegenseitig die Eigenschaften vor, die für's überleben in der Konkurrenz notwendig sind, keinesfalls jedoch, um sie abzuschaffen (dafür bräuchte es kein Studienkollektiv), sondern um sich in der Entschuldigung zu ihnen zu bekennen und sie bei den anderen, zwecks besseren Umgangs mit ihnen, zu studieren. Das ständige Relativieren der Persönlichkeiten – keiner ist, was er ist, sondern nur das, was er für die anderen ist – ist so eben doch wieder nur eine Methode, die subjektiven Unterschiede hinterfotzig und hinterrücks wieder einzuführen, jetzt aber so, daß keiner sich beklagen oder darauf zurückziehen darf. Da alles nun über das gegenseitige Verständnis abläuft, man sich überhaupt und grundsätzlich erst einmal zu lieben hat, sind die großen Gewinner die, die sich am besten erklären können, die am geschicktesten auf die anderen eingehen, die, mit einem Wort, die Aura der Toleranz am genialsten zu verbreiten verstehen. Dies setzt natürlich intimste Kenntnisse der Psychologie voraus, mit der sich so glänzend wunde Punkte am andern aufspüren lassen; selbst wenn man mit ihr aber nicht so recht weiterkommt, so macht das gar nichts, denn – da sich alle über die Bedeutung der Psychologie einig sind – es genügt schon, sich möglichst psychologisch aufzuführen, und den entsprechenden Wortschatz zu allen Tages- und Nachtzeiten auszupacken. Sich gegen die anderen durchzusetzen, ohne ihren Unmut und ohne Vergeltungsaktionen herauszufordern, ja im Gegenteil, sich durchzusetzen und dabei allseitige Bewunderung einzuheimsen – das ist heutzutage die große Kunst. Die kann man in den Kollektiven studieren und erlernen, und wenn es in den normalen Ausbildungsbetrieb hineingeht, läßt sich aus ihr gegenüber unbedarften Studenten und vertraulich in die Intimität der Könner gezogenen Professoren/Assistenten vielleicht Kapital schlagen.

Die andere Seite, in der verschärften Konkurrenz sein Schäfchen ins Trockene zu bringen, ist die bedingungslose Anschleimerei an den Institutsbetrieb in Form von Verbesserungsvorschlägen, Selbsthilfen, technischen Erleichterungen, eine Anschleimerei, die sich in nichts vom Pragmatismus eines RCDS unterscheidet, und nicht einmal dessen Untermauerung mit demokratischen Prinzipien benötigt – hier gibt es nur ein Kriterium: schafft es Erleichterung, komme ich damit weiter?


Innere Entfaltung gegen staatlich verordnete Perspektivlosigkeit

Die Reformierung der Hochschule hat sich also auch die dazugehörigen Studenten geschaffen. Ging es der alten Studentenbewegung noch darum, überhaupt eine Reform in Gang zu setzen – wofür sie sich durchaus in Gegnerschaft zum Staat setzte –, so schlägt sich die Neue Studentenbewegung mit dem Problem herum, wie die nun eingetretenen Härten am besten zu ertragen und für den einzelnen nutzbringend einzusetzen seien. Dafür darf als Argument natürlich nicht fehlen, das sei eigentlich gar keine Hochschulreform gewesen, die stünde noch aus; doch zeigen die diffizilen Mechanismen der Anpassung der Anti-Repressions-Hänger, daß von der Veränderung der Hochschule keinesfalls mehr die Rede ist, sondern nur davon, wie unter veränderten Bedingungen ein möglichst effizientes Studium durchzusetzen ist. Der an den Staat gerichtete Protest gibt sich unverhüllt als Aufforderung zu erkennen, mit seinen eigenen Mitteln sorgsamer umzugehen, sodaß die Gehandhabten zufriedener, dann also auch gesellschaftlich nützlicher in der Universität sich bewegen können. Die Vorleistungen sind beträchtlich: unter Aufbietung ihrer ganzen Subjektivität suchen die Studenten noch das letzte Quentchen Identifikation aus dem Ausbildungsbetrieb herauszupressen, und gehen zu diesem Zweck hemmungslos aufeinander los – jeder muß sich an diesem Preßwerk beteiligen, denn nur so ist die Chance erhalten, daß man den Streß aushält und – daraus gestählt – noch rosige Zukunftsperspektiven sich eröffnet. Der Perspektivlosigkeit, die der Staat angeblich seinem Studentenvolk antut, ist die Perspektive der inneren Entfaltung, des trotzigen Weitermachens – wofür man allerdings kritische Töne unbedingt braucht – entgegenzuhalten. Und alle Feindschaft gegen die Kommunisten reduziert sich auf einen Punkt: sie könnten dem inneren Arrangement störend dazwischentreten und der Hoffnung, daß man doch noch zurechtkommt, Abbruch tun.


Spontitum und „Neue Studentenbewegung“

Es ist nun auch nicht länger verwunderlich, warum die Spontaneisten ein Hauptpfeiler dieser Bewegung sind und warum so gut wie alle ideologischen Versatzstücke aus ihrem Arsenal stammen. Die Rücknahme der verschärften Konkurrenz ins Individuum, die erst recht geforderte Selbstbehauptung des Subjekts, hat in ihrer Propaganda des Ichs, weiches sich außer der Gesellschaft gegen sie verwirklicht, die adäquate Legitimation. Und zwar deswegen, weil sie das notwendige kritische Moment so unübertrefflich in der folgenlosen Feindschaft gegen Repression/Autorität dergestalt ausdrückt, daß man sich in allem, was man tut, was die Gesellschaft verlangt, zugleich als ihr Gegner fühlen kann – und dies ist erst recht unter heutigen Bedingungen das notwendige Stimulans, will man tatsächlich in die geforderte neue Identität sich einleben, d.h. überzeugt das tun, was man tun muß. Die Spontipolitik bestimmt also nicht die Neue Studentenbewegung, sondern hat in ihr den praktischen Ausdruck gefunden.

Der wahre Sponti ist freilich auch wieder sauer über die Resultate seines emanzipatorischen Wollens und darum betont er immer wieder, daß es doch eigentlich gegen die Gesellschaft gehen sollte, was freilich nichts anderes bewirkt als die Gespaltenheit der Bewegung, positiv: ständig läuft ein fruchtbarer Diskussionsprozeß ab, und das nur auf den ersten Blick erstaunliche, daß sich neben übelstem Kleinkram genauso üble spontaneistische Exzesse einrichten, womit also auch die Neue Studentenbewegung den Kampf zweier Linien institutionalisiert hätte. Dem ganz wahren Sponti bleibt schließlich nichts anderes übrig, als auszuflippen, d.h. seiner Abscheu gegen Politik privat gegen sich freien Lauf zu geben, oder sich unter die Anarchisten zu reihen, d.h. seine zuvor geäusserte Drohung, er werde durchdrehen, wenn sich der Staat nicht einsichtig zeige, öffentlich gegen sich wahrzumachen.


Funktionale Spontaneität

Es soll nun auch keiner mehr kommen und sagen, daß diese Bewegung es doch zumindest mit den Bedürfnissen der Individuen habe. Jene tauchen nur im Räsonnement auf, im ständigen Belabern dessen, wie schön es wäre, sie einmal richtig auszuleben. Wenn diese Menschen einmal so richtig ab- und die Subjektivität einschalten, so fallen sie in ihren Besäufnissen und Drogenflügen noch jedesmal hinter die bürgerliche Gesellschaft zurück: was der Bürger als zweckdienliches Außersichsein kennt, wenn er auf den Putz haut, um am nächsten Tag mit dem Gefühl, man könne auch ganz anders, an den Arbeitsplatz zurückkehrt (was die Spontis hoffnungsvoll verkehren in: er habe ganz tief ihnen einen verschütteten Kern ursprünglicher Kreativität etc.), das ist bei ihnen barbarisch, da sie diese Selbstaufgabe noch aus Überzeugung betreiben.

Wenn die Basisgruppen bei der Öffentlichkeit durchaus auf Verständnis stoßen, dann, weil sie so weit mit ihren Spontis nicht mitziehen, eben dadurch ihre Funktion als Auffangbecken erfüllen: wer sich so weit gehen läßt, überlebt die Konkurrenz gerade nicht, so stellt sich die neue Identität nicht ein. Ihre zivilisierte Form der Barbarei ist der Psychoterror, auch darin Musterknaben staatlich verordneter Moral.

 

aus: MSZ 19 – Oktober 1977

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