Universität Bremen:

Schafe suchen einen Hirten

„Wir werden uns als Schafe verkleiden, um die – durchaus ernsten – Absichten des Senators auf die Schippe zu nehmen.“
(AStA aktuell, 14. Juni)

Bis es soweit war, ca. 130 Jungens und Mädels von der gewerkschaftlichen Orientierung zur (Un-)Kenntlichkeit verkleidet auf dem Bremer Marktplatz gegen die neue Lehrerprüfungsordnung (LPO) des Senators Moritz Thape demonstrierten, erlebte die Reformuniversität noch einen „Streik der Lehrerstudenten“, für den der MSB/SHB/Juso-AStA wie folgt mobilisiert hatte:

„Kein Mensch hat das Recht, Streikbrecher zu halten, solange es einen Wassertümpel gibt, der tief genug ist, daß er sich darin ertränken kann oder solange es einen Strick gibt, der lang genug ist, um ein Gerippe daran aufzuhängen.“ (AStA-Wandzeitung).

Nun sind einem Spartakisten zwar faschistische Sprüche wohlfeil, wenn sie im Dienste der fortschrittlichen Sache fallen; und er müßte dazu nicht unbedingt das literarische Erbe (1) Jack Londons ausbeuten. Jedoch fehlen ihm die Machtmittel, jeden, der seinen Streik gegen die LPO nicht mitmacht, tatsächlich zu ersäufen bzw. aufzuknüpfen, so daß der Streik eine sehr exklusive Sache wurde. Als Höhepunkt hatte man sich eine Ladung des Thape vor den Universitätskonvent ausgedacht, die der Senator allerdings ausschlug, ohne deswegen auch nur eine Unpäßlichkeit vorschützen zu müssen. In der Sache wußte er sich mit dem MSB der gleichen Intention verpflichtet: eine fortschrittliche Prüfungsordnung. Lediglich setzte der MSB auf die alte, noch gültige Fassung des Hauses Thape, während der progressive Moritz eine neue gebastelt hatte, die bundesrepublikanischem Standard entspricht.

Erstmals eine GO-Kampagne ohne echte Perspektive also, weil sich niemand außen den Herren Spartakisten etwas unter einer „demokratischen Prüfungsordnung“ vorstellen kann und sich nicht wenige Studiosi insgeheim dachten, wenn schon Prüfung, dann wenigstens eine, mit der man auch außerhalb Bremens an den Lehrerjob rankommen kann. Der Haken an der Sache mit den studentischen Interessen wurde offensichtlich: wenn Studenten konsequent nur die ihren im Kopf haben, steht der MSB ziemlich isoliert da.

Als Ersatzperspektiven hatte man sich dafür gleich deren drei vorgenommen. Zum ersten geriet wieder einmal die MG ins Visier der Freunde des realen Sozialismus, weil sie höflich aber entschieden bat, nicht auf sie zu zählen beim Ringen um die Organisation staatlicher Selektion. Dann nutzte die DKP die Stunde, ihre Genossin im AStA-Vorstand als Bürgerschaftskandidatin zu profilieren und schließlich stehen StuPa-Wahlen ins Haus, die diesmal in der Hansestadt an die Volkskammerkür erinnern, nur daß es dabei um weniger geht. Zur Stunde sieht es so aus, als gäbe es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen MSB und den beiden Erscheinungsformen der bündnisfähigen Sozialdemokratie SHB und (Stamokap-)Juso-HSG.

Da unter den Studenten das „breite Bündnis“ allein schon aus mangelndem Interesse nicht zu schmieden ist, schaut man sich einstweilen auf höherer Ebene um. Auf der „Bildungspolitischen Konferenz“, die der Bremer Reformkonsens des Rektorats mit AStA und GEW vom Zaum brach, erklärte der GEW-Redner wohl auch im Namen der Mitkonsensträger folgendes Erhellende zu den Versuchungen eines Senators:

„Die Gesellschaftsveränderung hat nicht ganz hingehauen“ (aber manche hat sie ganz schön hingehauen). „Das liegt aber nicht an Franke. Als er Senator wurde, ist er in einen Automatismus geraten, von dem ihn keiner abgebracht hat. Dazu ist eine Gegenbewegung erforderlich.“

Es steht also eine Bewegung in Bremen ins Haus, die heißt: ,,Rettet Franke vor dem Automatismus!“. Das kann noch heiterer werden, allerdings muß man sich, um ernsthaft darüber lachen zu können, schon so herrichten, wie's der AStA demonstriert hat (siehe oben!).

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Stupa-Wahlen in Westberlin:

Linke „Ansprechpartner des Staates“


Bald ist sie vorbei, die für die Linken der freien Universität so trostlose Zeit, ohne Amt und Würden, also ohne AStA, herumpolitisieren zu müssen. Nach zehn Jahren außerparlamentarischen Wirkens besitzt die Linke wieder eine Legislative, also die Voraussetzung, um über die Bildung einer Satzung die Regierung, den AStA zu bilden.

Etwas anders betrachtet, wird aus dem ,,Kritischen Dialog“, mit dem Glotz die linke Studentenscene der Frontstadt sooft ansprach, um sie positiv für sich einzunehmen, der „AStA als Ansprechpartner des Staates“ geboren werden. Doch macht es nichts, ob man die Sache so oder so betrachtet. Das Ergebnis ist allemal ein und dasselbe. Der Kenner der Szene, Senator Glotz, bekommt über den haushohen Sieg der Linken (Basis 25 Sitze, GO 25 Sitze, 10 Sitze für die Rechte) keine Sorgenfalten. Das gute Abschneiden der Basisgruppen hat er ,,erwartet“, und er will

„das Gespräch mit diesen Studenten fortsetzen, damit deren Grundeinstellung zu unserer Gesellschaft nicht in aggressive Hilflosigkeit umschlage.“ (Tagesspiegel)

Er will also so weitermachen wie bisher, und das kann er auch, denn die Patienten seiner politischen Gesprächstherapie zeigten im Wahlkampf um den geliebten AStA genug Willen zur politischen Gesundheit. Der Kampf um das Votum des Wählerwillens läßt sich durch einen schlichten Dreisatz einfach auf den Begriff bringen:

1. Linie
„Der AStA ist kein Ort, wo eine Gruppe ihre »radikaldemokratische und sozialistische Politik entwickelt und ausarbeitet«.“ (ADS)

2. Linie
„Ob's mit einem BG-AStA klappt, ist auch nicht sicher. ... Trotzdem sollte man nicht tatenlos zusehen, wie ausgerechnet die zum Abwracken reifsten Schaluppen der SEW-ADSen und STAMOKAP-JUSOS das Rennen machen.“ (Basisgruppen)

Generallinie
„Die Linke braucht die Mehrheit der Studenten und die Mehrheit der Studenten braucht die Linke.“ (ADS)

Was gewählt wurde
war denn auch eindeutig links von der Mitte, die vertreten durch RCDS, JU und die Burschen deutlich abgeschlagen wurde. So wird die Westberliner Studentenbewegung, die schon immer die Speerspitze der linken studentischen Bewegung war, im Januar 1980 das Vergnügen und die Ehre haben, sich in Gestalt eines Allgemeinen Studenten Ausschusses vorstellen zu dürfen. Und daß der der Linken in Westberlin gut ansteht, bestätigte jüngst FU-Präsident Lämmert unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses:

„Ich will versuchen, dem Studentenparlament Räume und über den Nachtragshaushalt der FU Gelder zu verschaffen, um es unverzüglich arbeitsfähig zu machen.“

Offenbar eine gute Geldanlage!

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StuPa-Wahlen in Marburg

Der Fortschritt des Fortschritts mit sinkender Beteiligung


„Hier sitzt ein Kandidat. Wer ihn sprechen will, kann hineingehen.“

„Ich fordere die anderen politischen Gruppen auf, sich sofort der Auseinandersetzung zu stellen.“

Mit solchen Türanschlägen und Mensa-Megaphonsprüchen sowie anderen professionellen Wahlkampfschlagern rackerten sich die diversen Möchtegern-Politiker im diesjährigen Marburger Studentenparlamentswahlspektakel ab, um es zu dem zu machen, was es schon seit langem ist: Der Kampf um die Erhaltung der Bedingungen der Möglichkeit des Widerstands gegen die Zerschlagung des Organs politischer Möglichkeiten. Da die Besetzung des AStA aber seit langem dieser Kampf ist, weil die einen ihn repräsentieren und die studentischen Massen ihn repräsentieren lassen, lag der Fortschritt dieses Jahr wieder einmal mehr auf dem Felde der Wahl.

Durch den Rückzug der Liste „Brecht das HHG“, – laut MSB hat die MG weitsichtig erkannt, daß sich Studenten nicht länger als ein Jahr mit linken Sprüchen für eine rechte Politik mobilisieren lassen, und kam ihrem drohenden Desaster durch Nichtbeteiligung zuvor – sowie durch das Aussteigen der Basis-Freunde hatte das Ereignis von vornherein erfreulich klare und ehrliche Konturen: drei links gegen Regelstudienzeit, Studienerschwerung für einen starken AStA – zwei rechts gegen Regelstudienzeit, Studienerschwerung für einen starken AStA. Die klaren Fronten führten denn auch zu einem Fortschritt im offenen Kampf um „die Interessen der Studenten“, der seine reizvollen Züge durch den Einsatz der gleichen Waffen erhielt. Ein Höhepunkt der wechselseitigen Entlarvung jagte den anderen:

– Die Rechten sind nicht wirklich gegen Regelstudienzeit, wie Briefe an Unternehmer beweisen. Die Linken sind für Regelstudienzeit im Sozialismus, wie theoretische Äußerungen bezüglich sozialistischer Ausbildung zeigen.

– Ein rechter AStA würde ein US-Army-Corps auf der Lahnwiese Kultur treiben lassen. Ein linker AStA spielt nur Einheitsrock gegen Rechts.

– Die Rechten sind für Strauß und Chile im Gegensatz zu den linkesten Linken, die in einer fröhlichen Chile-Malaktion an der „tristen“ Cafeteriawand „Solidarität mit dem Befreiungskampf der unterdrückten Völker“ und Einsatz „für die kulturellen und Freizeitinteressen der Studenten“ harmonisch miteinander verbanden. Die „Honeckertruppe“ ist gegen Menschenrechte für alle, wie das SPD-Mitgliedsbuch eines RCDSlers und die Vorführung eines „in den Westen geschmuggelten Films »Arbeitslager in der UDSSR«“ nebst Vietnamflucht-Dias belegen.

– Die Bundeswehr wird nicht mehr ordentlich, sondern im Dabeisein von Faschisten vereidigt. Der MSB ist zu einem rationalen Dialog nicht bereit und fähig. Der RCDS entzieht sich der offenen Auseinandersetzung usw. usw.
Über allem das studentische Interesse, auf den allgemeinen Nenner gebracht von den zweiten Rechten:

„Für eine wissenschaftlich fundierte Studienreform in gesellschaftlicher Verantwortung mit Praxisbezug!“

Das studentische Interesse, seinem Fortschritt zugetan, aber auch neben und unberührt bis abgestoßen von dem allen. Die auch in der kleinen Marburger Welt immer weltoffener werdende Masse der Studenten, die ja schon seit geraumer Zeit den Fortschritt am fortschrittlichsten Fachbereich 03 mitvollzieht und mitverfolgt, behandelte den Wahlkampf als das, was er nicht sein sollte: zwar nicht die herrlichste, wohl aber eine Nebensache. Alle linken Vorarbeiten der letzten Jahre im repräsentativen FB 03 – erst ersetzte die Marburger-Schule Marx durch Marx contra Dahrendorf, dann schob sie den besten Soziologen in spätere Semester ab, inzwischen blieb zugunsten studentenfreundlicherer Themen wie Frauen, Studienprobleme usw. die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaftsformation auf der Strecke, und die Jungstudenten werden nach ihrem Wissen und Wollen über den Fachbereich befragt (Vgl. Sprüche & Widersprüche!) – all diese zeitgemäßen Emanationen des alten „Marx an die Uni“-Geistes wurden studentischerseits mit demselben Dank bedacht wie die gemäßigt angespontiten „sinnvoller leben“-, ,,fortschrittlich Du selbst sein“-Attacken auf seine Stimme: Der studentische Realismus ging mehrheitlich still protestierend nicht an der gewandelten Situation, wohl aber an den Urnen und Briefkästen vorbei. Statt 58% stimmten 30% mehrheitlich für die Linke.

Angesichts dieser Angleichung an den grauen Alltag anderer Kaderschmieden grenzt es schon fast an ein Wunder, daß MSB und SHB ihre Stimmen nahezu halten bzw. noch vermehren und die Marburger Katastrophe eines rechten AStA verhindern konnten. Ob es an der fortschrittlichen »Volkstanzgruppe Georg Büchner« und ihrem „Friede den Hütten – Krieg den Palästen“-Aufruf zur Wahl aller Linken lag? Oder sollte die linke Logik durchgeschlagen haben:

„Ein starker linker AStA ist möglich ... Vorausgesetzt, die Linken werden gewählt“?

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(1) J.L., „Ode To A Scab“ (1913): „ … When a scab comes down the street, men turn their backs and angels weep in heaven, and the devil shuts the gates of hell to keep him out. No man has a right to scab as long as there is a pool of water deep enough to drown his body in, or a rope long enough to hang his carcass with. …“

 

aus: MSZ 30 – Juli 1979

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