Gewalt im Fernsehen (1):

… und ewig singen die Knaben

Wie an den übrigen Tagen des Jahres, will es auch am Heiligen Abend nicht klappen: es stellt sich kein Friede ein. Wie auch sonst in der Welt, bleibt auch am Hl. Abend nur eine Konsequenz: dann muß er halt gemacht werden. Die westdeutschen Fernsehanstalten haben da zwar dasselbe Problem wie das DDR-Fernsehen, aber die unterschiedlichen Gesellschaftssysteme verlangen auch hier unterschiedliche Problemlösungen: Während jenes die frohe Botschaft der Möglichkeit von Koexistenz und Entspannung mit Hilfe eines „Der blaue Vogel. Sowjetisch-amerikanischer Spielfilm von 1976“ in die Familien hineinfunkt und so gleich im Weltmaßstab klarmacht, was die Keimzellen doch lässig schaffen könnten, lassen zwar auch unsere Fernsehanstalten die große Politik erst einmal draußen, verzichten aber auf Fingerzeige und gehen gleich massiv gegen den unweihnachtlich sich einschleichenden Unfrieden in so manchen Familien vor.


Am Morgen geht's noch einigermaßen ruhig zu. Da die Eltern – es ist Sonntag – ein bißchen ausschlafen und auf den aufreibenden Tag sich vorbereiten können müssen dürfen, ist irgendein blöder Film angemessen: das 1. Programm bringt einen billig eingekauften tschechoslowakischen, das 2. Programm stellt den Kindern Fragen zum Herrn Jesu und läßt sie ihre eigenen Antworten angucken, um sie dann schließlich mit Pole Poppenspäler zu belohnen. Falls der Papa jetzt aufgestanden ist und sich sein sonntägliches Politikquantum am Fernsehstammtisch (Der internationale Frühschoppen) nicht entgehen lassen will, heizt er die Stimmung schon mächtig an, denn angesichts aufkommender Langeweile fragen sich die Kinder, ob der festgelegte Fahrplan nicht schon mal durch ein paar vorgezogene Geschenkausgaben aufgelockert werden kann, was die Eltern wieder zu der säuerlichen Entgegnung verleitet, daß sie den Hals schon noch vollkriegen werden – man hat ja genug vom laufenden Einkommen, vom Ersparten und die Weihnachtszulage sowieso im wesentlichen für sie rausgehauen.

Rettung naht in Gestalt des Mittagessens, für welches Mutti sich besonders Mühe gab, was darum dumm ist, weil sie die lieblose Hast, mit der es heruntergeschlungen wird, nur verärgern kann, die anderen Familienmitglieder es aber bald leid sind, sich dauernd Komplimente abringen zu müssen. 13 Uhr 50 fragt also Prof. Robert Spaemann in Fragen zur Zeit: Können wir noch Feste feiern? – und die Antwort sitzt in Form eines kauenden „Nein, eigentlich nicht, aber ... Gastarbeiter in Familie einladen ...“ vor ihm. Nach a bißl Musik ausm Bairischen Bilder- und Notenbüchl, das der Wastl Fanderl aufschlägt mit der Drohung „Heut' ist ein freudenreicher Tag“, kommen endlich die handfesten Sachen. Jetzt gibt's einen ordentlichen Weihnachtsrummel mit Meikel und seinen Freunden: Stoffel und Wolfgang, Susanne und Plumpa-quatsch, dem Hasen Cäsar und seinem Freund Arno, Bill Ramsey, Don Paulin u.a. Freunden, die alle furchtbar freundlich sind, denn Wir warten aufs Christkind (2 Stunden und 20 Minuten lang). Während Mama und Papa als Fee und Feerich im Weihnachtszimmer herumschweben, führt die versammelte Freundesarmanda die ganzjährige Botschaft im lamettierten Konzentrat vor, nämlich daß man sich nie und nimmer zuviel erwarten darf, immer hübsch brav bescheiden ist, was angesichts der vielen Geschenke 1. sehr nötig scheint, 2. aber gerade deswegen gar nicht schwer zu begreifen ist, ist doch mit ihnen klipp und klar der Ausnahmezustand deklariert, der 3. schon wieder das erste beweist, indem die schon aufgekommenen Verstimmungen sehr deutlich machen, daß allzu viel des Guten eigentlich nur schadet, man sich seiner also froh und glücklich schätzen, zugleich aber hoffen darf, daß er wieder vergeht. Meikel und seine Freunde sagen, was dabei immer wieder rauskommt und wie man es anständig hinter sich bringt: „Hört auf zu streiten, heute ist doch Weihnachten“ (Bill zu Meikel und Hubert) und selbst dem Michel aus Lönneberga im 2. Programm ist an diesem Abend sein Vater ausnahmsweise nicht mehr böse.

Nach soviel Demonstration, daß Zuvielhabenwollen zu Streit führt, den man aber so ernst auch nicht nehmen soll, tun sich in der Familie letztlich doch alle lieben, wird's Zeit für die Erlösung. Dafür haben die Programmgestalter der verantwortungsvollen Familienführung die Zeit ab 17 Uhr zur freien Disposition gestellt. Wer nicht gleich auspacken will, kann erst noch ein bißchen Märchentante Vilma Mönckeberg sehen, die versichert, daß Märchen – genau wie Weihnachten – eine andere Welt darstellen, andrerseits man aber nicht glauben könne, man könne mit der anderen Welt der eigentlichen entfliehen:

„Natürlich gibt es grausame Märchen, aber Gewalt hat immer eine große Rolle im Leben der Völker gespielt und wird sie – leider – immer spielen.“

An diesem Tag ist es aber richtig, sich einmal so richtig vorzustellen, die Welt wäre nicht so schlecht wie sie ist, was eigenartigerweise darum so beliebt zu sein scheint, weil der gefühlselige Gegensatz die Ausmalung des Schönen wie kaum sonst im Jahr möglich macht. Vilma erzählt also heute das Märchen vom Sterntalerkind, das durch Geben reich wird, dann sieht man den Kleinen Lord durch kindliche Naivität zu Glück und Erfolg stolpern. Na ja –  Kinder.
Andere, die schon feiern, können gleichzeitig Die Zauberflöte. Ein Zeichentrickfilm nach der Oper von Wolfgang Amadeus Mozart laufen lassen oder auch die Evangelische Christvesper und das Weihnachtskonzert. Außerdem kann man sich bei der Stange halten mit Schelle Marie und Wenn die andern feiern, denn die kriegen's auf jeden Fall hin, egal unter welchen Umständen und an welchem Örtchen: Astronaut Borman berichtet von Weihnachten im Weltraum.

Wu in der DDR de Walder haamlich rauschen*(1), rauscht’s bei uns nun in Familienkartons, in denen – man hat es sich ja aufgrund Meikelscher Prophezeihungen schon denken können – zu wenig und zuviel Praktisches drin ist. Der Umschlag des Friedlichkeitsdrucks in offene Gifterei droht, stellt sich doch heraus, daß die aufgewendeten Kosten nie und nimmer in entsprechender Freude und Herzlichkeit, geschweige denn in adäquaten Gegenkosten sich auszahlen –- läßt doch das billige Geschenk zwar viel Herzlichkeit und Liebe, sonst aber auch nichts erkennen, das teure hingegen sofort den Verdacht mangelnder Herzlichkeit und Liebe und auf berechnende monetäre Kompensation aufkommen.

Da müssen als erstes die Nachrichten her, die in der 5-minütigen Kürze zwar taktvoll aufs Fest sich einlassen, aber auch fest darauf hinweisen, daß a) doch noch üblere Streiche die Menschheit sich selbst am Hl. Abend spielt, so daß man sich b) angesichts der regelmäßig zu Weihnachten auftretenden Flugzeugabstürze , Erdbebenkatastrophen, Schiffsunglücke etc. sich glücklich schätzen kann, im Kreis der Familie, fernab von entfesselten Menschen- und Naturgewalten. Grade recht die Schlußversicherung des Nachrichtensprechers, der an diesem Heiligen Tag natürlich nicht auf ein Kirchenwort verzichten kann: ein Bischof habe in seiner Ansprache behauptet, man könne nicht länger von einer „gottverlassenen Welt“ sprechen, wo grade am heutigen Tage der Herr sein schönstes Geschenk zu uns herabgesandt hat.

Nachdem die erste Gefühlsaufwallung damit geläutert ist, daß man sich der Fortexistenz der unerklärlichen Gewalt auf der Erde sicher sein kann und darum mal das Gegenteil vorzuexerzieren ist, holt das Fernsehen dramatisch aus und präsentiert

  1. für die masochistisch-kritischen Charaktere Die Kinder von Bethlehem*(2), denen es saudreckig geht – „Seltsam, daß ausgerechnet hier, von wo die frohe Botschaft ausging, die Kinder so arm sind“ –, die aber die frohe Botschaft allemal bringen, daß im größten Elend die größte Hoffnung steckt: „Diesen Gott, ich sehe ihn wieder in jeder Gestalt menschlicher Hilflosigkeit!“,

  2. für die mehr besinnlich-realistischen Charaktere die Leute aus Bollerup*(3), die zwar blöd, aber ungeheuer friedlich sind bzw. deren Probleme mit mildem Lächeln beschmunzelt werden können; zu solch schönem Vorbild haben sie es dadurch gebracht, daß über allem Der Geist der Mirabelle schwebt, womit sehr direkt gesagt ist, daß ein Gläschen in Ehren auch an Weihnachten so manchen Streß abbauen kann.

Spätestens jetzt gehen die Kinder ins Bett und Vati zum Schrank; Mutti wechselt das Taschentuch, in welches nun Tränen neuer, geläuterter Qualität fallen, weicht doch nun die Bitterkeit restlos der blanken Rührseligkeit, wenn Lilly, die ,,so rein klingt wie eine Glocke, man braucht sie nur anzustoßen“ (Mel Ferrer als Puppenspieler Paul) durch hemmungslose Güte und Reinheit das verstockte Herz des letzteren aufknackt. Wahre Orgien der Selbstlüge und des erbarmungslosen Festwillens toben sich im Fernsehsessel aus, so daß das neu versöhnte Ehepaar, begleitet vom Gefiepse des soundsovielten Chors süsser kleiner Quengelknaben, schließlich erschöpft ins Bett sinken kann, wo es sich dann nicht mehr weiter aneinander stört und auch die Botschaft der Mitternachtsmesse nicht mehr nötig hat: „Können wir den weihnachtlichen Frieden erleben?“ fragt Bischof Kempf, „obwohl er von den Menschen dauernd gestört wird?“ – die Antwort für den heutigen Tag und hergestellt gegen alle Widernisse röchelt leise im Bett: „Den Frieden in uns kann uns niemand nehmen.“

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*(1) Offensichtlich in der DDR zu Weihnachten gerne im Rundfunk gespieltes Dichtkunstwerk eines Mundartdichters aus dem Erzgebirge.

*(2) Ein christliches Singspiel, das inzwischen etwas in Vergessenheit geraten ist.

*(3) Es handelt sich um die Verfilmung eines Buches von Siegfried Lenz.

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(Nachwort von 2014: Angesichts dieses vergleichsweise zu heute niveauvollen Programms frißt einen der Neid!)

 

aus: MSZ 27 – Januar 1979

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