Die Gewerkschaften in Großbritannien:

Her Majesty's Most Working Class


Meldungen von den Aktivitäten britischer Gewerkschaften gehören seit Jahren zum Horror- bzw. Raritätenkabinett bundesdeutscher Berichterstattung über die Gefährdung eines ordentlichen Wirtschaftslebens durch bornierte Arbeiterinteressenvertretungen:

„Die konfliktreichen Lohnverhandlungen in England zeigen, wohin überzogene Arbeitskämpfe führen können: Italien steht vor dem Ruin, England ist kaum besser dran.“ (SZ vom 28.5.1977)

Wenn bei British Leyland wieder einmal fünf Overlooker(1) die Arbeit niederlegen, weil ihre Arbeitsmäntel nicht weiß genug sind, so ist das kein Fall für Klementine, sondern die Erklärung, warum

„die englische Automobilindustrie ein leckes Schiff ist, das nicht so recht vom Fleck kommt.“

Freude kommt auf über den deutschen Arbeiter und seine Einheitsgewerkschaft, die bei allem, was sie tun, das Gedeihen unserer Ökonomie im Auge behalten. An England läßt sich demonstrieren, daß jede Mark, die man dem Kapital abknöpft, das Land ins Chaos treibt, was bei uns nur deshalb noch nicht soweit ist, weil die deutschen Arbeiter und ihr DGB bislang vernünftiger waren. Doch jeder Streik, und gar einer, der gegen die Gewerkschaftsführung durchgesetzt wird, wie dies die Hafenarbeiter taten, läßt die Journalisten das Schreckgespenst „englischer Zustände“ an die Wand malen und zur Verteidigung der „sozialpolitischen Errungenschaft“ einer „verantwortungsbewußten Einheitsgewerkschaft“ blasen. Dabei ist man mit dem britischen Chaos ganz zufrieden, denn

,,je mehr Chaos in britischen Firmen herrscht, desto besser kommen wir Deutschen ins Geschäft.“ („Spiegel“ Nr. 32/1977).

In schöner Offenheit, wozu Gewerkschaften dazusein haben, wird an den ,, Schwächen des englischen Gewerkschaftssystems'' ein Versagen des Staates festgemacht:

„In England gibt es kein gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren für die Ausschöpfung von Schlichtungsmöglichkeiten. In der Regel entscheiden die Orts- und Distriktgruppen von Gewerkschaften, ob ein Streik offiziell ist oder nicht. Sie konkurrieren oft ferner miteinander, während die Gewerkschaften in der BRD mit einer Stimme sprechen.“ (SZ vom 28.5.1977)

Hinter dem Angriff gegen die Trade Unions und die mangelhafte gesetzgeberische Initiative des Staates steckt die Genugtuung über die deutsche Einheitsgewerkschaft, deren gesamtwirtschaftlich konstruktive Funktion unser Staat gesetzlich garantiert.

Auch der DGB hält es für seine internationalistische Pflicht, die englischen Kollegen an ihre Pflicht zu erinnern. Die bei ihnen festgestellte „latente Gefahr einer Zersplitterung der Gewerkschaftsmacht“ (WSI 7/1977) beunruhigt ihn allerdings nicht wegen der damit einhergehenden Schwächung der Arbeiterbewegung, vielmehr macht er sich die Sorgen des britischen Staates zu eigen, dem aus der Krise zu helfen vornehmste Aufgabe der Trade Unions zu sein hätte:

„Strukturen und Politik der britischen Gewerkschaften werden radikal in Frage gestellt durch die sozioökonomische Situation des Landes, das kontinuierlich gegenüber vergleichbaren marktwirtschaftlich orientierten Ländern zurückfällt. Ob die bisher in gewerkschaftlichen Aktionen zu beobachtende Mischung aus Pragmatismus der offiziellen Gewerkschaftsorganisationen und Radikalität der betrieblichen Gewerkschaftsbasis zur Behebung der massiven strukturellen Krise ausreicht, ist zu bezweifeln.“ (WSI/ 7/1977)

Gegen die hilft nämlich nur der radikale Pragmatismus deutscher Gewerkschaften!

Begeisterung über die britischen Gewerkschaften herrscht so hierzulande nur bei den Revisionisten, denen die Militanz der Auseinandersetzung gefällt. Das geflissentliche Absehen vom Inhalt solcher Kämpfe ist ihnen gewohnte Selbstverständlichkeit und darum auch für England kein Problem, obwohl die „Militanz“ bestimmter Trade Unions auch eine im Antikommunismus ist, die den Arbeiterfreunden der britischen Reviszene einen vergleichsweise noch bescheideneren Platz zuweist, als dies in der BRD der Fall ist.


Mit berufsständischem Stolz gegen das Kapital

Die vielzitierte Radikalität britischer Gewerkschaften richtet sich zunächst nicht gegen das Kapital, vielmehr entzünden sich Arbeitskämpfe um die Anerkennung, gerechte Behandlung und Privilegierung bestimmter Berufe und Berufsgruppen, die im Vergleich mit anderen Abteilungen des Proletariats eine Benachteiligung entdecken und deren Aufhebung vom Kapital bzw. vom Staat fordern. Dabei sind den Trade Unions die Rücksichtnahmen auf Staat, Wirtschaft und Allgemeinwohl, von denen sich deutsche Gewerkschaften leiten lassen, allerdings fremd: Auf die Frage eines Ministers an die streikenden Feuerwehrmänner „Wollt ihr wirklich Kinder und alte Menschen verbrennen lassen?“ kam die Antwort der Fire Brigade Union (FBU) ohne Zögern: „Ja. Und die Queen in Windsor Castle obendrein.“ (Worauf „Daily Mail“ und „Express“ ihre Leser mit der Meldung beruhigten, daß die Königin eine eigene Feuerwehr kommandiere.) Solchen starken Worten folgten Taten: im Streik führten die Firemen jeden Flammentod als Beleg dafür an, daß ihr Beruf seiner „hohen Verantwortung“ entsprechend nicht genügend gewürdigt werde. Vor allem im Vergleich zu den Müllmännern:

„Wir fordern den durchschnittlichen Schwerarbeiterlohn. Wir wollen das gleiche wie ein Arbeiter der Müllabfuhr!“ („Times“ vom 10.11.1977)

Die „heiße“ Demonstration rief nicht nur den Staat auf den Plan, der das Militär zur Brand- und zur Feuerwehrbekämpfung einsetzte, sondern auch die Gewerkschaften anderer „lebenswichtiger“ Berufe: die Power Workers (die Arbeiter der Elektrizitätswerke) gingen in ihre Tarifverhandlungen mit dem erklärten Ziel, den Staat schneller weichzukriegen als die FBU oder die National Union of Miners, die schon einmal ein Tory-Kabinett gestürzt hatte: Lohnforderungen von 90-100 % hatten auch gar nicht die Funktion, das Geld in die Lohntüten zu holen (am Ende einigte man sich auf die von der Labour-Regierung verordnete Reallohnsenkung von 10 '%), sondern diente der Demonstration der eigenen Radikalität, die es sich leistet, solche Forderungen zu stellen.


Der Heizer auf der E-Lok

Steckt hinter der hämischen Rancune(2), mit denen die Journaille hierzulande über die Anwesenheit von Heizern auf den elektrifizierten Eisenbahnen Großbritanniens zu berichten weiß, die rentabilitätsorientierte Gleichgültigkeit gegen den Preis des Fortschritts, solange er nur von Arbeitern bezahlt wird, so ist der Kampf jener britischen Eisenbahnergewerkschaft, der dieses Kuriosum durchsetzte, ebenfalls ein sicherer Weg, dafür zu sorgen, daß der technische Fortschritt auf Dauer keine Minute Arbeit einspart, sondern Arbeiter und dies nicht zu knapp. Das Mitschleppen der wegrationalisierten Heizer bis zur Erreichung des Rentenalters ist die britische Form des Sozialplans, mit dem deutsche Gewerkschaften „die sozialen Härten“ für die von den Rationalisierungsmaßnahmen des Kapitals Betroffenen „mildern“. Die Fixierung auf die vom Kapital bzw. vom Staat eingerichteten Berufe geht sogar soweit, daß an Berufen selbst dann noch zäh festgehalten wird, wenn es die ihnen zugrundeliegende Tätigkeit nicht mehr gibt. Ebenso wenig wie ihre deutschen Kollegen kämpfen die Unions mit dem Kapital um die Früchte technischen Fortschritts oder gegen seinen Einsatz zur Steigerung des Profits auf Kosten der Arbeiter. Das Heizerbeispiel zeigt, daß die Rationalisierung faktisch durchgesetzt wird und das Los eines „E-Lok-Heizers“ ist ebenso wenig beneidenswert (man denke nur an seine Verhandlungsposition bei Tarifauseinandersetzungen) wie dasjenige des reduzierten Lokpersonals, das die mit der Rationalisierung verbundene Intensivierung der Arbeit zu spüren bekommt. Der bereits erwähnte Kampf der 5 Unionmen(3) bei British Leylands um weiße Kittel hat so auch nichts mit Widerstand gegen Arbeitshetze, also einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu tun, vielmehr mit dem Standesstolz eines Berufs, den das Weiß seiner eigenen Arbeitskleidung so blendet, daß er ihm versehentlich zugewiesene Kittel mit Grauschleier zurückweist und erst dann die Schufterei wieder aufnimmt, wenn blütenweiße Arbeitskleidung gestellt wird. Daß selbst dies dem Kapital abgerungen werden muß, obwohl man billiger willige Arbeitskräfte kaum wiegen kann, ist dem Präzedenzcharakter des Falles geschuldet, an dem die Werksleitung ein Exempel statuieren wollte.

Wo sich der Kampf gegen das Kapital in einen um die gebührende Anerkennung der Berufe durch das Kapital verkehrt, reagieren die Kapitalisten mit der zähen Verteidigung der Tatsache, daß es die Produktionsbedingungen stellt und damit auch die Berufe. Die vom Kapital diktierte Selektierung des Arbeitsmaterials gemäß seiner Brauchbarkeit für die Ausbeutung wird von den Trade Unions sogar soweit akzeptiert, daß es innerhalb der Standesgewerkschaften noch Untergruppierungen für qualifizierte und unqualifizierte Arbeitskräfte gibt, die jeweils auf die strikte Erhaltung ihrer Besonderheit bedacht sind.


Gewerkschaftlich organisierte Konkurrenz

Die berufsbornierte Orientierung gewerkschaftlicher Kämpfe in Großbritannien bringt es mit sich, daß Arbeitskämpfe gegen die Unternehmer als Konkurrenzkampf der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter untereinander ausgetragen werden. Der Vergleich mit anderen Berufsständen, deren Lohn bzw. Arbeitsbedingungen zu den eigenen Konditionen ins Verhältnis gesetzt werden, ist Anlaß für einen Streik gegen das Kapital um Gleichberechtigung mit anderen Abteilungen des Ausbeutungsmaterials. Ein Streik der outfitters(4) auf der Swan-Hunter-Werft in New Castle gefährdete einen lukrativen polnischen Auftrag, den die Regierung durch Gewährung eines Billigkredites den Japanern weggeschnappt hatte, weil sich diese Werftarbeiter weigerten, Überstunden zu machen. Nicht wegen der damit einhergehenden Belastung, auch nicht, um die günstige Auftragslage auszunutzen, das Mögliche herauszuschlagen, traten sie in den Streik:

„Wir wollen diese Schiffe bauen, aber wir wollen den gleichen Lohn wie jedermann auf der Werft.“ („Times“ vom 30.11.1977)

Damit akzeptierten sie nicht nur die Veränderung am Verhältnis Lohn-Leistung zugunsten des Kapitals, sondern bieten ihre Bereitschaft zu vermehrter Arbeitshetze, die mit dem Termindruck bei Werftaufträgen verbunden ist, als Preis für ihre Gleichbehandlung mit anderen Werftarbeitern an.

Nicht daß sie mehr brauchen, ist das Argument englischer Unions, wenn sie höhere Löhne fordern, sondern daß sie mehr fürs Kapital leisten als andere und deshalb auch mehr kriegen müssen. So begründen schottische Bergleute ihren Streik folgendermaßen:

„Wir sind in diesen Streik gegangen, weil wir finden, daß wir die produktivste Mine in Schottland sind und dafür wollen wir bezahlt werden.“ („Times“ vom 28.11.1977)

Ihre Gewerkschaft trägt diesem aus der Konkurrenz entspringenden Gerechtigkeitsfanatismus Rechnung, indem sie mit den Grubenbesitzern einen Rahmentarifvertrag abschließt und es einzelnen Bergwerksbelegschaften überläßt, für sich extra noch sogenannte producitivity deals(5) herauszuholen.

Die Konkurrenz untereinander läßt die Auseinandersetzung mit dem Kapital um die Bedingungen des Arbeitsvertrages in den Hintergrund treten. Eine neue Produktionsmethode in der staatlichen Stahlindustrie führte zu einem monatelangen Tauziehen zweier Unions, die sich die Besetzung der neuen Arbeitsplätze wechselseitig streitig machten. In den Hintergrund traten dabei die Auseinandersetzungen mit den Unternehmen über die Bedingungen und die Bezahlung der neuen Jobs. Der erzielte Kompromiß, beide besetzen proportional die neuen Stellen, sorgt für die profitable Fortsetzung der Querelen zu Gunsten des Arbeitgebers.


Closed Shop: Solidarität in der Exlusivität

Die Existenz der Closed Shops (alle Mitarbeiter einer Abteilung müssen einer Gewerkschaft angehören), in denen drei Fünftel aller britischen Arbeiter tätig sind, ist die pervertierte Form der Gewerkschaftssolidarität, die Geschlossenheit nicht gegens Kapital, sondern gegen Arbeiter erzwingt. So bestreikten z.B. die Journalisten sämtlicher Darlingtoner Zeitungen ihre Verlage, um zu erreichen, daß zwei Reporter, die einer anderen Gewerkschaft angehörten, entweder entlassen würden oder der eigenen beiträten. Die gewerkschaftliche Forderung ans Kapital erschöpft sich hier in dem Druck, nur eine Gewerkschaft als Verhandlungspartner anzuerkennen und nur Mitglieder dieser „akkreditierten“ Gewerkschaft zu beschäftigen. Dafür ist die Gewerkschaft bereit, ihren closed-shop-Mitgliedern einiges fürs Kapital abzuverlangen. Auf einer Delegiertenkonferenz der Power Men Union verpflichtete die Gewerkschaftsführung ihre Mitglieder dazu,

„ein System zu erkämpfen, das Fertigkeiten, Verantwortung und Anstrengungen belohnt.“ („Times“ vom 25.11.1977)

Für die Erhaltung der Brauchbarkeit gewerkschaftlich organisierter Arbeiter im Dienste des Kapitals und ausgerechnet damit für die Stärke der Gewerkschaft, die sie in der Anerkennung ihrer Unentbehrlichkeit sucht, sorgen in britischen Betrieben die Shop Stewards(6), mit denen sich die Arbeiter Leute wählen, die entweder mit den Meistern personalidentisch sind oder deren Funktion verdoppeln. Nicht nur das Mißfallen des Meisters kann einem englischen Proleten den Job kosten, sondern auch der Umstand, anderer Meinung zu sein als der Steward. So geschehen bei Ford of Britain, wo ein Closed Shop den Betrieb zwang, ein paar Arbeiter zu entlassen. Der Closed Shop ist so eine Einrichtung, mit der die Arbeiter einer Abteilung ihre Konkurrenz gewerkschaftlich regeln und dem Kapital ein Gutteil der Selektion abnehmen, indem sie selber dafür sorgen, daß jeder seiner Qualifikation entsprechend eingesetzt wird und das ihr Entsprechende leistet.


Die Erfolge der Trade Unions und die Folgen für die Arbeiter

Die radikale Verfolgung berufsständischer Interessen und das Standesbewußtsein der Einzelgewerkschaften hat üble Folgen für die Arbeiter, die den interessierten Kritikern inzwischen als Lokalkolorit für die allgemeine Krise des englischen Kapitalismus dienen. Die wachsende Armut der englischen Arbeiterklasse, augenfällig in den trostlosen Arbeitersiedlungen der Industriestädte, in den niedrigen Löhnen (ein Feuerwehrmann –verheiratet, zwei Kinder –  erhielt bis vor kurzem für eine 42-Stunden-Woche ca. DM 800,- auf die Hand, Überstunden inklusive),soll, folgt man der bürgerlichen Analyse, ausgerechnet den Kämpfen der britischen Arbeiter um eine Verbesserung ihrer Lage geschuldet sein. Dabei ist jetzt schon klar, daß der Schaden, den die Streiks der Unions dem Kapital zufügen, noch lange nichts an der trostlosen Lage der Proleten ändert. Es kostet British Leyland nicht viel, seinen Arbeitern weiße Kittel bereitzustellen, aber ganz in Weiß schuften sie willig und fügen sich dem Social Contract ihrer Labour-Regierung, die ihnen 10 % Lohnerhöhung bei Inflationsraten um die 17 % zuerkennt. Der Witz liegt darin, daß die häufige Lahmlegung ganzer Produktionszweige durch Streiks um die entsprechende Anerkennung berufsständischer Leistungen dem Inhalt der Forderungen entsprechend den Streikenden nichts bringt, dennoch aber für das Kapital eine empfindliche Störung der Ausbeutungsmaschinerie darstellt.


Union brotherhood in action

Die vielfältigen Formen des Schadens, den die Arbeiter sich gegenseitig antun, indem sie sich in berufsständischen Organisationen zusammenschließen, verklären sie einerseits im Ideal ihrer Solidarität – „union brotherhood“. Andererseits sind sie aber immer (und nur) dann bereit, für die feindlichen „Brüder“ zu kämpfen, wenn diesen von der Gegenseite das Recht bestritten wird, sich als Gewerkschaft zu organisieren, weil „das Streikrecht die Essenz der Freiheit ist“ (Jack Jones, Generalsekretär der Transport and General Workers Union). Als George Ward, der Besitzer der Fotokopieranstalt Grunwick, seinen Arbeitern fristlos kündigte, weil sie in eine christliche Gewerkschaft eingetreten waren, kamen Gewerkschaftler aus allen Landesteilen nach London, wo sie erbitterte Straßenschlachten gegen die Polizei führten. Daß nicht Streiks, sondern Demonstrationen, auf denen stets die Traditionsfahnen der eigenen Gewerkschaft vorangetragen werden, in der Regel das Kampfmittel sind, erklärt sich aus dem, was die Arbeiter nicht hinzunehmen gewillt sind. Die Tatsache, daß Arbeiter einer anderen Gewerkschaft auf die Straße gesetzt werden, veranlaßt sie zu einem monatelangen Kleinkrieg mit der Polizei, nicht etwa, um einem Unternehmer höheren Lohn und bessere Arbeitsbedingungen abzutrotzen, sondern um das Prinzip gewerkschaftlicher Organisation auf Betriebsebene zu verteidigen. Dieses wird zum Zweck und der Arbeitskampf zum Mittel für es, statt umgekehrt. Jack Jones benutzt die Auseinandersetzung um Grunwick zur ideologischen Aufwertung der sozialen Funktion der Gewerkschaft, die er als „wertvolle und notwendige Kraft in unserer Gesellschaft“ anpreist, welche ein Recht auf umfassende Anerkennung beansprucht und notfalls auch militant durchsetzt gegen die Gesetze und Exekutivorgane dieser Gesellschaft.


TUC – Ein Gewerkschaftsdachverband mit politischer Orientierung

Ruft in Fällen wie dem Grunwick-Konflikt die Beschneidung des Rechts einer Gewerkschaft die Solidarität der sonst munter gegeneinander konkurrierenden Einzelgewerkschaften hervor, so machte die Zersplitterung der Gewerkschaftsbewegung in rivalisierende Berufsgruppen schon früh die Schaffung einer Dachverbandsorganisation zum Anliegen der Arbeiterbewegung für alle jene Bereiche der Interessenvertretung, wo die Konkurrenz der Arbeiter untereinander zu ihrer Beförderung und Absicherung ein gemeinsames Betätigungsfeld findet: Forderungen an den Staat zur Sozialgesetzgebung und zur gesetzlichen Markierung von Grenzen der Ausbeutung (Normalarbeitstag, Mindestlöhne, Arbeitsschutz etc.) In der Gründung des TUC schuf sich die englische Arbeiterbewegung jedoch keineswegs eine Einheitsgewerkschaft, um durch die Aufhebung der Konkurrenz in der Auseinandersetzung mit dem Kapital an Schlagkraft zu gewinnen, vielmehr ist der TUC ein Ausschuß der in ihm munter weiter konkurrierenden Gewerkschaften zur Vertretung politischer Interessen, von deren Durchsetzung die einzelnen Unions sich eine Stärkung ihrer Position versprechen. So ist der TUC eine Institution der Arbeiterbewegung, die getrennt vom täglichen Kleinkrieg gegen die übergriffe des Kapitals für die politischen Bedingungen des Arbeiterlebens kämpft, so daß die englische Arbeiterbewegung die Beschränktheit des gewerkschaftlichen Kampfes schon organisatorisch unmittelbar zum Ausdruck bringt:

–  in den Einzelgewerkschaften kämpfen die Arbeiter zersplittert gegen die ständige Infragestellung ihrer Existenz durch das Kapital
–  im TUC sorgen die Proleten dafür, daß die Arbeiterklasse als Klasse in der Gesellschaft ihren Platz hat, wofür sie sich an den Staat, die allgemeine Gewalt zur Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft wenden.

Resultat dieses hundertjährigen gewerkschaftlichen Kampfes ist einerseits der englische „Wohlfahrtsstaat“, dessen „soziales Netz“ das Ausbeutungsmaterial gegen die Folgen der Ausbeutung ebensowenig absichert wie das der BRD, dessen Leistungen aber in größerem Maße vom Staate in eigener Regie übernommen werden, seine Finanzierung also von den Arbeitern größtenteils über die Steuer und weniger über die Sozialausgaben erbracht wird. Andererseits ist es die Ausnutzung der Gewerkschaften als „mitgestaltender Kraft“ im Staat, welches der TUC stolz als sein Recht anpreist, in allen Fragen staatlicher Absicherung der Klassengesellschaft mitreden zu dürfen:

„Die Etablierung des Rechts, bei allen ministeriellen Vorhaben oder Gesetzen, die die Interessen der Arbeiter und ihrer Organisationen tangieren, mit beratender Funktion hinzugezogen zu werden.“ (ABC des TUC)

Dem gewerkschaftlichen Dachverband ist es also gelungen, als rechtmäßiger Gesprächspartner der Regierung anerkannt zu werden, weil er die ganze Macht der arbeitenden Staatsbürger repräsentiert. Deshalb kommen auch die Einzelgewerkschaften für diese hohe Aufgabe nicht in Frage:

„Die Gewerkschaften haben natürlich viel Macht, um die Interessen ihrer Mitglieder zu schützen und zu fördern, aber keine Gewerkschaft kann allein die allgemeine wirtschaftliche Gesundheit der Nation beeinflussen. Hier kommen die Gewerkschaften nur vermittelt über den TUC ins Bild.“ (ABC des TUC)

Wie herrlich weit man es mit einer Gewerkschaft bringt, die sich ihrer Macht rühmt, „effektiv zu verhandeln“, demonstriert der TUC an Gesetzen, für die er sich in den Konsultationen stark gemacht hat, weil sie

„die Interessen der Arbeiter schützen und fördern“: Der „Industry Act … macht die Hilfen für die Industrie von Seiten der Regierung effizienter. Außerdem werden dadurch die Arbeiter instandgesetzt, weit besser über die Gesellschaften, für die sie arbeiten, Bescheid zu wissen.“ (TUC-Broschüre: „Neue Gesetze, die Dich in Deinem Job schützen“)


Das reaktionäre „revolutionäre Potential“

Der englische Arbeiter ist also ein seltsamer Staatsbürger. Einerseits liegt ihm die „wirtschaftliche Gesundheit der Nation“ am Herzen, da es die Größe des viktorianischen Empire wiederherzustellen gilt, so daß er der Nation die von ihm geforderten Opfer bringt, wenn sie diese entsprechend würdigt, indem sie die Macht des TUC anerkennt, sie bringen zu lassen {so versäumt es die Queen auch nie, vor allem in diesen schweren Zeiten, Gewerkschaftsführer zu adeln oder ihnen wenigstens den Titel eines „Commander of the British Empire“ zu verleihen; Jack Jones, „dem Vater des Sozialvertrages“, wurde „die seltene Ehre zuteil, zu einem der 65 »Companions of Honour« ernannt zu werden“ (SZ)}. Einerseits also ist der britische Arbeiter ein stinknormaler Staatsbürger, der seinen Tee trinkt, auf Inder, Neger und alles, was auf der anderen Seite des Kanals lebt, eine Stinkwut hat und vom britischen „genius“ inspiriert ist:

„In Miltons Worten: »Laßt England nicht seine Berufung vergessen, die Nationen zu lehren, wie man lebt«.“ (Spiegel 31/74),

wenn er diese austobt und sich in den bekannten Fußballrowdy verwandelt. Andererseits aber erträgt er seine „überlegene Lebensart, die »Englishness«“ (Spiegel 3/74) nur, indem er sich eine besondere Sorte von Moral zulegt. Um sein Arbeiterdasein auszuhalten, hält der englische Prolet an Ideologien fest, die er mit seinem kontinentalen Kollegen teilt: der Stolz darauf, ein Engländer zu sein, gespeist hier vor allem durch die vergangene Größe des Empire und durch die Hoffnung auf künftige Größe, Der Stolz darauf, zu den „hard-working people“ zu gehören, der seinen Poeten im 19. Jahrhundert in Dickens find und heute in den Rolling Stones „Lets drink to the hard working people ... they're the salt of the earth ...“), weil nur Leute mit Schwielen an den Händen „ehrlich“ und „aufrecht“ sind, weil man nur im geduldigen Ertragen der einem auferlegten Opfer beweisen kann, daß man ein Mensch von Charakter und mit wahren menschlichen Gefühlen ist. In England, wo Tradition großgeschrieben wird, erhebt die Arbeiterklasse selbst die Geschichte ihrer Leiden zur verehrungswürdigen Tradition:

„Die Briten werden von den verschiedensten Faktoren motiviert. Von ihrer Tradition etwa. Beispielsweise hat die britische Arbeiterbewegung niemals den Kapitalismus akzeptiert.“

(Was sie ebensowenig dazu veranlaßte, den Kapitalismus abzuschaffen, wie Leuten gegenüber mißtrauisch zu sein, die sie dazu beglückwünschen. Tony Benn, von dem obiges Zitat stammt, hat auf seinen Pair-Titel verzichtet, weil er weiß, daß man die englischen Proleten besser mit ihrer Tradition motiviert.)

Den Klassengegensatz „bewältigen“ sie mit dem Stolz auf die eigene Klasse: wie kann jemand etwas taugen, der nicht Cockney spricht, sondern Oxford-English, der nicht im Pub Stummelpfeile wirft, sondern im Club Bridge spielt, der nicht ins Fußballstadion zum Brüllen geht, sondern am Cricketspiel Gefallen findet? Der Klassenkampf schlägt die höchsten Wogen ausgerechnet in der Forderung nach Abschaffung der Public Schools und der Forderung nach Schuluniformen für alle Kinder, um die Gleichheit herzustellen und den Reichen die Gelegenheit zu nehmen, ihre Privilegierung auch noch zu demonstrieren. Bei alldem läßt man auf die Queen nichts kommen und der Luxus einer königlichen Familie gerät nur dann zum Gegenstand der Kritik, wenn sich ein Mitglied nicht standesgemäß aufführt, wobei sich selbst hier der Zorn mehr gegen den Popgespielen Margarets richtet als gegen die Prinzessin selbst, weil dieser über die Liaison mit der Königinschwester einen sozialen Aufstieg ohne „harte Arbeit“ versucht hat.


Die Weisheit der Kumpel: Die Labour Party muß her

Wenn der englische Arbeiter sich seine Unzufriedenheit im Zorn über den moralisch minderwertigen Klassenfeind bestätigt und so zeigt, daß seine kämpferische Entschlossenheit nur darauf zielt, sein Arbeiterdasein zu erhalten, so läßt er sich auch von den Linken sein reaktionäres Wesen als „revolutionäres Potential“ bestätigen:

„In England existiert ein revolutionäres Potential.“–

und Mittel und Wege zu seiner Verwirklichung aufweisen:

„Aber diese Revolution wird, so hoffe und glaube ich, mit parlamentarischen Mitteln verwirklicht werden. Unsere parlamentarischen Institutionen sind stark genug, um grundlegende Änderungen zu bewirken. Die gegenwärtigen wirtschaftlichen oder revolutionären Wandlungen in England werden ihr Ventil im Parlament finden.“ (Michael Foot – „Die Weisheit der Kumpel wird triumphieren“ – Spiegel 3/74)

Der Weisheit der Kumpel, die den TUC nicht für Arbeitskämpfe mißbrauchen, um „revolutionäre Wandlungen zu bewirken“, sondern ihn als Instrument verstehen, mit Hilfe dessen die Macht im Staat zu ihren Gunsten verschoben werden soll, blieb es nicht verborgen, daß sie die Macht ihrer demonstrierten Einheit im Staat nur wirksam werden lassen können, wenn sie diesem Instrument ein weiteres an die Hand geben:

„Es ist ratsam, daß sich Sozialisten als politische Partei organisieren sollten, um die volle Kontrolle ... über die Verteilung des Reichtums auf die ganze arbeitende Gemeinschaft zu übertragen.“ (Eine Fraktion der Fabianer, 1886)

Die Gewerkschaft ist Träger der Labour Party, damit diese als Regierungspartei die entsprechenden Gesetze, die „die Interessen der Arbeiter schützen und fördern durchdrückt, weshalb sie sie finanziert – 1975 betrug das Gesamteinkommen der Labour Party aus Mitgliedsbeiträgen 1,246.978 Pfund, wovon 1,117.515 Pfund von den Gewerkschaften erbracht wurden –, was seit 1913 ihr Recht ist:

„Das gesetzliche Recht der britischen Gewerkschaften, sich an politischen Aktivitäten zu beteiligen, ist durch den Trade Union Act von 1913 garantiert, der ihnen erlaubt, Geld auszugeben für...“ (ABC des TUC)

Um sich als Gewerkschaftsbund eine Partei zu halten, die Forderungen der Arbeiter im Staat durchsetzen soll, muß er sich all den Zweckmässigkeitserwägungen, die diese Partei anstellt, um an der Regierung zu bleiben (bzw. an sie zu kommen), unterwerfen.

„Die Politik der Gewerkschaftsbewegung zielt darauf ab, die Wirtschaft des »Vereinigten Königreichs« zu stärken und die Regierung zu befähigen, ein industrielles und wirtschaftliches Gesundungsprogramm durchzuführen. Die Alternative wäre: Schwächung der Basis des sozialen Kontrakts, Bedrohung der Existenz der Regierung. Dann wäre die Gewerkschaftsbewegung nicht mehr in der Position, ein einheitliches Programm zu fordern und jegliche Aussicht auf ein baldiges Sinken der Arbeitslosenzahl wäre dahin.“ (TUC-Broschüre: The Social Contract 76-77)

Die Labour Party als wichtigster und ständig von den „reaktionären Tories“ bedrohter Teil der Gewerkschaftsbewegung bringt im Interesse der Gewerkschaftsbewegung nur Verständnis für solche Forderungen der Arbeiter auf, die im Interesse der Nation liegen, und der TUC läßt sich von seinem Verständnis für die Schwierigkeiten der Labour-Party leiten, wenn er von ihr fordert:

„Was die Regierung tun sollte:
– drastische Reduzierung der Arbeitslosigkeit
– Umverteilung des Reichtums zugunsten der arbeitenden Bevölkerung  
– Erweiterung der Verstaatlichung und Mitbestimmung auf allen Ebenen
– gezielte Importkontrollen
– massive Investitionshilfen für alle produktiven Sektoren mit Kontrolle der Kapitalausfuhr.“

Die Gewerkschaften treten also für eine Ausweitung der Staatstätigkeiten ein und machen so das in der BRD an die Wand gemalte Schreckgespenst eines Gewerkschaftsstaates zum Ideal, auf das sie den englischen Staat verpflichten wollen. Anders als der DGB, der der SPD als Regierungspartei Vorschläge unterbreitet, wie sie ihre Politik im Interesse unserer Wirtschaft zum Wohle der „arbeitenden Menschen“ gestalten soll, weshalb er sich im gegebenen Fall von Maßnahmen der Regierung distanziert bzw. sein Einverständnis als Opfer für das Ganze seinen Mitgliedern schmackhaft macht, erfordert die Einheit Labour–TUC von der Gewerkschaft, daß sie als Partei alle Staatsnotwendigkeiten verantworten muß und als Gewerkschaft die damit verbundenen Härten für die Arbeiter gegen sie durchsetzen muß. Wenn so der TUC für die „Umverteilung des Reichtums eintritt“, so nicht deswegen, weil die Arbeiter zu wenig zum Leben haben, sondern weil niemand „im Staat zu schwach sein darf, um den Staat zu beeinflussen.“ Er fordert die Arbeiter auf, den „Social Contract“ genau einzuhalten, der den Reichtum derart umverteilt, daß er ihnen allein innerhalb des letzten Jahres einen Reallohnverlust von 7% brachte. Dafür hat die Arbeiterklasse bewiesen, daß sie Verantwortung übernehmen kann für die „Gesundung der britischen Wirtschaft“, was gerade wegen ihres Einflusses auf die Gewerkschaften nur die Labour Party schaffen kann, weswegen die Arbeiter im Interesse eines Regierungserhalts für Labour Opfer bringen müssen, damit sie die Macht im Staate behalten.


Wie der TUC seine Basis auf die Labour-Party einschwört

Da sie sich davon jedoch nichts kaufen können, sondern sich mittlerweile mit einem Lebensstandard begnügen müssen, mit dem sich nicht einmal die Polen mehr zufriedengeben, bricht in schöner Regelmäßigkeit auf den Gewerkschaftskongressen ein Sturm los gegen die „verheerende Wirtschaftspolitik der Labour-Regierung“. Deshalb fordert zu Beginn jedes Gewerkschaftskongresses auch die Mehrheit der Delegierten regelmäßig von der Regierung, einen „Kurswechsel“ vorzunehmen und vom TUC, darauf zu „dringen“, daß endlich das „Sozialprogramm“ der Labour Party, das ihr vom TUC als Gegenleistung für das Stillhalteabkommen der Gewerkschaften bei den Tarifabschlüssen abgehandelt worden war, verwirklicht wird, und sich darüberhinaus für „freie“ Lohnverhandlungen einzusetzen.

Einem erfahrenen Gewerkschafter, zumal wenn er wie Jack Jones als „Vater des Sozialvertrags“ jahrelang in der Gewerkschaft Regierungsarbeit geleistet hat, weil der TUC der Träger einer staatstragenden Partei ist, bereitet es allerdings keine größere Anstrengung, die Solidarität der Delegierten mit der Labour-Regierung wiederherzustellen, weil auch sie folgende Rede schon auswendig kennen:

1. Im Prinzip habt ihr recht, weil auch der TUC zu freien Lohnverhandlungen zurückkehren will. Die Frage ist xxxxdoch nur: Wie kommen wir dahin?

2. Deshalb erstaunt mich eure heftige Kritik an der Regierung und am TUC. Sind sie etwa die Feinde der xx xx xx xxArbeiterklasse?

3. Nicht sie solltet ihr anklagen, sondern den Kapitalismus.

4. Denn die Regierung hat alles unternommen, um uns zu unterstützen – und wird es auch weiterhin so halten. Vier xxFünftel ihres Sozialprogramms sind bereits verwirklicht.

5. Deshalb müssen auch die Gewerkschaften zu ihrem Wort stehen.

6. Das erfordert zwar Opfer, aber wenn ihr die jetzt nicht mehr bringen wollt, kommen zehnmal schlimmere Sorgen xxauf uns zu.

7. Deshalb harrt noch die nächsten zwölf Monate aus, die, das weiß ich auch, noch extrem schwierig sind. Dann xxaber wird das Nordseeöl unseren Sorgen ein Ende bereiten.

8. Denn der Erfolg eines Landes hängt von seinen Energieressourcen ab: Wir werden die größten Kohlenvorräte xxund die größten Gas- und Ölreserven in Europa haben. Großbritannien wird die stärkste Nation in Europa sein, x xdenn dann werden wir die Grundlage für eine gesunde und starke Wirtschaft haben.

9. Oder wollt ihr etwa die Früchte unserer Politik den Tories in den Schoß werfen? Dreimal seit dem Krieg ist xx xxLabour ins Amt gerufen worden, und zwar immer bei einer großen nationalen Krise. 1945 übernahmen wir die xxMammutaufgabe des nationalen Wiederaufbaus. 1964 erbten wir die von den Tories verursachte x xxRekordverschuldung. 1974 kamen weitere Verschuldungen und die katastrophalen Folgen der 3-Tage-Woche xx xxhinzu. Diesmal müssen wir dafür sorgen, daß wir – nachdem wir gesät und das Land bestellt haben – auch xx xx xxunsere Ernte einbringen können. Nur dann werden wir sie so verteilen können, wie es unseren Idealen einer xx xxfaireren und gerechteren Gesellschaft entspricht.

10. Amen.

Daraufhin erhoben sich die 1.100 Delegierten von ihren Sitzen und hörten erst nach fünf Minuten zu klatschen auf.


Wie die Labour Party ihre Basis bei der Stange hält – Die Herstellung der Volkspartei

Weil die Labour Party als Gewerkschaftspartei ihrem Auftrag nachkommt, sich an der Regierung zu halten, und so den Arbeitern nichts als Opfer beschert, wenn sie ihre Interessen vertritt, sind die Arbeiter nicht nur über den TUC erbittert, der ihre Interessen gegenüber der Regierung nicht nachdrücklich genug geltend macht, sondern ebenso erbost auf die Labour- Regierung, die ihren „eigentlichen Auftrag“ über Bord geworfen habe, um sich über Wasser zu halten. Und die unzufriedenen Arbeiter finden ihre institutionelle Repräsentanz im linken Flügel der Labour Party als leibhaftigen Beweis, daß der Regierungsflügel ihre Interessen nicht auftragsgemäß „schützt und fördert“. Er verkörpert die Hoffnung der Arbeiter, daß sich die Macht des Staates zu ihren Gunsten einsetzen läßt:

„Ich meine, daß der ideale Weg, Macht für die Arbeiterklasse zu erlangen, der ist, die Labour Party zu verändern, indem man sich der Vorschriften und Verbote entledigt. Wenn es den Gewerkschaften gelungen ist, Einfluß in dieser Partei zu haben, so daß die Zusammenarbeit zwischen marxistischen Gruppen – und zwar allen – und der Labour Party möglich geworden ist, dann wird man eine Politik ganz anderer Art betreiben können. Die Gewerkschaften sind die Basis der Labour Party und müssen sie daher auch kontrollieren.“ (Scargill – „marxistischer“ Vorsitzender der Bergarbeitergewerkschaft in Yorkshire)

Diese Lügen sind der beste Beweis dafür, wie gut die Zusammenarbeit zwischen den beiden Flügeln funktioniert:

Angesichts der Gewerkschaften, die er selbst als Basis der Partei bezeichnet, behauptet Scargill, diese hätten andere Machtvorstellungen, leider jedoch keinen Einfluß auf und keine Kontrolle über die Partei. Haben etwa die Gewerkschaften die Labour Party nicht darauf verpflichtet, die Staatsmacht zu erlangen, kontrollieren sie sie nicht ständig, damit sie an der Regierung bleibt, und sind es nicht die Gewerkschaften, die ständig bemüht sind, den Nachweis zu führen, dies liege im wohlverstandenen Interesse der Arbeiterklasse?

Der linke Flügel will daher auch die Labour Party keineswegs „verändern“. Seine unablässigen Mahnungen, die Ideale der Labour Party endlich zu verwirklichen,

– „Die kapitalistischen Werte müssen durch menschliche Werte ersetzt werden.“
– „Die Macht muß unter mehr Leute aufgeteilt werden, damit die Freude an der Arbeit die Regel sein wird.“ (Tony Benn – xxSPIEGEL 28/77)

bestärken lediglich die Arbeiter in ihrem Glauben, das Mögliche für denkbar zu halten.

Die Labour Party hält sich also ihren linken Flügel, mit dem sie den Arbeitern demonstriert, daß sie ihre Partei ist, die wie sie mehr will, aber aufgrund der Sachzwänge immer nur das Machbare tun kann. Weil die Labour Party eine Gewerkschaftspartei ist, die für die Arbeiter den demokratischen Staat regieren soll, veranstaltet sie auf ihren Parteitagen im Kampf ihrer beiden Flügel einen Mordszirkus, bei dem alle Beteiligten auf ihre Kosten kommen. Die Linken reagieren den das Jahr über aufgestauten Ärger des Volkes über die Regierungspolitik ab und gehen als die moralischen Sieger aus dem Gefecht, und der Regierungsflügel läßt sich nicht die Gelegenheit entgehen, die Partei daran zu erinnern, wozu sie da ist:

„Jetzt ist es an der Zeit, daß die Partei der Regierung zu Hilfe kommt.“

Die Parteimitglieder werden auf die Regierungspolitik eingeschworen, indem der Regierungsflügel zeigt, daß er die Ideale der Partei keineswegs verraten, sondern bereits zu vier Fünfteln verwirklicht habe:

„Es gibt zuviele Leute, die sich hinter ihren Alternativstrategien verschanzen und den angeblich unverdorbenen und reinen Sozialismus vorschieben, um sich vor der viel nötigeren Aufgabe zu drücken: dem Kampf, um die Regierung im Amt zu halten. Diesen Propheten, die die Erfolge unserer Partei ignorieren – immerhin sind vier Fünftel unseres Manifests bereits verwirklicht – und alles in den düstersten Farben malen und dauernd etwas an der Labour-Regierung auszusetzen haben, muß endlich ein Ende bereitet werden. Bei ihnen dreht sich alles um den Beweis, daß der Sozialismus verraten wurde und daß jeder, der einen Platz am Kabinettstisch einnimmt, damit all seine Visionen, seinen Idealismus und seine Integrität verliert.“ (Ron Hayward, Generalsekretär der Labour Party)

Die Linken bereiten sich darauf kurzerhand selbst ein Ende, indem sie den Vorwurf des Utopismus, d.h. regierungsfeindlicher Umtriebe, nicht auf sich sitzen lassen:

„Ich sage Ihnen, daß meiner Ansicht nach nicht die geringste Wahrscheinlichkeit besteht, daß die Labour Party auseinanderfällt. Das ist bisher nicht geschehen, weil wir im Ernstfall zusammenhalten und dieser Wille ist sehr stark.“ (Tony Benn – SPIEGEL 28/77)

Da es sich bei jedem Parteitag, ob die Partei nun an der Macht ist oder ob sie an die Macht kommen will, um einen Ernstfall handelt, pflegen die Gegenprogramme der Linken erfolgreich abgeschmettert zu werden, denn:

„Der Erfolg der Partei hängt auf allen Ebenen davon ab, daß jedes Mitglied kämpferisch für die Regierung eintritt und sie verteidigt.“ (Ron Hayward)

Damit ist aber das schwierige Werk vollbracht, aus dem Kampf zweier Linien stets die eine als Sieger hervorgehen zu lassen und die andere für den Rest des Jahres in die Pflicht zu nehmen. In der Auseinandersetzung ihrer beiden Flügel überzeugt die Labour Party ihre Anhänger, daß sie ihren Wünschen nachkommt, wenn sie diese den Regierungsnotwendigkeiten unterordnet. Was bei der SPD Begleitmusik ihrer Parteitage ist, daß das anfängliche Aufmotzen der Jusos und notorischer Querulanten, meist im Vorfeld des Parteitags stattfindet und mit einem feierlichen Zukreuzekriechen der Dissidenten vor der Regierung endet, macht das Parteileben der Labour Party aus: Jeder Parteitag ist der zähe und mühsame Versuch, die Delegierten, deren Großteil der TUC stellt, hinter die Regierung zu bringen. Dieser Versuch kann auch einmal scheitern, wie bei der EG-Beitrittskontroverse, wo die Mehrheit der Labour-Kabinettsmitglieder unterlag, um dann im anschließenden Referendum gegen die Parteimehrheit das Volk zu mobilisieren.


Die „Ohnmacht“ der Labour Party, oder: Wie der TUC die Regierungspolitik gegen die Einzelgewerkschaften durchsetzt

Das Problem der Labour Party, sich über den TUC ihrer Basis in der Gewerkschaftsbewegung zu versichern und diese für ihre Politik einzuspannen, trägt ihr den konservativen Vorwurf der „Ohnmacht“ vor den Einzelgewerkschaften ein (z.B. weil die Labour Regierung als erste Amtshandlung den „Industrial Relation Act“ abschaffte, der die konservative Heath-Regierung zu Fall brachte, weil sie die Verrechtung des Arbeitskampfes mit Urabstimmungszwang, Schiedsgerichten u.ä. durchsetzen wollte). Nicht etwa aus ,,Scheu“ vor der Macht der Gewerkschaften brachte Labour allerdings die Tarifrechtsgesetzgebung nicht mehr aufs Tapet. Vielmehr weiß sie ein besseres Mittel, den Arbeitskampf zum Wohle Britanniens neu zu regeln, weshalb ja auch ein Labour-Premier den untauglichen Tory ablöste. Sie hält sich den TUC wohlgesonnen, indem sie den ,,Industrial Relation Act“ in den Schubladen läßt. Dieser dankt seiner Partei für ihre Umsicht, keine unnötigen Streiks heraufzubeschwören, die der Wirtschaft des Landes schaden, und besorgt ihr Geschäft, indem er den Arbeitskampf de facto verrechtet.

Weil der TUC die Basis der an niedrigen Löhnen interessierten Labour-Regierung ist, geht er gegen die berufsständischen Organisationen vor, die nach Ansicht des Staates zuviel für die Arbeiter beanspruchen. (Bisheriger Höhepunkt dieses gewerkschaftlichen Einsatzes gegen die Arbeiter ist der ,,social contract“!) Dies wird von den Arbeitern hingenommen, weil die Regierung als Gegenleistung „arbeiterfreundliche“ Gesetze erläßt und verspricht, die Opfer später durch Umverteilung des Reichtums wettzumachen. Da zur Erbringung des künftigen Reichtums der Lebensstandard kontinuierlich gesenkt wird, beginnt die „englische Krankheit“, die wild cat strikes, wieder zu grassieren, so daß sich der TUC weitere „Argumente“ einfallen lassen muß, das Problem auf englische Weise zu lösen. Für den niedrigen Lohn darf man nicht ihn, sondern muß man die Einzelgewerkschaften verantwortlich machen. Wenn er im Interesse des Landes niedrige Rahmentarifverträge abgeschlossen hat, so liegt es doch im Belieben der Einzelgewerkschaften, dort wo es möglich ist, auch mehr rauszuholen. Falls die Einzelgewerkschaften jedoch für mehr als 10% aktiv werden, so stellt er klar, daß ihr Industriezweig wirtschaftlich nicht gesund genug ist, um eine derartige Forderung zu verkraften. Die Arbeiter dieser unvernünftigen Betriebe setzt er als erstes unter moralischen Beschuß: wenngleich er ihr berufsständisches Interesse nachdrücklich als berechtigtes akzeptiert:

„Mr. Scanlon sagte, daß sein Gewerkschaftsvorstand fast alle Forderungen für die Wiederherstellung der Lohnunterschiede für berechtigt hielt.“ –

schaden sie doch in ihrem ungezügelten Kampf nicht nur ihrem Betrieb, sondern auch der britischen Wirtschaft und somit ihren Kollegen, weshalb der TUC empfiehlt, diese berechtigten Interessen zu verfolgen, indem man sich seinen zivilisierten Forderungen anschließt.

Wenn die Arbeiter nicht umstandslos Lohneinbußen in Kauf nehmen, fährt er schärfere Geschütze auf:

– Die wild cat strikes werden von ihm materiell nicht unterstützt, und darunter versteht er auch xxxx xx xx xx xx xx,,außergewöhnliche“, d.h. vorgezogene Tarifverhandlungen.

– Auch die ,,offiziellen“ Streiks werden von ihm offensiv bekämpft. So versagte er dem Streik der xx xx xx xx xx xxFeuerwehrmänner, denen das Geld ausgegangen war, seine Unterstützung mit der Begründung, daß es für ihn xx xxklar sei, daß die Regierung nicht nachgeben würde, weshalb es unverantwortlich sei, einen aussichtslosen Streik xxzu verlängern.

– Gegen die „Rädelsführer“, die marxistischen oder trotzkistischen Shop Stewards, leitet er Disziplinar- oder xx xx xxAusschlußverfahren ein.

So wird der TUC zum Disziplinierungsfaktor gegen die Einzelgewerkschaften und gegen die Arbeiter, die trotz der ,,großen nationalen Krise“ nicht von der Sicherung ihres Lebensunterhalts ablassen wollen. Die ganze Wucht der Solidarität wird von Partei und Dachverband eingesetzt, um dem letzten Grubenarbeiter klarzumachen, daß Solidarität eine des Verzichts und Klassenbewußtsein an den Erfordernissen der Arbeiterpartei im politischen Machtkampf orientiert sein muß.


Die Niederlage der arbeitenden Klassen in England

Die englische Arbeiterbewegung hat sich im Laufe ihres Existenzkampfes mit dem Kapital drei Organisationen geschaffen, die in ihrer kombinierten Wirkung die sicherste Gewähr dafür bieten, daß sich an ihrer elenden Lage nichts ändert. Die Einzelgewerkschaften sorgen durch die Orientierung ihrer Kämpfe auf Berufserhalt und Anerkennung als Gewerkschaft dafür, daß die Auseinandersetzung mit dem Kapital um den Preis der Arbeitskraft als Garantie ihrer Wertschätzung ausgetragen wird, die auch dann gewährleistet ist, wenn die Arbeitskraft unter Wert bezahlt wird. Der Dachverband TUC handelt die Rahmenbedingungen für die Ausbeutung der ganzen Klasse aus und wirkt disziplinierend auf die Einzelgewerkschaften ein, damit diese in ihren „wilden Aktionen“ nicht über die Stränge schlagen und ihre Konkurrenz untereinander vor allem ihnen selbst schadet und nicht dem „gesamten sozialen System“ und die Labour Party, die das Mitspracherecht der Arbeiterklasse im Staate wahrnimmt, treibt, dies als regierende Arbeiterpartei soweit, daß sie die Arbeiterklasse zur „Überwindung der Krise“ mobilisiert, was allemal nur auf eines hinauslaufen kann, die Quelle des Profits, des Motors kapitalistischer Akkumulation, in ihren Ansprüchen zu mäßigen. Dieses System einer „gewerkschaftlichen Gewaltenteilung“ leistet gute Dienste bei der Durchsetzung der höheren Interessen der Nation, und daß sich die gewerkschaftliche Gewalt in Einzelaktionen zersplittert, macht die Niederhaltung der Arbeiterinteressen zu einem relativ gewaltlosen Geschäft: die Einzelgewerkschaften halten ihre Mitglieder durch hohe Lohnforderungen bei der Stange, deren Nichterfüllung sie der Abwiegelei des TUC anlasten. Der TUC erhält die Solidarität der Einzelgewerkschaften durch ein hartes Auftreten gegenüber der Regierung; daß dies den Arbeitern nichts bringt, wird mit der Verselbständigung der Labour Party als Regierung entschuldigt und die Partei verspricht durch den Social Contract eine „soziale Neuordnung zu Gunsten der Arbeiter“, und daß diese auf sich warten läßt, haben sie sich selbst zuzuschreiben, weil sie zu wenig arbeiten und zuviel streiken.

Daß im April 1978 alle Tarifabschlüsse in England glatt über die Bühne gingen, verweist die Kritik am angeblichen Anachronismus des englischen Gewerkschaftssystems, wie sie vor allem vom DGB unisono mit Anwälten einer „effektiveren“ Gewerkschaftsorganisation unter den Feinden der Arbeiterklasse vorgebracht wird, ins Reich interessierter Lüge. Der Einheitsgewerkschaftscharakter des DGB bringt für die Arbeiter nichts, solange er sich die Anliegen „unserer Wirtschaft“ zum Ziel seines kämpferischen Einsatzes macht (dies hat die Lohnrunde 1978 wieder einmal gezeigt) und der „Spiegel“, der die Machtlosigkeit des TUC beklagt –

„Der TUC aber ist ohnmächtig und ohne viel Einfluß auf die Mitgliederverbände ...“

machte sich angesichts der Arbeitskämpfe in der deutschen Druck- und Metallindustrie wieder vermehrt Gedanken, ob nicht vielleicht unser System der Einheitsgewerkschaft und der Tarifautonomie ein „Anachronismus“ sei

„angesichts der Gefährdungen, die von einem allmächtigen Gewerkschaftsapparat für den technischen Fortschritt und die rationelle Organisation der Wirtschaft ausgehen.“

Solche Vorwürfe veranlassen den DGB zu bewegten Bekenntnissen fürs Wohl und den Fortschritt der Marktwirtschaft, während ihn polemische Angriffe seiner englischen Bruderorganisation, er habe sich mit „Haut und Haaren an Mr. Smith verkauft“ und die SPD habe die Arbeiterbewegung verraten, mit Recht kalt lassen: was dem TUC Beweis der Schlagkraft seiner Organisation ist, möchte der DGB gerade verhindern: die Streikstatistiken beider Länder gelten ihren Gewerkschaften jeweils als Beweis ihres erfolgreichen Wirkens.

Es gibt halt verschiedene Wege zum gleichen Ergebnis: der immer wieder erfolgreichen Niederlage der arbeitenden Klasse.

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(1) Aufseher

(2) Gehässigkeit

(3) Gewerkschaftsmitglieder

(4) „Outfitter“ ist ein Sammelbegriff für diejenigen Arbeiter, die zwar auf der Schiffswerft arbeiten und das Innere des Schiffs ausgestalten, aber anderen Berufsgruppen als die eigentlichen Werftarbeiter angehören: Tischler, Elektriker, Installateure usw.

(5) Prämien für Sonderleistungen

(6) Eine Art ehrenamtlicher Betriebsrat

 

aus: MSZ 22 – April 1978

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