Juso-Hochschulgruppen

Die studentischen Zutreiber der Sozialdemokratie

 

Die Sozialdemokratie, soweit sie als Partei organisiert auftritt und in Bonn am Rhein den Staat schmeißt, hat es nicht nötig, in die studentische Politik dergestalt einzugreifen, daß etwa eine SPD-Liste bei Wahlen zu den verfaßten Organen für sozialdemokratische Bildungspolitik um Stimmen werben müßte. Dies besorgen Staatsmänner der SPD auch dann nicht, wenn sie einmal persönlich an der Universität auftreten. Daß es ihnen auf die paar Stimmen der Jungakademiker auch bei den Staatswahlen nicht unbedingt ankommt, beweisen nicht nur ihre Gesetze im Hochschulbereich, sondern auch die Art und Weise, wie sie sie durchsetzen lassen. Lustigerweise sind die beiden Studentenverbindungen, die an den Hochschulen sozialdemokratische Farben tragen, der Partei ihrer Wahl eher lästig.
Dem SHB hat sie das Parteiprädikat entziehen lassen, weil er sich nicht nur mit der Partei darüber stritt, welche Reformen gerade auf der Tagesordnung stünden und vor allem, welche nicht, sondern auch noch zu deren Durchsetzung sich mit Bündnispartnern einließ, für die die SPD nichts als Berufsverbote parat hat. Die Jungsozialisten-HSG hingegen dürfen in der Partei bleiben, weil sie zwar ebenfalls mit dem MSB bündeln, aber keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß sie im Bündnis letztlich das gleiche Ziel verfolgen, wie die Partei in Konfrontation per Justiz und Polizei. Damit die SPD dabei glaubwürdig bleibt, handeln die Juso-HSG ausdrücklich ohne ihren Auftrag, was sie erst recht dazu zwingt, der Baracke ständig ihre Nützlichkeit praktisch zu beweisen. Bei solchen Dienern ohne Herrn (auf ihre „organisatorische Selbständigkeit“ legen die Jusos großen Wert) muß es sich um eigentümliche Charaktere handeln, bei denen eine gehörige Portion Charakterlosigkeit zur politischen Persönlichkeit gehört.

 

Die Sorgen eines Juso-HSG-Studenten

Der ehemalige Juso-Vertreter im VDS-Vorstand Bindert nutzte seine Entbindung von den „Zwängen institutioneller Politik“ als Gelegenheit, sich im zentralen Organ der Juso-HSG um „einige unverdaute und ins Unreine geäusserte Gedanken zur Situation an den Hochschulen“ zu erleichtern. Was ihm so schwer im Magen lag, waren „unvollkommene Unmutsgefühle oder besser Ohnmachtsgefühle angesichts der »funktionierenden« Studentenbewegung im Jahre 1977“:

„Die studentische Linke bietet in ihrer Borniertheit, Isoliertheit und Zersplitterung nur noch ein Trümmerfeld. Ich sage dies bewußt zu einem Zeitpunkt, wo bundesweit »der größte Massenkampf der Studentenbewegung« (frei nach MSB) vorbereitet und durchgezogen wird.“

Bindert bespricht hier sein eigenes Trümmerfeld und dasjenige, in dem seine Organisation im Schutt wühlt, hat er doch selbst in den VDS den „ersten nationalen Studentenstreik“ mit vom Zaun gebrochen und die Aktivisten der Juso-HSG „vor Ort“ und im Verbund mit dem MSB nahmen diese Äußerung lediglich zum Anlaß, ihm vorzuwerfen, er sei angesichts der „seit langem konzentriertesten Aktion bundesdeutscher Studenten“ (wörtlich nach Juso in den VDS) nicht „konstruktiv“ genug und fügten gleich hinzu, wie er und das, was sie machen zusammengehören:

„Wir meinen – Kritik ist immer eine äußerst wichtige und fruchtbare Sache, wenn sie konstruktiv ist. über alles und jedes zu lamentieren, scheint uns nicht der richtige Weg zu sein.“

Dies zusammengerafft die Politik der Juso-HSG und die Auflösung des Rätsels, warum für sie der VDS-Streik als Verband ein Erfolg war: den Streik propagierten sie mit, weil er seine Grundlage im verbreiteten studentischen Unmut über die Hochschulreform hatte, also ran an die Massen, zugleich distanzierten sie sich von seinem Scheitern und den ausbleibenden Ergebnissen, weil der MSB seine führende Kraft war und deswegen soll er nichts geputzt haben. Als ihren Erfolg feierten die Jusos den Empfang bei Willy Brandt und gleichzeitig traten sie wegen dieses Empfangs aus dem VDS-Vorstand aus mit dem Argument, das SPD-feindliche Auftreten des Basisgruppenvertreters habe der studentischen Sache geschadet, weil man sich den Streikgegner nicht als die Kraft verscherzen dürfe, von der allein der Erfolg im Streik erwartet werden könne.

Exemplarisch kann hier studiert werden, wie die Juso-HSG ihren Zielkonflikt zwischen der Orientierung auf die SPD als „der relevanten Organisation des gesellschaftlichen Fortschritts“ einerseits und dem taktischen Bündnis mit dem MSB als der noch tonangebenden Studentenorganisation andererseits austragen: im Konfliktfall erfolgt noch stets der Kotau vor der Partei und die Denunziation des Koalitionspartners an den Universitäten als „unverbesserliche Stalinisten“, die erstmal zu den Zuständen in Prag und Ostberlin Stellung nehmen sollen, ehe sie die Juso-HSG kritisieren.


Die Juso-HSG und die Studentenbewegung

Mit seiner Kritik hatte Bindert keineswegs die Absicht als ein „die eigene politische Arbeit hinterfragender“ Juso die Errungenschaften der „Neuen Studentenbewegung“ schlichtweg zu verwerfen. Sein Räsonnement bringt vielmehr die Bemühungen einer Hochschulgruppe zur Anschauung, in kritischer Absicht sich an diese Bewegung ranzuschmeißen, wobei die ,,undogmatischen“ Freiheiten, die seine Organisation sich gewährt, sicherstellen sollen, daß die Bewegung für die Jusos nützlich bleibt und nicht durch „sektiererische“ Aktionen (hier meint ein Juso die paar Versuche eines wirklichen Vorlesungsboykotts, die sich nicht verhindern ließen) oder durch ,,Parteiborniertheit“ (hier meint ein jünger Sozialdemokrat die Bemühungen des MSB, in den DGHs für die DKP zu werben) „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet zu werden“ droht. Das beklagte „Trümmerfeld“ ist so auch nicht das Eingeständnis, daß die VDS-Aktion ausging wie das Hornberger Schießen (vgl. MSZ Nr. 21/1978), sondern beklagt die geschwundene „Resonanz systemkritischer Studenten in der Öffentlichkeit“ und worin die erwünschte Resonanz bestehen, soll, machen folgend Unverschämtheiten über die alte Studentenbewegung deutlich:

„Der Unterschied zu heute ist, daß die 60er Bewegung eine Vorwärtsbewegung war, d.h. verkrustete Strukturen wurden in Frage gestellt, die gesamte Gesellschaft war in Aufbruchstimmung.“

Keineswegs ist hier auf die Stimmung studentenverprügelnder Westberliner Bürger angespielt, vielmehr auf die von der Protestbewegung 1968 vorbereitete Reformpolitik, die zur Regierungsübernahme der SPD führte und der die Altvorderen der Jusos, die die Universitäten inzwischen verlassen haben, ihre Parlamentssitze und Funktionärsposten in der SPD verdanken. Die Ironie der Studentenbewegung, daß mit den Idealen von der „wahren Demokratie“ und der „Wissenschaft im Dienste des Volkes“ der Hochschulreform und der Helmut Schmidtschen „Modell-Deutschland“-Politik der Weg bereitet wurde, ist für die Jusos kein Anlaß zur Kritik der ApO, sondern vielmehr Material zum Lob und zu ihrer nachträglichen Rehabilitierung als letztlich staatsfördernder Jugendbewegung:

„In den Parteien der Regierungskoalition entschieden sich die Mehrheiten auf den richtungsgebenden Parteitagen für grundlegende Reformen.“

Eine davon ist das Hochschulrahmengesetz und für dessen Reform soll die „Neue Studentenbewegung“ auslösender Faktor werden.


Als junger Sozialist in der SPD ...

Die Juso-HSG sind gerade aufgrund ihrer offenen Absage an studentische Interessen in den sorgfältig gepflegten Ruch geraten, radikaler als der MSB zu sein. Während die GO-Gruppen noch das reaktionärste studentische Streben hofieren und den Wunsch der neuen Studentengeneration, sich lukrative Startpositionen für die Konkurrenz zu verschaffen, ohne ihr schon in der Ausbildung ganz unterworfen zu sein, als fortschrittlich feiern, weil sie von einer „tendenziellen Annäherung der Interessen von Studenten und Arbeitern“ als „perspektivisch Lohnabhängigen“ ausgehen, plaudern die Juso-HSG offen aus, daß sie sich um die „empirischen (?) Interessen der Studenten“ einen Dreck scheren:

„Wir meinen, daß nur die Interessen der Studenten vertreten werden sollen, die perspektivisch auf ein Bündnis mit der Arbeiterklasse hinweisen, d.h. aber; wir knüpfen nur an die jeweiligen empirischen Interessen an, benutzen (sie!) sie im Prozeß der Politisierung, auch wenn sie sich als im Sinne des Kampfes für den Sozialismus teilweise als nicht realisierbar erweisen, um sie so zu überwinden.“

Nun ist für die Juso-HSG, hierin sind sich alle ihre Fraktionen einig, „die Organisation der Arbeiterklasse“ und der „gesellschaftliche Fortschritt in Richtung demokratischer Sozialismus“ nicht möglich, ohne daß „weite Teile der SPD aktiv dafür eintreten.“ Daß selbst aus der schon von den Juso-HSG bejammerten Tatsache, einer „aktuellen Ausformung der prokapitalistischen Politik der SPD-Mehrheit nicht eine Absage an die SPD folgen darf, beweisen die Jusos mit folgender dialektischen Volte, deren Erfinder damit abweichendes Sexualverhalten erklären wollte:
„Nicht die SPD ist das Übel, sondern die bürgerliche Gesellschaft, deren Teil die SPD ist.“
Mit diesem blödsinnigen Dogma, das mit der von der SPD zur Zeit gemanagten bürgerlichen Ordnung die SPD-Politik entschuldigt und die Parteimehrheit zu bewußtslosen Exekutoren eines Übels macht, das ihnen von der Gesellschaft auf gezwungen wird, gelangen die Jusos zur Verpflichtung ihrer studentischen Mitglieder –  reichlich dogmatisch verkürzt – auf die Macht der SPD:

„Dabei sei ein Argument als akzeptiert vorausgesetzt, daß es sinnvoll ist, als sozialistische Minderheit innerhalb der SPD zu arbeiten.“

Undogmatisch geht's erst wieder zu, wenn die Ohnmacht der SPD im Besitz der Staatsmacht zum Argument für die Möglichkeit eigener Macht als „sozialistischer Minderheit“ gedrechselt wird. Da kritisiert man als Organisation, die sich ohne Mitwirkung in den staatlichen Institutionen Politik nicht vorstellen kann, die „Staatsfixiertheit der studentischen Linken“ und analysiert die ungehinderte Machtentfaltung der SPD-Regierung und ihren brutalen Einsatz der Staatsgewalt gegen die Linken als psychologischen Komplex der Opfer, die „fasziniert auf die Repressionsgewalt starren wie das Kaninchen auf die Schlange". Die Kritik der Politischen Ökonomie wird skrupellos als Instrument zum Freispruch für den bürgerlichen Staat herbeizitiert, indem man sie als „Frage“ bemüht:

„Die Frage nach der ökonomischen Grundlage staatlicher Entwicklungen und damit (!) nach der originären Gewalt oder besser Macht und Herrschaft wird nicht mehr gestellt: der Staat selbst erscheint als treibende Kraft.“

Wer so phantasielos ist, die Politik der SPD für ihre Politik zu halten, muß sich sagen lassen, daß er einem „Verblendungszusammenhang“ erliegt, er sieht „eindimensional“:

„Eine solche Vorstellung ist nicht mehr marxistisch; die marxistische geht ja“ (keinesfalls von der Realität des »Modells Deutschland« aus, sondern) „von einem Modell sich zyklisch entwickelnder ökonomischer und politischer Prozesse aus.“ (Ein Marxist weiß zum Beispiel, daß der Zyklus mit naturgesetzlicher Sicherheit aus den Jusos von heute die SPD von morgen machen wird.)


... für den Sozialismus mit der SPD

Mit diesem Juso-Marxismus warnen die jungen Sozialdemokraten vor dem „gefährliche Implikationen“ bergenden Fehler, sich gegen die Politik der SPD zur Wehr zu setzen, ist doch die Gewalt, die sich da durchsetzt, so originär gar nicht, wie sie tut. Stattdessen sollte man die Kenntnisnahme der mannigfaltigen „Verwertungsimperative“ und „Legitimationszwänge“ zum Anlaß nehmen, die ihnen wehrlos ausgelieferte Regierungspartei in Schutz zu nehmen, sich mit ihr solidarisieren und seine negative Staatsfixiertheit in eine positive verwandeln. Denn es ist nichts anderes als der „ökonomische Zyklus“ der der SPD so zusetzt, daß er ihre Reformvorhaben rigoros „zum Scheitern verurteilt“, weswegen ihr „nichts anderes übrig bleibt, als der mehr oder weniger offene Wählerbetrug.“ Für wen es nicht die SPD ist, die gegenwärtig den Zyklus des Kapitals, also aktuell die Krise durchsetzt, sondern umgekehrt „die bisherigen Maßnahmen des Parteivorstands im wesentlichen von Hilflosigkeit zeugen“ (das dem Helden von Mogadischu!), für den ist auch ein letzter Schluß nicht mehr abwegig:

„In dieser Situation verbessern sich objektiv die Bedingungen sozialistischer Politik.“

Zumal an den Hochschulen, wo sich die SPD mit dem HRG nach Auffassung der Juso-HSG einen besonders gelungenen Hebel zu ihrer eigenen „produktiven Verunsicherung" geschaffen hat:

„Das HRG wird mit Sicherheit die intendierte Auflösung des Konfliktherds Hochschulen nicht erreichen ... Gerade unter dem Druck der mit dem HRG neu geschaffenen Verhältnisse können die Hochschulen zu einem gesellschaftlichen Konfliktbereich werden, der langfristig nur durch wirkliche Reformen oder verstärkte Repressionen gegen die Studenten aufzulösen sein wird. Bleiben die Reformen aus, muß damit gerechnet werden, daß der studentische Widerstand gegen Reglementierung und Repression in seiner Militanz italienische Ausmaße erreicht.“

Mit diesem solidarischen Ratschlag an ihre mit der handfesten Befriedung der Hochschulen befaßten Parteigenossen machen die Juso-HSG nicht nur klar, daß es sich bei der „Schaffung der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Diskussion über Hochschulreform in der SPD" insbesondere um die Voraussetzung handelt, alle Probleme, die Studenten mit der Hochschulreform haben, in Probleme zu verwandeln, die die Hochschulreformer mit den Studenten haben. Darüberhinaus wird kein Hehl aus der Funktion gemacht, derenthalben der erhoffte studentische Widerstand ins Feuer gejagt werden soll: für eine effektivere Reform, die wirklich Ruhe schafft und die Studenten zu zufriedenen Parteigängern der Reformpartei macht. Die Drohung mit den „italienischen Ausmaßen“ ist die militante Anwanzerei an die Parteibonzen, den Forderungen, mit denen die Juso-HSG die Studenten für sich und die Partei ködern möchten, durch Zugeständnisse ihre propagandistische Wirkung zu verleihen. Daß dies die Parteiführung kalt läßt, ist nicht nur ihrer Einschätzung geschuldet, daß wir es in der BRD immer noch mit deutschen Verhältnissen zu tun haben, sondern vielmehr jenen Forderungen an die Studenten, die die Juso-HSG entwickeln müssen, um überhaupt noch als Gesprächspartner für die Partei im Gespräch zu bleiben:

„Nur eine qualitativ neue Studentenbewegung... kann die Wiederaufnahme der Hochschulreformdiskussion in den parlamentarischen Institutionen und in den Parteien erzwingen (!)“


Die Hochschulpoltik der Juso-HSG: Parasitärer Eklektizismus ...

Obwohl Revisionisten und Spontis den studentischen Protest ebenfalls zu anderen Zwecken einzuspannen versuchen, die einen für die Propaganda des Arbeiter- und Bauernstaates, die anderen als Fahrkarte nach TUNIX und ähnlichen Formen des „richtigen Lebens im Falschen“, können sich die Juso-HSG noch an fast jede ihre Aktivitäten kritisch anhängen, weil sich ihnen noch allemal die sozialdemokratische Perspektive abgewinnen läßt.

So machen sich die Juso-HSG die GO-Forderung nach einer Novellierung des HRG zu eigen und bieten sich als der geeignete Partner an, der dies den SPD-Politikern verklickern kann, was voraussetzt, daß sie in allen Kampagnen den Ton angeben. Auch die Klage der Basisgruppenbewegung über

„Kommunikationsschwierigkeiten, Isolation, Konkurrenzverhalten, Unterdrückung emanzipativer, erfolgserlebender Persönlichkeitsentwicklung und solidarischer Verhaltensweisen“

ist der Juso-Fraktion in den VDS einen Antrag wert, weil sie sich einerseits wunderbar mit dem eigenen Ziel einer „Konfliktlösung“ im Hochschulbereich verträgt, andererseits darin ein geeignetes Mittel im Kampf gegen Führungsansprüche des anderen Bündnispartners gesehen wird:

„(solche Forderungen) eröffneten die Chance, die Betroffenen zur Entwicklung selbständiger Initiativen zu führen und auf spektakuläre Ausbildungsboykotte oder Sternmärsche zu verzichten.“

Auf der ständigen Suche nach publikumswirksamen Vehikeln zur Propagierung der Juso-HSG als führender Kraft „undogmatischer und realistischer sozialistischer Politik“ an den Hochschulen konnte es nicht ausbleiben, daß auch die MARXISTISCHEN GRUPPEN undogmatisch beliehen wurden:

„Systematische. Kritik bürgerlicher Wissenschaft ist zentrale Aufgabe.“

Natürlich denken die Jusos nicht im Traume daran, tatsächlich sich in Seminaren bei Dozenten und Studenten unbeliebt zu machen und falsches Denken anzugreifen:

„Inhaltlich muß der Widerstand au dem im HRG und den LHGs festgeschriebenen Verhältnis von Theorie und Praxis ansetzen.“

Womit sich die ganze Kritik bürgerlicher Wissenschaft gemütlich in Vorschläge für eine „wirkliche Studienreform“ einbringen läßt:

„Studienreform soll praktiziert und nicht lediglich gedacht werden. Alternativprojekte sollen in das offizielle Lehrprogramm aufgenommen werden.“


... in Theorie und Praxis

Aus diesem ganzen Eklektizismus, der die unterschiedlichsten Ansätze linker Hochschulpolitik für einen einzigen Zweck ausschlachtet, die Studenten zur kritischen Parteinahme für die SPD zu agitieren, der sie an der Hochschule durch ein Votum für die Juso-HSG Ausdruck verleihen können, folgt natürlich die Enthaltsamkeit bezüglich eigener Aktivitäten, bzw. der Ersatz derselben durch das permanente Belabern dessen, was man tun könnte, sollte, müßte und was die anderen machen. Tatsächlichen Aktionen, auch wenn sie den praktischen Gegensatz zum Staat und den aktiven Durchsetzungswillen nur rudimentär enthalten, stehen Jusos mit eindeutig gemischten Gefühlen gegenüber. Da ist von „organisatorischen Zwängen des Streiks“ die Rede, die „die Auseinandersetzung mit den vorgegebenen Inhalten der Hochschulausbildung ... häufig zu kurz kommen liessen.“ Jungsozialisten ist der Verzicht auf die Durchsetzung studentischer Interessen gegen die staatlichen Maßnahmen, wie er in den Aktionen der „Neuen Studentenbewegung“ unter der Führung revisionistischer und spontaneistischer Gruppen betrieben wird, nicht konsequent genug. Da sie aber an diese Bewegung „anknüpfen“ wollen, darf die Abwiegelei nicht zu offenkundig werden:

„Es ist wichtig, daß die Juso-HSG nicht als Bremser der Bewegung verschrien (!) ist.“

Die sozialdemokratische Perspektive an der Uni ist den Studenten, die an der Praxis der SPD zu knappsen haben, nur als Kritik an der SPD zu verkaufen, weswegen die Jusos sich selbst immer wieder zu radikalen Tönen ermutigen, damit die

„Juso-HSG nicht bei der Zuspitzung von Auseinandersetzungen meist jeden Einfluß verlieren.“

Am besten ist es also, wenn Zuspitzungen überhaupt vermieden werden, weil sich die Juso-HSG bei studentischen Wahlen vor allem auf Wähler stützen, die zwar „links“ sind, sich davon aber beim Studium nicht stören lassen wollen:

„Die eigentliche Basis der Juso-Politik an den Hochschulen besteht als weniger aus aktiven, engagierten Leuten, sondern aus gut sozialdemokratischen Wahlsozialisten.“

Und um diese Leute bei der Stange zu halten, sind regelmäßig vor Wahlen auch mal häßliche Töne gegen die Bündnispartner angebracht, wobei die MSBler für das Schicksal Wolf Biermanns zur Rechenschaft gezogen und die Spontis als die „Chaoten“ beschimpft werden, für die man sie im Grunde genommen immer gehalten hat, weil sie sich auf überhaupt keine „gesellschaftliche Kraft“ hin orientieren.


Das Geschäft mit der Unzufriedenheit

Die interessierte Gleichgültigkeit gegen die Ursachen studentischen Unmuts erweist die Juso-HSG als bürgerlicher Studentenverband, der es sich zum Ziel setzt, die Unzufriedenheit in Politik für eine Staatspartei umzusetzen, die fortlaufend für die Erhaltung bzw. Neuproduktion von Ursachen sorgt. Als linker Studentenverein, der auf eine Reformpartei hin orientiert, greifen die Jusos alle Formen des Widerstands gegen Staatsmaßnahmen auf, um sie in konstruktive Vorschläge zur Verbesserung des Staates einzubringen, für die dann die SPD zuständig ist:

„Gerade hier haben die Jusos an den Hochschulen die entscheidende Aufgabe, die Interessen von breiten Teilen der Studenten aufzugreifen, sich als mobilisierender Faktor in den Kämpfen zu verankern und diese offensiv in die Partei einzubringen.“

Die Schwierigkeiten, die es für einen mit Verstand ausgerüsteten Studenten mit sich bringt, sich diesen dergestalt auszutreiben, daß er falsches Denken als Wissenschaft betreibt, verwandeln die Jusos in ein moralisches Problem, das dem Studenten zusätzlich noch die Aufgabe abverlangt, sich ein Gewissen aus dem „eindimensionalen'' Nutzen der ihm abverlangten Studieninhalte zu machen. Kritik bürgerlicher Wissenschaft Marke Juso erschöpft sich folglich in dem

„politischen Skandal ersten Ranges, wenn Hochschulen in der BRD solche Wissenschaftler ausbilden, die bedenkenlos (!) auch das leichtfertigste Gutachten für die Atomlobby unseres Landes erstellen, die den Sozialabbau und die reaktionäre Wirtschaftspolitik von Bundes- und Landesregierung wissenschaftlich noch begründen ...“

und gipfelt in der Vorlage „kritischer Alternativen“ durch professorale Jusos wie eines Herrn Schui in Bremen, der sich für den „Abbau des Profitdenkens als Maßstab aller wirtschaftlichen Dinge“ stark macht, indem er den Nutzen von Lohnerhöhungen für die „langfristige Profitrealisierung“ des Kapitals herausstreicht. Und die Probleme, die es für Studenten mit sich bringt, mit der staatlichen Effektivierung der Ausbildung zurechtzukommen, sind den Jusos ein Mittel, sie für die

„Erstellung inhaltlicher Kriterien für eine kritische und wissenschaftliche Hochschulausbildung“

einzuspannen, innerhalb derer sie durch „solidarische und kooperative Lehrformen“ mit den verschärften Anforderungen leben können. Und daß damit die bürgerliche Ausbildung durch „eigeninitiative“ Reformertätigkeit affirmiert und keineswegs bekämpft werden soll, machen die Jusos deutlich, wenn sie diese Arbeit „gemeinsam mit den fortschrittlichen Hochschullehrern“ angehen wollen.


Die Juso-HSG in der Studentenpolitik: Abgrenzung im Bündnis

Von daher erklären sich die Bündnismöglichkeiten mit den GO-Gruppen einerseits und den Basisgruppen andererseits, die jeweils eine Seite der Juso-Taktik des Einfangens studentischen Protestpotentials programmatisch vertreten und an den Hochschulen praktisch betreiben, zugleich aber das vorprogrammierte Platzen solcher Mesalliancen, wenn die Möglichkeit ihrer Instrumentalisierung für die Propaganda sozialdemokratischer Ideale ausgeschöpft ist. Daher

„sollten sich die jeweils von starken positiven Loyalitäten betroffen fühlenden Strömungen der Juso-HSG“ (von Zeit zu Zeit aus gegebenem Anlaß) „radikal kritisch mit dem mitgeschleppten Traditionsbestand unhaltbar gewordener Basisgruppen- bzw. MSB/SHB-Positionen auseinandersetzen.“

Diese „Auseinandersetzung“ kann natürlich nicht über die politischen Inhalte laufen, weil man diese ja selber „undogmatisch“ vertritt, sondern läuft über die Denunziation der anderen „Perspektiven“, wobei beim MSB der Verweis auf den Archipel GULAG das seine tut und selbst die „kritische Solidarität mit den Ländern des realen Sozialismus“ beim StaMoKap-Flügel der Juso-HSG diesen keinen Augenblick lang an der Orientierung auf die SPD irrewerden läßt, solange man die DKP als „0,3 %Massenpartei“ widerlegen kann und es die eigene Partei auf über 40 % bringt. Dabei verkaufen die Juso-HSG ihren Antikommunismus aufgeklärt als nüchternen Realismus:

„Die Analyse Lenins als das Optimale in der spätkapitalistischen BRD auszugeben, erweist sich bei jeder Bundestagswahl ... als eine bornierte Scheiße“.

Womit die Überlegenheit des Godesberger Programms allemal unter Beweis gestellt wäre!

Bleibt abschließend noch die Frage offen, warum die Juso-HSG bislang „borniert“ die immer drängender werdenden Bündnisangebote des bürgerlichen Konkurrenzvereins ausgeschlagen haben. Der RCDS macht zwar auch sein Geschäft mit der Unzufriedenheit der Studenten, aber auf entgegengesetzte Weise: Nicht Widerstand soll sie hervorrufen, sondern die Studenten mit Hilfe der jungen Christdemokraten dazu motivieren, mit den Ursachen ihrer Probleme umstandslos fertigzuwerden und sich „entschieden demokratisch“ gegen jeden zur Wehr zu setzen, der daraus versucht, Kapital für eine Kritik an Staat und Gesellschaft zu schlagen.

Da also beide Vereine, Juso-HSG und RCDS das gleiche politische Feld bestellen, liegen sie um die Einbringung der Ernte für die jeweilige Mutterpartei in zähem Clinch. Während allerdings das Kräfteverhältnis im Staate CDU/CSU und SPD die „Solidarität der Demokraten“ für den Staat ermöglicht, bringen es die Zustände an den Universitäten mit sich, daß die Jusos

„heute jeden neuen Genossen von der Sinnhaftigkeit seines Engagements bei den Jungsozialisten überzeugen“ müssen,

was sie vor die Aufgabe stellt, sich erst mal als Staatskritiker zu profilieren, was bei Aufrechterhaltung der Bindungen zur SPD am günstigsten durch Attacken auf die „Rechtskräfte“ zu bewerkstelligen ist. Spätestens mit 35 kann der gereifte Juso dann allerdings unter Beweis stellen, daß sein Bündnis mit Kommunisten auch an der Hochschule dem gleichen Zweck diente, wie die Abgrenzungsbeschlüsse seiner Partei.

(Alle Zitate aus Publikationen und VDS-Anträgen der Juso-Hochschulgruppen.)

Hinweis:
Zur Politik der „Jungsozialisten in der SPD“ vergleiche auch den Artikel in: MSZ 6/1975

 

aus: MSZ 23 – Mai 1978

zurück zur Startseite