40. Jahrestag des Beginns des 2. Weltkriegs

Ein Krieg feiert Geburtstag

Die Vorstellung, man könnte sich mit Gewinn vergangene Zeiten zu Gemüte führen, ist unter Normalbürgern, zumal unter jüngeren nicht sehr verbreitet.Nicht umsonst werden runde Zahlen regelmäßig genutzt, um mit unterhaltsamen alten Geschichten Lehren für den Menschen von heute loszuwerden. Gebildetes Volk hat das nicht mal mehr nötig – es führt sich die Lehren aus der Geschichte auch ohne Geschichten vor. Felsenfest davon überzeugt, daß gerade das ,,Studium der Vergangenheit Hilfen für die Bewältigung der Gegenwart“ liefere. Wobei mit zunehmenden Abstand die Willkür des Geschichte treibenden Subjekts bei der Sammlung der Fakten zur Bebilderung zeitgemäßer Vorschriften sich vergrößert.


Wie konnte es dazu kommen?

Schon die Gedenktage fallen ja nicht einfach vom Himmel, sie werden ausgewählt und verordnet. So wurde letzthin der unschuldige 1. September 1979 zum ,,40. Jahrestag des Ausbruchs (!) des Zweiten Weltkriegs“ erklärt. Und nicht nur der Oberbefehlshaber der Truppe im Kriegsfalle (Art. 115 b GG) fühlte sich gedrängt, v. a. die Menschen, denen die ,,leidvolle“ Erfahrung von 55 Millionen Toten fehlt, eindringlich davor zu warnen, einen neuen Krieg anzuzetteln, ganz so, als könnten sie sonst auf die Vorstellung verfallen, eine Schlacht sei ein spaßige Angelegenheit:

„Seit 34 Jahren herrscht jetzt Friede in Europa – lohnt es sich noch, jenes Tages im Sommer 1939 zu gedenken? Ja das ist notwendig! ... Es gibt kein anderes Ereignis, aus dem wir soviel zu lernen haben.“ (Helmut Schmidt)

Von der BILDZEITUNG bis zur UZ wurde allenthalben gänzlich unkoordiniert, aber dennoch einmütig die zentrale Losung: „Nie wieder Krieg!“ verkündet; die ZEIT propagierte gar einen ,,Antikriegstag“ („Fernab ideologischen Mißbrauchs“ natürlich!) und alle stellten die Frage: „Wie konnte es dazu kommen?“, eine Frage, mit der das Urteil schon entschieden ist, weil sie nicht den Grund des Krieges, sondern die Entscheidungen und Reaktionen der damaligen Menschen anvisiert und schon insgeheim – bei sonst gleichen Zeitumständen – andere Handlungsmöglichkeiten im erfindungsreichen Auge hat. Die Zeitungen für das arbeitende Volk lassen dazu in Gestalt einfacher und wenig einfacher Menschen die Geschichte selbst zu Wort kommen und den Tag, an dem der Krieg ausbrach, in der Erinnerung wieder auferstehen. Der Kanzlerkandidat der Union z. B. hat schon damals vorbildliches Verantwortungsbewußtsein in Handeln und Denken bewiesen und kann glaubwürdig versichern, daß unter seiner Führung das deutsche Volk nicht noch einmal in einen so sinnlosen, weil schrecklich ausgegangenen Krieg ziehen muß:

„Mein Gestellungsbefehl ... erreichte mich am 31. August (!). Am nächsten Tag fuhr ich mit meinem Motorrad nach München ... Innerlich war ich auf ein Einrücken zu einem langen Krieg eingestellt. Auch war ich schon damals von seinem schrecklichen Ausgang überzeugt.“

Der langjährige bundesdeutsche Bauernminister hat solch verdienstvolle Weitsicht nicht vorzuweisen. Er hat es auch nicht nötig. Denn erstens ist er Bauernminister. Zweitens war er damals erst 14 Jahre alt und hatte sich nicht vorstellen können, daß „sich hinter der strahlenden Fassade des »Dritten Reichs« etwas Böses verbergen sollte“, schließlich hatte er als Münchner Oberschüler die Viererkonferenz von 1938 miterlebt und dafür schulfrei bekommen. Und drittens hatte sein Vater, obwohl er auch nicht der Schlauste war („Ich bewundere noch heute seine politische Klugheit. Schließlich war er nur ein einfacher Bauer.“), schon vorher düstere Ahnungen:

„Mein Vater traute Hitler alles zu, nur nichts Gutes.“

In Vater Ertls' Worten:

„Ich habe es dir schon immer prophezeit, daß dein Lump und Bazi noch'n Krieg anfangen und dieses Land ins größte Unglück stürzen wird.“

(Zur Strafe für seine Dummheit mußte der kleine Sepp den zur Wehrmacht einberufenen Gaul Hans striegeln und ohne Sattel in die Kaserne reiten.) Daß dem alten Ertl keine größeren Ehren zuteil werden, als mal nur so nebenbei in einem Boulevardblatt erwähnt zu werden, halten wir ehrlich gesagt für eine große journalistische und geschichtswissenschaftliche Sauerei. Immerhin war er wohl der erste, der so unverblümt die Quintessenz aller Antworten auf die Frage: „Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen?“ formuliert hat, nämlich daß die Gründe für den II. Weltkrieg in der Person des Führers gelegen haben müssen.


Der Führer war an allem schuld!

Ein Wahnsinniger und Krimineller hat da aus niederen Beweggründen eine ganze friedliebende Welt in den Krieg gestürzt, indem er höhere Werte mißbraucht und braven deutschen Soldaten vorgegaukelt hat, sie würden in Stalingrad und El Alamein, in Kopenhagen und Paris ihr Vaterland verteidigen:

„Dieser Krieg war Hitlers Krieg.“ (SZ)

„Die meisten von ihnen glaubten, für ihre Heimat zu kämpfen und wußten oder ahnten doch, daß sie damit zugleich ein Unrechtsystem am Leben erhielten, dessen Menschenverachtung nichts mit dem Deutschland gemein hatte, für das sie kämpften.“ (Carstens)

Solche Inschutznahme des Volkes, ohne dessen Kampf- und Opferbereitschaft Hitler seinen Krieg gar nicht hätte führen können, verheißt diesem nichts Gutes. Schließlich wird hier die Bereitschaft zur kriegerischen Verteidigung des Vaterlandes in aller Welt gelobt, nur sei sie 1939 bedauerlicher Weise ganz anderen Zwecken dienstbar gemacht worden. Um diese Bereitschaft – die gar keine begeisterte zu sein braucht – zu gewährleisten, werden alle möglichen Veranstaltungen unternommen. Indem das Opfer des Lebens für den Staat zur subjektiven Täuschung erklärt wird, dort, wo es für letzteren so bedauerliche Folgen hatte, pocht man auf die objektive Notwendigkeit fürs Vaterland zu fallen. Der Nachweis, daß der Zweite Weltkrieg das Werk eines Verrückten war, fällt leicht, angesichts der Tatsache, daß es Adolf nicht gelungen ist, seine Vorstellungen mit der Realität in Einklang zu bringen:

„Was ist von Hitlers Wahn, dem deutschen Volk »Lebensraum im Osten« zu erobern geblieben? ... Die unerbittliche Ironie der Weltgeschichte hat den Bolschewistenfeind Hitler zum Schrittmacher eines imperialen Sowjetkommunismus bis nach Mitteleuropa werden lassen.“ (SZ)

Schon in der Vorbereitung zur Verwirklichung dieses Wahns kann der Kriegshistoriker wenig Sinn erkennen (Beim Überfall auf Polen mit dem Stillhalten Englands zu rechnen! Einfach absurd!) und hat mit seiner harten Kritik an Hitler nur auszusetzen, daß er bei seinem Überfall die Umstände nicht korrekt berechnet hat. Außerdem hat er sich nie verantwortungsbewußt überlegt, ob der Einsatz des Menschenmaterials sich auch lohnt – der Sieg über die zahlenmäßig überlegenen Franzosen verdankte sich nur dem Heldenmut der Soldaten, weshalb Adolf auf die Nachricht von der Besetzung von Paris einen ganz und gar unstaatsmännischen ,,Freudentanz“ aufführte (Ganz privat natürlich, damit das kämpfende Volk nichts davon merken konnte, daß es in Wahrheit nicht dem Kalkül eines Staatsmanns geopfert wurde!).

Kein Wunder also, daß so ein Kerl dann aus reinem Übermut überlegene Gegner angreift:

„Hitler stach der Hafer, als er im Dezember 1941, nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor, ohne Not (!) Amerika den Krieg erklärte.“
„Erstaunlich sind die Parallelen zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg. Beide Male baute die Staatsführung fahrlässig auf die Illusion britischer Neutralität oder britischer Kampfesunlust. Beide Male 1914 wie 1939, war das Deutsche Reich für einen langen Krieg nicht gerüstet und schon gar nicht für einen Weltkrieg.“ (ZEIT)

Das sind Parolen, die ein Antikriegstag braucht! Die Lust des Gegners richtig einschätzen! und: Kein Krieg und schon gar kein Weltkrieg ohne ausreichende Rüstung!


Verurteilungen und Freisprüche

Der beständige Vorwurf, Hitler habe den Krieg für überzogene (!) Ziele und ohne kühle Kalkulation von Einsatz und Erfolg geführt, läßt nur eine Lehre zu: Kriege dürfen nur für die richtigen Ziele und verantwortungsbewußt kalkuliert erklärt werden: nur so läßt sich mit einiger Sicherheit gewährleisten, daß die Ziele auch verwirklicht werden. Und selbst die Aufforderung ans kämpfende Volk, sich heldenmütig für den Sieg des Vaterlands zu opfern, kleiden demokratische Wehrkraftverstärker nicht in eine knackige Parole, sondern in die Kritik am ,,ersten Soldaten seines Volkes“, der sich auch noch Drückebergerei und Feigheit vor dem Feind vorwerfen lassen muß. Während deutsche Soldaten heldenmütig kämpften, hielt er sich aus der ganzen Sache raus. (Als ob je ein Staatsmann an der Front gestanden hätte!):

ZEIT: „Am Kartentisch des Führerhauptquartiers teilte Hitler die Welt auf.“
BILD: „Hitler zieht sich in seine Privaträume zurück, um zu baden.“

Und daß er am Ende auch noch Fahnenflucht durch Selbstmord beging, ist ja allgemein bekannt.

Solche Feigheit kontrastiert BILD, indem sie über den Kriegsausbruch aus der harten Abenteurererlebnisperspektive des Landsers berichtet und gleich eine Serie folgen läßt über WK II-Helden, die allesamt im Grunde ihres Herzens keine Soldaten, als es aber drauf ankam, umso bessere waren.

Das Bemühen, Staat, Armee und Krieg gegen radikale Kritik durch wüste Beschimpfung des Nationalsozialismus in Schutz zu nehmen, läßt sich auf die Spitze treiben, wenn man sich dagegen wehrt, den Zweiten Weltkrieg als „Betriebsunfall der deutschen Geschichte“ zu betrachten, um nicht nur Hitler für wahnsinnig zu erklären, sondern das ganze Volk – und das aus Tradition.

„Der selbsternannte Feldherr (wie undemokratisch!), der für seine größenwahnsinnigen Pläne Millionen deutscher Soldaten ins Feuer schickte, war keineswegs der Erfinder deutschen Weltmachtstrebens. Er stand in langer Tradition und wurde deren letzter, brutalster Vollstreckter.“ (ZEIT)

Da wimmelt es dann seit Bismarck nur so von „weltmachtsüchtigen“ Verführern und „Aposteln deutscher Überheblichkeit“ unter Gelehrten, Unternehmern und Staatsdienern. Das ist einerseits ärgerlich, weil Deutschland zweimal nach der Weltherrschaft griff, um genau dadurch die schon erreichte Weltmachtposition zu verspielen:

„Vier Jahre (WK I) kämpften sie um die Weltherrschaft und verloren darüber ihre Weltmachtstellung.“

Andererseits birgt dies auch Trost: Das beschmutzte Nest ist nicht das eigene, weil man Deutschland wieder aufgebaut hat:

„Der westliche (!) Nachfolgestaat der »Weltmacht« ist auf das gesunde Maß einer Mittelmacht geschrumpft.“ (ZEIT)

Daß der Krieg trotz der geheuchelten Bescheidenheit noch lange nicht ausgespielt hat, verraten schon die Überlegungen, wie der Zweite Weltkrieg hätte verhindert werden können:

„Gegen eine solche Eskalation imperialistischer Abenteuerlust war kein Kraut gewachsen, am wenigsten die auch jetzt noch von den Westmächten betriebene Friedenspolitik, die Hitler (zu Recht) als Schwäche deutet.“ (SZ)

Und dabei hatte Chamberlain sich schon anläßlich der Münchner Konferenz den päpstlichen Vorwurf machen lassen müssen, den versprochenen Krieg gegen die Vorherrschaft irgendeiner Macht in Europa, nicht zu führen! Sein Fehler war es, den Krieg zur Erhaltung des Friedens nicht zu riskieren – aus falscher Friedensliebe!
Noch deutlicher wird man denen gegenüber, die das Kriegshandwerk auszuüben haben; sie werden gleich mit positiven Vorschlägen vertraut gemacht:

„Hätte Hitler nicht bereits 1935 oder 1936 das Handwerk gelegt werden können, zu einer Zeit als die Entlarvung des Nationalsozialismus noch ohne großes Blutvergießen möglich war?“ (Information für die Truppe)

So läßt sich die Geschichte des Weltkriegs ausschlachten für die Ideologie der Verteidigung und die Frage: „Wie konnte es dazu kommen?“ eindeutig beantworten: die einen haben den Krieg zu früh, die andern zu spät angefangen und alles, weil sie beide nicht genügend gerüstet waren, weshalb, der eine nicht abschrecken konnte und der andere sich nicht abschrecken ließ:

„Es ist schwer, aus der Geschichte zu lernen, noch schwerer, die Lehren anzuwenden. Aber diese Lehre hat die Welt gelernt: Beschwichtigungspolitik führt nicht zum Frieden. Die NATO ist die Frucht dieser Erkenntnis, Abschreckung ihr Prinzip.“ (Information für die Truppe)

Mit genügendem Abstand läßt sich die Tradition der Deutschen Wehrmacht – gleich in Serie – und der Zweite Weltkrieg auch ohne weiteres für die moderne Truppe der Gegenwart verwenden, weshalb der Bundespräsident wohl ein Privatproblem artikuliert, wenn er meint:

„Manche, vor allem in der jungen Generation, sind nicht bereit, denen, die an den Fronten gekämpft und gelitten haben und zu Millionen gestorben sind, ehrenhaftes Denken und Handeln zuzubilligen.“

 

aus: MSZ 31 – Oktober 1979

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