Tübinger Forschungsgespräche


Schon vor mehr als 150 Jahren hat ein großer Tübinger Stiftler die idealistische Umdrehung des Verhältnisses von Person und Eigentum so offen wie endgültig formuliert:

„Daß Ich etwas in meiner selbst äußeren Gewalt habe, macht den Besitz aus, so wie die besondere Seite, daß Ich etwas aus natürlichem Bedürfnisse, Triebe und der Willkür zu dem Meinigen mache, das besondere Interesse des Besitzes ist. Die Seite aber, daß Ich als freier Wille mir im Besitze gegenständlich und hiermit auch erst wirklicher Wille bin, macht das Wahrhafte und Rechtliche darin, die Bestimmung des Eigentums aus.“ (Hegel, Rechtsphilosophie, § 45)

Die ferienmäßig zum selbigen Thema und in selbigem Geiste in Tübingen versammelten Seins-, Rechts- und sonstigen Philosophen konnten an dieses Niveau nicht anknüpfen, sondern ergingen sich einerseits in matten Paraphrasen des Hegelschen Gedankens, daß der abstrakt freie Wille nur um seinetwillen die Welt in Besitzende und Habenichtse, die – von ihren Lebensbedingungen ausgeschlossen – durch ihre Arbeit das Eigentum der anderen vermehren, einzuteilen gebiete: Daß Eigentum „die Zuordnung voraufgebauter Daseinsmöglichkeiten“ sei (Ryffel), nicht nur „haberechtlichen“, sondern als „greifbarer Ort des Eigenen für jeden Menschen“ „seinsrechtlichen“ Charakter habe (Vollrath) und „Partizipation am Sinnüberschuß der Welt“ sei (Willoweit) – welch müder Abklatsch! Andererseits zerrten sie deshalb diesen reinen Standpunkt in die Niederungen des praktischen Staatsmeinens herab und ergingen sich in trüben und willkürlichen Kritteleien an der äußerlichen Besitzseite dieses auch von ihnen geschätzten „ideellen Werts“: Es sei ein „Raum des freien Entscheidens“, des „Wirtschaftens“, stehe in einem neuen „Verantwortungshorizont“ (Willoweit, Ryffel, Schwartländer), schließe nicht von Haus aus „industrielles Großeigentum“ ein (Raiser), bedürfe zwar des „gerichtlichen Rechtsschutzes“ (Grabitz), müsse sich aber doch durch andere Menschenrechte (Arbeit, Mitbestimmung, soziale Sicherheit) und durch den „Ansatz genossenschaftlichen Eigentums“ (Westen) zumindest in Frage stellen lassen. Da solch kritische Sommergedanken das Eigentum nicht angreifen sondern bewahren wollen, sei zumindest gegen den kecken Blick nach drüben die Stimme eines Experten zitiert, der auch vom niederen Standpunkt des Bedürfnisses den hiesigen Ansatz bevorzugt:

„Alles was wir brauchen, darauf stehen wir.“ (Oleg Protopopov mit Partnerin im Westen auf dem Eise)

Die Tübinger Geister wollten sicher auch keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß „die äussere Sphäre ihrer Freiheit“, die die Person sich geben muß, „um als Idee zu sein“ (Rechtsph., §41) immer noch ihre Grenze an der Mauer hat.

 

aus: MSZ 31 – Oktober 1979

zurück zur Startseite