Sport – sachverständig kommentiert


Nur ein naiver Mensch kann die Vorstellung haben, Sport sei eine Sache, die man aus Vergnügen betreibt bzw. sich anschaut. Wie uns die oberste sportmoralische Behörde, das Fernsehen, mehrmals wöchentlich mitteilt – unterstützt von den hinteren Seiten ihrer papierenen Schwestern –, ist bei der Sportbetrachtung ein tieferer oder höherer (je nachdem) Standpunkt unabdingbar. Hier nun ein – zugegebenermaßen überflüssiger – Service für die angehenden Sportreporter unter unseren Lesern, sozusagen erste Einarbeitung in Jargon und Bedeutung der modernen Sportreportage. (MSZ-Kollektiv)

AMATEUR: ist man entweder wirklich und kommt dann nicht im Fernsehen vor (Ausnahme: Trimm-dich), oder man verzichtet darauf, die Geldscheine auf's Trikot zu nähen, was zu bevorzugter Behandlung im Fernsehen führt (–> Werbung)

ANABOLIKA: (–> Staatsamateur) Mittel des sozialistischen Realismus; wird bei uns aus kulturellen und ästhetischen Erwägungen nicht abgelehnt, weswegen die Einnahmeverweigerer aus den Kadern fliegen.

BOMBER: „Gerd muß als Persönlichkeit noch reifen“ (Kaiser Franz) „Gerd Müller hat sich mit seinen Toren um Deutschland verdient gemacht“ (Max Merkel) (–>Held)

BUM KUN CHA, GERD: deutscher Bundesligaspieler, Spvgg Seoul Strikers

CHAUVINISMUS: wenn man den –> Nationalismus merkt; machen die Österreicher, wofür man Verständnis haben muß

DIE: (Russen, Amis ...) Zeigefinger-Artikel, betont die kosmopolitische Verbundenheit der Völker im Sport (–> Wir)

EHRE: „Kämpfen Sie in erster Linie für sich für Ihren Verein oder für Ihr Land?“ - „Es ist mir eine Ehre“
„Warum wollen Sie in die Nationalmannschaft? Ist es eine Frage des Marktwerts oder der Ehre?“ – „Erst in zweiter Linie.“

FOUL: nicht, wenn einer dem anderen auf die Knochen haut, sondern sorgfältig zu unterscheiden in
– unnötiges F.: wenn der Gegner auch so hingefallen wäre oder in schlechter Position stand.
– notwendiges F.: kann so nicht gesagt werden, es empfehlen sich Umschreibungen (–> Notbremse)
– bösartiges F.: unnötiges F., schlecht ausgeführt
– Tätlichkeit: bösartiges F., das die Fernsehkamera aufgezeichnet hat.

GESPERRT: (für ein oder mehrere Spiele) wird man im Inland für ein inländisches Foul, für internationale Spiele gelten andere Fouls; umgekehrt gehen ausländische Fouls und darauf folgende Sperren unsere Meisterschaft nichts an

HART ABER FAIR: angebrachter Ausdruck, wenn das Blaulicht noch draußen bleiben konnte (–> Nur)

HEISS MACHEN: Wenn der –> Trainer die Spieler in Daunendecken einwickelt

HELD: wird während jeder Sendung mindestens einer entdeckt; Voraussetzung: eine körperliche Besonderheit, lang genug trainiert, glücklich zum Einsatz gebracht – in Zweifelsfällen genügt auch Glück allein (–> Bomber) (–> Spielerpersönlichkeit)

INIVIDUALIST: im Westen ballverliebt, im Osten Systemgegner, darum nicht vorhanden.

KAPITAL: gebräuchlicher als: „Aus einem Fehler des Gegners K. schlagen.“ Herkunft wahrscheinlich von der falschen Übersetzung des englischen „a fault of interest“ (interest = Interesse, aber auch: Zins). Ursprünglich ein Ski-Ausdruck, der auf Lord Kandahar zurückgeht, den dieser beim Urlaub in St. Anton/Arlberg prägte, nach seinem Sieg bei Kandahar über die Paschtunen und vor seiner Stiftung des Pokals für das nach ihm benannte Skirennen. Lord Percy wollte damit Fahrfehler von witterungsbedingten Zufallsstürzen abgrenzen.

KINDERMANN: Repräsentant der –> Ordnung im Sport, die deswegen aufrechterhalten gehört, weil der Sport eine vorbildhaft ordnungsstiftende Funktion hat

KONZENTRATIONSLAGER: Mißverständnis, Trainer Rühl meinte Konzentrationslager.

MANNSCHAFT: Gegenteil von Kollektiv, weil Kameradschaft

MEDAILLENSPIEGEL: enthält notfalls auch die Plätze 4 bis 6 und wird durch –> Staatsamateure und staatliche Schwerpunktmaßnahmen (cubanische Boxer!) verzerrt

MITSPIELEN: interessantes Verhalten einer Mannschaft, trotz vorhersehbarer Niederlage den Platz nicht zu verlassen

MOTIVATION: ohne sie geht nichts, denn an irgendetwas muß man sich doch klammern können, wenn man schon Sport treibt (–> Prämien, –> Sportpsychologe)

NATIONALHYMNE: l. absolute Ruhe, während sie abgespielt wird, 2. muß man sich dazu stellen, entweder a) zustimmend mitsingen ja, mitsingen nicht nötig Kaugummi geschmacklos, Kaugummi geht, Grundstellung Rührt euch, oder b) (entfällt)

NATIONALISMUS: daß es sich um ihn vor allem dreht, muß man folgendermaßen einfließen lassen:
„Die DFB-Vertreter bestanden am heutigen Bundesligaspieltag die Generalprobe für die bevorstehenden Rückspiele in den internationalen Cup-Begegnungen ...“
oder so: „Preußen Münster ist ein Sorgenkind des deutschen Fußballs“
oder so: „Die Querelen zwischen den deutschen Hockeydamen und ihren Funktionären gefährden eine schon sicher geglaubte Medaille bei den nächsten Olympischen Spielen.“ (SPIEGEL)

NECKERMANN: bekannter Dressurreiter (größte Erfolge auf Linsenhoff) Antwort des Versandgeschäfts auf Billigware des – Ostens (–> Sporthilfe), die es jedoch im rein geschäftlichen Bereich durchaus zu schätzen weiß.

NOTBREMSE: sagt der Trainer muß man ziehen üben; in gewissen Situationen (noch vor der Strafraumgrenze) zeigt sich hier der Unterschied zwischen einem abgeklärten und einem unerfahrenen Spieler.

NUR, der Schiedsrichter mußte ... 5 gelbe Karten zeigen: – hart aber fair, – Foul; Anwendung der Relativitätstheorie auf den Fußball.

OIJOIJOI: (auch: AIJAIJAI): Spontaneität, die dem Zuschauer aus dem Herzen spricht (–> Tor); wird von seriösen Blättern als unfachmännisch kritisiert, von Massenblättern hingegen als erfrischend begrüßt.

ORDNUNG: (–> Kindermann) erste Voraussetzung für Sport überhaupt („Bevor wir den Spielbericht zeigen, ein Blick ins Stadion: Wie wird die Polizei mit den Fans fertig?“)

OSTEN: zwingt uns zu –> Neckermann

PHILOSOPHIE, SPORT-: in der modernen Welt muß man um des Fortschritts willen auch im Sport so manche Beeinträchtigung hinnehmen.

POLITIK, SPORT UND: haben nichts miteinander zu tun, weswegen ausführlich darüber berichtet werden muß

PRÄMIEN: im bezahlten und unbezahlten Sport immer zu hoch oder zu niedrig (–> Motivation)

PROFIEINSTELLUNG: leidiges Problem: ermöglicht einerseits höchste Leistungen, führt andrerseits aber auch zu dem aus der Arbeitswelt bekannten Phänomen der Langeweile (–> Philosophie, Sport und)

SCHIRI: überfordert

SKANDAL: wenn einer den Sport zu ernst nimmt, und dabei erwischt wird (–> Trick, erlaubter)

SPIEL, DAS MAN AM BESTEN SCHNELL VERGISST: langweilig, aber mit Glück gewonnen.

SPIELERPERSÖNLICHKEIT: –> Individualist, der dies zugunsten höherer Werte vergessen läßt

SPIEL, SCHLECHTES: langweilig und verloren

SPORTARTEN, VERRÜCKTE: machen entweder die anderen, oder sie sind dann keine mehr, wenn man selber einen guten Verrückten hat; Beispiele: Win-Thierschießen, Mit Kannen Berggehen

SPORTHILFE: die Antwort der freien Marktwirtschaft, der Sand im Getriebe der Roboter (–> Staatsamateure)

SPORTPSYCHOLOGE: ohne ihn geht nichts (–> Motivation) sozusagen der nationale Obertrainer, weil man von ihm lernt, wie die Schützlinge zu motivieren sind ; ein guter –> Trainer muß in erster Linie so einer sein

STAATSAMATEUR: Gemeinheit, die zwangsläufig zu roboterhaftem, schematischen Spiel führt

TAKTIK: wird entweder glänzend befolgt, oder bringt das Spiel zum Verkrampfen

TRAINER: begeistert die Mannschaft oder nicht; braucht eine Lizenz, weil seine Tätigkeit nicht ungefährlich ist – für die Trainierten; er selbst ist durch Schleudersitz im Trainerkarussel abgesichert

TRICK, ERLAUBTER: wenn man den Sport ernst genug nimmt, auch gegen ihn zu verstoßen – und dabei nicht erwischt wird

TOR: muß in sachlichem und leicht entsetztem Ton gesagt werden, wenn der Gegner es schießt; empfehlenswert eine Anmerkung über a) Notwendigkeit b) Unnotwendigkeit c) Fehler, den die Hintermannschaft beging (–> Tore)

TORE: resultieren grundsätzlich aus Fehlern und hätten sich verhindern lassen; ist so schnell kein Schuldiger zu entdecken, läßt sich auch von schönen Toren sprechen

VIEL, ES GEHT UM: Garantie dafür, daß auf dem Kampfplatz verständlicherweise viel Kampf und wenig Spiel stattfindet

WERBUNG: fürs Fernsehen immer ein Grund, die Sendung abzusetzen, weil W. in die festgesetzten Sendezeiten gehört; Ausnahme: „Dies ... war eine Werbung für den Sport.“

WIR: ein dem Sportreporter von den anderen aufgezwungenes besitzergreifendes Pronomen

WURTZ, ROBERT: läuft neben den Spielern her und feuert sie an (–> Schiri, –> Motivation)

 

aus: MSZ 32 – Dezember 1979

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