Menschen wie Du und ich im MSB:

Der Spartakisten Report


Unser kritischer Beitrag über die Schwierigkeiten linker Literaten, sich mit der Studentenbewegung belletristisch zu befassen (vgl. MSZ Nr. 3/1975), hat den MSB Spartakus zu einem interessanten Versuch provoziert: wenn berufsmäßige Literaten beim Einfangen politischer Sachverhalte in die Form des Romans scheitern, vielleicht schaffen es dann literarische Dilettanten, die dafür Politprofis sind? Der MSB-Bundesvorstand rief daher zu einem „Wettbewerb Literatur der Studentenbewegung“ auf, dessen Preise zum feierlichen Abschluß des 4. Bundeskongresses des MSB in der Stadthalle Köln-Mühlheim vergeben wurden. Der Erfolg gab dem MSB recht: „Heute können wir feststellen, daß dieser Wettbewerb sowohl in der Fülle der Einsendungen als auch von der Qualität der Beiträge ein voller Erfolg geworden ist!“ (Rote Blätter Nr. 33/1975; alle folgenden Zitate a. a. O.) Nicht nur „die großen politischen Schwerpunkte der Studentenbewegung in der vergangenen Zeit“ wurden in den Beiträgen literarisch aufgearbeitet, vielmehr „können wir ohne Einschränkungen feststellen, daß die ersten neuen Beiträge auch den Ansprüchen literarischer Qualität voll Genüge leisten ....“ Daß dies keine leeren Worte sind, die qualitätsblinder Vereinspatriotismus dem MSB in die Feder diktierte, wollen wir den MSZ-Lesern durch nachfolgenden auszugsweisen Abdruck aus der Arbeit des Hauptgewinners beweisen. Den 2. Preis gewann übrigens der poeta laureatus der Münchner Studentenbewegung, der älteren Kommilitonen sicherlich noch bekannte Lyriker Roman Ritter („Ja so warn's, dö alt'n Rittersleut'“) für „ein Gedicht über revolutionäre Kleinarbeit“. (Wir nehmen an, daß es sich hierbei um eine lyrische Verwertung von Ritters Erfahrungen beim Aufbau des Studentischen Kindergartens in München handelte.)


Der I. Preis ging nach Marburg an die Lahn

Hauptgewinner wurde der Präsident des Studentenparlaments der Uni Marburg. Eingeweihte konnte das nicht überraschen: Für den Marburger MSB stellt sich am aktuellsten die Frage, wie man als Spartakist neue Tätigkeitsfelder sich eröffnet, wenn die bisherige Politik nicht mehr geht. Wie bekannt wurde der AStA an der Lahn vom Universitätspräsident Zingel amtsenthoben. Was, so fragten sich viele Kommilitonen, macht ein Spartakist ohne Funktion in der Studentenschaft. Die Münchner Lösung (er gründet einen Verein namens AStA e. V.) konnte nicht befriedigen. Bernd Gäbler, der Preisträger, wies einen neuen Weg. Kein Zufall, „gehört (er doch) zur jüngeren Generation der Studentenbewegung.“ Bernd schildert, wie er zum MSB kam und baut damit exemplarisch Vorurteile gegen den MSB ab. Nachfolgend drucken wir Auszüge aus seiner preisgekrönten Arbeit, die wir den „Roten Blättern“ vom November entnommen haben. Für Leser, die einem (mittlerweile auch in den MSB-Bundesvorstand aufgerückten) Spartakus-Funktionär einen Text von solcher politischen und literarischen Qualität einfach nicht zutrauen, nochmals die Quellenangabe: Rote Blätter, Nr. 33, S. 46/47.


Ein Mann geht seinen Weg

„Ich bin auf dem Weg. Auf dem richtigen Weg. Auf dem Weg zu meiner ersten MV ... Ich will also Revolutionär werden ..; Was sind das für welche, meine zukünftigen Genossen? »,Sparta’Kisten kann man stapeln« stand im Herrenklo... Sind sie so oder so wie Mathias glaubt, der bei Spartakist immer hartes Bett assoziiert und ,Betreten des Rasens verboten’? Nein, ich glaube nicht, daß sie so sind, meine zukünftigen Genossen. Ich glaube, sie sind normaler... Wenn Benno zur Guitarre greift und ,Komm an den Tisch unter Pflaumenbäumen' singt und alle mitsummen, dann merkt man auch, daß sie so sein können, wie sie da singen, daß sie einfach zusammen sein können, trinken und schmunzelnd von ,der Perspektive’ reden ... Keine halbe Stunde hat es gedauert, und das war eine unheimlich dufte Fete ... Und als der Vorsitzende dann sagte: ,Genossen, wir bedanken uns bei euch für den tollen Einsatz, ihr habt wirklich in den letzten drei Wochen unheimlich rangeknackt .. .’, da fand ich das weder steif noch förmlich, noch sonst was.“


Wo man singt, da lasse dich ruhig nieder, böse Menschen haben keinen Jagger

„Und singen können die auch noch was andres als nur diese Spanienlieder, die sie so oft singen, vielleicht zu oft – man fühlt sich dann oft ausgeschlossen und weiß nicht so recht, warum die sich da so reinsteigern. Hendrix und Mick Jagger hätte man an dem Abend jedenfalls fast für Vereinslieder von denen halten können, und viele wissen Bescheid bei Musik, kennen Country Joe, den frühen Alexis Korner und Texte von Jefferson Airplane und Leo Kottke auch“ (Letzteren kennt nicht einmal das MSZ-Kollektiv. D. V.)


Wie Spartakisten so sind: Zart im Bett, hart gegen das Mittelalter

„Ach Scheiße. Was soll's. Wir machen doch keinen Polit-Leistungstest, sondern eine ganz gewöhnliche, tausendmal ablaufende Aufnahme in eine marxistische Organisation, etwas, was doch eigentlich gar nichts besonderes ist, obwohl es noch viel gewöhnlicher werden müßte. Warum bin ich eigentlich nervös? ... Dabei sind die Spartakisten doch gar nicht so verkniffen und ideenlos, wie es manchmal den Anschein hat ... so ein Spruch wie »Zart im Bett, hart gegen das Mittelalter« hat bei den Historikern schließlich ein Spartakist in den Fahrstuhl gepinselt ... Viele wissen, daß, wenn man alles erkannt hat mit Klassen und Klassenkampf, Monopolen und sozialistischem Ziel, das noch längst nicht heißt, daß man selbst schon so weit ist, auch für sich so zu leben, eigene persönliche Praxis auf der Höhe der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu machen.“


Zum Beispiel Kuddi: ein Ehrenmann

„Kuddi zum Beispiel ... mußte erst nach dem zwölften Alt zum erstenmal pissen und von da ab nach jedem weiteren, lächelte mit freaky eyes und kaum eine Frau mochte ihn nicht ... und führte bei uns den Begriff »Hühnchen anmachen« ein, wenn es um Frauen ging. Die DDR-Vasallen des Spartakus machten gleich »Broiler anmache«’ draus, was ja schon bedeutend netter klingt.“ (Was ist denn das schon wieder? MSZ-Kollektiv) „Wenn man ihn (Kuddi) einmal angestochen hat, richtig ehrlich mit ihm geredet, dann merkt man, daß er ein ungeheurer Ehrenmann ... Er ist so anständig und macht sich wenigstens nicht lustig über einen, wenn man dann kotzt.“


Der SPARTAKISTENREPORT (I.Teil): Mit dem Teil in die Tiefe

„Wie sieht es wohl mit der Liebe aus? ... Ja, ich war auch mal mit einer Spartakistin zusammen, mit Ulrike, ... sie begegnete mir dabei weniger als Teil der Organisation ... Als ich mit Ulrike zum erstenmal schlief, hatte ich noch den Adorno-Satz: »Geliebt wirst du einzig, wo schwach du dich zeigen kannst, ohne Stärke zu provozieren«, an der Wand hängen, unter dem Bild von Hieronymus Bosch“ („Der Garten der Lüste“ läßt sich aus dem Kontext erschließen, MSZ)  „ ... Mir kam das alles ungeheuer tief vor, und ich mochte Tiefe, besonders wenn ich mit Frauen redete.“


Der SPARTAKISTENREPORT (II. Teil): Die Faust in der Achselhöhle

„Ulrike war so, daß man sich nicht scheute, das Wort »Liebe« zu gebrauchen. Ich hatte vorher nie so geliebt und bin, glaube ich, erst durch diese Beziehung erwachsen geworden. Mit Ulrike konnte man stundenlang im Regen stehen und über seine Eltern philosophieren. Ich denke gern an den 1. Mai. Kundgebung, Frühschoppen, Demonstration und am Abend viel Wein getrunken und den ganzen Tag mit Ulrike zusammengewesen. Es war schön, neben ihr herzugehen auf der Demonstration beim Singen von ,Brüdern zur Sonne zur Freiheit’ nur zuzuhören, wie alle singen, denn singen kann ich nicht. Das ist ein echter Komplex von mir. (Verständlich, angesichts der zentralen Bedeutung des Gesanges im Vereinsleben des MSB; andererseits zeugt es von großer Liberalität des MSB, daß Bernd Gabler dennoch aufgenommen wurde. MSZ-Kollektiv) ... Also beim Singen nur zuhören und nebeneinander hergehen, sich anschauen, an den Nacken fassen, in so eine Stimmung kommen, daß man Achselhöhlen wieder ungeheuer toll finden kann ...“

Exkurs zur Frauenfrage

„In der Küche war Ulrike nicht so wie manche Frauen, die Männer nur zu subalternen Tätigkeiten wie Zwiebelschneiden und so einteilen, dennoch gab es auch bei uns das ungeschriebene Gesetz, daß der den Tisch deckt, der weniger gekocht hatte ... Alltag und Liebe zusammenbringen, welch’ phantastische Aufgabe ...“


Der SPARTAKISTENREPORT (III. Teil): Die tröstende Hand am Abflußrohr

„Obwohl es schön ist, wenn man plötzlich jemanden beim Kaffeekochen einfach ungeheuer toll und schön finden kann und sonntags mittags mittendrin mit Spülen Schluß macht und bumst und dann hinterher Me-ti liest, besonders die Stelle mit der Frau. Man sieht schon, Idylle ist eine Gefahr. Wir haben viel geredet und gespielt. Ulrike spielt den Bohrer in die Tiefe des Innersten, knackt die verhärteten Schalen, und ich spiele den Abwehrer, den Verdränger ... Ulrike dreht sich um und will getröstet werden, damit sie dann die streichelnd tröstende Hand abwehren kann, leise, aber nur ja nicht nachgiebig, aber auch nicht einfach lästig sagen kann: ,Ach, laß mich’. So haben wir in uns gebohrt wie im verstopften Abflußrohr, uns geaalt in der Hängematte unserer Schwermut, den Sumpf des Masochismus mit Tiefe verwechselt ... wir wußten um alles und besonders um den weiten Weg von Einsicht bis zur Praxis. Und machen wollten wir viel zusammen.“
(Hier bricht der Abdruck in den „Roten Blättern“ leider ab. MSZ-Kollektiv)


Aus der Begründung der Jury

„Um Mißverständnissen vorzubeugen, Bernd Gabler erhält den ersten Preis nicht wegen des Themas, auch wenn das eine Rolle spielt, sondern vor allem wegen der hohen Qualität der literarischen Bearbeitung ...“

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Die Sache hatte ein Nachspiel. Der solchermaßen auch in der MSZ gewürdigte Laureat nahm diesen Artikel offenbar zum Anlaß, ein ganzes Buch gegen die MG anzuregen und ein Jahrzehnt später herauszugeben, in dem er diesen Verein als Verkörperung des Klassenfeindes darstellt. Das Buch ist übrignes genau so schlecht, wie es die hier abgedruckten Stellen erwarten lassen.

 

aus: MSZ 8 – 1975

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