Der Schah in der Presse:

Die Druckfahnen nach dem Winde …


Die Zeiten, wo man morgens die Zeitung aufschlug und darin zumindest noch so etwas wie ein moralisches Abwägen dessen, was in der Welt so geschieht, vorfand, sind für's erste vorbei. Es herrscht der eine bedingungslose – dementsprechend schamlose – Standpunkt: Was nützt „unserem“ Staat? Bedingungslos meint, daß sich einem Journalisten angesichts zunehmender Feindschaft, die der wachsenden Großmacht BRD in der Welt begegnet, zunehmend das kleinste Wenn und das kleinste Aber verbietet, wenn er die Stellung seines Staates zu den „Problemen“ in der Welt im vorteilhaftesten Licht darzustellen hat.

Das Vorbild der BILD-Zeitung ist eingeholt und stillschweigend anerkannt: die Berichterstattung ist von präziser Einseitigkeit, so daß Nachrichten, die für das Fortkommen der BRD weniger wichtig erscheinen, erst gar nicht auftauchen, die anderen Nachrichten hingegen gleich so aufbereitet sind, daß sie das staatsbürgerliche Herz im richtigen Takt schlagen lassen.


Leichenshow

Ein Journalist geht über Leichen, natürlich immer mit dem ruhigen Gewissen, daß er sie nicht produziert, sondern nur kommentiert. Kommentieren heißt, die Leichen daraufhin zu untersuchen, ob sie für die Staatsgeschäfte nützlich oder schädlich sind, was darum ein sehr schwieriges und umständliches Geschäft ist, weil die Leichenproduktion in fernen Ländern stattfindet, auf deren Regierungen einzuwirken dem Journalisten sein angeblich dünnes Stimmchen verunmöglicht. Auf Basis der Gewißheit, daß er seinen staatstreuen Senf in zeitungsmässig aufgemachter Form zu allem hinzuzugeben hat – was manchmal eben auch das Verschweigen einschließt –, dabei aber an den Übeln in keinster Weise beteiligt ist, kann ein solcher Schreiberling es sich gelassen erlauben, nach dem Sturz des Schahs und wissend, daß man jetzt an Khomeini nicht vorbeikommt, bedauernd auf die „Opfer des Massakers am Schwarzen Freitag in Teheran“ zurückzublicken. Derselbe Journalist sah sich vor dem Sturz des Schah und wenige Tage nach eben diesem Massaker bemüßigt, erstens zu bezweifeln, ob überhaupt ein Massaker stattgefunden und nicht eine notwendige Polizeiaktion („die Zahlen scheinen übertrieben“), zweitens die trauernden Perser darauf hinzuweisen, daß sie sich in ihrer Trauer nicht so maßlos, also würdelos aufführen sollen, war doch für ihn, den Journalisten, noch gar nicht heraus, ob dieses Massaker nicht recht nützlich für den Iran unter dem Schah, also die BRD, sein könnte:

„Die Frage ist zunächst, ob sich der Deckel, selbst (!) mit den Mitteln brutaler Unterdrückung wieder auf den Kessel drücken läßt.“ (SPIEGEL, 12.9.78)

Nachdem das Resultat feststeht –

„Des Schah Tragödie: Als er den Druck vom Kessel nahm, flog der Deckel weg“ –,

die Gründe benannt waren:

„Brutale Repression: Die Wirksamkeit des Savak ließ nach!“ (SZ, 16.9.78),

auch letzte Ratschläge nicht griffen –

„Die Revolte gegen das, was der Schah in seiner Verblendung betrieb, war so stark, daß selbst (!) an Militärputsch nicht mehr zu denken war“ (SZ, 13.2.79) –,

weiterhin die Staatsräson gebot, den neuen Machthaber nicht durch ungeschicktes Reden zu verärgern –

„Der Ayatollah Khomeini ist nicht der Mann, den man im Westen wählen (!) würde, könnte man (!) die Zukunft des Iran nach eigenen Wünschen und Wertvorstellungen bestimmen. In der Politik, in den Beziehungen zu anderen Staaten zumal (!), sollte man nicht dem nachhängen, was man gerne hätte, sondern dem, was man haben (!) kann. Persien ist schon schlechter regiert worden, als von dem islamischen Moralisten Khomeini: von diebischen Ministern, von einer folternden Geheimpolizei, vom Schah“ (ZEIT, 4,2.79) –,

ist es das Diktat der Stunde, nicht nur nicht dem Schah länger „nachzuhängen“, sondern ihn mit aller Macht fertigzumachen.


Kaiserfledderei

Angesichts dessen, daß man ihm seine Macht geschenkt und über Jahrzehnte finanziert hat, sind nun größere Geschütze angemessen. Die nachsichtige, halb zum Durchhalten ermahnende, halb auf den Abgang vorbereitende Betrachtungsweise während des allmählichen Sturz des Schah – er ist ein armes Würstchen, dem die Ereignisse über dem Kopf zusammenschlagen, der nur das Gute will und dabei unglücklicherweise mal zu brutal, mal zu wenig brutal vorging, schließlich gar „die Armee gegen das Volk mobilisieren mußte (!)“ (SPIEGEL, 21.8.78) –, diese Betrachtungsweise weicht radikal der Denunziation des Schuldigen: der Schah war immer schon ein hohlköpfiger, schwachsinniger, machtbesessener, neurosenverseuchter, infantiler Potentat, und man kann sich nur an den Kopf langen, wenn man sieht, daß es ihm tatsächlich gelang, 37 Jahre sein Regiment auszuüben:

„Seine unsichere, zwischen Brutalität und Nachgeben schwankende Reaktion“.

„Der Schah wurde von seriösen Biographen stets als labiler Charakter beschrieben.“

„Der Schatten dieses Supervaters, eines 1.98 großen Hünen, tollkühn, jährzornig, gerissen und brutal, ist in dem widersprüchlichen Bild des heutigen Persienkaisers eine wichtige Komponente, vielleicht die wichtigste.“

„Die CIA führte seinen Waffentick auf Neurosen aus der Kindheit zurück; der Schah »wolle es der Welt schon zeigen«“.

„Sein Größenwahn ließ ihn übersehen, daß zur inneren Entwicklung und äußerem Protzentum das Geld denn doch nicht reichte. Milliarden wurden sinnlos verschleudert.“ (SPIEGEL und SZ)

Und die größte Gemeinheit, die er sich je erlaubte, war, daß er die Welt erfolgreich über Jahrzehnte hinter's Licht führte:

„Die ganze inwendige Hohlheit des Schah-Regimes zeigte sich jetzt in einem Maße, daß Verwunderung darüber aufkommt, wie das kaiserliche Persien solange über die Brüchigkeit seiner Fassaden täuschen konnte.“ (SZ, 13.2.79)

Wenn so ein Eliteschreiber heute angeekelt auf den trostlosen Schutthaufen dort unten schaut –

„Das Persien, an dem alle jahrzehntelang gut verdient haben, diese obszöne Mischung aus Öl, Farah Dibah und Savak“ (igitt!), „ist endgültig dahin“ (Stern, 8.2.79) –,

dann hat er nicht nur den Nerv, offen herauszuschreiben, daß es das „jahrzehntelange gute Verdienen“ war, was noch jede „obszöne Mischung“ rechtfertigte, sondern er macht auch gleich noch den hiesigen Mann auf der Straße, den Regenbogenpressesüchtling, mitverantwortlich, daß der Staat nicht frühzeitig hinter die brüchige Fassade schaute und die Einsetzung einer Austauschfigur von sich aus und dann friedlicher betrieb. Letztlich waren es doch die kleinen Leute, die am Schah am meisten profitiert haben:

„So hoffen wir inständig, daß wenigstens die Regenbogenpresse nicht vergißt, was sie dem Traumpaar verdankt. Gerade jetzt wäre eine bewegende Schicksalsstory zu schreiben. Wenn der Schah matt ist, sollten die Verleger-Bauern samt dem Springer wie ein Turm vor der Dame stehen, auf deren Pferd sie lange genug mit Gewinn gesetzt haben.“ (SZ, 24.2.79)

Diese Sorte von Selbstironie hat natürlich mit Obszönität nichts zu schaffen, schon allein deswegen, weil einerseits in der Presse die pikanten Details hinter das kühle Abwägen der Weltlage zurücktreten müssen, und andererseits der Schah ohne staatsmännische Belastung als überzeitlich tragische Figur ohne Vorbehalt zur moralischen Erbauung zu gebrauchen ist.

Angesichts der Vereinsamung der MSZ in der Presselandschaft müssen wir jedoch – auch der Fairneß halber – darauf hinweisen, daß es zumindest noch ein Blatt gibt, das sich noch ein Fünkchen Anstand in der Schreibmaschine bewahrt hat:

„Als er noch mächtig war, haben sie ihn umworben und umschwärmt. Die Regierungen fast aller Länder der Erde suchten die Gunst des Schah ... Jetzt ist der Schah allein. Spanien will ihn nicht haben. Präsident Carter findet kein Wort des Bedauerns. Bonn, London, Paris – wohin er hört, eisiges Schweigen. Den Schah überrascht das vielleicht, den normalen Bürger nicht. Er weiß aus seiner kleinen Welt: Wenn du in Not bist, sind die meisten Freunde verschwunden.“ (BILD)

Doch auch diese Zeitung beugt sich den Realitäten –

„Warum soll es einem Kaiser anders ergehen?“ –

und bringt so die Welt auf ihre Weise in Ordnung.

 

aus: MSZ 28 – April 1979

zurück zur Startseite