Italien

Parteiengunst und Wählerhader


Es hatte alles so gut angefangen: DC und PCI überboten sich als Parteien der Ordnung in der Terrorismusbekämpfung, indem sie den Terrorismusbegriff extensiv auslegten und führende Leute der spontaneistischen Autonomia Operaia einlochten, weil sie in ihren Zeitschriften und Büchern die „Sabotage der kapitalistischen Produktion und den militanten Widerstand gegen die Institutionen des Staates“ propagiert hatten, was ja für einen Staatsanwalt {noch dazu, wenn er wie der padovanische Procuratore Maggiore (= Oberstaatsanwalt) Pietro Calogero der PCI nahesteht} ausreichend die Anklage begründet, ,,Subversion gegen den Staat“ und folglich Unterstützung der Roten Brigaden betrieben zu haben. Doch daß die Kalkulation mit der Transformation des enttäuschten Materialismus der Italiener in ihre Begeisterung für einen ordentlichen Staat bzw. in Wählerstimmen für die jeweilige Ordnungszelle nicht aufging, zeigte sich – sehr enttäuschend für die kommentierenden Journalisten – bereits während des Wahlkampfs: Die Massen zog selbst ein Zaccagnini oder Berlinguer nicht auf die Piazzas – schon ausgesprochen unverschämt von den Südländern, ihrer ,,Parteienverdrossenheit“ zu frönen statt sich die immergleichen Versprechungen und Beschwörungen der „nationalen Einheit“ (die für die einen unbedingt Mitregieren mit Ministern in einem Kabinett der „Nationalen Solidarität“ bedeutet, für die anderen ganz im Gegenteil ihre Erfüllung findet in der parlamentarischen Unterstützung der eigenen Regierungsgewalt) anzuhören.


Unmündige Bürger

Da war doch zumindest die Gewißheit ein schöner Trost, daß die Italiener offenbar (so wollten es alle und auch die Demoskopie) ihren Mißmut mit der Parteienkungelei um Posten und Macht, die entgegen der landläufigen Annahme noch immer zu einem funktionierenden Gewaltapparat des Staates führte, in einen ,,eindeutigen Denkzettel“ für die PCI umzusetzen gedachten. Und damit ist die bürgerliche Beurteilung des Wahlausgangs auch schon bei ihrem wichtigsten Resultat: Die PCI hat ,,erstmals seit 1948“ wieder Stimmen verloren! (Ein eindeutiges Bravo den Italienern!) Nur (diese saublöden Itaker!): Auch die DC mußte – statt der erhofften Stärkung und somit vereinfachten Regierungsbildung gegen die PCI – „Stimmenverluste hinnehmen“. Da sie dies jedoch bloß in den großen Städten mußte (wo es mithin zwei große Wahlverlierer gab), wird alles so weitergehen wie bisher.

Ein Ergebnis haben die Wahlen allerdings gebracht: Hinsichtlich der Schuldfrage an Italiens „Dauerkrise“ sind die Wähler als die Angeklagten ermittelt. Diese haben einen eklatanten Mangel bezüglich der geforderten staatsbürgerlichen Umsicht erkennen lassen. Anstatt das entschlossene Aufräumen mit dem Terrorismus und der politischen Unsicherheit denen zu honorieren, die es verantwortlich immer noch am besten besorgen, also der DC, bewiesen die Italiener ihre Unmündigkeit als Bürger durch eine undifferenzierte Abkehr vom Gerangel der großen Parteien, indem sie der Radikalen Partei zu einer Verdreifachung ihres bisherigen Stimmenanteils von 1,1 % verhalfen (und damit zu 18 Abgeordneten, von denen alle, inklusive Kommunisten, eine „permanente Obstruktionspolitik“ im Parlament befürchten) und ansonsten ihre Stimmen an die abgetakelten bürgerlichen Miniparteien sowie das linksradikale PDUP/Manifesto ,,verschenkten“. In einem Lande, in dem das höchste Staatsbürgerrecht als gesetzmäßig dekretierte Pflicht zur Wahl existiert, gilt die Sorge nun der ,,Unvernunft“ der Wähler – vor allem aber jener ominösen „3. Partei“, also jenen Leuten; die sich die Freiheit herausnahmen, erst gar nicht zu den Urnen zu schreiten (4,2 Millionen) bzw. leere oder ungültig gemachte Stimmzettel abgaben (1,5 Millionen). Nicht vorzustellen, was man mit diesen Stimmen für schöne Koalitionen hätte basteln können ...

 

aus: MSZ 30 – Juli 1979

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