Wer säuft hier ab?


Getreu dem Rat des SPIEGEL „vorlaute Publicity“ in diesem brisanten Bereich gefälligst zu unterlassen, zog sich die Orbital Transport- und Raketen AG (OTRAG) aus den Schlagzeilen, die sie mit ihren Raketenstarts im afrikanischen Busch bevölkert hatte, zurück und vermeldet nur mehr in Kleinanzeigen den Stand der Geschäfte.


Durchaus dezent darum auch eine Todesanzeige, in der kürzlich der Tod „einiger Mitarbeiter und Freunde“, die bei einem „Bootsausflug in Zaire verloren“ gingen, angezeigt wurde. Klug wird darin weggelassen, daß der Ort des tragischen Geschehens das eigene Firmengelände war, welches sich über 100 000 Qkm in der zairischen Provinz Shaba erstreckt, und worüber die OTRAG nach dem Muster des Panama-Vertrags praktisch die staatliche Souveränität ausübt. Daß es sich dennoch hier um eine übertragene, also auch widerrufbare Souveränität handelt, mußte die OTRAG im Frühjahr dieses Jahres erfahren, als ihr durch die zairische Regierung weitere Raketenstarts untersagt wurden, mit denen sie „im nächsten Jahrzehnt einen Markt von 100 Milliarden Mark“ zu erobern gedachte.

Insofern drängt sich die Frage auf, ob das Absaufen einiger Mitarbeiter nicht den Zustand des ganzen Unternehmens signalisiert. Denn wie will ein kapitalistisches Unternehmen sich über Wasser halten, wenn es nichts Verkaufbares produzieren darf.

Andererseits zeugt die Todesanzeige davon, daß die OTRAG lebt, auch wenn ihre Existenz gegen die Gesetze der freien Marktwirtschaft zu verstoßen scheint.

Ein höheres Wesen haucht ihr Geld und Leben ein: das Angebot der OTRAG, die technische Konzeption der V2 zur friedlichen Serienreife zu entwickeln, mochte der Rechtsnachfolger der ursprünglichen Auftraggeber nicht ausschlagen, und ließ, getreu dem Buchstaben und Geist der WEU-Verträge von 1954, die die Entwicklung und Produktion militärisch verwendbarer Raketen in Deutschland verbieten, das Werk eben außerhalb Deutschlands fortsetzen. Die staatlichen Gelder, die u.a. zweckgemäß als „Forschungsmittel zur Hochdruckvergasung von Kohle“ vergeben wurden, wofür sich die OTRAG mit dem „Angebot“ revanchiert, das „staatliche Entsorgungsproblem zu lösen“, indem sie den ganzen Krempel in den Weltraum schießt, brachten nun zwar – trotz leitender Mitarbeit Peenemünder Fachleute – nur zwei Fehlstarts hervor und Proteste der Nachbarn Zaires. Trotzdem muß das Unternehmen kein Fehlschlag sein. Denn daß die Sache mit den „Billigraketen“ kaum klappen würde, war den Bonner Experten im vornhinein klar, und auch der „große außenpolitische Schaden“ in Gestalt der Publicity der Sache wurde schnell beseitigt, indem man durch Mobutu weitere Raketenstarts öffentlich verbieten ließ.

Ein riesiges Gebiet mit Uranvorkommen, ein Flugplatz für Zwischenlandungen südafrikanischer Maschinen, die damit von möglichen „Frontstaaten” unabhängig werden, und ein militärisches Testareal in deutscher (Privat)Hand machen – auch ohne gegenwärtige Raketenexperimente – die weitere Finanzierung lohnend. So erhält die BRD ihre OTRAG weiterhin als Abschreibungsgesellschaft, d. h. mit staatlichen Steuergeschenken („240 % noch für 1978 ... sie finanzieren ihre Beteiligung aus gesparten Steuern …“) und läßt sie, im Benehmen mit Giscard und den anderen Aufsichtsräten Zaires, ein Stück Sicherheit produzieren.

 

aus: MSZ 32 – Dezember 1979

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