CHRONIK

 

Ausländerprobleme in Westberlin:

„Massenschlägerei unter Türken“


Süddeutsche Zeitung, Berlin 6.1.1980

„Bei einem überfall rechtsgerichteter religiöser Fanatiker auf Angehörige des Türkischen Demokratischen Arbeitervereins sind am Samstag im Berliner Bezirk Kreuzberg ein Türke getötet und 17 andere zum Teil schwer verletzt worden ... Etwa 25 Mitglieder des Türkischen Demokratischen Arbeitervereins verteilten in der Nähe des Cottbuser Tores Flugblätter, in denen zu einer Demonstration vor dem türkischen Generalkonsulat aufgerufen wurde. Sie sollte sich gegen das als unverhüllte Bedrohung der Demokratie in der Türkei verstandene Ultimatum des Militärs zur Wiederherstellung der von politischen Gewalttaten gefährdeten öffentlichen Ordnung richten. Plötzlich tauchten aus einer naheliegenden Moschee etwa 50 (nach Angaben der Hürriyet 80) Mitglieder der „Nationalen Sicht e.V.“, die der rechtsgerichteten Nationalen Heilspartei (MSP) nahesteht, auf und fielen mit Messern, Latten und Eisenstangen über die Flugblattverteiler her.“


Der deutsche Staat

Nach Angaben verschiedener linker Gruppen, die gerade den Polizeifunk mitgehört hatten, beobachteten die Auseinandersetzung mehrere Staatschutzbeamte in Zivil, die über Funk ihre Kollegen von der Polizei aufforderten, nicht in Erscheinung zu treten, um die Observation nicht zu stören. Die Polizei erklärt zu den Vorwürfen, gerade in diesem Moment hätten sich zwei Funkkanäle gestört. Nach der Schlägerei hat sie auf jeden Fall einige Türken festgenommen, die Moschee durchsucht, in der Hiebwaffen gefunden wurden, und zwei Autos beschlagnahmt, in denen Schlagwerkzeuge gefunden wurden. Eine Sonderkommission von 15 Beamten zur Aufklärung des Tathergangs wurde gebildet und der Senat gibt an, daß geprüft werde, wer abgeschoben werden könne.


Die deutsche Öffentlichkeit

Weil sich unter den Gastarbeitern ein paar die Köpfe einschlagen, ist es wieder einmal Zeit, auf die Gefahren der Überfremdung in deutschen Städten und Landen (wieviel Prozent an der Gesamtbevölkerung?) und die mangelnde Integration hinzuweisen. Der unverfrorene Hinweis auf das „Gewaltpotential“, das in der „sozialen Zeitbombe“ schlummert, paart sich dabei stets mit der Heuchelei, sich die Sorgen der Ausländer zu machen. Das Bekenntnis zu mehr Integrationsanstrengungen, zu dem sich noch jeder Politiker bereit findet, wobei der Hinweis, daß man den ausländischen Kulturzusammenhang in besonderer Weise berücksichtigen muß, nie fehlt (in Berlin werden zur Zeit einige Polizeibeamte in türkischer Mentalität ausgebildet), gibt einen Hinweis darauf, wie man bislang mit dem ausländischen Arbeitsvieh zurande kommt. Ohne die staatsbürgerlichen Rechte ist es der Willkür des Staates ausgeliefert, der sein observierendes Auge auf den Leuten, die sich unliebsam hervortun, hat und abschiebt.

In der Vorstellung, daß es sich bei der Neuauflage des politischen Kampfes in der Türkei auf deutschem Boden um religiöse Fanatiker handelt, trifft sich das Urteil der aufgeklärten Presse mit dem allgemeinen Volksurteil, daß von den Türken in ihrer Rückständigkeit sowieso nichts anderes zu erwarten ist. Für den politischen Grund des Terrors der türkischen rechten Gruppen, die die Linken beseitigen, wo sie ihrer habhaft werden können, braucht man sich vom Standpunkt der bundesrepublikanischen Integration nicht zu kümmern.


Die Linken

haben auf der einen Seite wieder einmal recht behalten, daß sie vor den Faschisten gewarnt haben. Statt nun aber aus den Überfällen der Faschisten auf sie die Lehre zu ziehen, daß die Polizei sie dagegen nicht schützt, sondern observiert, wer von den Linken gleich mitabgeschoben werden kann, fordert sie zum wiederholten Male den Staat auf, etwas gegen die Rechten zu unternehmen. Die Auflösung des Rätsels, warum das Taschenmesser eines Linken ein Staatsschutzdelikt, das Waffenlager eines Rechten dagegen, sofern er keinen Waffenschein hat, unter den Straftatbestand des unerlaubten Waffenbesitzes fällt, sieht für sie immer noch so aus, daß der Staat auf dem rechten Auge blind ist, die demokratische Öffentlichkeit aber schließlich irgendwann mal auf wachen müßte.

Ein anderer Teil der Linken dagegen stellt fest, daß er was versäumt hat, wo doch die Art Auseinandersetzungen das einzige ist, was sie interessiert:

„Aber da gibt es noch dieses andere Deutschland, das wir nicht wahrhaben wollen, obwohl seine Bewohner Tür an Tür mit uns leben. Die deutsche Linke, sonst sensibel (!) für Gewalt der Gegenseite und für Militanz, hat einfach ignoriert, daß im eigenen Land ein Kampf stattfindet – ohne sie.“ (TaZ)

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Bremer Kaderschmiede 1980:

Kritische Beiträge zum Kulturimperialismus


„Wenn ich richtig unterrichtet bin, ist ihre Universität neu und kühn zugleich. Man hat mich wissen lassen, daß es nicht an Stimmen fehlt, die sie als revolutionär bezeichnen.“ (Dom Helder Camara, Bischof von Recife in Bremen)

Durchreisende wie der brasilianische Bischof Dom Helder, der mit einer Rede zur Dritten Welt 500 Uni-Angehörige für die Empörung begeisterte, daß der Imperialismus den Menschen dieser Weltgegenden jede Hoffnung und den Glauben an Gott Vater vermiest, gehören nebst revolutionären Wandmalereien immer noch zum gepflegten Image dieser Hochschule. Dazu wird auch in Bremen heutzutage „sinnvoll“, d.h. ordentlich studiert, und der neueste „Beitrag zum Befreiungskampf“ in Namibia in Gestalt eines Projektes „Politische Landeskunde Namibias“ in Zusammenarbeit mit dem UNO- Institut für Namibia erfreut sich hochoffizieller Anerkennung: 360 000 DM wollen der Senat und andere Institutionen dafür locker machen.


Neuer Geist durch alternatives Material

Dabei geht das Projekt mit der Entwicklungshilfepolitik hart ins Gericht: am Kulturabkommen zwischen der BRD und Südafrika ist dem federführenden Professor HINZ aufgefallen, daß das Auswärtige Amt bei seiner Stipendienquote schwarze Studenten gegenüber den weißen benachteiligt. Dagegen ist der Projektleiter mit seinen Freunden der Meinung, daß solche „rassistische Handhabung im Erziehungswesen“ korrigiert gehört, indem man sie einfach umkehrt:

„Andererseits ist dem namibischen Volk nur dann wirklich gedient, wenn es die Bundesregierung nicht dabei bewenden läßt, sondern ihre kulturellen Anstrengungen unter geänderten Vorzeichen und diesmal mit den richtigen Adressaten fort setzt.“

Das Hauptanliegen des Vorhabens besteht darin, neue Geschichtsbücher zu schreiben:

„Das Interesse, eine derartige Landeskunde Namibias zu schreiben, ist geprägt vom praktischen Bedürfnis, im Schulunterricht alternatives Material zu dem zu haben, was in Namibia wie auch bei uns genutzt wird und mehr oder weniger ... vom Geist der Apartheid bestimmt ist.“

In einem sind sich die wissenschaftlichen Kritiker des Imperialismus offenbar einig: kritikabel ist diese Form weltweiter Herrschaft zunächst und vor allem darin, daß sie noch heute zumindest dem Geist vergangener Methoden ihrer gewaltsamen Unterwerfung des Erdballs anhängt. Oder anders ausgedrückt, daß sie ihrer eigenen Abschaffung im Weg steht, weil sie heute die kolonialistische Vergangenheit von gestern noch nicht bewältigt hat:

„Sicher ist es nicht nur bremische, sondern deutsche Aufgabe, die eigene kolonialistische Vergangenheit zu bewältigen und damit (!) einen Beitrag zur Befreiung der vom Kolonialismus betroffenen Welt zu leisten.“

Zum aufgeklärten anti-kolonialen Geist des Namibia-Projektes gehören daher so niedliche Urteile der Pädagogik über schwarze Kinder, die aus Schrott Edelspielzeug mit viel Phantasie fabrizieren, wie das folgende:

„Die Sachen beweisen, daß die afrikanischen Kinder trotz (!) dunkler Hautfarbe sehr helle sind.“ (M. Michaelis)


... eminent praxisbezogen

Natürlich hat in diesem Zirkel auch eine Anti-Apartheid-Bewegung ihren Platz, die den Überresten des Imperialismus = Kolonialismus daheim auf der Spur ist: beim Rundgang durch die Stadt ist ihnen eine Lüderitz-Straße sauer aufgestoßen, weil der im Namenszug der Straße genannte Bremer Großkaufmann mit Bismarcks Geld und Soldaten Süd-West kolonisiert hat. Da beide tot sind, wurde man mit dem Recht einer von ihrer schmutzigen Vergangenheit zu reinigenden Gegenwart beim Amt für sowieso vorstellig, um die Straße vom Kolonialismus zu säubern und sie nach einem Befreiungskämpfer namens Nelson Rolihlahla Mandela benennen zu lassen.

Noch bevor die „Politische Landeskunde Namibias“ durch das Projekt erstellt ist, darf man sicher die Prognose wagen, daß sie ein unschätzbarer Beitrag zur Modernisierung des Kulturimperialismus sein wird.

Perspektivisch umfaßt der Bremer Beitrag für den „Befreiungskampf“ folglich auch die Unterstützung der UNO bei ihrem Bemühen, daß für die „befreiten“ Schwarzen rechtzeitig eine kompetente schwarze Mannschaft bereit steht, die sie im Zaum hält:

„Das Institut, ein Forschungs- und Lehrzentrum, in dem die Bedingungen für einen lebensfähigen demokratischen Staat Namibia untersucht und qualifizierte Arbeitskräfte für die Administration ausgebildet werden, braucht dringend Partner ...“ (Demokratische Hochschule, 13)

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Gesamtdeutsche Woche in Würzburg:

Befreiung statt Freikauf?


Seit Lothar BOSSLE an der Universität die Demokratie erforscht und verteidigt, ist Würzburg nicht mehr einfach nur eine konservative Provinzuni. Dank der Attraktivität und Aktivität dieses Mannes ist Würzburg mittlerweile auch so eine Art rechte politische Narrenecke in der BRD geworden, in der sich all diejenigen heimisch fühlen, die sich, wie BOSSLE, trotz des Blühens und Gedeihens der Demokratie hierzulande in Sorge um deren Bestand schier verzehren. Kein Wunder deshalb auch, daß in Würzburg ein Ereignis über die Bühne ging, das so „erstmals in einer deutschen Universitätsstadt” stattfand: die HSU, Rechtsableger des RCDS, führte eine „gesamtdeutsche Woche” durch. Und zwar nicht nur mit Infoständen in der Stadt, an denen Unterschriften für die „Menschenrechte aller Deutschen” gesammelt wurden. Wie es sich für ein derart einmaliges Ereignis geziemt, führte die HSU auch eine „Großveranstaltung” zu eben diesem Thema durch. Diese war dann zwar nicht sehr groß, dafür aber zweifellos außerordentlich aufschlußreich. Denn sie bewies wieder einmal, daß es noch lange nicht dasselbe ist, wenn zwei dasselbe tun.

So stellte Gerhard LÖWENTHAL, der seiner Rolle als „nimmermüden Einzelkämpfer gegen roten Konformismus” wieder einmal voll gerecht wurde, in seiner Eröffnungsrede gleich klar, daß die Frage der deutschen Einheit mit Aggressivität gegenüber dem Osten natürlich nichts zu tun habe, sondern ganz einfach eine „Rechtsposition” des Grundgesetzes sei. Und das ist ja schon mal interessant. Denn als die DDR früher noch Wiedervereinigungskampagnen veranstaltete, war dies ja ziemlich genau umgekehrt: Da wurde nämlich das Aufwerfen dieser Frage gerade als aggressiver Versuch, sich die BRD einzuverleiben, gegeißelt. Bei solchen Sachen kommt es wohl ganz auf den Standpunkt an. Deutlich wurde dies auch, als Gerhard LÖWENTHAL wieder einmal die Praxis des Häftlingsfreikaufs durch die DDR aufs Korn nahm:

„Warum soll man da Phantasiesummen für jeden Häftling bezahlen. Dabei haben wir nicht einmal Einfluß darauf, wer rüberkommt.”

Denn daß LÖWENTHAL sich hiermit wieder einmal dafür aussprach, die BRD-Regierung sollte sich darum sorgen, daß auch die Richtigen aus DDR-Gefängnissen herauskommen, wirft ja nicht nur ein bezeichnendes Licht auf das Menschenrechtsengagement dieses Mannes, sondern ist insofern auch lustig, als LÖWENTHAL selbst sonst nicht müde wird, den Umstand, daß die DDR bei Amnestien eine Auswahl unter Gefangenen trifft, als inhuman zu geißeln.

In der Veranstaltung der HSU zeichnete sich aber nicht nur LÖWENTHAL durch eine gewisse dialektische Sichtweise der Welt aus; auch Professor NITSCHE verblüffte durch eine solche, indem er bei der Darlegung des persönlichen Leids, das ihm in der DDR widerfuhr, vor allem Wert darauf legte, die Tätigkeit der Staatsorgane in der DDR als willkürlich und ungesetzlich hinzustellen. Das ist ja nicht gerade glaubwürdig. Warum sollte auch der DDR-Staat ein Problem damit haben, die Gesetze, die er sich doch selbst gegeben hat und die deshalb sicher auch nicht in Widerspruch zu seinen Zwecken stehen, einzuhalten? Daß Herr NITSCHE dennoch versucht, den Leuten dies weiszumachen, beweist nur, daß dieser Mann in Sachen Gesetzlichkeit eben einen Unterschied machen will zwischen dem Handeln der Staatsorgane hier wie auch drüben. Kein Wunder deshalb auch, daß Herr NITSCHE im Zusammenhang mit der Schilderung der Isolationshaft, die er in der DDR erleiden mußte, nur „lachen” konnte über Klagen hiesiger „Terroristen” über Isolationsfolter, denn – wie eingangs schon gesagt – es ist für gewisse Leute eben nicht dasselbe, wenn zwei dasselbe tun.

 

aus: MSZ 33 – Januar 1980

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