Ideologische Aufrüstung:

Krieg – Vater aller Tugenden


,,In heutiger Zeit füllen sich die Ränge der Armeen mit Zivilisten, die keine Berufssoldaten, Berufsseeleute oder Berufsflieger sind und es auch nie werden wollen. Sie sind gebildet, können denken, haben ein eigenes Urteil und sind kritisch. Sie wollen wissen, was geschieht, was der Befehlshaber von ihnen verlangt, warum sie es tun müssen und wann – und sie wollen davon überzeugt sein, daß der Truppenführer in ihrem Interesse handelt und sie ihm vertrauen können. Natürlich wollen sie den General auch sehen, um sich ein persönliches Urteil über ihn zu bilden. Wenn man alle diese Punkte berücksichtigt, wird die Kampfmoral gut sein. Aus dem Gesagten geht hervor, daß es in der Kriegsführung eine menschliche Seite gibt, die leider bisher oft vernachlässigt worden ist.“
(B.L. Viscount Montgomery of Alamein, A History of Warfare)

Wenn ein feinsinnig-intellektueller Ex-Inspekteur der Bundeswehr als offiziell bestellter Bestandaufnehmer der inneren Lage der Armee zu dem Schluß gelangt:

„Die Bundeswehr arbeitet zwar funktional und technisch effizient, das menschliche Klima ist jedoch kühler, zuweilen sogar kalt geworden. Die Kriegserfahrung lehrt jedoch, daß der Mensch für den Kampfwert wichtiger ist als technische Vollkommenheit.“ (U. de Maiziere)

der Kriegsminister daraufhin besorgt seinen Soldaten mehr Wärme befielt:

„Der Frust in der Truppe muß abgebaut werden. Die Kälte muß weg! Der Mensch und die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung müssen im Vordergrund stehen!“ (Hans Apel) –

dann ist diese Sorge, der Mensch käme beim Waffenhandwerk zu kurz, nichts anderes als die vom Standpunkt der Truppe ausgedrückte Ideologie, daß, wenn es um den Menschen geht, gerade der Krieg dem Wertvollsten an ihm zum Durchbruch verhilft. Es spricht für den wieder erreichten Stand des öffentlichen Bewußtseins und den erfolgreich absolvierten Übergang von der Nachkriegszeit zur Normalität eines Staates wie der BRD, daß die bewährte Gleichung wieder uneingeschränkte Anerkennung findet und auf allen Ebenen des geistigen Lebens der Nation dargestellt, diskutiert und wissenschaftlich begründet wird, der zufolge der Soldat menschlich sein muß, und der wahre Mensch ein Soldat ist.

Es ist noch nicht so lange her, daß die anerkannte Linie literarischer Bewältigung des verlorenen Krieges um die Aussage kreiste, daß Krieg etwas ganz Entsetzliches sei, das einen Haufen Elend über die Leute bringe, die Menschenwürde im allgemeinen gefährde, was bei der Gestaltung von Helden in den Anti-Kriegs-Romanen der frühen Nachkriegszeit so konkretisiert wurde, daß sich bei ihnen die Menschlichkeit angesichts des Grauens bewährte. Fazit: Nie wieder Krieg! Daneben gab es die Landser-Heftchen. Ihr unbestreitbarer, durch Millionenauflagen bestätigter Erbauungswert bestand durchaus zeitgemäß darin, an der Schilderung diverser Scharmützel aus der Sicht der kämpfenden Truppe, die – ganz gleich ob Angriff, Verteidigung oder Rückzugsgefecht – immer mit happy end, d.h. tapfer ausgingen, die überlegenen soldatischen Fähigkeiten des deutschen Wehrmachtkämpfers zu demonstrieren. Dies gestattete dem angegriffenen Nationalismus deutscher Menschen, in der aufgrund dem eigentlichen Kampfgeschehen fremder Umstände eingetretenen Niederlage wenigstens moralische Siege zu feiern, wenn es ihnen als Besiegten schon versagt blieb, die Moral des Sieges auszukosten. Diese Sorte Nationalismus war zwar nicht die damals offiziellerseits gewünschte – gelegentlich wurden allzu umstandlose Glorifizierungen tapferer Obersturmbannführer als jugendgefährdend indiziert – dennoch war sie keinesfalls isoliert: in den erfolgreichen Illustriertenserien („Einen besseren findest du nicht ...“!) wurde dasselbe moralische Credo zelebriert, angereichert um die Liebe in und um die Schützengräben, was das mehr jugendliche Landser-Publikum weniger interessierte.


Mensch und Kampfwert

Anno '79 feiern die alten Geschichten auf allen literarischen Ebenen der Öffentlichkeit eine Renaissance auf neuer Grundlage: nicht mehr der Bewältigung des alten Krieges dienen die Epen vom Afrikafeldzug, sondern der Diskussion der aktuellen Frage, was den Kampfwert eines Menschen bestimmt, aus welchem Holz Soldaten geschnitzt sein müssen, die ihren nationalen Auftrag erfüllen können. Was Männer dafür schon von Natur aus mitbringen, berichtet eine Reporterin im STERN (Nr. 47/1979):

„Die Männer, das sehe und spüre ich, bewegen sich auf einem Terrain, das ihres ist, seit der erste Jäger auf Beute auszog. Schon wie sie das Gewehr halten. Die Waffe scheint ein Teil ihres Körpers zu sein. Und wie sie ihren Körper einsetzen. Als hätten sie ein besonderes Öl in den Hüften und Kniegelenken. Dazu die spähenden Blicke aus schmalen Augen. Filmreif. Da zieht Alexander der Große nach Asien, Hannibal über die Alpen und John Wayne nach Alamo. Seit Jahrtausenden sitzt ihnen diese Rolle in den Knochen; die Rolle des Täters, des Vollstreckers, des Siegers.“ (Auch ein Argument gegen die Wehrpflicht der Frauen!)

Für das einfache Volk erzählt die BILDZEITUNG zur Zeit die Abenteuer und Erlebnisse des ,,kleinen Quast“ – inzwischen auch als Bestseller erhältlich – seinen Überlebenskampf im Rußlandfeldzug, nicht im Ton jenes öden Happy-end-Heroismus der Landser-Heftchen, sondern als realistische Schilderung des Schicksals einer

„verlorenen, verratenen, geschundenen Generation, die bei alledem dennoch – und gerade – Mensch bleibt.“

Und fürs Wochenende gibt's in BILD AM SONNTAG die aktuelle Kriegsserie, zuletzt die „Jochen-Marseille- Story“. Der Witz – und damit die zeitgemäße Verwendbarkeit – dieses mit 158 Abschüssen im Afrika-Krieg erfolgreichsten Luftkriegs-Helden des 2. Weltkrieges hat BamS (Titel der Story: „Der Playboy mit dem Ritterkreuz“) darin erfaßt, daß er eigentlich gar kein Held ist, sondern ein junger Lümmel wie du und ich:

„Wenn es um Bruchlandungen, große Sprüche, Mädchen und Disziplinarverstöße ging, war er der Größte! Als Jagdflieger dagegen galt er eher als Niete, – sechs Disziplinarstrafen in der Personalakte, der »älteste Oberfähnrich der Luftwaffe«, ein Verfemter und Unruhestifter zudem, den kein Verbandsführer hatte haben wollen,“

der freilich – wie du und ich – nur darauf gewartet hat, daß er endlich mal eine Chance bekommt, seine Talente zu entwickeln, ohne daß ihm ständig irgendwelche Bürokraten-Vorgesetzen reinreden.

„Er träumte, wie alle jungen Leute träumen: besser zu sein als die anderen, ein Könner, ein ganz Großer zu werden! Es war Krieg, und der 21-jährigen Hans-Joachim Marseille, er hatte nichts anderes gelernt. Daher mußte er vom Abschießen träumen. Und vom Krieg, für den er nichts konnte.“

Übrigens absolut saubere Träume – Marseilles Rottenführer Ludwig Franzisket, der es mit dieser Vorbildung verdientermaßen inzwischen zum deutschen Professor gebracht hat und der „um keinen Preis Kriegsbücher lesen mag“ demonstriert als Personality-background-Lieferant der BamS-Story, daß er solche Lektüre auch gar nicht mehr nötig hat:

„Der Krieg in der Wüste war sehr hart, – aber es war auch ein »sauberer Krieg«: in Nordafrika wurden keine Wohnviertel zerbombt und keine Zivilisten umgebracht! Man schoß nur auf Soldaten, die zurückschießen konnten. Wer schneller schoß und besser traf, überlebte.“

Wie um die Zeitgemäßheit so lehrreicher Stories wie der des Jochen Marseille zu demonstrieren, veröffentlicht BamS als auf Seriosität bedachtes Organ der Massenunterhaltung, das nichts bringt, wofür nicht wirklich die Zeit reif ist, parallel auch noch einen Auszug aus den unter dem Titel „Vom Frieden“ (Clausewitz, 2. Band) soeben erschienenen Memoiren des Ex-Bundeswehr-Ministers Georg Leber, die dieser – Mann des Volkes, der er ist – mit seinen Landsergeschichten aus dem Rußlandfeldzug beginnt. Schließlich bedarf es der Anerkennung, daß endlich auch einmal ein führender Sozialdemokrat und Gewerkschafter sich nicht nur zu seinen Erlebnissen im und mit dem Krieg als solchem bekennt, sondern sie auch unbefangen als Erlebnisberichte vor dem Publikum ausbreitet – natürlich mit der entsprechenden philosophischen Quintessenz:

„Der Krieg war hart und grausam. Ich wußte an diesem Morgen, daß ich in der Nacht einen Beweis dafür erhalten hatte, daß es auch im Grauen des Krieges noch etwas gab, was anzeigte, daß es Menschen waren, die ihn gegeneinander führten.“

So weit Leber, der in einem von deutschen Truppen überfüllten Etappenort in Rußland ohne sein Wissen in einem Partisanenhaus beherbergt und nicht umgelegt wurde. Ob er die Identität seiner Wirte dadurch rausgekriegt hat, daß sie enttarnt und ihrerseits umgelegt wurden, steht nicht in BamS.

Die eigenartige Logik solcher Statements – der Krieg war sauber, weil in der lybischen Wüste keine Wohngebiete bombardiert und angeblich keine Zivilisten massakriert wurden, sondern sich vorbildlicherweise nur Soldaten wechselseitig und bei strengster Beachtung der Haager Landkriegskonvention umbrachten, weswegen der Krieg zwar grausam, aber ungemein menschlich abgewickelt werde konnte – diese Logik ist in sich so eindeutig wie die übrigen Lektionen der wiedergeborenen Kriegs-Philosophie fürs Volk. Sie entdeckt an dem Menschen die Tugenden, die ihn erst wahrhaft zum Menschen machen, indem sie ihn absehen lassen von allen schnöden materiellen Interessen, vor allem dem am eigenen Leben, von allen vordergründigen Ansprüchen, die dem auf seine private Existenz fixierten Individuum den Blick fürs Ganze verstellen. Wo in der Tat des Einzelnen, im Heldentum des kleinen Mannes wahre Menschlichkeit im Kriegsgeschehen sich nicht nur menschlich-wärmend, sondern militärisch erfolgreich durchsetzt, da treten die handfesten Zwecke des Staates im Krieg – Vernichtung von Bevölkerung und Reichtum der gegnerischen Nation – in den Hintergrund und so notorisch unpopuläre Sachen wie die Bombardierung von Wohngebieten stören nicht den Blick aufs Große und Ganze.

Angesichts der realen Perspektiven, für die sich die Staaten rüsten mit Ausbau ihrer overkill-capacity im Rahmen von SALT II und „Gleichgewichts“-Aufrüstung der NATO, sind die verfilmten Gruselphantasien der ökonomisch-ökologisch-atomaren Katastrophe, wie sie vor Jahrzehnten im Schwange waren – nach außer Kontrolle geratenem Strahlenexperiment eines hybriden Atomforschers entstandene Riesenameisen (Tarantu – und Godzillas) bringen den Goldschatz von Fort Knox in ihre Macht o.ä. – ebenso nur noch komisch, wie die Apokalypse-Stories der Endfünfziger Jahre & la größenwahnsinniger General/US-Präsident/KPdSU-Chef drückt im Anfall geistiger Umnachtung/Tobsucht/Trunkenheit auf den roten Knopf, der die Welt in eine radioaktive Wüste verwandelt, nur noch ein mildes Lächeln hervorrufen. Von dieser Sorte Katastrophensszenarien, deren gemeinsamer Nenner jedesmal war, daß es da immer noch den Apparat des Staates gibt, der – ggf. zusammen mit ein paar beherzten Männer und Frauen – seiner eigentlichen Bestimmung gemäß die ohne sein Zutun drohende/inganggekommene Katastrophe verhindert/unter Kontrolle bringt, unterscheidet sich die moderne realistische Weltkatastrophen-Unterhaltung, wie sie derzeit Hochkonjunktur hat, auf bemerkenswerte Weise.


Authentisches vom nächsten Krieg

Nicht nur ist der 3. Weltkrieg rundheraus das Thema, Action-„Szenarios“ der einschlägigen Literatur, ob sie nun gleich von amtierenden oder pensionierten Generälen verfaßt wurde (Sir John Hackett, Der Dritte Weltkrieg. Hauptschauplatz Deutschland; Guy Doly, Die sechste Kolonne), von spezialisierten ,,Militär“-Journalisten (wie das „Dossier“ in der „Zeit“ vom 26.10.79 „Greifen 1984 die Russen an?“) oder von einem einschlägigen Autor des Dokumentar-Thriller-Genres wie Frederick Forsyth („Des Teufels Alternative“) stammt, stellen dazu auch durchaus geringe Anforderungen an die Phantasie des an den auswärtigen Angelegenheiten seines Staates anteilnehmenden Bürgers.

Die Attraktion dieser Sorte gehobener Unterhaltung ist nämlich ihre penible Authentizität. Alle berufen sie sich auf die gleichen veröffentlichten, nicht veröffentlichten und geheimen Angaben aus NATO- und US-Kreisen (lediglich im Datum des bevorstehenden Ereignisses differieren sie leicht: Forsyth 1982, „Zeit-Dossier“ 1984, Hackett 1985), und es gibt wirklich keinen Grund, an der Korrektheit ihrer Angaben zu zweifeln.

So ist es nicht mehr das fesselnde Fertigwerden des staatlichen Machtapparates selbst mit unvorhersehbaren Katastrophensituationen, Sondern der Reiz liegt in der Vorhersehbarkeit des Ablaufs durch getreue Reproduktion der authentischen politisch-strategischen Kalküle von NATO/USA und UdSSR. Der öffentliche Fortschritt vom Grausen über den unberechenbaren Expansionsdrang der mordenden, sengenden, vergewaltigenden Bolschewistenrotten etc., über das „Overkill-Potential“ der Nuklearwaffenarsenale hin zur Popularisierung der kühlen SALT II-Rechnereien, um die es in dieser modernen Unterhaltungssparte geht, ist nicht gering zu schätzen. Da wird endlich wieder ausgesprochen, daß jeder Staat, also auch die UdSSR, nun einmal durchaus rationale – und also auch als legitim anzuerkennende – Gründe hat, einen Krieg anzufangen, weshalb die eigene Seite halt sich so vorbereiten muß, daß sie möglichst selbst entscheiden kann, wann ein Krieg ansteht, statt reagieren zu müssen.

Deshalb kommt es für die Stories auch gar nicht so sehr darauf an, daß die Sache wirklich zum Krachen kommt. Die Militärjournalisten-Autoren des ,,Zeit-Dossiers“, Robert Kaiser und Walter Pincus, ebenso wie Frederick Forsyth in seinem neuen Reißer, verzichten gerade darauf, den 3. Weltkrieg ausbrechen zu lassen, indem sie die Russen nach aufreibendem Nervenkrieg mit sorgfältigem Vorrechnen des wechselseitigem Erst- und Zweitschlagspotentials, der Auswirkungen von Atomschlägen auf „hard“ und „soft targets“ (= Raketenstellungen bzw. Städte des Gegners) etc. angesichts der letztlichen westlichen Rüstungsüberlegenheit verantwortungsvoll vor einem Krieg zurückschrecken und sich mit der zweiten Geige in der Welt begnügen lassen. Solche Leute gelten übrigens heutzutage als Friedensfreunde, die „die Hysterie der Strategen ad absurdum führen“ und „Schreckensvorstellungen der Fachwelt auseinandernehmen“ (Theo Sommer in der „Zeit“ über Kaiser/Pincus und Forsyth), indem sie ein paar Größen in der Kalkulation anders (= „realistischer“) bewerten.

Aber auch Sir John Hackett, der den Krieg stattfinden läßt – abgesehen von einem etwas hergeholten nuklearen Schlagabtausch am Schluß gegen Birmingham und Minsk übrigens ohne Atomwaffen, nur mit der Gesamtheit des sonstigen „konventionellen“ inkl. chemischen Potentials – fällt hier durchaus nicht aus dem Rahmen. Bei ihm stellt sich halt als Ergebnis der dreiwöchigen Feindseligkeiten heraus, daß die Russen sich verrechnet haben q. e. d.


Ein Alptraum, aber keine Katastrophe

Als einer, der mit seiner Kriegsstory die anstehende Abrechnung sich ereignen läßt, hat er sich natürlich auch ein paar Gedanken zu machen gehabt über die Moral der beteiligten Bevölkerung, an und mit der die Staaten ihr strategisches Kalkül auszählen. Leseproben:

(Nach dem ersten blutigen Scharmützel zwischen US- und SU-Truppen einige Tage vor dem »Ausbruch« des Krieges:)
„Mit besonderer Sorge warteten die Regierungsbehörden auf die Reaktion des Volkes. Zu ihrer Erleichterung und Überraschung war das Ergebnis nicht Entsetzen oder Furcht, sondern Wut und Stolz. Wut über die Leiden, die der Bombenangriff hervorgerufen hatte, aber auch ein Aufwallen von Stolz bei dem Schauspiel, als die sowjetischen Truppen in Schach gehalten wurden und sich sogar zurückzogen.“


(Frontbericht aus Niedersachsen, 1. Kriegstag:)
„Ein harter Schlag traf den Leopard II an der Seite, und anstatt zu beschleunigen, schlingerte er und blieb stehen. Klaus spähte nach unten in den Turm. Er schien voll Blut und Fleischklumpen. Es roch scheußlich verbrannt. ...
Nur noch wenige der Männer, die in diesen mit Urgewalt ausbrechenden Kampf hineingeraten waren, hatten schon einmal entfernt Vergleichbares erlebt. Das donnernde Getöse, die verheerenden Explosionen, die Teppiche und Fontänen aus Flammen, die quellenden schwarzen Rauchwolken, die Verwirrung, Bestürzung, der Geruch von Blut und Sprengstoff, von dem einem übel wurde, die brutale Ungewißheit und vor allem (genau!) dieser schreckliche, entnervende Lärm eines modernen Schlachtfeldes – all das brachte die Männer an den Rand panischer Furcht. ... Einige erst vor kurzem einberufene Reservisten und sogar einige langgediente Berufssoldaten waren dieser plötzlichen, übermenschlichen Belastung nicht gewachsen. Gelegentlich breitete sich in einer NATO-Einheit Unsicherheit und Furcht wie eine ansteckende Krankheit aus, sie brach einfach auseinander und löste sich auf – aber das geschah nicht oft. Der Mensch paßt sich auch an die erschreckenden Zustände auf dem Schlachtfeld schnell an, vor allem, wenn ein Auftrag zu erfüllen ist, den er kennt und auf den er sich versteht und für den er die richtigen Mittel hat; dies ganz besonders, wenn er es unter guter Führung und in der Gemeinschaft von Kameraden tut. Der erste Tag war ein Alptraum – aber bei weitem keine totale Katastrophe.“


Der Krieg im Dienst des Höheren

Sir John macht es sich zweifellos etwas einfach mit der Kampfmoral der Leute im Westen, was aber durchaus nicht der Haupteinwand seiner Kritiker war – die an ihm vielmehr diverse die Plausibilität vermindernde Berechnungsfehler nachwiesen. Sein Schmöker hätte sich auch kaum so lange auf der Sachbuch- (trotz der) zahlreichen belletristischen Einlagen – s. o. – eine im ganzen zutreffende Einordnung)-Bestsellerliste gehalten, wenn es nicht genug Anhaltspunkte dafür gäbe, daß es wirklich so einfach ist.

In der höheren Abteilung des geistigen Lebens der Nation, bei den Wissenschaftlern, wird der Krieg als günstige Bedingung für soziale, psychische und sonstige Emanzipationsmöglichkeilen diskutiert. Dies schließt nicht aus, daß ein Philosophieprofessor aus Hannover namens Friedrich Wilhelm KORFF bei einem Starfighter-Flug einen vorwissenschaftlichen Orgasmus erlebt, und diesen, dank des glücklichen Umstands, nicht zur Absturzstatistik dieses Fluggeräts beigetragen zu haben, dem Wochendfeuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ zum Abdruck überläßt. Leseprobe:

„Die Kurvenradien sind bei der F-104 enorm. Wer sie verringern will, ohne Geschwindigkeit zu verlieren, muß in die g-Belastung und wird der radialen Last entsprechend in den Sitz gezogen. Sich zusammenkauern, Atem anhalten und pressen, wie eine Schwangere die Wehen unterstützt, ist die einzige Möglichkeit, das aus dem Gehirn gefallene Blut wieder hochzudrücken. In den Sitz gehämmert, erlebe ich Ethik, Pflicht, Strafempfinden, deutsche Eigenschaften, immer nahe dem Mentalausfall. ... Mein Körper reguliert Belastungen, die er vorher nicht kannte. Der Blutdruck wird angehoben, Adrenalin ausgeschüttet, Streßreserven werden freigemacht, und wo ich mein Herz fühle, ist ein gellendes Loch. Allein die Mühe, den Kopf nach hinten zu drehen, verursacht mir Übelkeit. Aber ich bin glücklich.“

Und sie ist dort auch wirklich am Platze. Denn einmal handelt es sich hier schließlich um Philosophie, zum andern im Unterschied zur Trivialliteratur der Landser-Romane eindeutig um Literatur. Dazu noch ein Beleg:

„Der Gashebel fällt nach vorn und rutscht links außen in die Stellung des Nachbrenners. Ein Schlag in den Rücken, wir rasen los. Das Hochgefühl der Kraft, wie bei einer Umarmung, hält an, das Atmen fällt schwer, Zähigkeit des Denkens und wie Honig dichte Luft.“

Für die eigentliche Textanalyse ist deshalb auch die psychologisch zweifellos interessante Frage, ob Herr Professor Korff, nachdem ihm im startenden Starfighter wie beim Vögeln zumute ist, sich auch beim Vögeln wie ein startender Starfighter fühlt, nicht unbedingt eine weiterführende. Wichtig ist allein, so darf man den Philosophen verstehen, die Empfindung des eigenen Menschseins in der Höchst-/Grenzbeanspruchung des eigenen Körpers/Geistes = „aber ich bin glücklich“, sowie die Erkenntnis, daß in unserer hochtechnisierten Welt zumindest die modernen Kriegsmaschinen da an Erlebnis- und Empfindungswert noch einiges zu bieten haben.

Der unbestreitbare Vorteil dieses Geräts liegt darin, daß im Ernstfall der Staat hier jedem eine Chance gibt, durch Höchstbelastung in ,,Grenzzonen“ der Individualität vorzustoßen, während die Strapazen, die man sich selber beim 8000-er Besteigen ohne Sauerstoffgerät, beim Ein-Mann-Weltumsegeln etc. antut, diese höchster, aller Gefühle doch immer nur für Einzelgänger reserviert, die sich's leisten können.


Der II. Weltkrieg – ein Managerseminar?

Die Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst bis zur Selbstaufgabe im Dienste höherer Zwecke, derzeit als bestes Rezept zur Selbstverwirklichung verklärt, ist zwar durchaus das klassische Tugendideal, das zum bürgerlichen Gemeinwesen gehört. Und hier ist in den letzten Jahrzehnten in der BRD einiges nicht mit der nötigen Selbstverständlichkeit behandelt worden. Verdienstvoll also die Zeitschrift „Psychologie heute“, die dem Manager-Vermittler Maximilian SCHUBART ihre Spalten öffnet, damit er folgenden Vorschlag zur Behebung des Mangels an qualifizierten leitenden Angestellten unterbreiten kann:

„Das Dritte Reich hat die Menschen in ein Gemeinschaftsdenken gezwungen, auch wenn sie es gar nicht wollten. Der Krieg mit seiner Schrecklichkeit hat Menschen zusammengeschweißt, hat bestimmte Verpflichtungen ganz knallhart herausgestellt. Die Sorge, die ich habe, daß wir eine 30jährige Friedenshypothek abzuarbeiten haben. Was uns fehlt ..., sind jene elementaren Grunderlebnisse mit Leben und Tod, uns fehlt letzten Endes der Krieg.“

Hier wird ein verklärtes Bild des Managers ausgemalt, das vom Gemeinschaftsdenken geprägt sein soll, um die Kriegstugenden, die in der Schlacht den Menschen schweißen, für die Nachwuchsproduktion dieses Berufsstandes einzusetzen.

Auf einer Veranstaltung der Werner-von-Siemens-Stiftung wird zum Thema „Der tabuierte Ernstfall“ ganz tabufrei konstatiert:

„Drüben hat man ein klares Feindbild ... das heißt ein ganz hartes, auf Konfrontation, auf Vernichtung gestelltes Feindbild. ... Wir sind gesellschaftspolitisch nicht in der Lage, Haß zu kultivieren, Haß zu produzieren und Haß in die Herzen der Soldaten zu setzen. Das wird wahrscheinlich erst zwingend sein in dem Augenblick, wo der militärische Krieg, der Ernstfall ausbricht.
Eine andere Frage ist, ob wir die Ideen, die es zu verteidigen gibt, so stark machen können, daß als automatische psychologische Reaktion die Bereitschaft kommt, daß man dafür nun zu allem bereit ist, daß man also nicht sagt, und das ist die große Frage, daß man nicht sagt, »lieber rot als tot«, sondern daß man vielleicht wieder sagt »lieber tot als rot«.“

Paul CARELL, ehemaliger Erfolgsautor von Illustriertenserien (,,Unternehmen Barbarossa“) propagiert die Bereitschaft, das eigene Leben dranzugehen, gleich in einer für den Staat BRD unmittelbar nützlichen und nötigen Form, indem er sich keine Zurückhaltung bei der Benennung des Gegners auferlegt, für dessen Vernichtung der letzte Einsatz verlangt ist. Für den Krieg braucht man einen bestimmten Menschen: nur noch darüber, wie dieser Todschlags- und totgeschlagenwerden-Typ aussieht, räsoniert die Wissenschaft im demokratischen Pluralismus. Der gemeinsame Nenner noch aller Überlegungen ist die Gewißheit, daß sie alle menschlichen Tugenden, auf. die man Wert legt, gerade im Krieg optimal entfalten.


Aus Stahlgewittern der solidarische komplexfreie Mensch

Am Besten bringen die Psychologen diese Staatsbürgeranthropologie auf den Begriff. Sie haben nämlich entdeckt, daß, je mehr es zugeht in dieser unserer Leistungsgesellschaft, je mehr der Konkurrenzkampf tobt, desto mehr der Mensch in den konkurrierenden Individuen (und nicht etwa ihr Staat, der dieses Treiben organisiert), den Krieg braucht. Erich FROMM liefert dazu den zeitlos aktuellen ewig menschlichen Part:

„Der Krieg bewirkt bis zu einem gewissen Grade eine Umwertung aller Werte. Er bewirkt, daß tiefeingewurzelte menschliche Impulse wie Altruismus und Solidaritätsgefühl zum Ausdruck kommen – Impulse, die durch den Egoismus und den Konkurrenzkampf des modernen Menschen in Friedenszeiten unterdrückt werden. Klassenunterschiede verschwinden ganz oder doch in beträchtlichem Maße. Im Krieg ist der Mensch wieder Mensch, und er hat die Chance, sich auszuzeichnen, ohne daß ihm sein sozialer Status als Bürger Vorrechte einräumt. Akzentuierter ausgedrückt: der Krieg ist eine indirekte Rebellion gegen Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Langeweile, wie sie das gesellschaftliche Leben in Friedenszeiten beherrschen.“ (Erich Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität, Stuttgart 1974)

Seinem Kollegen Horst-Eberhard RICHTER, immer schon einer der flinkesten Verfolger des Zeitgeists, bleibt es vorbehalten zu verkünden, daß es hier und jetzt soweit ist: daß die gottes- komplex-beladene Zivilisationsmenscheit in ihrem eigensten Interesse die „ökonomisch – ökologisch – atomare Weltkatastrophe“ braucht, um wieder zu sich zu finden:

„Bisher waren es stets nur Naturkatastrophen und Kriege, die über die traditionellen sozialen Barrieren hinweg kooperative Solidarität in großem Rahmen hervorzurufen vermochten. Nun sieht es so aus, als seien wir nicht mehr weit von einer globalen Notlage entfernt, die in der Tat alle psychischen und sozialen Abwehrmechanismen unseres kulturellen Allmachts-Ohnmachts-Komplexes aufbrechen könnte. Das Gespenst einer ökonomisch-ökologisch-atomaren Weltkatastrophe könnte sich als der gemeinsame Riesenfeind erheben, demgegenüber wir uns plötzlich alle aufeinander angewiesen und voneinander abhängig fühlen würden.“

Hinsichtlich der Natur und näheren Umstände der anstehenden Reinigungskatastrophe braucht der Psychologe durchaus nicht konkreter zu werden. Kommt es ihm doch schließlich darauf in keiner Weise an, sondern allein darauf, seine Weltsicht unter die Leute zu bringen, daß die verstockte Menschheit in ihrem Hochmut ihre eigentlichen menschlichen Tugenden psychisch verdrängt und verschüttet hat, weshalb sie eigentlich eine globale Elektroschocktherapie bräuchte, um zu sich, d. h. zu seinem ekelhaften Psychologenideal vom Menschen zu kommen.

Was die Realisierung des fälligen kathartischen Schocks angeht, so verläßt sich die Wissenschaft hier ganz auf die Politik. Ihre Wunschutopie konkretisiert sie jedoch im Hier und Heute: an den Männern des Geistes soll es nicht liegen, ob der Körper der Truppe, die in die nächste menschliche Bewährung geschickt wird, auch vom rechten Geist beseelt ist.

 

aus: MSZ 32 – Dezember 1979

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