Immer auf Achse, der Henry


Wenn der Mann, der allein in seiner Amtszeit 350 000 Meilen geflogen ist, nach seiner Amtszeit keine Gelegenheit ausläßt, um zwischen den Flügen über sein Amt, dem er nicht mehr vorsteht, laute Überlegungen anzustellen – wenn also Henry Kissinger die Eröffnungsworte zum Weltkongreß der Reiseunternehmer spricht, dann tut er das nicht bloß für Geld, sondern um auch diese Tribüne zu nutzen für einen „außenpolitischen Exkurs“. Und was man da so zu hören bekommt, das haut so manchen von den Socken!


„Regierungsmitglied im Exil“

Denn überfallartig verblüffte er das Publikum gleich mit der Erklärung, daß er „nicht mehr der Regierung der Vereinigten Staaten angehöre“ und die ,,Delegierten daher (!) keine Aussagen zur aktuellen Außenpolitik seines Landes erwarten durften“. Daß er jetzt das Maul hält und sich über Möglichkeiten der Verbesserung des Komforts im Reiseverkehrs widmen würde, hatte allerdings niemand von ihm erwartet. Schließlich wollte er ja nur betonen, daß er für gewisse Formen gegenwärtiger amerikanischer Außenpolitik die Verantwortung nicht trage, sie aber wohl wieder übernehmen müsse, wenn die Welt nicht untergehen soll, und deshalb redet er nur über die Notwendigkeiten der amerikanischen Außenpolitik:

„Die Sowjetunion habe in den vergangenen Jahren ihre Militärausgaben bis zu einer deutlichen Überlegenheit der Atomwaffen, von denen Tausende auf Europa gerichtet sind, gesteigert. Die westlichen Staaten mit ihrer ausgeprägten Tendenz, möglichst nichts zu verändern, hätten die Ausgaben dagegen konstant gehalten, wenn nicht gar verringert. »Stellt man diesen Sachverhalt in aller Öffentlichkeit dar, dann wird man beschuldigt, Vertrauen zu untergraben«, sagte er.“ (Süddeutsche Zeitung)

Und der Saal tobte – wie überall, wo der Agitproptraveller Henry auftrat und solch tiefsinnige Sprüche klopfte. Es ist eben ein gewaltiger Unterschied, ob der Heini K. am sonntäglichen Stammtisch bierernst zum x-ten Male in die beifällig nickende Runde brummt: „De Russn butzn uns weg wia nix, wanns so weida gähd!“ oder ob ein deutsch-amerikanischer Harvard-US-Ex-Außenminister-Chase-Manhattan-Consigliere denselben Kalten-Kriegs-Gemeinplatz in nicht einmal schöne und ebenso wenig komplizierte Form bringt und vielsprachig radebrechend – „Ich spreche keine Sprache ohne Akzent“– multimedial von sich gibt. Und nur weil er jetzt Reserve-Praktiker der Macht ist, führt man sich seine Kalauer als bedeutsame Kritik an dem, der sie praktiziert, zu Gemüte – ganz so als würde Klein-Jimmy blauäugig und unerfahren nur reden, anstatt Waffen zu bauen, die den eigenen Worten erst Gewicht und Sprengkraft verleihen:

„Die westliche Welt solle jederzeit zu Verhandlungen bereit sein (SALT III), aber erst nachdem ein echtes Gleichgewicht geschaffen sei. Wollte die amerikanische Außenpolitik dem Ostblock gegenüber am Prinzip des Gewährenlassens weiter festhalten, dann sei die seit vier Jahren zu beobachtende Ausbreitung des sowjetischen Einflusses nicht mehr aufzuhalten.“ (ibid.)

Um aller Welt kundzutun, wie das empfindliche Gleichgewicht der Weltpolitik durch einen Künstler der Politik feinfühlig austariert werden muß, wirft er mit seinem Rezeptbuch der Geheimdiplomatie 1,3 Kilo Papier (zuviel) auf den Buchmarkt, um der Welt zu zeigen, wie souverän er die amerikanische Überlegenheit international ausgenutzt hat, ganz so, als hätten die USA ihre außenpolitischen und militärischen Siege der Überlegenheit Ihres Außenministers über seine Verhandlungsgegner und über seinen Dienstherrn im eigenen Haus zu verdanken. Logisch, daß da das Übergewicht der Amerikaner, die Trumpfkarte in der Hand des diplomatischen Hasardeurs Henry beim Machtpoker nicht aufgedeckt zu werden braucht, da die Kontrahenten eh wissen, wo die Trümpfe stehen. Logisch auch, daß die Voraussetzungen politischer Macht beim Memorieren nur die Verdienste dessen, der sie praktiziert, über Gebühr schmälern würde.


Gerissene Politiker ...

Als Schüler der Geschichte bedient sich der Memoirenschreiber der Technik des römischen Geschichtsschreibers Livius, der an den Qualitäten der den Römern unterlegenen Gegner, die virtutes romanorum pries, ohne von ihnen zu sprechen. Mit bewundernswertem Geschick spürt der Politpsychologe in US-Diensten an einem seiner durchtriebenen Gesprächspartner die aus jedem besseren Sozialkundebuch bekannten systemimmanenten Rassenmerkmale kommunistischer Russen auf:

„Er läßt sich nicht von persönlichem Ehrgeiz leiten. Sein Pflichtbewußtsein zeigte sich sehr deutlich an seinem Verhalten in jenen Tagen, in denen seine Frau lebensgefährlich erkrankte. Unbeirrt ging er weiter seinen täglichen Pflichten nach und nahm sogar ... eine Parade ab – er hatte eben erfahren, daß seine Frau gestorben war. Kossygin ist ein ausgezeichneter Menschenkenner – im sowjetischen System offenbar eine Voraussetzung fürs Überleben.“

Und dabei läßt er sich keineswegs nur von schematischen Vorurteilen lenken, sondern beweist bewunderungswürdige Fähigkeiten darin selbige auch zu differenzieren, so daß ihn seine Gegner durchaus auch dazu nötigen, ordinäre Politikerfähigkeiten als gefährliche Charaktereigenschaften zu bewundern.

So nutzte Breschnew „instinktiv die Neigungen, den Ehrgeiz und die Schwächen (Aber, aber!) seiner Gesprächspartner“ aus, während Kossygin das „kühlberechnend“ tat, da er ,,gewandter und gebildeter als seine Genossen“ war. Wenn man so sehr auf der Hut sein muß, dann ist es natürlich schon ein Affäre, überhaupt ins Gespräch zu kommen. Wenn zwei Regierungen was voneinander wollen, dann kann man nicht einfach einen Brief schicken und seine Wünsche kundtun, den Chinesen z.B.:

„Eine Folge der zwanzigjährigen Isolation aber war, daß wir nicht wußten, wie wir direkte Beziehungen zur chinesischen Führung aufnehmen sollten.“


... von Henry durchschaut ...

Angesichts der allgemeinen Ratlosigkeit war es Henry vorbehalten, den Gordischen Knoten nicht brachial zu zerschlagen, sondern diplomatisch aufzutauen. Er – bunter Hund bei allen Größen dieser Welt – machte sich auf und tauchte unter. Mit Sonnenbrille, hochgeschlagenem Mantelkragen, lancierten Enten, mehrmaligem Auto- und Flugzeugwechsel mogelte er sich auf dem nächsten Weg über Pakistan in die diplomatisch noch nicht existente Volksrepublik und schlug allen Schnüfflern dieser Welt ein teuflisches Schnippchen; sogar dem amerikanischen Geheimdienst: Henrys Leibbullen fuhr vielleicht der Schreck in die Glieder, als sie erfuhren, daß sie auf rotchinesischem Boden stünden! Derartig große Vorbereitungsschwierigkeiten lassen erahnen, welche Kniffligkeit und Diffizilität die Gespräche selbst erst für unseren Helden bereithalten. Die maskenhaft glatte Art der Chinesen, die Pikantheit der Beziehungen überhaupt – man konnte damals ja nicht wissen, wie die Russen reagieren, die Europäer die Neuigkeit aufnehmen würden! – und das Problem des kleinen Taiwan erforderten schon Spitzenleistungen der Diplomatie:

,,Wir brauchten eine Formel, mit der die Einheit Chinas anerkannt würde, ohne die Ansprüche Pekings oder Taiwans zu unterstützen. Schließlich formulierte ich die amerikanische Haltung so: »Die Vereinigten Staaten erkennen an, daß alle Chinesen beiderseits der Straße von Taiwan auf dem Standpunkt stehen, es gebe nur ein China. Die Regierung der Vereinigten Staaten stellt diese Haltung nicht in Frage.« Ich glaube, nichts von dem, was ich getan oder gesagt habe, hat Tschou mehr beeindruckt als diese zweideutige Formulierung, mit der beide Seiten fast zehn Jahre haben leben können.“

Großartig! Hier wird klar, warum Nixon nicht seinen Außenminister, sondern seinen außenpolitischen brainstormer ins Reich der Mitte schickte und letzteren auch noch mit der pikanten Aufgabe betraute, ersteren im nachhinein über seine neue Außenpolitik zu instruieren (Erst an solchen Stellen fällt es dem Leser wie Schuppen von den Augen, daß Henry, der die Außenpolitik managte, die meiste Zeit gar nicht Außenminister war – wie ungerecht!). Nichts von dieser Brillanz hat er verloren, wenn er egg-headed im deutschen und österreichischen Fernsehen auf deutsch die weltpolitische Lage haarscharf analysiert:

„In Angola haben die Kubaner die MPLA unterstützt; und ich glaube nicht, daß ein Land wie Kuba in der Lage ist, Weltpolitik zu machen!“ (Blinzel-blinzel)

und dann darum bittet, den schwierigen Zusammenhang in Englisch sagen zu dürfen, you know! Und das geht dann ungefähr so:

,,It comes upon, to strike to hairy exactly in the right moment. Like my big forrunner Metternich has put it in the famous sentence: It's now or newer!“


... dem Präsidenten zur Ehr

Solche Leuchten werfen Schatten! Und immer wieder ist Henry selbst es, der das Licht auf seinen Präsidenten wirft: Verzweifelt versucht er Time von den Vorhaben abzubringen, Nixon mit ihm zusammen zum Man of the Year zu machen. Nur mit der Drohung, ihn alleine dazu zu küren, konnten die Redakteure ihn abwimmeln.

So nutzt Henry jede Gelegenheit, daß Nixon, dem eigentlich nur die Ehre gebührt, „in den USA geboren und deshalb Präsident“ werden zu können, unverdientermaßen das Blitzlichtgewitter genießt, während der Vater des Erfolgs bescheiden in den Schatten tritt (K. bleibt im Flugzeug, bis N. vor den Augen der Welt allein Tschou die Hand geschüttelt hatte!), damit er nicht wegen der Eitelkeit seines Vorgesetzten außer Stande gesetzt werde, künftige Erfolge zu produzieren für einen Mann, dem angesichts der chinesischen Mauer die weltbewegenden Worte einfielen: „Die Mauer ist groß!“ Es wäre gar nicht nötig gewesen, daß Kissinger seine Urheberschaft noch durch eine Anerkennung Nixons unterstreicht:

„Selbstverständlich ist Nixon für das Kommunique verantwortlich, und ihm gebührt Anerkennung. Ein Präsident ist immer für die politischen Entscheidungen verantwortlich, gleichgültig, wer die technischen Vorbereitungen geleistet hat.“


Mut zur Weltmacht

Und so besteht wohl Henrys Könnerschaft und größtes Verdienst darin, daß er es schafft, in solch plumpen Understatements das Faktum, daß er Außenminister der Weltmacht Nr. 1 war und deren Potenz einsetzen konnte, sich als persönliches Verdienst anzurechnen, ja geradezu die Macht der USA als Resultat der eigenen Potenz bewundern zu lassen:

„Man (Nixon und Mao) scherzte über meine Freundinnen und darüber, wie ich sie dazu benutzte, meine Geheimreisen zu tarnen.“

Sein besonderes Geschick demonstriert Henry etwa darin, daß er es sich immer wieder leisten kann, seinem Gesprächspartner einen „lediglich kosmetisch veränderten Neuentwurf“ vorzulegen und abzuwarten, ob der Verhandlungspartner mit der „kosmetischen Korrektur“ den Unwillen der USA, ihren Standpunkt aufzugeben, endlich akzeptieren will oder mit weiteren Zugeständnissen dazu auffordert, mehr als nur kosmetisch nachzugeben. Die Urtugend des Politikers, Härte zu bewahren, wo man hart bleiben kann, beherrscht Henry nämlich wie kaum sonst einer. In eine der ,,heikelsten Situationen“ geriet der Diplomat, als Le Duc Tho beinahe allen Forderungen Henrys nachgegeben hatte, in der Hoffnung, die Amerikaner würden in Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen eine Ablehnung sich nicht mehr leisten können, da der Konkurrent Nixons in seinem Wahlprogramm schon mehr angeboten hatte, als die Vietnamesen jetzt forderten.

Wo Nixon sich des Wahlsiegs sicher

„Ein Erfolg in Paris würde uns bei den jungen Wählern nützen, gewinnen tun wir aber auch so.“

und auf eine Beendigung des Krieges nicht angewiesen war, ganz im Gegensatz zu Vietnam, stellte Henry sich als Spielball südvietnamesischer „Unverschämtheiten“ dar, um noch die letzten amerikanischen Forderungen durchzusetzen, indem er sie um 69 weitere (von Thieu vorgebrachte) ergänzte.

Wenn Dr. Kissinger hier einen seiner wenigen Fehler („Der erste Fehler, den ich zugebe, kommt auf S. 1000“) „eingesteht“, es sei ,,taktisch unklug“ gewesen, Thieus Forderungen zu präsentieren, da dies zu einer ,,Verhärtung“ und schließlich zum Abbruch der Verhandlungen geführt hätte, dann nur, um dem Dogma, daß große Persönlichkeiten auch Schwächen haben, kleine Schwächen eben, gerecht zu werden. Schließlich hat er erstens die „Frechheiten des Bündnispartners, für den man jahrelang Opfer gebracht hat“, taktisch geschickt eingesetzt, d. h. seinen Fehler, im Glauben, die doktrinären Vietnamesen würden nicht darauf eingehen, ein zu „großzügiges“ Angebot unterbreitet zu haben, wieder wett gemacht. Zweitens wurde Thieu – als die Sache für die USA gelaufen war – mit energischen Worten abgespeist, weswegen Henry drittens gar nicht weiterverhandeln wollte, weil er sich viertens im Besitz der Mittel wußte, Hanoi wieder an den Verhandlungstisch zu bringen, so daß ein Ergebnis Zustandekommen konnte, mit dem die „Ehre Amerikas und seine Glaubwürdigkeit vor der Welt“ demonstriert werden konnte. Zum Zwecke der Ermöglichung dieser Demonstration mußte man den Nordvietnamesen „an den. Verhandlungstisch bomben“. Gegen den Vorwurf, den Mut zu dieser staatsmännischen Entscheidung nicht gehabt zu haben, setzt Kissinger sich entschieden zur Wehr:

„Nixon erinnert sich, ich hätte eine Intensivierung der Bombenangriffe südlich des 20. Breitengrades und in Südlaos empfohlen, nicht aber eine Bombardierung bewohnter Gebiete, ich kann mich nicht daran erinnern, meine vielmehr, die Wiederaufnahme der Bombenangriffe im gleichen Umfang empfohlen zu haben, wie sie vor dem Oktober durchgeführt wurden, und zwar in ganz Vietnam. Die bewohnten Gebiete wollte ich nur (!) mit Jagdbombern angreifen lassen.“

Auch wir müssen Henry gegen den Vorwurf der Weichlichkeit in Schutz nehmen. Seine Antwort auf Nixons Beschwerde, daß Schulen und Krankenhäuser bombardiert und dabei viele Nordvietnamesen getötet würden, ist im Weihnachtsspiegel 1972 nachzulesen:

„Das aber genau ist doch der Zweck der Übung, Mr. President.“


Henry for Foreign-Office-Bundeschanceller-President

Deshalb sind wir auch der Meinung, daß die Spekulationen für welches Amt er eigentlich der beste Mann wäre, ausgesprochen unangebracht sind. Ein Mann

– der seine lange Nancy einsetzt, um das Verhandlungsklima zu verbessern (Mao soll sich bei ihrem Anblick XX XXkichernd einen Buckel geholt haben)

– der ganz öffentlich damit kokettiert, daß er seine Geliebten als Waffen geheimer Diplomatie benutzt

– der den ganzen Charme seines Zwergwuchses und seiner Riesennase zur Betörung von Golda und Indira XX XX XXaufbrachte

– der als erster Gast der Open-end-Diskussion des Ö II, diese nicht nur vorzeitig verließ, sondern auch noch Gräfin XXMary Dönhoff abschleppte

– der neben der Ehrenmitgliedschaft bei der SpVgg Fürth auch noch acht andere Jobs mit nichts als seiner XX XX XXPersönlichkeit ausfüllt

– Ein Mann, der dann auch noch Zeit hat, pausenlos um die Welt zu jetten, um mit dem amerikanischen XX XX XXMachtpotential anzugeben und es schafft, für dessen sachgemäßen Einsatz den Einsatz seines XX XX XX XX XXAusnahmeintellekts für unentbehrlich auszugeben

– Ein solcher Mann, der „sein geradezu erotisches Verhältnis zur Macht offen zugibt“ (SZ); so ein Mann kann und XXmuß einfach die Ämter, auf die es ankommt, alle auf einmal übernehmen!

 

aus: MSZ 32 – Dezember 1979

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