Auftakt zum „heißen Sommer“:

DGH – Ideale Hochschulreform


Die gewerkschaftlich Organisierten der VDS, gemeinsam, wenn auch leicht zerstritten, mit Basisgruppen, LHV und Jusos, haben der Bundesregierung und diversen Länderadministrationen einen „heißen Sommer“ der von ihnen entdeckten „neuen Studentenbewegung“ angedroht und bereits vor Sommeranfang damit Ernst gemacht. Im tiefen Süden und im hohen Norden der Republik begann der „aktive(!) Kampf(?)“ gegen die neue Phase der Hochschulreform und den mit ihr einhergehenden Angriff auf die letzten Annehmlichkeiten des ohnehin schon nicht mehr allzu lustigen Studentenlebens. Während sich die Aktivitäten in München allerdings bislang auf den Versuch einer „mehrstündigen Belagerung des Kultusministeriums“ beschränkten, bei dem – drei Straßen weiter – ein paar hundert Vertreter der „neuen Studentenbewegung“ den kritischen Gitarren gewerkschaftlich-orientierter Barden lauschten, kam es in Hamburg zu einem Streik, in dessen Verlauf der AStA die fortschrittliche Alternative zum HRG und zum LHG ausprobierte: die Demokratische Gegenhochschule (DGH).


Ein schöner Erfolg ...

Die AStA-Fraktionen eröffneten die erste Streikwoche mit der Versicherung, daß ihr Streik keinesfalls gegen die Ausbildung gerichtet sei, vielmehr im Streik die Studenten von der Ausbildung dadurch abgelenkt werden sollten, daß der AStA ihnen eine andere Ausbildung anbot:

„Ab heute schreiten wir nun zur Tat. Das heißt zunächst, daß alle Lehrveranstaltungen zwischen dem 9. und 20. Mai ausfallen werden! Das ist schon eine ganz schöne Leistung, aber es reicht nicht aus, »nur« wegzubleiben. Wir müssen mehr tun. Deshalb hat die Uni-VV ja auch beschlossen, den Streik mit der DGH auszufüllen.“ (MSB)

Damit die „schöne“ zu einer reifen Leistung wird, darf nicht nur gestreikt werden (Verweigerung der Ausbildung), es muß stattdessen erst recht ausgebildet werden, allerdings demokratisch:

„Die Kampfform der DGH trägt dazu bei, daß die Ergebnisse des Streiks, die Mobilisierung der Studenten z.B. langfristig bestehen bleiben. Spontane Empörung wird zur perspektivreichen Politik im Interesse der arbeitenden und lernenden Bevölkerung.“ (Konsequent-extra)

Was die DGH der „lernenden Bevölkerung“ eröffnet, ist also einerseits das Interesse der arbeitenden Bevölkerung, und da die Initiatoren der DGH wissen, daß den Studenten die Interessen der Arbeiter scheißegal sind (gerade um nicht Arbeiter werden zu müssen, rangeln sie um die Akademikerposten, mit denen sie später einmal die Ausbeutung bzw. Zurichtung des Nachwuchses für die Ausbeutung managen), verkehren sie den Gegensatz kapitalistischer Wissenschaft und Ausbildung zur Lohnarbeit in ein gemeinsames Interesse, wobei die „lernende Bevölkerung“ mit der Perspektive geködert wird, die arbeitende würde sich auch für sie einsetzen (das ist gewerkschaftliche Orientierung), so die Studenten nur demokratisch ausgebildet und mit volksfreundlicher Einstellung die Resultate ihrer Ausbildung anwenden würden. Folglich zielt die DGH mit ihrer „umfassenden Qualifikation“ auf die schöpferische Harmonisierung des wissenschaftlich gebildeten Kapital- oder Staatsfunktionärs mit den Interessen derjenigen, gegen die Staats- und Kapitalinteressen durchgesetzt werden. Der Münchner MSB lügt den Passanten auf dem Wege zur „Belagerung“ unverfroren vor, auch sie hätten dasselbe Interesse „an umfassend wissenschaftlich qualifizierten Hochschulabsolventen“ wie er, und kann dabei höchstens aufs Vorhandensein des gleichen falschen Bewußtseins im Volke spekulieren, das da meint, Lehrer dienten der Bildung der Individualität und nicht ihrer Zurichtung für die Erfordernisse der Konkurrenz, Ärzte der Gesundheit und nicht der Brauchbarkeit der Arbeitskraft, Betriebswirte dem Wohl „unserer“ Wirtschaft, Juristen der Gerechtigkeit etc. etc.


… im Sinne einer besseren Hochschulreform

Der ganze Einsatz für die DGH ist also der Versuch, den Staatsdemokraten die Konkurrenz von Volksdemokraten zu machen, die eine bessere Variante der Hochschulreform vorschlagen, welche sowohl die Zwecke staatlicher Ausbildung erfüllt („umfassende wissenschaftliche Qualifikation“) als auch die Zufriedenheit der Studenten bewirkt („unbürokratisch“):

„Indem die Hochschule während der zwei Streikwochen de facto von demokratischen Kräften selbst verwaltet und geleitet wird, wollen wir die Richtung deutlich machen, in die eine demokratische Reform (und nicht eine reaktionär-bürokratische) des Hochschulwesens in der BRD ablaufen müßte.“ (DGH-Vorlesungsverzeichnis)

Für den AStA ist es 1. eine ausgemachte Sache, daß die Reform der Hochschulen eigentlich im Interesse der Studenten liegt, weshalb er 2. dem HRG und LHG anlastet, daß sie diesem schönen Reformzweck zuwiderlaufen, weil in diese Gesetze die falschen Interessen eingegangen sind – „keine einzige studentische Forderung wurde im LHG berücksichtigt“ –, was sich 3. nur so erklären läßt, daß die Reform von miesen Politikern korrumpiert wurde, woraus sich 4. die Konsequenz ergibt, eine Universität zu errichten, die in den richtigen Händen ist.

Die Lüge, die der AStA bemüht, um seine Reformillusionen zu bekräftigen, liegt auf der Hand, Daß die Hochschulreform die Durchsetzung der Demokratie ist, nicht ihre Verhinderung, machen nicht nur die Mitbestimmungsparagraphen in den Hochschulgesetzen deutlich, Der Auftritt von Fischer-Appelt und Biallas auf einer Veranstaltung der DGH hat jedem Studenten vor Augen geführt, daß der Staat seine Hochschulreform in demokratischen Formen durchführt: da wird diskutiert, werden Meinungen ausgetauscht und schließlich wird in den gewählten Parlamenten entschieden. Diesem demokratischen Auftritt versagt der AStA seine Anerkennung nicht: er lobt die Gesprächsbereitschaft des Senators und des Präsidenten. Bei soviel beiderseitigem Einsatz für die Demokratie ist es auch nicht verwunderlich, daß im Lernzielkatalog der DGH Forderungen auftauchen, die jedem Curriculum des Faches Staatsbürgerkunde zur Ehre gereichten:

„Duckmäusertum, Anpassung, Langeweile und reaktionäres Gedankengut an unseren Instituten ist genau das, was wir mit einer Gegenhochschule bekämpfen wollen.“ (DGH-Vorlesungsverzeichnis)

Wobei der AStA in seinem Bemühen, mit seiner demokratischen Uni die bessere Reform zu machen, sich die rechte Sauerei leistet, die Langeweile des Lehrbetriebs auflockern zu wollen, wo angesichts von Überlastquote, BAFöG und Prüfungsdruck an Hamburger und anderen Seminaren alles andere als Langeweile aufkommt.

Im Wetteifer mit dem Staat um die ideale Reform zeigt der Hamburger AStA auch noch durch die Mimikry, mit der seine DGH die Formen der bürgerlichen Universität kopiert (so gibt es ein „Vorlesungsverzeichnis“ mit dem AStA-Siegel statt dem Universitätssiegel), daß seine Reform nur das Ideal der Hochschulreformpraxis darstellt, mit dem Nachteil jeden Ideals, nämlich daß man sich dafür nichts kaufen kann: Die ganze Veranstaltung dauert nur vierzehn Tage und mit dem AStA- Stempel auf den „Prüfungs(!)dokumenten“ der DGH läßt sich nichts anfangen. So fällt der Vergleich zwischen Demokratischer Gegenhochschule und den Hochschulen in der Demokratie, den MSB und Co. selbst den Studenten aufdrängen, eindeutig zugunsten der letzteren aus. Und die Studenten ziehen daraus den Schluß, sich lieber gleich auf die Dinge zu konzentrieren, die ihnen die offizielle Prüfungsordnung vorschreibt:

„An einigen Fachbereichen begannen inzwischen Unterschriftensammlungen. Damit protestieren lernwillige Studenten gegen den Vorlesungsboykott. Sie wenden sich auch gegen das Universitätspräsidium, das ihrer Meinung nach zu wenig tut, um die Lehrveranstaltungen zu sichern.“ (Hamburger Abendblatt)

 

aus: MSZ 17 – Mai 1977

zurück zur Startseite