O Henry:

Feuer ins Öl

Er mag sich interpretieren und interpretieren lassen so viel er will, es ist ihm halt mal rausgerutscht:

Im Falle einer Strangulierung der industrialisierten Welt durch die Öl-Förderländer sei eine militärische Intervention der USA nicht auszuschließen. Das hat er gesagt!

Was hat er eigentlich gesagt? Die USA werden eine echte Bedrohung ihres wirtschaftlichen Überlebens nicht hinnehmen, notfalls mit Gewalt zu verhindern suchen. Ist das erstaunlich? Erstaunlich sind nur die Reaktionen. Wir zitieren wahllos aus der SZ vom 7. Januar:

Präsident Ford: „Die Bemerkung von Henry Kissinger ist eine hochqualifizierte Antwort auf eine hypothetische Situation.“
Schah Reza Pahlevi: „Niemand kann uns ein Diktat auferlegen oder uns die Faust zeigen.“
Belgrad: „Mangel an Takt.“
Moskau: „Die Lage im Nahen Osten verschärft sich.“

Das klingt alles so, als hätte Kissinger wirklich etwas aufregend Neues gesagt. Dabei ist sein Satz ein bisher selten gehörter Grad an Friedfertigkeit und Mäßigung der USA. Haben sie doch (seit 1945) unter anderem in Persien, Griechenland, Guatemala, Korea, Vietnam. Cuba, um nur ein paar geographisch verstreute Beispiele zu nennen, militärisch interveniert, ohne daß die „industrialisierte Welt“ durch die Vorgänge in diesen Ländern ernsthaft am Überleben gehindert gewesen wäre.

Selbst was den Nahen Osten unmittelbar betrifft, ist Kissingers hypothetische Überlegung sehr gemäßigt, wenn man bedenkt, daß die Ledernacken noch 1958 im Libanon einmarschierten, um einen proamerikanischen, zur Verständigung mit dem Zionismus bereiten Präsidenten gegen einen drohenden Sturz zu verteidigen. Ungerührt also vom vereinten Protestgeschrei arabischer Präsidenten und Potentaten, bleibt die Frage, warum die US-Regierung so butterweich reagiert. Hat sie es nicht mehr nötig gleich zuzuschlagen, oder trauen sie sich nicht mehr?

Die letztere Möglichkeit hat einiges für sich nach dem Vietnamrückzug und den schlechten Erfahrungen, die man unter Nixon gemacht hat. Doch schließt dies keineswegs aus, daß die USA und jeder andere imperialistische Staat dann militärisch intervenieren werden, wenn durch die Politik eines anderen Landes eine echte Bedrohung des „nationalen Interesses“ existiert, oder schlicht, wenn’s wirklich ums überleben geht.

Daß Außenpolitik auch solch unerfreuliche Formen annehmen kann, ist also keine Frage — aber muß es jetzt sein? Vielleicht muß gar kein Feuer ins Öl gelegt werden, damit es weiter fließt? In den wirtschaftlichen Überlegungen der Ölländer spiegelt sich ebenso ihre Abhängigkeit von den industrialisierten Ländern, wie umgekehrt. Das „Glück“ der Ölscheichs besteht sicherlich nicht darin, einen Haufen Dollars zu besitzen, sondern darin, sich jetzt alles mögliche leisten zu können. Wie wir täglich in den Zeitungen lesen können, sind auch die Ölproduzenten von Sorgen geplagt.

Wohin mit dem Geld, fragt sich der Schahinschah, und auch Gaddafi soll schon seine Emissäre nach Italien geschickt haben, um nach Anlagemöglichkeiten auszuspähen. Nun weiß doch jeder, daß man investieren nur sollte, wenn’s sich lohnt. Ob nun arabische Scheichs Geschäftsanteile vom Mercedes-Werk erwerben oder der Schall mehrere tausend Mercedes-Lastwagen einkauft — beide erholten sich aus diesem Geschäft einen spezifischen Nutzen. Ohne Öl aber läuft nichts, kein Mercedes und keine Fabrik. Auch verbietet sich von daher ein willkürliches Hinauftreiben der Ölpreise. Will man aus den Dollars seinen Nutzen ziehen, so hat sich auch noch der kleinste Ölprinz marktwirtschaftlichen Prinzipien zu unterwerfen, auch wenn sie immer wieder gegen den Stachel locken und die Preise hochtreiben, freilich mit Maßen und immer der wirtschaftlichen Gegenschläge der Industriestaaten gewärtig. So ist denn jeder vom andern abhängig und hält sich tunlichst an die Spielregeln des Wirtschaftskampfes, mag er auch politisch das Maul noch so voll nehmen. Wenn das aber so ist, warum hat Henry Kissinger dann überhaupt so häßliche Töne angeschlagen? Warum mit Krieg drohen für einen hypothetischen Fall, der gar nicht eintreten kann? Seine Warnung konnte unmöglich den Regimes der Ölförderländer gelten, denn die wissen, wie weit sie gehen können. Der kuwaitische Außenminister hat sogleich Kissingers Wort zum Anlaß genommen, nach dem er sich gegen es verwahrt hat, sich selbst an die Brust zu klopfen:

„Wir sollten uns nicht selbst in eine international gefährliche Lage dadurch bringen, daß wir die Ölproduktion in einer Weise einschränken, die internationale Interessen berührt.“

Trotz seiner scheichlichen Würde ist nicht anzunehmen, daß Abdelrahman Salim al Atiki im Pluralis majestatis gesprochen hat. Mit „wir“ meint er alle Araber und besonders ganz bestimmte Araber – Teile der PLO z. B., die bei dem ganzen antiimperialistischen Getöse vergessen, daß es nur Getöse sein darf; die z. B. die Auseinandersetzung mit Israel nur als Teil des Kampfes gegen das imperialistische System sehen, die folglich auch in Widerspruch zu den Königen, Scheichs und „muselmanischen Sozialisten“ geraten; die den ganzen Nahen Osten aus dem imperialistischen Weltmarkt herausbrechen und die Ölgewinne zu diesem Zweck einsetzen wollen, die nicht in USA und Europa investieren würden, wenn sie ans Geld kämen. Denen mußte einmal deutlich gesagt werden, wozu solcher Unsinn nur führen kann: zu US-Truppen auf den Ölfeldern!

Henry’s mahnendes Wort an die Araber ist also eine Warnung an die regierenden Araber, diejenigen in Schach zu halten, die mit dem Öl Sachen machen wollen, durch die die internationalen Geschäftsgrundlagen der kapitalistischen Industrienationen ernsthaft gefährdet wären. Die Mahnung erhält ihre Brisanz obwohl sie nur „hypothetisch“ ist, weil in ihr die provozierende Argumentation steck ,wenn du dich nicht mehr schröpfen läßt und dadurch für mich eine Notlage entsteht, dann muß ich dich umbringen, das mußt du doch einsehen Dies klingt wie Gangsterlogik, Henry Kissinger ist jedoch kein Mafiosi sondern ein bürgerlicher Staatsmann der die Konsequenzen aus dem weltweiten Zusammenhang kapitalistischer Produktion ausspricht: Politik ist Krieg mit anderen Mitteln.

 

aus: MSZ 3 – Februar 1975

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