Gründungskongreß der Grünen in Karlsruhe:

Eine undogmatische Parteigründung


Der Kongreß, auf dem sich die „Sonstige politische Vereinigung Die Grünen“ des Ex-CDU-Umweltsprechers Herbert Gruhl, im Verein mit der AUD Haußleiters, bunten und alternativen Listenbündnissen samt den dazugehörigen Möchtegerngrünen aus den diversen KPs und KBs, zur Partei konstituierte, wurde von journalistischen Beobachtern fälschlicherweise als „chaotisch“ bezeichnet. Dabei hat der gemeinsame ideologische Nenner der 1004 Delegierten am 13. Januar voll durchgeschlagen: man wollte eine wählbare Alternative werden und unter dem „Erfolgsetikett“ grün die Voraussetzung für eine Teilnahme an den Bundestagswahlen schaffen, weswegen alles zu Bunte diesem Tribut zollen mußte. Dafür gab es am Ende des Kongresses die erforderliche Zweidrittelmehrheit plus 5 %.


Abgegrenzt eindeutig offen

Rudolf Bahro, der bei seiner Ankunft in der BRD „die sozialistische Bewegung zusammenschließen“ wollte, hat sich auf dem Kongreß um die organisatorische Vereinheitlichung der Grünen verdient gemacht, durch die demonstrative Unterzeichnung eines Eintrittsformulars verlieh er seinen Worten – der ,,historische Kompromiß zwischen Sozialismus und Ökologie“ sei „in greifbare Nähe gerückt“ – symbolischen Nachdruck und machte als Kulissenschieber von sich reden, der „am Rande der offiziellen Diskussion das Ringen um eine offenere Formel in der Abgrenzungsfrage bestimmte“ (Frankfurter Rundschau). Vorher hatte er sich allerdings Gruhls „Mißmut“ zugezogen, dem es nicht paßte, daß Bahro heraushängen ließ, daß man Sozialist sein müsse, um ein Gefühl für die Natur zu kriegen. Mit dem „Geist der Geschichte, der in unsere Richtung weht“ im Rücken, warf Gruhl dem „Ex-DDR-Bürger Zwielichtigkeit“ vor, der ausgerechnet da, wo es um die „Zukunft der Menschheit“ gehe, mit seinen Sozialismusidealen daherkomme. Der andere anwesende Noch-DDR-Bürger Wolfgang Harich lobte Gruhl als einen der „Staatsmänner deutscher Zukunftsmeisterung“, womit die Weichen für den weiteren Kongreßverlauf gestellt waren: die „Linken“ aus den Bunten und Alternativen Listen steckten ideologisch zurück und verlegten sich voll auf die Taktiererei nach dem Motto: wo’s lang geht, ist nicht so wichtig. Hauptsache, wir bleiben dabei. Diese Linie hatte ihnen der selige Rudi Dutschke in einem STERN-Interview hinterlassen: ,,Wir wären doch historische Idioten, wenn wir diese Chance nicht ergreifen würden!“

Der Eintrittspreis, den die grasgrüne Mehrheit ihnen abverlangte, bestand nun allerdings darin, sich voll zum Idioten der neuen Partei zu machen, also ihrer Mitgliedschaft in den angestammten Gruppen und Parteien zu entsagen. Formulierung des Abgrenzungsantrages: „Grüner kann werden, wer sich zu den Grundsätzen der Partei bekennt und keiner anderen Partei angehört.“ Fehl gehen folglich Anwürfe aus dem „linken Lager“, die Gruhl-Mehrheit würde einen „Gesinnungspaß“ ab verlangen. Das Gegenteil ist der Fall: man schätzt die Linke durchaus, allerdings nur in einer Hinsicht: „grüne Sozialisten“ seien für die geplante Partei „lebensnotwendig“, meinte W. D. Hasenclever aus Baden-Württemberg, der im erfolgreichen Kommunalwahlkampf seiner Liste die nimmermüden Dienste dieser „jungen Aktivisten“ schätzen gelernt hat. Und auch der 75-jährige August Haußleiter, den seine deutschnationale Gesinnung aus der CSU hinaus- und die Erfolglosigkeit seiner AUD in die grüne Bewegung hineingetrieben hat, hat keine Lust, im Bundestagswahlkampf auf »Protestpotential« zu verzichten, solange dadurch keine anderen Wähler abgeschreckt werden. So warnt er vor „übertriebener Abgrenzungshysterie“.

Der Kongreß faßte zwar so einen Unvereinbarkeitsbeschluß, überließ seine Exekution jedoch den Landesvorständen, die dann pragmatisch entscheiden können zwischen praktischem Vorteil und wahltaktischem Nachteil. Die zur Parteigründung erforderliche Mehrheit war damit gesichert und der Kongreß endete mit dem Ergebnis, auf das es ankam.

Damit fand der Fortschritt der BRD-Linken seinen würdigen demokratischen Abschluß in einer Parteigründung. Nachdem der erfolglose Kampf der diversen revisionistischen Gruppen um die Massengunst zunächst in der Alternativbewegung den Hebel entdeckt hatte, der sie über die 5 % hieven sollte, wurden sie von dieser „Massenbewegung“ zur Umkehrung der Dialektik von Masse und Führung bewogen: Eine Linke, die in Bürgerinitativen, die nicht ohne, sondern gegen sie entstanden sind, ihren Fortschritt wittert, und deshalb mit der Erfindung von der „Krise des Marxismus“ und der Entdeckung des „subjektiven Faktors“ ihrer eigenen Vergangenheit eine Absage erteilt, beteiligt sich konsequent und aktiv am Reifeprozeß dieser Bewegung zur ordentlichen demokratischen Alternativpartei und wird wohl auch noch die Aufgabe ihrer sozialistischen Ideale im Dienste der guten Sache verkraften.


Grundlegend evolutionär mit Tradition

Die politische Komponente dieses Kongresses lag darin, daß man sich ohne programmatische Querelen auf das „politische Gerüst“ einigte, auf dem man als Grüne in der Politik mitmischen will. Selbst bei der Debatte um die Präambel des Parteiprogramms wurde nur das taktische Gezerre um die Doppelmitgliedschaft fortgesetzt. Hier erwiesen sich die „Linken“ aus langjähriger Erfahrung im Resolutionenbasteln überlegen und landeten einen sozialistischen Schlag dadurch, daß sie aus dem Textvorschlag –

„Nur durch die Bereitschaft für eine Evolution in diesem Sinne können Revolutionen, Kriege und Zerstörungen in Zukunft verhindert werden.“ –

das Wort Revolution streichen konnten mit dem durch und durch ideologisch unverdächtigen Argument, Revolution und Krieg seien nicht dasselbe. Als sie allerdings, durch diesen terminologischen Sieg übermütig geworden, auch noch Evolution durch „grundlegende Veränderungen“ ersetzt wissen wollten, bissen sie bei der Mehrheit, die ja schließlich in die bestehenden Parlamente einziehen will, auf Granit: Evolution blieb!

Eine breite Mehrheit fand sich hingegen für die Eliminierung der folgenden Charakterisierung der neuen grünen Partei:

„Sie steht jenseits aller traditionellen Ideologien.“

Sowohl Gruhl, der die grüne Botschaft derjenigen Jesu entnimmt, als auch Bahro, der nicht müde wird, den Sozialismus als traditionelle Heilsbotschaft zu verkünden, sahen sich im gestrichenen Satz fehlinterpretiert und konnten hier auf volles Verständnis anwesender Mitglieder kommunistischer Bünde rechnen, die die ruhmreichste aller Traditionen wenigstens nicht offiziell ausgeschlossen sehen wollten.


Erfreuliche politische Reife

Überhaupt bewies der Karlsruher Kongreß darin seine politische Reife, daß die Kontrahenten das Wesentliche voran stellten und die Lektion, derzufolge Politik die Kunst des Machbaren sei, beherzigten. Der malerische Wurzelsepp aus Schleswig-Holstein, Baldur Springmann, zeigte sich überraschend konziliant und wollte Abgrenzungsbeschlüsse nicht als „organisatorischen Akt“ verstanden wissen, sondern als die Abklärung „inhaltlicher Vorstellungen“. Dieser Naturmistprophet, der noch im alten Jahr die erfrischende Wahrheit verkündet hatte, daß „Ökologie und Klassenkampf zwei unvereinbare Dinge“ seien, war – laut FR – „in der Stille der Weihnachtstage“ von einem „Achberger Antroposophenkreis zum Einlenken motiviert“ worden. Der „K-Mann im Vorstand“, J. Reents aus Hamburg, hielt sich dezent zurück, weil er nach seinem Ausschluß aus dem KB keinesfalls noch ein zweitesmal politisch heimatlos werden wollte. Und dem alten Haußleiter wird Bonn sicherlich die Auflösung seiner AUD-Totgeburt wert sein. Der katholische Salbader Carl Amery aus Bayern schließlich prägte den Geist der Stunde mit seiner These, daß „die Grünen ohne die Linken zu einer bürgerlichen ökologischen Partei zu werden drohten“, und da die „Linken“ in dieser Partei wissen, daß sie bei den Wahlen ausschließlich als ökologische Bürgerpartei eine Chance sich ausrechnen können, stand der Parteigründung schließlich nichts mehr im Wege. Wo der „Linken“ der Boden, auf dem sie zu stehen hat, so verständnisvoll abgesteckt wurde, daß sie sich als grüne Parteimitglieder und sonst nichts demnächst an der Programmverabschiedung beteiligen darf, wird sie diese „historische Chance“ sicher konstruktiv nutzen. Streit und häßliche Töne sind dann allerdings wieder bei den Vorstandswahlen und der Zusammensetzung der Wahlliste zu erwarten. Aber auch und gerade dies ein hoffnungsvolles Zeichen für politische Reife.

 

aus: MSZ 33 – Januar 1980

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