Der Fall Vögel:

Aktiver Gesinnungsnachweis für Staatsdiener


Die militante Sauberhaltung des bundesdeutschen Staatsdiensts von „Feinden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, in der bislang alle Parteien übereinstimmten, hat in Bayern deshalb kürzlich zu einem „politischen Skandal“ geführt, weil ihr ein Sozialdemokrat zum Opfer fiel, der den Nachweis schuldig blieb, ein militanter Freund der FDGO zu sein. Dies veranlaßte die ansonsten durch und durch „weißblaue SPD“, von einem „bayerischen Sündenfall“, der „meilenweit gegen den“ (weißblauen) „Himmel stinkt“ zu schwadronieren und einen alten Verdacht der DKP neu aufzuwärmen, daß nämlich ausgerechnet im Kultusministerium die Verfassungsfeinde sitzen würden.


Der Tatbestand

Der Lehramtsanwärter Edgar Vögel bot für die einstellende Behörde nicht die Gewähr, „jederzeit für die verfassungsmäßigen Organe der BR Deutschland einzutreten“, weil er

– vor vier Jahren an der Universität für den „Sozialdemokratischen Hochschulbund SHB“ kandidiert hat
– vor 3,5 Jahren für eine „Aktionseinheit mit dem MSB Spartakus“ eintrat und sich
– vor 3 Jahren als „Leiter einer Demonstration“ hervorgetan und schon knapp eine Woche später an einem „Informationsstand des SHB“ profiliert haben soll.

Seine mangelnde verfassungsfreundliche Gesinnung habe sich dabei nicht nur in der Bereitschaft zur Kollaboration mit Kommunisten niedergeschlagen, sondern auch verbandsintert in der Befürwortung der StaMoKap-Theorie, die im Widerspruch zur Verfassungswirklichkeit stehe. (Ein Argument, das der SHB im übrigen teilt, zumindest, was den Gegenstand dieser Theorie betrifft, woraus er aber einen „ Verfassungsauftrag“ herleitet, gemäß desselben die „sozialistische Umgestaltung der BRD“ den Intentionen des Grundgesetzes entsprechen soll.) Als ob dies alles nicht gereicht hätte, unterlief den pflichteifrigen Kultusbeamten noch ein parteipolitischer Lapsus: unter die Summe der verfassungsunfreundlichen Aktivitäten Vogels subsumierten sie auch die „Propagierung des Orientierungsrahmens '85“ so daß aus dem bürokratischen Vorgang der Umsetzung des von der SPD mit durchgesetzten Radikalenerlasses eine parteipolitische Querele wurde, und die SPD gegen den Anwurf kämpfen mußte, sie sei keine verfassungskonforme Partei.


Der Skandal

Nun hat die SPD keineswegs ein Problem damit, den SHB herauszuhauen oder sich gar für ihr Mitglied Vögel einzusetzen: Mit den vom Ministerium angeführten Materialien ließe sich sehr wohl auch ein Parteiausschlußverfahren erfolgreich durchziehen. Schon seit Jahren ist man sich auch mit der CSU darin einig, daß der SHB sich in zu großer Nähe zu kommunistischen Organisationen bewege. Lediglich der Umstand, daß sich die Behörde neben allgemein anerkannten Ablehnungsgründen auch noch zur Anführung einer Sympathie des Inkriminierten fürs SPD-Langzeitprogramm hinreißen ließ, verursachte bei den Sozis die ganze Aufregung und ließ in ihren Reihen mahnende Stimmen aufkommen, die bei der Anwendung des Radikalenerlasses von einer ,,auf die Spitze getriebenen grotesken Fehlentwicklung“ sprechen. Der sich zur Zeit wieder einmal zur Besetzung liberaler Positionen bemüßigt fühlende Egon Bahr (man kann ja nie wissen, ob das nicht einmal nützlich sein kann), räsoniert öffentlich darüber, ob man nicht vielleicht den ganzen Erlaß aufheben sollte. Damit ist es ihm so ernst wie bei seinen Äußerungen zur Neutronenbombe, und die ganze Heuchelei, mit der Ideale vorgezeigt werden, damit sie nicht durchgesetzt werden müssen, ist so auch nichts weiter als Parteitaktik, mit der man sich zur Extremistenbekämpfung im Prinzip bekennt und der Opposition die „Auswüchse“ in die Schuhe schiebt.


Der politische Fortschritt

Der Fall, dessen erstes bekanntgewordenes Opfer Edgar Vögel wurde, demonstriert, daß man in Zeiten der rigorosen Austrocknung des „geistigen Nährbodens“ nicht nur jeden, der die RAF-Täter als „fehlgeleitete Idealisten“ erklärt, zum Sympathisanten machen kann, sondern selbst das Agitieren mit Sprüchen aus dem OR ’85, in denen von „Möglichkeiten“ unserer deutschen Realitäten in gefährlichem Idealismus die Rede ist, einen zum Verfassungsfeind stempeln kann, wenn man nicht gleichzeitig eine Lebensführung an den Tag legt, die die unbedingte (= bedingungslose) Verfassungskonformität praktisch unter Beweis stellt. Das geht natürlich nicht, wenn man mit Kommunisten Bündnisse schließt und an der rechten Gesinnung bestehen bereits dann erhebliche Zweifel, wenn man auch nur mit Kommunisten, anders verkehrt, als der Staat selbst, gar mit ihnen zusammenwohnt. Und wenn man gleich soweit geht, die Nicht-Zulassung zu dem Beruf, für den man ausgebildet ist, als Berufsverbot zu bezeichnen, braucht man sich nicht zu wundern, wenn man selber eins kriegt. Alle diese Beweise dafür, daß

„der Bewerber über eine formal korrekte, innerlich uninteressierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung nicht hinauskommt.“ (Aus dem Ablehnungsbescheid für Vögel).

Die Freiheit der Meinung und der parteipolitischen Betätigung wird hier also ohne Umschweife darauf reduziert, daß sie sich im aktiven Einsatz für den Staat und gegen jeden, den der Staat außerhalb der Verfassung stellt, zu bewähren hat. Sie ist für den Staat das Mittel, die Einstellung von Leuten zu ihm zu überprüfen, ob sie sich für die Berufe, die er unter seine Kontrolle genommen hat, eignen. Dabei ist mehr verlangt als ein weißer Strafregisterauszug: Heutzutage, wo die Demokratie vor allem Wert auf ihre „Wehrhaftigkeit“ legt und gerade das verfeinerte Arsenal demokratischer Rechte des Staates gegen seine Gegner (echte, vermeintliche und potentielle) die Vorzüge des „Modells Deutschland“ ausmachen, ist Gesinnung verlangt, die man nachzuweisen hat durch den persönlichen Einsatz. Mittlerweile haben auch an den Hochschulen Studenten, die es einmal zum Staatsdiener bringen wollen, diese Lektüre gelernt. Es reicht unter Umständen nicht mehr, sich nicht an linken Umtrieben nicht zu beteiligen. Gewisse ältere Semester kümmern sich bereits um die Gesinnung der Kommilitonen, wozu sich insbesondere verbotene Veranstaltungen zur Spurensicherung eignen. Und es bleibt abzuwarten, ob nicht anpassungsfähige Studenten die Möglichkeit entdecken, diese an sich einem bestimmten Beruf vorbehaltenen Ermittlungstätigkeiten auch ehrenamtlich auszuüben.

 

aus: MSZ 23 – Mai 1978

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