Entlarvt (IV):

Die Faszination eines Monsters


Ein Felix hat für das „Kursbuch“, ganz links-öffentlich unter dem Generalthema „Sekten“, den Prozeß der Auseinandersetzung mit der MG ganz enorm vorangetrieben. Da das Abonnement-Verbot für schlechte Literatur bei uns seit dem 24.12.72 streng gehandhabt wird, hätten wir diesen Höhepunkt der an uns geübten Kritik glatt übersehen, wenn die Frankfurter Rundschau das Opus nicht unter dem Vorwand abgedruckt hätte, es handle sich bei ihm um eine „nicht unheitere Lagebeschreibung von der linken Hochschulszene“. Da wir Zeitung lesen – die Idiotien, mit denen sich die Menschheit ihr Interesse aus- und sich in einen flotten Nationalismus mit Opfern bis zum kriegerischen Einsatz hineintreiben läßt, interessieren uns halt notgedrungen – sind wir nun doch auf diese Abrechnung neuen Typs gestoßen; dank also der Feuilleton-Redaktion der FR für den Vorabdruck, vorab aber auch gleich ein herzliches Dankeschön an den glücklichen Bremer Lehrbeauftragten, der sich vom Standpunkt des Menschen, des intellektuellen zumal, mit unserer Wenigkeit beschäftigt hat. Und dieser Standpunkt verhilft ihm zu – gelinde gesagt – verrückten Urteilen über uns, die aber, wenn schon nicht über die MG, so doch über die kleinen und großen Sorgen eines intellektuellen Menschen im Jahre 1979 zuverlässig Auskunft geben.


Sektenforscher

wissen genau, daß der amerikanische Senat, der Generalstab der Bundeswehr, das Kabinett des Helmut Schmidt und ähnliche erlesene Zirkel keine Sekten sind. Die sind nicht isoliert, sie sind dafür und viele sind ungeachtet der Kosten für sie. Sekten sind Minderheiten, die irgend etwas anderes treiben als das, was Gesetz, Ökonomie, Anstand und Sitte gebieten. Der Betrachtung für wert befunden werden sie, wenn sie irgendeinen Skandal zuwege bringen, wenn ihre Bedeutung das ihnen gebührende Maß übersteigt. Das wird dann von Sektenforschern registriert, weil dafür bieten sie ja ihr intellektuelles Gespür auf. Während unsere linken Gegner darauf bestehen, daß wir ein Nichts sind und gerechterweise auf dem Misthaufen der Geschichte landen, kommt der Intellektuelle Felix Semmelroth daher und hält die MG – ganz im Unterschied zu uns selbst – für erfolgreich:

„Wie aber kommt es, daß ausgerechnet eine Gruppe, die auf dem schlechten Witz beharrt, »die höchste Form der Praxis sei die Theorie«, bei den eher pragmatisch gesonnenen Studenten einen so relativ großen Erfolg hat?“

Der schlechte Witz stammt vom guten Felix, der meint, ein MGler tritt für die Wahnsinnsthese einer „höchsten Form der Praxis“ ein, nur weil er eben das, was er an der Welt auszusetzen hat, auch vertritt, um andere davon zu überzeugen. („immer genügend MG-Leute zur Stelle, von der (!) Theorie (!) zu künden“). Seine Überraschung über die „Erfolge“ bei „den eher pragmatisch gesonnenen Studenten“ ist denn auch gar nicht naiv, obwohl er immerzu so tut, als stünde er ausgerechnet bei uns vor einem Rätsel erster Ordnung:

„Was also erklärt die Erfolge der MG?“

wiederholt er sich; und auf verrückte Fragen gibt es nur verrückte Antworten – die wollen gegeben, abgewogen und verworfen sein. Ebensowenig wie eine von der MG gar nicht gehegte Liebe zur Praxis der Theorie dafür der Grund sein kann, daß eine für Herrn Semmelroth viel zu große Minderheit an unseren politischen Anstrengungen Interesse zeigt, kann unsere „Diskretion“ schuld daran sein:

„Die MG ist diskret. Diskretion allein aber kann es nicht gewesen sein, daß die MG, von München ausgehend, inzwischen spektakuläre Erfolge an etlichen Universitäten verbuchen konnte.“

Es ist sicher vergeblich, einem Intellektuellen dieses Kalibers klarzumachen, daß unserem politischen Anliegen Erfolg dann beschieden ist, wenn die von uns Angesprochenen gemerkt haben, daß es so ist, wie wir sagen, und dazu übergehen, Kapitalisten und Politiker zum Teufel zu jagen. Eines aber dürfte sogar einer kapieren, der einem Haufen, der ihm trotz mancher Verdienste („die Konjunktur des Flugblatts wieder entscheidend belebt“) zu wenig bescheidenes intellektuelles Wohlverhalten an den Tag legt, zugleich Sektencharakter und Erfolg attestiert: daß sein selbstgeschnitztes Problem nicht vom Sektencharakter herrührt.


Moderner Intellekt – schillernd

Der Bremer Felix ist unzufrieden mit der MG. Ob er es auch mit der Bundesregierung ist und wie, davon sagen wir nix. Bei uns hat er jedenfalls Mängel festgestellt, die uns zu denken geben:

„Nur eines interessiert die MG nicht: die schillernde Subjektivität der Menschen. Denn diese Subjektivität ist vielfältig und der Alltag so profan, daß, würde man sie berücksichtigen, die Jungfräulichkeit der reinen Theorie befleckt werden könnte.“

Felix Semmelroth schreibt zwar laufend Frechheiten hin in seinem Aufsatz, aber man kann sie ihm nicht übelnehmen. Er versammelt nämlich Gemeinplätze der dümmsten Art auf eine Weise, als wollte er eine Parodie verfassen. Ihm, dem an seiner Subjektivität so viel liegt, bringt sie ausgerechnet darin zum Schillern, daß ihm zu ihr einfällt, wie vielfältig sie ist! Mann, weiß der bescheid! Und in anderen Dingen ist er nicht minder beschlagen: der Alltag sei profan, meint er – und die MG möchte sich diesem Urteil anschließen, läßt es dann aber, weil sie dank Klementine bei Theorie immer an Reinheit interessiert ist! Im Vertrauen: Subjektivität ist weder schillernd noch goethet sie; der Alltag ist weder profan noch göttlich; und Theorie ist weder rein noch 60°! Wenn „die MG analysiert“ und „pausenlos Analysen zu vielfältigen Themen“ vorlegt, dann liegt zwar eine Betätigung der Subjektivität vor, die dem Felix nicht gefällt, aber auf keinen Fall ihr Schillern! Was man allerdings bisweilen gebrauchen könnte – da hat der Felix glücklich das Richtige getroffen –, das wäre eine Pause. Hüten würden wir uns aber vor der Ausführung des gleich mitgelieferten Vorschlags zur Ausgestaltung des Päusleins:

„Der Mensch als Dauerdenker? Daß der homo sapiens morgens Tischler sein könnte, mittags Maler und abends munter philosophiere, das kann nur purer Idealismus sein und nicht von Marx. Oder?“

Kein Bier, kein Sex, immer bloß hobeln, pinseln und schillern? Nein, danke! Kein Wunder, daß der Analytiker der MG bei deren Veröffentlichungen keinen Spaß versteht! Gibt die MG in Bremen eine Flugblattserie „Gespräche mit einem Erstsemester“ heraus, die ein Sympathisant der MG mit einem Schulfreund führt, und glossiert darin die auch von Felix angeschleppten vernichtenden Vorwürfe gegen uns:

„ ... nach außen unter keinen Umständen Schwächen unserer Politik zuzugeben“ –

so kommt der menschlich-subjektive Lehrbeauftragte zu der folgenschweren Wiederentdeckung unserer Unmenschlichkeit:

„Zu den ehernen Prinzipien der MG gehört, keine Selbstzweifel zu hegen und öffentlich Kritik an eigenen Einschätzungen strikt zu untersagen. Ein junger MG-Genosse, der eine Flugblattreihe »Gespräche mit einem Erstsemester« verfaßt, wird im Redaktionsprolog der letzten Ausgabe wegen des Verstoßes gegen diesen Grundsatz gerügt.“

O Felix!


Aufforderung zur Distanz

Leider sagt auch der Kursbuch-Autor nicht, daß die Auffassungen über die MG, die er gerade mitteilt, Quatsch sind. Von der MG aber verlangt er selbiges; und weil wir den Eindruck tatsächlich immer vermeiden, daß es uns auf unsere schriftlichen und mündlichen Mitteilungen nicht ankommt, hat er per Zitat des Kollegen Vinnai von der Uni Bremen befunden:

„Zutage tritt ein heimlicher Positivismus, der, wie Gerhard Vinnai schrieb, »die Theorie der Liebesunfähigen und Gleichgültigen« ist.“

Wiederum könnte einem die Unverschämtheit Sorge bereiten, die hier zu Werke geht: wer eine Erklärung per Flugblatt oder öffentlicher Rede von den Prozeduren in die Welt setzt, durch die der „Subjektivität“ bei ihrem Schillern so manche Grenze gesetzt wird, weil es auf ihre Zurichtung für die Dienste an Kapital und Staat geht, wird der Liebesunfähigkeit und Gleichgültigkeit bezichtigt, der

„zerlegt alles und jedes in einen toten Korpus ökonomischer Kategorien“

Felix sagt aber auch diese Unverschämtheiten mit der Offenheit, die jenen Intellektuellen eigen ist, die sich aus dem von uns „pausenlos“ kritisierten Zusammenhang von Dummheit und Interesse nichts machen, weil sie ihn hochleben lassen. Die MG „verpflichtet zur Objektivität theoretischer Erkenntnis“ - und das soll erstens stimmen (wiederum im Vertrauen: es gibt Instanzen, die verpflichten aufs Abstandnehmen vor jeglicher Objektivität, und die MG setzt darauf, daß unter Intellektuellen das Interesse an Wahrheit zugunsten der „schillernden Subjektivität“ ausgerechnet im Denken noch nicht erloschen ist), und zweitens was ganz Böses sein. „Herrschaftsprogrammiertes Prinzipiendenken“ wird da gepflogen, und zwar so geschickt (!!), daß nicht einmal ein Bremer Lehrbeauftragter es leicht hat, die nötige Distanz zu bewahren:

„Auf der Klaviatur der »Anmache« spielt die MG ausgezeichnet. Zu dieser Hypothese (das ist  bescheiden!) komme ich nach einem Teach-in der MG zur Leistung der Psychoanalyse in Wissenschaft und Politik. Diese Veranstaltung, eine Generalabrechnung mit der Psychoanalyse, war ein Schlüsselerlebnis für mich. Sie war eine der geschicktesten Inszenierungen, die ich je an einer Universität gesehen habe und deren Faszination auch ich mich nur schwer (aber du hast's geschafft, gell!) entziehen konnte.“

Schreiber dieses weiß das Kompliment zu würdigen: er strengt sich zwar an, den Leuten, die ihm zuhören, auch was Richtiges zu erzählen – das Inszenieren, Faszinieren – also die „Anmache“ getrennt von der Überzeugung – überläßt er Idioten wie Visconti, aus dessen Film ein Mensch wie Felix seine Anregungen bezieht, neben Baudelaire und Stefan George

„als der bürgerlichen Zweckrationalität radikal entgegenstehende Dichter“,

die er seine Freundin loben läßt. (Nochmals im Vertrauen: wer der „bürgerlichen Zweckrationalität radikal“ entgegensteht, der will vom Zweck, dem die Leute geopfert werden, sicher nichts wissen; und von Rationalität schon gleich gar nichts!). Das Kompliment entbehrt im übrigen nicht des Neids gegenüber dem Künstler der Manipulation – und Felix führt alsogleich die furchtbaren Mittel der Verführung an, die den „Erfolg“ der MG endlich erklären:

„Der große Saal war mit gespannten Zuhörern gefüllt, die durch ein Flugblatt mit geschickt aneinandergereihten Freud-Zitaten vorbereitet waren.“

Sollte der gute Felix übersehen haben, daß auf dem Flugblatt in den Zitaten etwas gesagt wurde? Daß dem alten Freud die Richtigkeit seiner Argumente ebenso bestritten ward wie die Lauterkeit seiner Weltanschauung? Klar; geschickt „aneinandergereiht“ ist Denunziation genug, ebenso lächerlich freilich wie das folgende Stimmungsbild.

„Ein MG-Festredner, der vor einem großen MG-Plakat auftritt“.

Hat denn die MG in Bremen kein MSB-Plakat? Oder ein Bild von Felix, oder Freud? „Antiseptisch von jeder Subjektivität gereinigt“ leistet sich dieser Haufen den Totschläger eines Festredners, dem dann nur Felix, und der mit Mühe, auskommt! Arme Subjektivität, die so sehr mit dem Aufschreiben oder Aufnehmen von Zitaten beschäftigt ist, daß sie nicht einmal mehr Widerspruch gegen die Vergewaltigung der Anwesenden einzulegen vermag:

„Leichenbittermiene, sparsamste Gestik, dosiert bayerischer Akzent, pünktlicher Beginn, präzise Vorstellungen über den Ablauf der Show: Pause nach 90 Minuten, dann noch mal »a Dreiviertelstündle«“

Ja wenn der Mensch mit froher Miene, fuchtelnd wie eine echte Subjektivität, ganz hochdeutsch eine Stunde später angefangen hätte, ohne zu wissen, was er zu sagen hat – das hätte einem den Entzug aus der „Faszination“ schon etwas leichter gemacht. Und dann noch – ausgerechnet von der MG – eine Pause!

Überflüssig zu sagen, daß die Zitate von Felix aus dem Teach-in – abgesehen von ein paar Hörfehlern: war eben „undosiert fränkisch“ und nicht ... s.o. – in Ordnung sind. Der Mann, der „über den Viktorianischen Roman dissertiert“ hat, braucht nichts zu verfälschen, weil er's sowieso nicht versteht, was mit einem Spaß auf den Begriff gebracht wird. Was er wohl mit der Wucht seiner ganzen Subjektivität zur nächsten „geschickten Inszenierung“ über den Krieg, der fällig ist, sagen wird? Wohl dasselbe:

„Vor den Toren der objektiv deduziblen Theorie bleiben die irrationalen Ängste der Menschen, deren Transformation in Realangst Voraussetzung vernünftiger politischer Aufklärung wäre. Draußen bleiben die Arbeits- und Verkehrsformen entspringenden Ängste, Kontakt-, Liebes- und Sprachunfähigkeit.“

Wetten, Felix, daß du zur Transformation deiner irrationalen Ängste noch lange brauchst, weil du sie so lieb gewonnen hast, daß du an vernünftiger politischer Aufklärung nur im dosierten Konditional sprichst! Du bleibst draußen, und wir kommen mangels Sprachunfähigkeit in den Jargon eines armseligen 79er Intellektuellen nie rein!

PS: Schreib mal öfter was über Dich, wenn ein Teach-In von uns war!

 

aus: MSZ 28 – April 1979

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