Mit einem riesigen Aufgebot an Menschen und Material hat der Provisorische Militärverwaltungsrat (DERG) Äthiopiens die Schlacht um eine Wüstenei gewonnen, die den Aufwand als solche nie und nimmer lohnt. Die athiopisch-somalische Grenzprovinz Ogaden, bevölkert von Nomaden, die mit ihrer Nationalität kein Problem hat, nicht einmal ein Bewußtsein davon, wenn sie auf der steten Suche nach Weidegründen und Wasser die ohnehin kaum markierte Grenze nach beiden Seiten überschreiten, war seit März 1977 Schauplatz einer blutigen militärischen Konfrontation, die die Bevölkerung als Opfer erlebte. Die sogenannte Westsomalische Befreiungsfront (WSLF) hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, somalische Hoheitszeichen vom Kriegsgerät zu entfernen, und die äthiopische Armee samt sowjetischer und kubanischer Berater erzielt ihre Abschußziffern in der Manier der US-Truppen in Vietnam: jeder Tote ein somalischer Soldat, wodurch es ihr gelang, rein rechnerisch den Feind mehr als doppelt aufzureiben. Von beiden Seiten wurde die Schlacht ganz offen als Teil eines allgemeinen Weltringens ausgegeben, mit der Absicht, die dafür zuständigen Kräfte jeweils auf seine Seite zu ziehen: Somalias Siad Barre appelliert an die USA, im Ogaden den Zugriff der Sowjetunion „auf ganz Afrika“ zu stoppen und Äthiopiens Mengistu Haile Mariam rechtfertigt den Einsatz kubanischer „Spezialeinheiten“ als „Beitrag zur antiimperialistischen Weltrevolution“. Diese hat ihr Ziel nach Verlautbarungen des DERG-Regimes allerdings darin, die ,,Unverletzlichkeit der heiligen Erde der äthiopischen Nation“ zu bewahren, während Somalia noch vor nicht allzulanger Zeit selbst in der Sowjetunion den „selbstlosen und heroischen Freund aller Völker der Dritten Welt“ erblickte und ihm das Schicksal seiner „ethnischen Brüder und Schwestern“ im Ogaden zu Zeiten Haile Selassies reichlich gleichgültig war.


I. Der Konflikt

Der Imperialismus hat die Staaten am Horn von Afrika wegen ihrer relativen ökonomischen Bedeutungslosigkeit bislang so in seinen Büchern geführt, daß er sich das Wenige billig holte, was ohne großen Aufwand zu holen war, und gerade deshalb konnte er sich ihrer Abhängigkeit als „unterentwickelte Länder“ sicher sein. Weil es auf sie für sein Geschäft nicht ankommt, verfolgt der Imperialismus die Ereignisse am Horn mit Gelassenheit. Er kann sich darauf verlassen, daß die Auseinandersetzungen da unten, die unter nationalistischen Parolen geführt werden, alle nur zu Resultaten führen, die der Abhängigkeit der beteiligten Parteien neue Formen verleihen.


Die sowjetische Konkurrenz

Die Sowjetunion erblickt in den Zuständen, die die Konkurrenz angerichtet hat, ein Mittel, um die Schwäche der Staaten in der Region für sich auszunutzen. Um die Abhängigkeit vom Imperialismus in eine von sich zu verwandeln, den eigenen Einfluß als Großmacht zu befördern, ist sie auch bereit, sich das einiges kosten zu lassen. Allerdings reflektiert der Revisionismus in den mickrigen Formen der Unterstützung, für die man sich Positionen erkaufen will: sparsam geht man um mit den Rubeln für ökonomische Projekte, die der eigenen Staatswirtschaft nichts bringen und investiert lieber beim Militär und der ideologischen Bearbeitung der Bevölkerung, weil dies unmittelbareren Einfluß auf die Staaten verspricht. So ist man der imperialistischen Konkurrenz allemal überlegen: diese betreibt „Entwicklungshilfe“ als Kapitalinvestition und engagiert sich militärisch nur, um jene auch abzusichern. So fließen die Mittel reichlich, wenn es sich lohnt und die ökonomische Abhängigkeit verträgt sich prächtig mit den nationalistischen Ambitionen der herrschenden Cliquen, denen man das Brimborium ihrer „Souveränität“ als Geschenk liefert.

Der plötzliche Wandel des somalischen Präsidenten Siad Barre hat so auch nicht das mindeste mit irgendeiner ideologischen Sinnesänderung des Generalspräsidenten zu tun: dessen Ambitionen nach einem „Greater Somalia“ unter Einschluß des Ogaden, Djibutis und Nordkenyas bestanden damals wie heute. Nur erhoffte sich die SU von einem Angriff auf Äthiopien eine Schwächung des US-Vasallen Haile Selassie, während sie seit dessen Sturz im DERG einen möglichen Verbündeten und eine wichtigere Einflußsphäre wittert. Der „Revolutionär“ Barre nahm die „Befreiung seiner ethnischen Brüder“ im Ogaden erst dann in Angriff, als in Äthiopien eine Revolution stattgefunden hatte und der Westen ließ ihn zum „Verteidiger der Freiheit Afrikas“ avancieren, nachdem die Sowjetunion sich in Äthiopien eingenistet hatte. Deren dabei offensichtliche interessierte Gleichgültigkeit gegen die sozialen Verhältnisse im jeweiligen Bündnisland, die ihr von ihren in denselben Kategorien denkenden maoistischen Kritikern den Vorwurf der Hegemonialpolitik einträgt, ist im Resultat eine, die ihr Ziel nie erreicht: der gehätschelte Nationalismus kehrt sich in dem Augenblick gegen den sowjetischen Freund, wenn das Arrangement mit dem Imperialismus ihm lukrativere Perspektiven eröffnet: Indonesien, der Sudan, Ägypten, jetzt Somalia und demnächst sicherlich Syrien sind Beispiele dafür und die dort aktiven revisionistischen Parteien und Bewegungen ihre Opfer. Zur Loyalität gegenüber dem Regime in den Zeiten der Freundschaft mit der SU verpflichtet, liefern sie sich selbst ans Messer, wenn es mit der Freundschaft zu Ende ist. Nach dem Massaker dienen sie dem Revisionismus als Märtyrer, die sich propagandistisch dem neugewonnenen Feind zwecks Entlarvung entgegenhalten lassen.


Imperialistische Abhängigkeit und „nationale Befreiung“

Gerade wie sich der Imperialismus die von ihm abhängigen Staaten herrichtet, läßt deren Machthaber auf den Gedanken verfallen, den Nationalismus als Mittel ihrer Macht einzusetzen. So verraten noch die Programme der diversen Formen eines „nationalen Sozialismus“ die Abhängigkeit solcher „Befreiungsbewegungen“ von den imperialistischen Verhältnissen, und in der Praxis der nach „Unabhängigkeit strebenden Staaten“ werden die Leute für die Herstellung, Erweiterung oder die Absicherung kolonialer Grenzziehungen ins Feuer geschickt.

In Eritrea, das nach Auffassung der Revisionisten aller Couleur über die „fortgeschrittenste Befreiungsbewegung“ der Region verfügen soll, tritt der Kampf für „nationale Befreiung und Sozialismus“ ganz offen als Sezessionsbewegung, die im Zeichen der Weltrevolution die Herauslösung einer Provinz als wichtigsten Schritt dahin betreibt. Daß dabei die „sozialistische“ EPLF mittlerweile das Bündnis mit ihren offen reaktionären Konkurrenten, mit denen sie bis vor kurzem sich noch militärisch auseinandersetzte, schmiedete und sich die Waffen aus Saudi-Arabien kommen läßt, stört die Fans der „eritreischen Revolution“ mitnichten. „Die Widersprüche des Imperialismus taktisch geschickt ausnutzen“ heißt die Devise, mit der nun auch die amharischen Großgrundbesitzer im eritreischen Hochland und die moslemischen Handelsbourgeois der Küstenregion, die ihre eritreische Identität erst aus Angst vor der sozialen Umwälzung in Äthiopien entdeckten, zu fortschrittlichen Kräften geläutert werden. Nicht einmal der Umstand, daß Offiziere der kaiserlichen Armee, die ihre Herkunft aus Eritrea nicht daran hinderte, die „Befriedungsexpeditionen“ der Haile-Selassie-Armee zu kommandieren, nun ihre militärische Kompetenz in den Dienst der Guerilla gegen die DERG-Soldaten gestellt haben und zwar aus genau dem gleichen Interesse wie vorher, macht solche Solidarität irre.

Selbst der vom französischen Imperialismus in der Region hinterlassene Brückenkopf Djibuti, wo Frankreich durch die Schürung der Stammesrivalitäten zwischen Afar und Issa für die nötige Labilität gesorgt hat, um seine Vorherrschaft über den wichtigen Hafen mit geringem Aufwand zu garantieren, ist Objekt solch interessierter „antiimperialistischer“ Betrachtungsweise. Je nach Standpunkt wird unter dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker Djibutis", die Selbständigkeit dieses Staatsgebildes, sein Anschluß an Äthiopien oder Somalia oder seine Aufteilung verstanden.

Die Abschnürung der Zufahrtswege zu diesem Hafen durch die „WSLF“ und die Eritreer ist auch der eigentliche Grund, weswegen das DERG-Regime seine „äthiopische Revolution“ als „vaterländischen Krieg“ vorantreibt und die Ogaden-Nomaden samt den Eritreern nicht den „Reaktionären“ überlassen will. Dafür mußten die äthiopischen Bauern in die ogadische Wüste ziehen, den Verkehrsknotenpunkt Harrar „bis zum letzten Blutstropfen“ verteidigen, und dafür setzt der DERG die kaiserliche Politik der verbrannten Erde in Eritrea fort. Der durch die Abschnürung Djibutis verlogene Nachschub steht in keinem Verhältnis zur Auszehrung des Landes durch den Krieg, aber in den machtpolitischen Plänen der DERG-Offiziere ist das „Recht des äthiopischen Volkes auf einen freien Zugang zu den Weltmeeren“ die Ideologie, mit der man dieses Volk verheizt. Das Sichschmücken mit dem Vokabular der sozialistischen Arbeiterbewegung soll so noch dem reaktionärsten Militärregime die höheren Weihen des Fortschritts verleihen, wobei auch die Verbindung solchen arabischen oder afrikanischen Sozialismus mit Allah oder Stammestraditionen kein Verrat an ihm ist; vielmehr ist er eben dies. So hat die offene Parteinahme für den Imperialismus weder Sadat in Ägypten noch Numeiri im Sudan oder Barre in Somalia veranlaßt, die ,,sozialistische“ Staatsideologie zu revidieren.


II. Die Kontrahenten

„Wenn die Militärs in einer für die Unterdrücker schwierigen Situation konspirieren und einen abgewirtschafteten Diktator stürzen, so muß man annehmen, daß sie es deshalb tun, weil dieser nicht fähig ist, ihre Klassenprivilegien zu erhalten, ohne zur äußersten Gewalt zu greifen – was unter diesen Umständen den Interessen der Oligarchie nicht zuträglich ist.“ XXX(Ernesto Che Guevara)

Das Regime des senilen „Löwen von Juda“, gestützt auf den Klüngel der kaiserlichen Familie und das amharische Feudalsystem, sicherte den USA einerseits einen zuverlässigen Lakaien in Afrika, andererseits hielt es das ökonomische Interesse an einem Lande mit mittelalterlichen Produktionsmethoden in Grenzen. Allerdings stand man der Möglichkeit einer nutzbringenderen Anwendung des Arbeitsviehs, das auf den Großgrundbesitzungen verhungerte, aufgeschlossen gegenüber, zumal im Hochland nahezu völlig unerschlossene Vorräte an Edelmetallen lagern. Die Patenschaft des State Department und die logistische Assistenz des CIA kommt nicht nur in der prompten Anerkennung der DERG-Regierung und dem Fluß amerikanischer Waffen für die Modernisierung der Armee zum Ausdruck, vielmehr hatten die USA bereits während der Agonie des Kaiserreichs Vorkehrungen getroffen, ein postimperiales Äthiopien zu einer jener Pseudodemokratien herzurichten, wie das Kapital für seinen ungehemmten Fluß sie braucht.


Die „äthiopische Revolution“...

Den Auftakt zur Entmachtung des Kaisers bildete der Generalstreik des äthiopischen Gewerkschaftsbundes CELU im Jahre 1973. Der CELU, ein Zusammenschluß von 277 (!) Einzelgewerkschaften nach dem Vorbild der amerikanischen AFL/CIO wurde unter dessen Patenschaft von dem inzwischen als CIA-Agenten enttarnten US-Gewerkschafters Irving Brown mit dem Auftrag organisiert, einen „mäßigenden Einfluß“ auf die Arbeiterbewegung in den beiden Städten mit Ansätzen von Industrie (Addis und Asmara) auszuüben und zugleich die Vorraussetzungen fürs Entstehen einer freiverfügbaren Lohnarbeiterschaft zu befördern. Der Entstehung kapitalistischer Produktion in den Städten und der Prospektion nach den unerschlossenen Lagerstätten von Gold, Platin und Uran stand der Mangel an ausbeutbarer Arbeitskraft im Wege. Das kaiserliche Regime benutzte den Umstand, daß es sich bei den Stadtproletariern größtenteils um entflohene Leibeigene handelte, indem aufmüpfige Arbeiter zwangsweise zu ihren ehemaligen Herrn zurück aufs Land deportiert wurden.

Der rapide Verfall der Staatsfinanzen und die Beschränkung industrieller Produktion auf Lizenzprojekte ausländischer Investoren in Kooperation mit Mitgliedern der kaiserlichen Familie, die Verschleuderung öffentlicher Gelder für den Luxus des Adels und die Prestigeprojekte des panafrikanisch ambitionierten Kaisers, legten den kaiserlichen Offizieren den Schluß nahe, daß der greise Monarch nicht mehr der geeignete Mann sei, Äthiopien zu regieren, und die enge Verknüpfung des Throns mit den adeligen Familien, die das Land unter sich aufteilten, brachten es mit sich, daß aus einer Palastrevolte der Kaisergarde ein Militärputsch gegen das ganze Regime und schließlich eine ,,antifeudalistische Revolution“ wurde. Eine Fraktion innerhalb des DERG, die den ebenfalls schon betagten Kronprinzen zum Kaiser machen wollte, fiel internen Machtkämpfen zum Opfer und die Unfähigkeit der Polizei, mit streikenden Arbeitern in der Hauptstadt fertig zu werden, führte zur Verhaftung des Kaisers, der Ausrufung der Republik und der Verkündung eines „revolutionären Programms“ mit dem Ziel, die „nationale Würde wieder herzustellen“, Diese sahen die DERG-Offiziere durch die Chaotisierung der öffentlichen Ordnung gefährdet und durch die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem Anspruch Äthiopiens, als ältester Staat Afrikas Sprecher des Kontinents zu sein und zugleich über die größte Zahl an Hungertoden, Seuchenopfern und Analphabeten zu verfügen. Deshalb ging der DERG gegen den Feudalbesitz vor, versuchte durch die Landreform die Nahrungsmittelproduktion zu steigern und durch den Aufbau einer nationalen Industrie die Staatsfinanzen zu sanieren, woran natürlich Offiziere, die vom Staat leben, ein besonderes Interesse haben. Die Erschließung der Ressourcen des Landes zur Stärkung des Staates kam zunächst durchaus dem westlichen Bedürfnis entgegen, es erst einmal als einigermaßen lukrative Anlagesphäre zu erschließen. So sagte die DERG-Regierung ausländischen Investoren den „Schutz des Militärs“ ausdrücklich zu. Erst die Unverträglichkeit kapitalistischer Kapitalanlage, die sich am Profit orientiert mit dem Ziel des DERG, infrastrukturelle Voraussetzungen für die Erschließung des Landes zu schaffen, führte zur Nationalisierung bereits getätigter Kapitalanlagen und zum Bruch mit den USA.


... gegen die äthiopischen Arbeiter und Bauern

Da vom Imperialismus nichts zu erwarten war für das DERG-Programm eines starken Nationalstaats, besann sich das Regime „auf die eigene Kraft“: das nach der Liquidierung der ersten Führungsgarnitur geborene Programm des „äthiopischen Sozialismus“ sah die Unterwerfung der Massen unter die ehrgeizigen Ziele des Staats vor. Die Militärs begriffen die Staatsmacht nicht als Mittel zur Beseitigung von Hunger und Elend, sondern umgekehrt die Zerschlagung des Feudalismus auf dem Lande und die Enteignung des Kapitals in den Städten als Voraussetzung der totalen Indienstnahme der Arbeiter und Bauern für die Konsolidierung der Staatsmacht. Die Proleten, die sich von der Revolution höhere Mindestlöhne, Urlaubsregelungen und soziale Sicherheit erhofft hatten, sahen sich für die „äthiopische Revolution“ in Pflicht genommen und reagierten mit einem Generalstreik gegen das DERG-Regime, in dem die politischen Forderungen („Einsetzung einer demokratischen Zivilregierung“ „Rede- und Versammlungsfreiheit", "Streikrecht“), die ihre ökonomischen Forderungen flankierten, das Militär zur blutigen Niederschlagung des Streiks und zur Auflösung des CELU als „konterrevolutionärer Tarnorganisation“ veranlaßten. Die Neugründung eines Gewerkschaftsbundes, des AETU durch den DERG, paraphiert in seinen Statuten die Pläne des Militärs mit den Arbeitern. Die Gewerkschaften werden auf Tarifverträge verpflichtet, „die auf die Erhöhung und Verbesserung der nationalen Produktion ausgerichtet sind.“ Im „Arbeitsgesetz“ von 1957 heißt es:

„Die Gewerkschaften sind in erster Linie dem ökonomischen Aufbau des Landes einschließlich der dazu notwendigen Maßnahmen verpflichtet.“ (Nicht unschwer läßt sich dieser Funktionalisierung der Gewerkschaft für den Reichtum des Staates entnehmen, daß diesmal nicht der CIA, sondern die neuen Freunde aus dem „Sozialistischen Lager“ Patenschaft geleistet haben.)

Die Verwandlung feudaler Abhängigkeit in Zwangsarbeit für den DERG mußte sich in blutigen Auseinandersetzungen entladen. Der „rote Terror“ der DERG-Soldateska ist so Grundlage der Politik des „äthiopischen Sozialismus“ mit seinen Arbeitern und alle Versuche, die Stadtproletarier für das Regime zu gewinnen, scheitern letztlich an der Funktion, die das Regime ihnen zugewiesen hat. Selbst die entschädigungslose Enteignung allen Haus- und Grundbesitzes in Addis Abeba und die Zusammenfassung der Bevölkerung in selbstverwalteten und mietfreien „Kebeles“ ist keine Konzession an die Not der Stadtbevölkerung, sondern ein Schlag gegen die DERG-feindlichen Adelsfamilien und ein Kontrollinstrument des Regimes, das in allen Kebeles „Volksgefängnisse“ unterhält.

Die antifeudale Umwälzung auf dem Lande war zunächst das Werk der Bauern selbst, die nach der Entmachtung des Kaisers in eigener Regie ihre Feudalherrn vertrieben. Die Landreform des DERG, durch Einsatz des Militärs durchgeführt, galt dem Ziel, die Versorgung der Städte mit Lebensmitteln zu gewährleisten, was die Bauern als neue Indienstnahme ansehen mußten und zu entsprechend feindseligen Reaktionen provozierte. Hinzukommt, daß die leibeigenen Gallas, die den amahrischen Feudalbesitz traditionell als Fremdherrschaft des Herrenvolks erfuhren, in den Offizieren aus der Hauptstadt neue Besatzer erblickten. Die vom DERG aufs Land verfrachteten 50.000 Studenten wurden weniger als Ausbilder in modernen Produktionsmethoden, Lehrer und Ärzte ausgesandt, sondern als zwangsweise von den Bildungsanstalten Ausgesperrte, die sich in der „revolutionären Arbeit“ die Flausen aus dem Kopf jagen und die Bauern auf den „äthiopischen Sozialismus“ einschwören sollten. Entsprechend versorgten sie die Bauern mit „revolutionärem Gedankengut“ maoistischer Provenienz bei ihrem Widerstand gegen die Zwangskollektivierung.


Reaktionäre und „revolutionäre“ Opposition in Äthiopien...

Die nationale Reaktion der Offiziere auf die imperialistische Abhängigkeit Äthiopiens, produzierte selbst den Widerstand gegen ihr Regime und sorgt schon dadurch dafür, daß der Nationalismus in einem Lande ohne Staatsvolk alles andere als ein Staatsvolk als seine Voraussetzungen herzustellen imstande ist. Die entmachteten Feudalherrn machten sich die Stammesrivalitäten und den Widerstand der Bauern zunutze und verschleißen die DERG-Truppen in einem steten Kleinkrieg in den Grenzprovinzen, wo sie vom Sudan aus unterstützt werden. Die „linke“ Opposition der ERPR (= Äthiopische revolutionäre Volkspartei) treibt den Pseudonationalismus auf die Spitze, indem sie das maoistische Prinzip „Aus den Massen Schöpfen, auf die Massen Bauen“ in einem Lande anwendet, dessen Massen bis heute noch den Kaiser als Gesandten Gottes verehren und von seinem Ableben keine Kenntnis nehmen wollen, weil der Nachfahr Salomons und der Königin von Saba unsterblich sei. Ebenso blödsinnig der Vorwurf der ERPR an den Terror des DERG, er würde „bürokratisch“ und „von oben“ regieren, noch dazu in einem Lande, wo die Schaffung einer funktionierenden Verwaltung eine zivilisatorische Errungenschaft wäre. Dabei unterscheidet sich die ERPR in ihren programmatischen Zielen um kein Jota vom „äthiopischen Sozialismus“ des DERG, nur will sie ihn nicht vom DERG („von oben“) durchsetzen lassen, sondern von den Massen („von unten“). Dabei benutzen beide Seiten die gleichen Methoden des Leuteabschlachtens, nur „agitiert“ der DERG die Massen durch systematische Liquidierung der Opposition, während die ERPR die Ermordung des AETU-Vorsitzenden und anderer Funktionäre des Regimes als „revolutionäre Tat“ feiert und selbst die borniertesten Widerstandsaktionen als „Masseninitiative zum Sozialismus“ begrüßt.


... und in Eritrea

An Eritrea schließlich läßt sich studieren, wie die Brutalität imperialistischen Umgangs mit einem Stück des Erdballs, das das Pech hat, von strategischer Bedeutung zu sein, einen „antiimperialistischen“ Widerstand hervorbringt, der nicht nur sein Produkt ist, sondern in allen seinen Aktivitäten das Nötige tut, dem Imperialismus seine Beute zu erhalten.

Nach einem kurzen Zwischenspiel des italienischen Faschismus als Kolonialmacht, der das Land als Aufmarschbasis für den Abessinienfeldzug benötigte, wurde Eritrea englische Kolonie und 1952 schließlich durch US-Initiative Äthiopien zugeschlagen. Der Preis: die USA erhielten bei Asmara einen Flottenstützpunkt und bauten eines ihrer größten elektronischen Überwachungszentren im Rahmen des sogenannten Frühwarnsystems. Das äthiopische Regime schlachtete seine Kolonie weidlich aus: alle Staatseinnahmen flossen nach Addis Abeba, eine Ausfuhrsperre für eritreische Waren ruinierte das einheimische Handelskapital und führte zu seiner Übernahme in amharischen Besitz. Der Gegensatz zwischen den moslemischen Nomaden der Küstenregion und dem christlichen Großgrundbesitz im Hochland gestattete es dem Kaiserreich, seine Herrschaft durch eritreische Kollaborateure abzusichern.

So enthielt das Programm der 1961 gegründeten Befreiungsbewegung ELF auch Punkte gegen Feudalismus und Kapitalismus im eigenen Lande, weil beide als Stützpunkte der Besatzungsmacht in Eritrea auftraten. Diese nationale Ausrichtung des Widerstands führte 1970 zu einer Spaltung der ELF in einander bekriegende Organisationen, deren „sozialistischer“ Teil, die PLF den Kampf gegen die Fremdherrschaft auch gegen die Amharen-Besitzer in Eritrea ausfocht und in befreiten Gebieten durch Landreform, Schul- und Krankenhausbau auf die Unterstützung von Teilen der Bevölkerung rechnen konnte. Allerdings blieben die Erfolge der PLF durch den Terror der Besatzungsmacht begrenzt (Bombenangriffe auf die befreiten Gebiete, Zwangsumsiedlungen und Errichtung von „Wehrdörfern“ nach vietnamesischem Vorbild.) Nach dem Militärputsch in Äthiopien wiesen alle Befreiungsbewegungen das Autonomieangebot des DERG zurück und schlossen sich zu einem militärischen und politischen Bündnis zusammen, um die Gunst der Stunde zu nutzen. Nach dem Sieg im Ogaden sind es nun die MIGs der äthiopischen Luftwaffe, die die Einäscherung von Ortschaften in befreiten Gebieten übernommen haben und die noch von den Israelis ausgebildete Counter-Insurgency-Gruppe „Die Flamme“ führt ein Schreckensregiment in Asmara und Assab. Die vom Imperialismus geschaffene Verwandlung des Klassenkampfs in eine nationale Frage ist von den Betroffenen patriotisch umgesetzt worden, die damit die Gewähr dafür bieten, Eritrea als Spielball strategischer Überlegungen zu erhalten. Hinzukommen die ökonomischen Interessen Saudi-Arabiens, das sich von einem unabhängigen Eritrea eine Anlagesphäre für seine Ölmilliarden erhofft. Die PLF steht so vor der trostlosen Perspektive, entweder nach dem Sieg von ihren Bündnispartnern liquidiert zu werden, oder, was wahrscheinlicher ist, nach der „Befriedung der Verwaltungsprovinz Eritrea“ durch die DERG-Truppen wieder auf den Stand von 1970 zurückgeworfen zu werden. Allerdings mit einem wesentlich stärkeren Gegner, als es das marode Regime des Kaisers je gewesen ist.


Der „Wissenschaftliche Sozialismus“ in Somalia

„Wahre Sozialisten sind die, die sich um ihre Nation kümmern, die ihr Land verteidigen.“

„Mit überströmenden Gefühlen tiefer Dankbarkeit für die Hilfe und Unterstützung hat das somalische Volk in seine Geschichte mit goldenen Lettern die Worte der Freundschaft mit dem Sowjetvolk eingetragen.“

„Für den Westen ist es fünf vor zwölf, wenn er die Freiheit am Horn von Afrika retten will.“

Worte des Vorsitzenden der Sozialistischen Somalischen Revolutionspartei, Präsident Mohammed Siad Barre.

Die rückhaltlose Förderung ausländischer Investitionen in der verarbeitenden Industrie und in landwirtschaftlichen Großplantagen, der freie Transfer aller in Somalia erzielten Profite, trieben das korrupte zivile Regime im nachkolonialen Somalia an den Rand des Staatsbankrotts und veranlaßten 1969 das Militär zur Übernahme der Regierungsgewalt. Der Obrist Mohammed Siad Barre schwang sich zum Präsidenten auf und verhieß dem Volk die Erfüllung seiner islamischen Heilsvorstellungen durch den „wissenschaftlichen Sozialismus“:

„Ich glaube, daß alle Menschen gleich geboren werden und deshalb gleiche Rechte haben. Das hat Allah gesagt und Allah hat uns nur die Wahrheit offenbart... Auch der Sozialismus ist für Gleichheit und Gerechtigkeit, beide sind nicht unvereinbar.“ (Barre)

Die 1975 erfolgte Nationalisierung des Innen- und Außenhandels und die staatliche Entwicklungsplanung, die Investoren die Anlagesphäre vorschrieb und eine somalische Mehrheitsbeteiligung vorsah, führte zum Abzug westlichen Kapitals und zur Massenemigration italienischer und französischer Fachleute. Nur die italienischen Besitzer der Bananenplantagen (Hauptdevisenquelle des Landes) blieben, weil Barre ihnen die Unverletzlichkeit ihres Eigentums zugesichert hatte. Sowjetische Berater nahmen die freien Stellen ein (was den umsichtigen Strategen Barre nicht hinderte, sich seine Polizei von der BRD ausrüsten und organisieren zu lassen). Der Hauptprogrammpunkt der zur ideologischen Absicherung der Militärherrschaft gegründeten Somalischen Sozialistischen Revolutionspartei, die Eroberung „allen Landes, auf dem somalische Menschen leben“ entsprach durchaus den sowjetischen Interessen, weil es sich bei den betroffenen Staaten durchweg um Einflußzonen der US-Konkurrenz handelte. Erst als die SU im DERG-Regime einen weiteren Stützpunkt für ihre Interessen in der Region entdeckte und mit ihrem Plan einer ,,revolutionären, antiimperialistischen Föderation Addis-Mogadischu“ in Gegensatz zu den „Großmacht“plänen Barres geriet, wies dieser die Sowjets aus dem Lande, was jedoch keineswegs zu der erhofften US-Hilfe führte. Die Amerikaner hatten ihr Ziel auch so schon erreicht und konnten sich von einem Krieg um den Ogaden nur eine Schwächung aller Beteiligten erhoffen, die den Boden für ihr Geschäft bereitet. An den Häuten und Fellen der somalischen Nomaden waren sie nicht interessiert und die Rote Flotte in Berbera, ohnehin keine bedeutende Gefahr, hatte Barre selbst zum Auslaufen gezwungen. Sie freuten sich hämisch über die „Ohnmacht“ der „Supermacht“ Sowjetunion, die sich von einem orientalischen Potentaten hinauswerfen lassen mußte und ihre Milliardeninvestitionen als Verlust abschreiben konnte.

Daß Somalia eines der ärmsten Länder der Erde bleibt, besorgt Barres Sozialistische Revolutionspartei, die die spärlichen Ressourcen des Landes im Krieg mit Äthiopien und in der Konfrontation mit Kenya und Djibouti verschleudert, in eigener Regie. Selbst die geringen Anstrengungen zur Sesshaftmachung und Alphabetisierung der Nomaden dienen allein den chauvinistischen Zielen des Regimes: Nomaden wurden in den „befreiten“ Ogaden verfrachtet und die Einführung und Propagierung von Somali als offizieller Landessprache führte nach Propagandabekundungen des Regimes vor allem zu dem Resultat, daß „somalische patriotische Tänze und Lieder zu neuem Leben erwacht sind“, und die Gedichte des Mullahs Sayid Abdullah Hassan, die vom großsomalischen Reich träumen „gegenwärtig in Somalia einen Massenabsatz finden“. (zitiert nach „Arbeiterkampf“ Nr. 111 v. 20.8.1977) Bereichert wird seit neuestem diese somalische „Kulturrevolution“ durch Gesänge, die den Handstreich der GSG-9-Truppe in Mogadischu als „brüderliche Heldentat“ deutscher Kriegskunst und weiser Strategie des „Bruder Präsidenten“ verherrlichen.


III. Die Interessenten

Wie immer ist die Sowjetunion der große Verlierer. Mit dem Imperialismus konkurrierend, ohne über seine ökonomische Potenz zu verfügen, zieht sie gegen den Imperialismus stets den kürzeren. Dieser Vorgang ist in Somalia vorläufig abgeschlossen und in Äthiopien ist außer Spesen bislang noch nichts herausgekommen. Es gibt keine Garantie für die Sowjetunion, daß das DERG-Regime nach der militärischen Konsolidierung nicht ebenso auf den schwachen Rubel verzichtet, wie dies Sadat in Ägypten getan hat, um an die (spärlich fließenden) Dollars für die Sanierung seiner Wirtschaft heranzukommen. Inzwischen hat sich leider auch der kubanische Internationalismus zum willigen Vollzugsgehilfen sowjetischer Außenpolitik degradiert. Noch vor zwei Jahren hatte Fidel Castro bei Besuchen in Mogadischu und Addis Abeba kritische Distanz sowohl zu Barres „wissenschaftlichem Sozialismus“ als auch zum „äthiopischen Sozialismus“ des DERG gewahrt. Jetzt chauffierten Kubaner sowjetische Tanks im Ogaden zur somalischen Grenze und die kubanische Revolution schickt ihre Soldaten für ein Militärregime ins Feuer, das sein eigenes Volk mit Terror bei der Stange hält, um es in Kriegen zur „Verteidigung der heiligen Erde des Vaterlands“ zu verheizen.

Der Imperialismus ist in der besseren Position. Da ohne ihn ökonomisch beim Aufbau eines „nationalen Kapitalismus“ nichts läuft, seine strategische Position durch seine Vasallen in der Region abgesichert ist, können die USA die Entwicklung abwarten, alle Beteiligten zur Mäßigung ermahnen und es ihren arabischen „Partnern“ überlassen, ein Übergewicht Äthiopiens zu verhindern. Langfristig können sie mit der Bereitschaft des DERG-Regimes rechnen, zu einem Arrangment mit dem westlichen Kapital zu kommen, zumal die wichtigsten Handelspartner Äthiopiens, Sudan und Kenya ohnehin fest ins imperialistische System integriert sind.

Der Kampf ums Horn von Afrika markiert so ein Kapitel imperialistischer Gewaltpolitik und des nationalistischen „Antiimperialismus“:

– Die nationale Identität ist in den Stammesgesellschaften Äthiopiens und Somalias nur eine synthetische und das beweisen noch alle Versuche ihrer gewaltsamen Herstellung.

– Das Nationalisierungsprogramm als Antiimperialismus ist die Reaktion der Militärs auf die Abhängigkeit, die die jahrhundertelange koloniale und neokoloniale Ausbeutung den afrikanischen Völkern aufgezwungen haben, ist als nationale Unabhängigkeit bei fortdauernder ökonomischer Abhängigkeit nichts anderes als die Ideologie von Staaten, die die Ausbeutung ihrer Bevölkerung in die eigene Hand nehmen wollen und dabei auf die Hilfe des Imperialismus nicht verzichten können.

Aus den Blutbädern der Kriege um „nationale Unabhängigkeit“ gehen Gebilde hervor, deren Abhängigkeit größer denn je und daher billiger zu erhalten ist. Die in solchen Scharmützeln verheizten Massen werden für Kriege zum Sterben geschickt, deren Resultate vorher schon feststehen. Der erfolgreiche Abschluß des äthiopischen Ogadenfeldzugs, der den status quo ante auf der ganzen Linie wieder herstellte, hinterläßt beide Kontrahenten ausgezehrt und angewiesen auf ihre jeweiligen Waffenlieferanten, die auch dafür Sorge tragen, daß die Menschenschlächterei zur Normalität in diesen Landstrichen der Erde zählt, wenn gerade einmal kein Krieg stattfindet.

Der Imperialismus sorgt also auf zweierlei Wegen für die Erhaltung des für ihn nützlichen Elends in den Ländern der „Dritten Welt“: Wo es sich auszahlt, durch die Ökonomische Inbesitznahme aller Ressourcen und die Übernahme der Produktion in die Regie des eigenen Kapitals, wofür dann auch die militärische Präsenz und der direkte Zuschlag notwendig werden kann; und wo es sich (noch) nicht lohnt, überläßt er es lokalen Potentaten, dafür ihre Völker blutige Schlachten austragen zu lassen, wie sie ihre Staaten am zweckmäßigsten für das Kapital einrichten.

Über den nutzbringenden Einsatz schwarzer Staatsmänner für die Geschäfte des Imperialismus in Afrika vgl. auch MSZ Nr. 15/1977 „Ausbeutung mit und ohne Negerstaaten im Südlichen Afrika“, MSZ Nr. 17/1977 „In Zaire" sowie das Porträt Idi Amins in MSZ Nr. 16/1977.

Zur Kritik des revisionistischen Internationalismus

Konsequenter Opportunismus ohne Rücksicht auf Verluste

Die revisionistische Parteinahme für die jeweiligen Regimes bzw. Befreiungsbewegungen erfolgt über die Position des realsozialistischen Vorbildstaates. Dabei hat die konsequente und parteiliche Interpretation von allem, was in Äthiopien und Somalia passiert, den Revisionismus noch nie vor ein Problem gestellt. Die Parteinahme für die dortigen Verhältnisse stößt im gegebenen Fall allein deswegen auf besondere Schwierigkeiten, weil die „Zentren der Weltrevolution“ im Verlauf der Ereignisse in raschem Wechsel abwechselnd in Addis Abeba und in Mogadischu das regionale Zentrum des Sozialismus bzw. des Kampfes gegen die Supermächte erblickten.

So erfolgte die Stellungnahme des MSB Spartakus gemäß der Präsenz der Sowjetunion. Solange Siad Barre „dem Sowjetvolk in tiefer Freundschaft verbunden“ war, wurden dem DERG-Regime die US-Waffen seiner Armee zum einzigen, aber stechenden Vorwurf gemacht. Nach dem plötzlichen Erkalten der unverbrüchlichen Völkerfreundschaft zwischen der SU und Somalia, entdeckten die Freunde der KPdSU den DERG als neue „Vorhut der revolutionären Kräfte im östlichen Afrika“ und die Hinrichtungen und Gemetzel innerhalb des DERG und gegen oppositionelle Gewerkschafter werden als „Siege der äthiopischen Revolution“ gefeiert. Für die Maoisten der KPD und des KBW, die anfangs die DERG-Regierung als Gegengewicht zum „sozialimperialistischen Brückenkopf Somalia“ schätzten, ist seit längerem Siad Barre zum führenden „antihegemonistischen Kämpfer“ der Region avanciert. Wurde angesichts eines Staatsbesuchs von DERG-Führern in Peking selbst die bislang gepflegte Hochschätzung Eritreas („Die eritreische Revolution ist ein wichtiger Bestandteil der Weltrevolution.“ Kommunismus und Klassenkampf, Nr. 2/1974) verdrängt, so stehen die Eritreer nun wieder hoch im Kurs und daran ändert auch das Engagement Saudi-Arabiens nichts, weil auch König Khaleds Schachern um den Ölpreis dem Konto der „Dritten Welt gegen die Supermächte“ gutgeschrieben wird.

Der KB, der weder in Moskau noch in Peking den Sozialismus auszumachen vermag, der seinem Ideal entspricht, sondern überall da, wo für „eine gerechte Sache“ gekämpft und vor allem auch gestorben wird, kritisierte von Anfang an den DERG mit konsequent trotzkistischen Argumenten („bürokratische“ Politik des „von oben nach unten“ statt „Massenkämpfe von unten nach oben“). Weil der KB auf die „Westsomalische Befreiungsfront“ Barres hereingefallen war, griff er beim DERG an („Den Staat zum Motor jeder Entwicklung zu machen, darf nicht mit Sozialismus verwechselt werden!“) was er dem „Somalischen Sozialismus“ als „Leistungen der Revolution“ zugutehielt, (vgl. „Arbeiterkampf“ Nr. 111). Mittlerweile steht man in Hamburg vor dem Trümmerhaufen der eigenen Solidarität, wozu spätestens die Ereignisse von Mogadischu Anlaß waren und zieht sich auf die „entschiedene Solidarität“ mit Eritrea zurück, wobei einem allerdings die Vereinigung der eritreischen Befreiungsbewegungen in die Quere kommt. Diese wird folglich als „Gerüchtemacherei“ abgetan und in der letzten Ausgabe des „Arbeiterkampf“ zu diesem Thema wendet der KB sich nur noch vehement gegen die Einmischung aller beteiligten Seiten. Die Bonner „Gruppe Rheinische Zeitung“ schließlich, Weltmeister in der „kritischen Solidarität mit den sozialistischen Übergangsgesellschaften“ entdeckt eine solche ausgerechnet im Äthiopien des DERG und läßt durch einen Beitrag (bezeichnenderweise im revisionistischen „Dritte Weltmagazin“) eines ihrer Mitglieder die Programme der DERG-Milizen als „Hinterlassenschaft des Imperialismus“ entschuldigen.

Diese Form der Funktionalisierung des Menschenschlachtens für die Propaganda der eigenen Ideale ist nun nichts Neues, nur wird die zynische Gleichgültigkeit gegen den realen Gehalt an Antiimperialismus, die als „uneingeschränkte Solidarität mit den Befreiungsbewegungen“ auftritt, am Horn von Afrika überdeutlich zur Anschauung gebracht.

 

aus: MSZ 22 – April 1978

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