Die Schule der Nation – Die Bundeswehr


Notwendige Ergänzungen zum „Weißbuch 1975/76 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr


Kaum scheint die innere Krise überwunden, droht nun eine äußere. Wie die SZ vom 16./17. Juni meldet, planen die USA den Abzug von Atomwaffen aus Europa. Die Mitglieder der Planungsgruppe der NATO, darunter der westdeutsche Kriegsminister Leber, reagierten mit der alarmierenden Warnung, durch die Rüstungsanstrengungen der Warschauer Paktstaaten einerseits und durch die jüngsten amerikanischen Pläne sei das nukleare Gleichgewicht in Europa ernsthaft bedroht und damit „unser aller Sicherheit.“ In dieser ernsten Situation, in der der Gegner nicht nur militärisch gleichgezogen hat, sondern sogar (!) noch Vorteile zu gewinnen droht, ist der Frieden gefährdet, den es schleunigst durch die eigene militärische Übermacht wieder zu sichern gilt. Besonders unangenehm sind solche Entwicklungen für den Befehlshaber der Bundeswehr, der noch im Frühjahr ein Weißbuch „Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr“ vorgelegt hat, in dem im Wahljahr dem Bundesbürger versichert wurde, daß auf eines in diesen unsicheren Zeiten Verlaß sei: auf seine Sicherheit. Besonders gravierend ist die amerikanische Maßnahme angesichts der Bedrohungen des Bündnisses durch die Kommunisten Italiens, denen man ihre Beteuerungen, auch sie hätten was gegen russische Panzer, nicht abnimmt. Mehr denn je wird es also in Zukunft auf den „eigenen Verteidigungsbeitrag“ der BRD ankommen, damit „ein Leben in Frieden und Freiheit“ gewährleistet bleibt. Die Notwendigkeit des Militärs für unseren demokratischen Staat, seine Funktion und wie es sie erfüllt, ist zwar bei den Bürgern unbestritten, wie die Autoren des Weißbuches demoskopisch herausgefunden haben, den Erfordernissen des Wahlkampfes entsprechend, ist die Begründung zu kurz gekommen. Dies wollen wir im folgenden nachholen.


I. Der Soldat und das Militär

Kaum aus der Ausbildung entlassen, kaum volljährig und somit erstmalig „ganze“ Staatsbürger, werden die Jugendlichen sogleich auf recht unsanfte Art darauf gestoßen, daß mit den damit erreichten neuen staatsbürgerlichen Rechten auch unangenehme Pflichten einhergehen:

„Wehrpflichtig sind alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an.“ (§ 1 Wehrpflichtgesetz)

Hatte der Staat bisher durch ein System der verschiedenen Schulgliederungen und -untergliederungen, durch Beratung und Ausbildungshilfen, durch Prüfungen und Anreize auf allen Ebenen versucht, die Jugendlichen gemäß ihren Neigungen und Leistungen sowie wirtschaftlichen Erfordernissen in einem adäquaten Beruf hineinzusteuern und damit gezeigt, daß ihm am wirtschaftlichen Nutzen der Jugendlichen im späteren Arbeitsleben liegt, so werden diese vor dem Eintritt in das Berufsleben erstmal in einer Weise beansprucht, die zeigt, daß es dabei auf berufliche Fähigkeiten nur am Rande ankommt, bei der Zeugnisse und bisher gezeigte Leistungen auch dementsprechend nichts zählen. Vielmehr werden die jungen Staatsbürger ohne Ansehen der Person und des Herkommens von extra dafür bestellten staatlichen Ärzten in Augenschein genommen, eben gemustert.

„Die Wehrpflichtigen sind ... auf ihre geistige und körperliche Tauglichkeit eingehend ärztlich zu untersuchen.“ (§ 17 Wehrpflichtgesetz)

Das hier nominierte Verfahren zeigt somit schon, daß es dem Staat bei der Verwendung seiner jungen männlichen Bürger als Wehrpflichtige um etwas anderes geht als Elternhaus, Schule und Lehre diesen bisher beizubringen vermochten.

Hierzulande gilt dies für den weiblichen Teil der Jugendlichen nicht, sie erleben die allgemeine Wehrpflicht nur negativ und müssen allenfalls den Mann oder Freund ziehen lassen. Eine Besserstellung gegenüber den Männern also, die Superdemokraten nicht ruhen und den Frauen auch die Segnungen der Wehrpflicht aus Gründen der geliebten demokratischen Gleichheit an den Hals wünschen läßt. Der Staat hat kein Problem mit der Gleichheit und holt sich die Frauen nur, wenn er sie braucht: einschlägige Gesetze der BRD sehen die Zwangsverpflichtung von Frauen zum Arbeitsdienst im „Spannungsfall“ vor.


Dienst für den Staat

Der Eintritt ins vielgerühmte „Erwachsenenleben“ bringt somit die ersehnten und versprochenen Vorteile des Wohlstandes und der Selbständigkeit nicht. Die Jugendlichen können nicht entsprechend ihrer Ausbildung einen Beruf ergreifen und in diesem ihre Karriere beireiben, sich also auch nicht in die Freuden des Konsums stürzen. Alles, was das Leben eben so besonders angenehm macht, fällt für diesen Teil der Bevölkerung erst einmal flach; an die Stelle der Annehmlichkeiten treten Kaserne und Sold. Die Propaganda der Bundesregierung, sonst gerade in Vorwahlzeiten eifrig bemüht, dem Bürger die Annehmlichkeiten der „freien Welt“ auszumalen und ihn die von Staats wegen auferlegten Beschränkungen vergessen zu machen, spricht im Falle der Sicherheitspropaganda dies ganz offen aus und versucht gar nicht erst, mit Hinweisen auf die besondere Ehre, den „grauen Rock“ tragen zu dürfen, von diesen Nachteilen abzulenken:

„Der Wehrdienst verlangt Opfer. Der Grundwehrdienst bedeutet Belastungen, finanzielle Einbuße, Unterbrechung des beruflichen Werdeganges. Der Wehrpflichtige wird aus seiner vertrauten Umgebung herausgenommen. Er erfährt bisher nicht gekannte Einschränkungen. Er muß in der Kaserne leben.“ (Weißbuch S. 163)

„Der Wehrpflichtige hat in der Regel während seiner Dienstzeit weniger Geld als sonst. ... Das konjunkturelle Auf und Ab der Wirtschaft kann während des Wehrdienstes die Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt verändern. ... Jede Unterbrechung der Ausbildung und jede durch den Wehrdienst verursachte Abwesenheit vom Arbeitsplatz kann Nachteile für den Wehrpflichtigen haben.“ (Seite 181)

Der Staat verlangt also nichts weniger von seinen mündigen Bürgern, als das Opfer von 15 Monaten seines bürgerlichen Lebens für das glatte Gegenteil und darüber hinaus macht er ihn auch noch mit der unangenehmen Folge vertraut, daß sein Wiedereintritt in die „vertraute Umgebung“ nicht leicht sein wird. Folglich macht sich auch das Weißbuch daran, eine derartig weitgehende Beschränkung des Bürgers zu erklären. Die Bundesregierung muß ihren Bürgern eben sagen, was auch schon der so friedlich gestimmte Teil wußte: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ (Die Tatsache, daß diese Begründung in allen Staaten für die Existenz von Wehrpflicht und Armee herhalten muß, zeigt schon, daß der Grund für diese staatlichen Veranstaltungen nur indirekt mit dem Nachbarn zu tun haben kann.)

Der Bürger muß also nicht nur guter Staatsbürger sein, er muß dem Staat auch noch den Dienst leisten, daß dieser beweisen kann, im Umgang mit anderen Staaten auch anders zu können.

„Der Soldat wird heute für einen Fall ausgebildet, den vorausschauende Politik und sein Können verhindern sollen.“ (Seite 136)


Keine schwärmerische Begeisterung

Nun mögen diese Argumente der Regierung dem Bürger einleuchten oder nicht einleuchten, spätestens beim Eintreffen des Einberufungsbescheides muß er sich mit dem Gedanken befreunden, Mittel staatlicher „vorausschauender Politik“ zu werden bei Strafe seines gewaltsamen Einzuges durch die Feldjäger. Der Zwang, der Wehrpflicht genügen zu müssen und damit Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, beinhaltet für den jungen Staatsbürger somit den Zwang, sich mit dem Militär auseinanderzusetzen. Da Vorteile für den Einzelnen nicht rausspringen, Schlupflöcher aber nicht vorhanden sind, findet sich der Jugendliche damit ab und beschließt in aller Regel, seine 15 Monate eben abzureißen, weder durch Ehrgeiz noch durch Insubordination dumm aufzufallen und möglichst bald in das Zivilleben zurückzukehren, um das Versäumte nachzuholen. Eine Einstellung, die die Bundesregierung sehr wohl zu schätzen weiß, sind doch Soldaten, die sich derart unterworfen haben, dem militärischen Zweck durchaus funktional:

„Es ist verständlich, daß diese Belastungen nicht freudig hingenommen werden. Das wird auch nicht verlangt. Nüchterne Einsicht in die Notwendigkeit der bewaffneten Friedenssicherung, staatsbürgerliches Pflichtbewußtsein und die Bereitschaft, seinen Mann zu stehen und den Wehrdienst mit Anstand hinter sich zu bringen, genügen vollauf. Solche Einstellungen entsprechen eher der militärischen Aufgabe als schwärmerische Begeisterung.“ (Seite 163)

Da jedoch die Wehrpflicht am meisten dann bejaht wird, wenn andere sie ableisten müssen –

„Die zurückhaltende Einstellung gegenüber der Bundeswehr bei den jungen Männern ist die logische Folge davon, daß die Wehrpflicht vorwiegend die Jugend trifft. Für Ältere ist eine Einberufung zum Wehrdienst seltener zu erwarten. Zustimmung zu Bundeswehr und Wehrdienst fällt den Älteren deshalb leichter.“ (Seite 164)

– versuchen selbstverständlich auch die mit dem Wehrdienst Konfrontierten es zu erreichen, daß andere den von ihnen als notwendig eingesehenen Wehrdienst ableisten müssen. Das „Drücken“ ist daher so alt wie die Wehrpflicht, „Scheuermann“, „Bettnässen“ und ähnliche mehr oder weniger echte oder erdichtete Leiden und Abartigkeiten sind das Material dieser Art staatsbürgerlichen Umgangs mit der Wehrpflicht; daß die jungen Bürger nicht zum Militär wollen, ist auch gegenüber diesen Tricks bei der Musterung schon lange vorgebeugt. Und auch für den, dem das „Drücken“ tatsächlich gelingt, bleibt die Wehrpflicht bestehen und im „Spannungs- oder Verteidigungsfall“ kommt ein Drückeberger eben ungedient und unausgebildet dran: außer dem Töten gibt es im Krieg noch andere Dreckarbeiten.


Kriegsdienstverweigerer und Pazifisten ...

Zeigt so der „Drückeberger“, daß er am Staat und seinem Militär nichts auszusetzen hat, solange es ihn nicht trifft, und damit für die staatliche Propaganda auch kein besonderer Anlaß vorliegt, sich mit ihm zu befassen, so wiegt eine andere Variante des Umgangs mit der Wehrpflicht, eine andere Variante der Kritik, wesentlich schwerer. Pazifisten und Kriegsdienstverweigerer bestreiten dem Staat grundsätzlich, daß er für den Kriegsfall rüsten muß; der Krieg entspringt laut dieser Auffassung einzig daher, daß es ein Militär gibt (und keinesfalls umgekehrt). Dem bewaffneten Staat setzen so diese Leute ihr Ideal eines Staates entgegen, der seine Meinungsverschiedenheiten friedlich, also durch Selbstaufgabe, lösen soll. Sie berufen sich auf die vom Staat im Inneren durchgesetzten Verhältnisse, deren Regelung durch die Gewalt des Rechts ihnen als gewaltfreier Zustand erscheint, und verweigern mit Berufung auf die im Verkehr der Staatsbürger untereinander geltende Moral dem Staat ihren Dienst. Der Pazifist predigt Gewaltlosigkeit, verweigert den Kriegsdienst mit der Waffe, und ist selbstzufrieden bereit, die aus diesem Konflikt resultierenden Nachteile auf sich zu nehmen.

Das GG nimmt auf diesen staatsbürgerlichen Konflikt Rücksicht und gestattet als Ausnahme von der allgemeinen Wehrpflicht das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, damit die Truppe von derartiger Unruhe verschont bleibt. Das Zivildienstwesen sorgt dafür, daß die Verweigerung nicht dazu mißbraucht wird, den Nachteilen der Wehrpflicht so zu entgehen:

„Entscheidend ist, daß die Heranziehung der Kriegsdienstverweigerer zu einem zivilen Dienst, der den Belastungen des Wehrdienstes entspricht, auch gewährleistet ist.“ (Weißbuch Seite 161)

Und da der Staat die Verweigerer durch das Gewissensprüfungsverfahren mit deren Einverständnis zu Idealisten gestempelt hat, bietet sich für sie der Arbeitseinsatz in Bereichen an, wo Idealismus von Nutzen ist.

Da also die Belastung des Zivildienstes so groß ist, daß Mißbrauch nicht zu befürchten ist, und die Wehrfreudigkeit allgemein zunimmt (Arbeitslosigkeit, NC, geburtenstarke Jahrgänge) versuchen jetzt die Sozialliberalen, die Unzufriedenheit am KDV-System mit seinem Gewissens-TÜV dadurch abzuschaffen, daß sich ein Wehrpflichtiger ohne Verfahren zum Zivildienst melden kann. Doch dies nur soweit, wie Belange des Militärs nicht berührt sind, denn dies bleibt das vorrangige „Gemeinschaftsinteresse“:

„Es kann deshalb in Zukunft bei ungedienten Wehrpflichtigen, die sich auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung berufen, auf ein Prüfungsverfahren verzichtet werden, wenn dies die Einsatzbereitschaft und die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte nicht gefährdet. Ein Recht, zwischen Wehrdienst und Zivildienst frei zu wählen, soll jedoch nicht eingeräumt werden. Nur derjenige ungediente Wehrpflichtige, der sich auf das Recht der Kriegsdienstverweigerung ausdrücklich beruft, soll statt des Wehrdienstes einen anderen im Gemeinschaftsinteresse liegenden Dienst, leisten.“ (ebd.)

Die CDU CSU steht diesen Plänen reserviert gegenüber. Mögen auch Sprecher der Betroffenen wie deren Parlamentsbeauftragter die hohe Gesinnung des KDV'lers preisen und nicht müde werden, herauszustreichen, daß es sich hier nicht um Drückebergerei handele, die CDU/CSU-Sprecher machen in ihren Beiträgen deutlich, daß sie genau davon ausgehen.

Und damit treffen sie lediglich die landläufige Überzeugung der Bürger, die sich nicht als „Kriegstreiber“ begreifen, sondern für friedliche Menschen halten, denen freilich die Umstände die Befürwortung der militärischen Gewalt aufzwingen.


... und ihre Bündnispartner

Dem Pazifisten stellt sich dies genau anders herum dar. Da kein normaler Mensch (in jedem Staat) den Krieg will, muß es also eine besondere Spezies Mensch an den Schalthebeln der Macht geben, die den Krieg wollen: die Kriegstreiber, -hetzer und -gewinnler. In ihrer Propaganda für einen Staat ohne Kriegstreiber und zusammengeschlossen in pazifistischen Organisationen zur Propagierung dieses Staatsideals geraten die Kriegsdienstverweigerer endgültig ins Abseits. Ihre Beteuerung, nichts gegen den Staat zu haben und nur das gründgesetzlich garantierte Recht auf Ablehnung des Militärischen zu betreiben (als ob dies absolut gelte und nicht auch die Wehrpflicht im Grundgesetz stünde), macht sie den Hütern eben jenes Grundgesetzes suspekt und anderen Staatsidealisten sympathisch. So ist es zu erklären, daß die KDV-Organisationen inzwischen zum Bündnisbereich der DKP gehören.


Treu bis in den Tod ...

Die Pflicht, ihm zu dienen, hat der Staat somit an seinen Jungbürgern unterschiedslos vollstreckt. Sie rücken quartalweise ein: die einen in die Pflegeanstalten, die anderen in die Kasernen, und da von letzteren etwas Besonderes verlangt wird, verpflichtet sie der Staat auch durch einen besonderen Eid:

„Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe.“ (Soldatengesetz §9)

Er bestimmt, per Gesetz, daß zwischen ihm und dem Soldaten „wechselseitige Treuepflicht“ besteht und hält auch mit dem Eingeständnis nicht hinter dem Berg, wem diese Treue etwas nutzt und wen sie etwas kostet:

„Der Soldat hat der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen. Er muß Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer verteidigen. Furcht vor Gefahr für Leib und Leben darf ihn nicht davon abhalten, seine Pflichten zu erfüllen. Dies gilt im Frieden wie im Krieg.“ (Weißbuch S. 133)

In schöner Offenheit wird hier erklärt, was Soldat sein heißt: Für den Staat sein bürgerliches Dasein aufzugeben und in einem Staatsbürgerdienst aufgehen, der nicht nur auf die Vernichtung anderer zielt, sondern auch die eigene einschließt. Und weil es ein anstrengendes Geschäft ist, den jungen Bürgern die Bereitschaft zur Abstraktion von seinem Interesse, ja von seinem Leben im Dienste des Staates anzuerziehen, braucht es die Brutalitäten des Soldatenlebens, die jeder Wehrpflichtige eine gebührende Zeit über sich ergehen lassen muß.


Ausrottung der bürgerlichen Individualität

„Die Einberufung zum Grundwehrdienst bedeutet den Wechsel in eine ungewohnte und unbekannte Umwelt. Der einzelne weiß nur wenig davon, was ihn im Wehrdienst erwartet. ... Die Übernahme der soldatischen Rolle bereitet Schwierigkeiten.“ (Weißbuch S. 166)

Das Soldatenleben ist zunächst die vollständige Ausrottung ziviler Lebensformen. Was das bürgerliche Leben ausmacht, gilt nichts. Der uralte Unteroffiziersspruch vom „Erst einmal gehen lernen“ drückt dies schlagend aus. Die völlige Vereinnahmung für den militärischen Zweck formt den Menschen neu. Die Individualität muß ausgelöscht werden. Die Uniform macht das äußere Bild einheitlich, der militärische Haarschnitt tut ein übriges. Essen, Trinken und Schlafen finden jetzt gemeinsam und vor allem dann statt, wenn der Dienstplan es vorsieht. Die Einpassung in die militärische Gemeinschaft ist alles. Im Anschluß an das Einkleiden überzieht das Militär die frisch in seine Gewalt Gelangten mit der Grundausbildung. Hier bekommt jeder, ohne Rücksicht auf spätere Verwendung oder Status, das militärische Verhalten beigebracht. Ein Plan von Diensten sorgt dafür, daß der Rekrut gehorchen lernt. Und der scheinbar sinnlose Putzzwang von Uniform, Waffe, Spind und Bett in den Dienstpausen bringt ihm bei, daß seine Stiefel wichtiger sind als er selbst. In der Formalausbildung lernt der Rekrut „gehen“, d. h., sich entsprechend den Befehlen im Gleichklang mit anderen Soldanten als Teil des ganzen zu bewegen. Die gängige Kritik an der Formalausbildung (Schleiferei), die diese für dysfunktional hält und damit zum Ausdruck bringt, daß ihr an einer funktionalen Armee liegt, übersieht gerade, daß nur so die Grundlagen militärischer Effizienz geschaffen werden.

Im Gelände, auf dem Schießstand („Der Pappkamerad fällt nur bei Volltreffer um!“) wird dem Soldaten klargemacht, daß es nur auf eines ankommt: den Gegner zu vernichten und die Sorge um's eigene Leben dem militärischen Kalkül unterzuordnen, d. h., es aufzugeben. So erklärt sich auch die Länge des Wehrdienstes: die eigentliche Schwierigkeit beim Erlernen des Kriegshandwerks liegt nicht in der Anwendung der Waffen, sondern darin, daß dem Soldaten die Bereitschaft, sie auf Befehl anzuwenden, in Fleisch und Blut übergehen muß. Und da man ihm diese Form von Rücksichtslosigkeit gegenüber den Mitmenschen nicht so ohne weiteres zumuten kann, weil es auch die Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst einschließt, bedarf es des Drills, der hierarchischen Unterordnung, der militärischen Kameradschaft bis hin zum markigen Gesang („Ein Lied, drei, vier…!“) Und falls der anderthalbjährige Zwang gegen die bürgerliche Individualität immer noch nicht die letzten Reste des in achtzehn Jahren mühevoll anerzogenen Gewissens ausgetrieben hat, gibt es das „vertrauensvolle Gespräch mit dem Vorgesetzten“ und die Militärseelsorge, die ihm eine rationelle Einstellung zum Fünften Gebot vermittelt. (Aktuell wird das Gewissen erst nach dem Krieg wieder, wenn die Siegermacht danach fragt.) Von dieser Einrichtung wird jedoch nur mit Maßen Gebrauch gemacht, hat doch auch der normale Bürger, der am Kriegshandwerk gerade schätzt, daß es ihm erlaubt, was ihm das normale Leben verbietet, keine Schwierigkeit mit der Einsicht, daß Freiheit und Gewalt zusammengehören.

Die Abrichtung zum zweckmäßigen Töten beinhaltet, daß der Soldat auch einmal ohne einen Offizier auskommen können muß, weswegen zur Praxis des bedingungslosen Gehorsams das Ideal des „mitdenkenden Einzelkämpfers“ gehört.


Ich hatt' ein einen Kameraden ...

Auch im Verhältnis zu seinen Mitsoldaten muß er beweisen, daß er einer ist: da ihm die Aufgabe seiner Privatsphäre in der Kaserne abverlangt wird und dies zu Reibereien mit den Kameraden führt, verordnet ihm der Staat per Gesetz ein gutes Verhältnis zu ihnen:

„Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte der Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen.“ (§ 12)

Auch das Lügen, bei der Verfolgung der Zwecke im Zivilleben nicht minder geschätzt, ist hier verboten:

„Der Soldat muß in dienstlichen (!) Angelegenheiten die Wahrheit sagen.“ (§13).


Des Soldaten Lohn

Und damit der Soldat im Ernstfall auch das Opfer des eigenen Lebens für den Staat bringt, auf das der Wehrdienst vorbereiten soll, gibt es die „Innenausbildung“ (Staatsbürgerlicher Unterricht), um ihm zu erklären, daß dieser Staat es auch verdient, daß man sich ihm opfert. In schöner, militärisch knapper und damit einprägsamer Weise drückt es das Weißbuch so aus:

„In diesem Land haben die Menschen noch nie so frei, noch nie so gut, noch nie so in ihrer Würde geachtet und sozial gesichert ihr Leben gestalten können wie heute. Unser Gemeinwesen hat es verdient, daß der Bürger es in seine Obhut nimmt, für seine Bewahrung und Ausgestaltung eintritt. Dieses Land ist es wert, daß der Bürger sich davor stellt, den Rechtsstaat verteidigt. Dies gilt für die Soldaten vom Wehrpflichtigen bis zum General. Das gilt für alle Demokraten. Das demokratische Staatswesen ist auf die Freiheitsliebe, das Rechtsbewußtsein, die Solidarität und die Treue seiner Bürger angewiesen. Die Demokratie kann nur leben, wenn die Bürger bereit sind, dafür einzustehen, Lasten auf sich zu nehmen und Opfer zu bringen. Ein Staat, der nicht von den Bürgern gemeinsam in verantwortungsvolle Fürsorge genommen wird, ist nicht fähig, die Freiheit zu schützen. Ein Leben in Unfreiheit aber wäre selbst bei materiellem Wohlstand ein menschenunwürdiges Leben.“ (Weißbuch S. 136 f.)

Damit dem Bürger die Obhut und Fürsorge des Staates zuteil werden kann, muß er für seinen Staat sorgen und als Soldat Opfer bringen. Die mangelnde Begeisterung am staatsbürgerlichen Unterricht ist nicht verwunderlich, sieht der Soldat doch nichts von diesen gepriesenen Vorteilen. Für die verlorenen 15 Monate wird ihm dadurch gedankt, daß er seiner Rückkehr ins Zivilleben mit Grausen entgegensehen muß, weil dieses statt des versprochenen Wohlstandes eine ganz andere Freiheit, nämlich die ganz frei von Arbeit zu sein, und ähnliche Vorteile der „freien Marktwirtschaft“ für ihn bereithält. Weil aber die staatlichen Sprüche über die Segnungen des Friedens und die Opfer, die dafür zu bringen seien, kaum einen in der Kaserne zufriedenstellen können, zeigt der Staat, daß Freiwilligkeit zwar erwünscht, bei ihrem Fehlen aber vorgesorgt ist: ein eigenes Straf- und Disziplinarrecht, eine eigene Wehrgerichtsbarkeit und eine eigene Polizei (Feldjäger) dokumentieren auch in den Formen staatlicher Repression die Selbständigkeit des Militärs gegenüber dem Zivilen und zeigen, daß militärische Untugenden nicht mit zivilem Recht zu verfolgen sind.

Dabei ist der Soldat nicht rechtlos gestellt; soweit militärische Funktionalität nicht entgegensteht, hat der Soldat dieselben staatsbürgerlichen Rechte wie ein Zivilist. Das System der „inneren Führung“, eingeführt, um die BW vom Ruch eines wiedererstandenen Deutschen Militarismus zu befreien, sorgt dafür, daß das Militär den Bürger nur gemäß militärischer Zwecke einschränkt und notwendige Schikanen auf ein zweckmäßiges Maß begrenzt.

„Der Staat hat die gesetzlich verbürgten Rechte des Soldaten zu wahren. Er darf nichts Unbilliges und Unrechtes fordern. Die Würde des Soldaten bleibt unantastbar. Befehle dürfen nur zu dienstlichen Zwecken ... gegeben werden.“ (S. 133,op. cit.)

Ein eigenes Beschwerderecht und notfalls der Wehrbeauftragte des Parlaments überwachen dies und tragen dazu bei, daß der Soldat sich tunlichst als „Bürger in Uniform“ fühle und fördert seine Bereitschaft, als solcher zu funktionieren.

Darüber hinaus wird gewährleistet, daß die Ableistung des Wehrdienstes den Bürger in der Konkurrenz nicht so zurückwirft, daß er quasi nicht mehr aufholen kann. Der Sold leistet das zwar nicht, ist dieser doch mit einem zivilen Gehalt wirklich nicht zu vergleichen und auch nicht als Lohn gedacht – die soldatischen Dienste sind sowieso Ehrendienste und damit unbezahlbar –, doch sorgt das Unterhaltssicherungsgesetz für die Familie und ist gewährleistet, daß der Arbeitgeber seinen Arbeitern, die Soldat werden müssen, nicht ohne weiteres kündigen kann.


Alte Kameraden

Ist er aber wieder in die Welt der Arbeit zurückgekehrt, verklärt sich ihm der „Bund" zur Quelle seliger Erinne­rung. Mag die Militärzeit für den ein­zelnen auch noch so beschissen gewe­sen sein, in Biertischgesprächen singt noch jeder Reservist das hohe Lied militärischer Tugend.

Demjenigen, der im Zivilleben nichts gilt, weil er es zu nichts gebracht hat und der das täglich zu spüren bekommt, muß eine Veranstaltung, in der der Einzelne sowieso nichts zählt, sondern seine Zurichtung auf den (verschworenen) Haufen, sein Einstehen für andere und Außerachtlassen des eigenen Vorteils wie das Paradies erscheinen gegenüber dem Zivilleben, das ihm seine Erfolglosigkeit und da­mit Bedeutungslosigkeit immer neu vor Augen führt. Er begeistert sich an der Zeit, da er zählte, weil er sich auf­gab und blickt voll Verachtung auf den Nichtgedienten, der wahrhaft unnütz ist.


II. Der Staat und das Militär

„Ohne militärischen Schutz läßt sich ein Leben in Frieden und Freiheit nicht gewährleisten ... deshalb brauchen wir die Bundeswehr.“ Helmut Schmidt, Bundeskanzler

Der oberste Befehlshaber der westdeutschen Armee ist kein Soldat, sondern ein Staatsmann: „Der Bundesminister für Verteidigung hat die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte.“ (GG Art. 65a) An dem Umstand, daß es durchaus einmal vorkommen kann, daß ein Ungedienter die Gewehre kommandiert, zeigt sich, daß die Bundeswehr zwar als Armee den Gesetzen des Militärsunterworfen ist, wie, wo und wann sie aber zum Einsatz kommt, gänzlich in die Kompetenz einer nichtmilitärischen Instanz fällt. Die Bundeswehr ist ein Instrument des Staates, das Mittel, mit der er als Macht auch außerhalb der Staatsgrenzen auftreten kann. Wie wichtig ihm dieses Mittel ist, zeigen die Mittel, die er sich diese Macht kosten läßt bzw. seinen Bürgern abverlangt, die auch bereit sind, zur Finanzierung der Armee durch Abzüge von ihrem Einkommen beizutragen, weil die Armee ihnen die Sicherheit ihrer Existenz als Bürger des Staates garantiere.


Eine demokratische Armee

Daß die Bundeswehr im Rahmen ihrer Entwicklungshilfe auch Offiziere aus Militärdiktaturen ausbildet, stellt sie vor keine Probleme: das Handwerk des Soldaten, die Kunst der Truppenführung, die Wissenschaft der Strategie kennen zwar auch unterschiedliche Konzeptionen; welche aber in den jeweiligen Armeen zur Anwendung kommen, hat nichts zu tun mit den unterschiedlichen politischen Systemen: so versäumen westliche Kameramänner keine Gelegenheit, östliche Elitetruppen beim Stechschritt zu filmen, um auf diese Weise eine Parallele zu Preußens, durch den Faschismus kompromittierter Militärglorie herzustellen, kriegen aber keine Zweifel am Funktionieren der amerikanischen Demokratie, wenn sie über Ausbildung und Praxis der „Ledernacken“ berichten, die sicherlich keinen Vergleich mit der SS zu scheuen brauchen. Jener chilenische Hauptmann, den die Bundeswehr zu Gast in ihrer Offiziersschule hatte, fühlte sich nicht nur wegen seines deutschklingenden Namens in der Lüneburger Heide heimisch, sondern auch wegen der von ihm konstatierten „politischen Neutralität“ der Bundeswehr, die auch als Kennzeichen der chilenischen Armee solange gerühmt wurde, bis sie die ihr Land regierenden Politiker umbrachte bzw. in KZ's einsperrte. Zum Skandal wurde die Präsenz der Chilenen erst, als sie auch außerhalb der Kaserne bekannt wurde: das Mitglied einer Armee, die nicht mehr Instrument der Staatsmacht war, sondern als Macht den Staat erobert hatte und ihn nun gegen die Bürger einsetzte, rief Kritiker auf den Plan, die die Bundeswehr nach ihrem Demokratieverständnis befragten. Deren Chef, Bundesminister Leber, bewies das seine, indem er gelassen erklärte, der Chilene werde militärisch ausgebildet und Militär und Staat seien bei uns zweierlei. Anders reagieren mußte er allerdings, als sein General Rall mit den südafrikanischen Faschisten Gespräche in Uniform führte: Rall wurde in den Ruhestand versetzt, weil er politisch in einem Sinne aktiv geworden war, wie dies der Politik der BRD schadet (was natürlich keineswegs heißt, daß zwischen den Armeen der SAR und BRD nicht weiterhin technisch-militärisch kooperiert wird). Gerade weil das Militär in der Demokratie ein Mittel ist, mit dem der Staat, der seine Existenz der freiwilligen Unterwerfung der Bürger unter seine Gewalt verdankt, und gerade nicht der bewaffneten Macht gegen die Bürger, Politik im Namen und Auftrag des Volkes macht, erfordert der zweckmäßige Einsatz der Armee ihre Institutionalisierung als von der Politik unterstellten, vom sonstigen staatlichen Handeln getrennter Bereich. Die Bundeswehr hat so eine politische Führung, die der militärischen befehlen kann und sie unterliegt dem Willen des Volkes dadurch, daß dessen Vertretung, der Bundestag, sie kontrolliert. Gerade die Eigentümlichkeit des Geschäfts der Armee erfordert ihre strikte Kontrolle durch den Staat: während dessen Geschäft darin besteht, den nationalen Reichtum zu fördern, zieht das Handeln jener unweigerlich das schiere Gegenteil nach sich: Werte an Eigentum und Leben der Staatsbürger werden vernichtet und selbst die Vergrößerung des Einflußbereichs der Staatsmacht im erfolgreichen Krieg richtet in den erbeuteten Gebieten Verwüstungen an, die unter Kontrolle gehalten werden müssen (dies der Ansatz einer bestimmten Spezies amerikanischer Kritiker des Vietnam-Krieges: „Was nützt uns dieses verdammte Indochina, wenn wir es in die Steinzeit zurückbomben?“ – H. Humphrey). Im Unterschied zu anderen Demokratien, in denen sich das Parlament bei der Kontrolle der Truppe im wesentlichen auf die Etatberatungen des Kriegsministeriums beschränkt, hat der Bundestag mit dem Argument, die Verselbständigung der faschistischen Armee habe zur Zerstörung des eigenen Staates geführt, die Konsequenz gezogen, fürs kontinuierliche Funktionieren einen Wehrbeauftragten des Parlaments einzusetzen, „als Hilfsorgan bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle.“ (GG Art. 45b) Der Wehrbeauftragte hat zu beobachten, wie das Militär seinen gesetzlichen Auftrag erfüllt und im Rahmen dieser Funktion auch zu verhindern, daß die Rechte einzelner Angehöriger der Bundeswehr nicht respektiert werden, wodurch der „Verteidigungsauftrag“ ernsthaft gefährdet werde, denn: „Sturer Kasernenhofdrill widerspricht den Erfordernissen einer modernen Streitmacht.“ (Weißbuch S. 1“). Für die demokratische Aura, einen demokratischen Drill, ist also gesorgt.


Der Preis der Freiheit

Wie wichtig dem Staat seine Armee ist, zeigen die Summen, die er sie seinen Bürgern kosten läßt: ein Fünftel des Bundeshaushaltes verschlingt die Armee. Diese Zahl hat es den linken Kritikern der Bundeswehr angetan, ermöglicht sie doch Rechenkunststücke anläßlich jeden Mangels in der Gesellschaft, und zum Handwerkszeug der Redakteure der DKP-Zeitung „UZ“ gehört denn auch ein Elektronenrechner, der jedes Jahr neu auf die Höhe des Wehretats einerseits, die, Zahl der davon finanzierbaren Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Arbeitsplätze u. v. m. andererseits programmiert wird. Der Staat reagiert darauf lapidar mit der Gegenrechnung:

„Friede und Freiheit kosten Geld. Die Verteidigungsausgaben sind der Preis.“ (Weißbuch S. 207).

Und genauso wie die Waren immer teurer werden, erhöht sich auch der Preis der Freiheit jedes Jahr um ein paar Milliarden. Auch dies läßt sich berechnen:

„Der Verteidigungsbeitrag bemißt sich nach der militärischen Bedrohung und der Leistungskraft unserer Volkswirtschaft.“ (a. a. 0.,S. 207)

Nun kann der Staat natürlich mit den 7,6 Milliarden nicht die Freiheit kaufen. Was er einkauft, sind zunächst Waffensysteme, ferner die Lebensmittel für den Unterhalt derer, die sie bedienen, Grundstücke für ihre Unterbringung etc. etc. (der Beschaffungskatalog der BW weist über eine halbe Million unterschiedlicher Posten auf. die – jeder für sich – ein Stück unserer Freiheit ausmachen, was jener CDU-Wehrexperte auch anschaulich formulierte, als er den Ankauf von 30 Phantomjägern im Fernsehen mit den Worten feierte: „Diese modernen Mehrzweckmaschinen geben unserem Land ein Stück mehr Freiheit.“). Alles dies stellt nicht nur einen Abzug vom gesellschaftlichen Reichtum dar, es macht auch die Schaffung von Produktionsstätten, ja ganzen Industriezweigen erforderlich, in denen Kapital und Arbeitskraft zur Herstellung von Gütern bzw. für Dienstleistungen eingesetzt werden, die in die Luft, ins Wasser oder in die Erde gejagt werden, von der also der Bürger nichts hat (mit Ausnahme der Kugeln, die beim Manöver jemanden treffen. Deren Konsum richtet allerdings Schaden an, der wiederum Geld kostet). Hier ist der Armeekritiker von links mit dem so augenscheinlichen Argument bei der Hand, die Rüstungsmilliarden stellten eine einzige, ungeheuere Verschwendung dar, vor allem im Frieden!

Wo Mittel verschwendet werden, müssen sie unweigerlich für andere Aufgaben fehlen. So eröffnet sich das weite Feld der Diskussionen darüber, ob (a) das Geld für das Militär sinnvoll verwendet wird und ob man (b) bestimmte Teile davon oder das ganze nicht weit sinnvoller anderswo verwenden könnte. Der Staat, der dieses Problem auch hat –

„Die BRD leistet einen Verteidigungsbeitrag, der den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Landes entspricht...und der schließlich auf die Finanzierbarkeit anderer, wichtiger Staatsaufgaben Rücksicht nimmt.“ (op. cit., S.207)

– antwortet auf solche Kritik, daß (a) er alles tut, für sein Geld das Beste möglichst billig zu kriegen (so unterhält er Forschungsabteilungen, die das Beste entwickeln, Beschaffungsabteilungen, die das Billigste kaufen, schließt Abrüstungsabkommen, die durch gemeinsame Beschränkung des einen Waffensystems den Ausbau des anderen ermöglichen und schließlich gibt es eine Abteilung, die Kriegsgerät, das für die BRD nicht mehr das Beste ist, an Länder verhökert, für die es gerade gut genug ist. So behelfen sich die Truppen des Shahs im Dhofar mit alten BW-Panzern und auch die Faschisten in Rhodesien haben gute Erfahrungen mit Waffen made in Germany gemacht); und daß (b) eine Armee nichts wert ist, die ihren Auftrag nicht erfüllen kann (daß die Bürger diese Auffassung teilen, wenn schon Militär, dann gleich zackig, beweisen nicht nur die bereits erwähnten Erforschungen der Bürgermeinung, sondern auch die Spötteleien über Österreichs Bundesheer bzw. die Witze über die Italiener als Soldaten) und um ihren Auftrag zu erfüllen, muß sie mindestens ebenso stark und modern sein wie der potentielle Feind. Daß der Feind stark, gefährlich und feindlich ist, die Armee effektiv sein muß oder gar nicht, die BW also so, wie sie ist, notwendig – dies dem Bürger immer wieder einzuhämmern, zählt zu den Aufgaben der Regierung und der BW selber. Diese veranstaltet bunte Nachmittage, bei denen Schulkinder in die Panzer steigen dürfen und Erwachsene mal schießen, jene hat dafür zu sorgen,

„die wichtigen Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen.“ (op. cit. 145)

Armee und Bürger

Was die Stellung des guten Soldaten zur Bundeswehr auszeichnet (der Dienst macht keinen Spaß, aber er muß sein), kennzeichnet auch die Stellung des Bürgers, der von ihr unmittelbar nichts hat außer Flurschäden:

„Es gibt weder eine ideologische Überhöhung des Soldatentums noch sind negative Vorurteile verbreitet. Das zivil-militärische Verhältnis ist normal.“

Entsprechend verfährt auch die Agitation und Propaganda für die Armee in der Öffentlichkeit: war die Verherrlichung des Krieges und des Soldaten kennzeichnend für die Wehrpropaganda unter'm Faschismus, so kennzeichnet die Werbung für den Frieden die Public-Relations-Bemühungen des Staates und seiner Parteigänger in den Medien. Die „Manager der 3. Dimension“ sehen nicht mehr im Krieg ihre Aufgabe, sondern in der Sicherung des Friedens. Der Offizier der „Jet-Generation“ hat einen „Arbeitsplatz“, an dem er sich „wohl fühlt“. Die BW wirbt ihre Berufssoldaten nicht mit der Aussicht auf Krieg, sondern mit der Garantie des Friedens, der Faszination der Technik und der fortschrittlichen Ausbildungsmöglich-keiten, womit festgestellt wird, daß die Armee so stark ist, ihre Waffensysteme ein nie dagewesenes Vernichtungs-potential darstellen, ihre Soldaten einen „hohen Leistungs-stand“ aufweisen (jeder seine eigene fighting machine mit overkill capacity) damit der Frieden gesichert ist.

 

III. Die Armee in Krieg und Frieden

„Die Politik ist Krieg ohne Blutvergießen, der Krieg ist Politik mit Blutvergießen.“
Mao Tse-Tung

Zu den beliebtesten Vorwürfen, die linke Gegner der Bundeswehr ihr machen, zählt derjenige der Friedensheuchelei. Die Bundeswehr sei der Beweis für die kriegerischen Absichten der BRD und die Rede vom Frieden ideologisches Geschwätz, hinter dem sich der Traum der Monopole und Hitlergeneräle vom Endsieg verberge, den sie nie ausgeträumt hätten. Nun mag es durchaus sein, daß mancher Altgeneral der westdeutschen Wehrmacht von einer Motorisierung der östlichen Grenzpfähle träumt, dieser Staat und seine Armee sind dennoch unbeirrbar für den Frieden. Die Blödsinnigkeit aller gegenteiligen Vorwürfe entlarvt sich dann, wenn diejenigen, die sie erheben, selbst für den Frieden sind und nun verdutzt feststellen müssen, daß ihr Gegner das gleiche propagiert. Anstatt nun einen Gedanken darauf zu verwenden, ob Frieden als Mittel der gleichen Politik taugt, die oft genug bewies, daß sie vor dem Krieg nicht zurückschreckt, streiten sich die Friedensfreunde darüber, wer sein wahrer Freund sei.


Frieden im Bündnis

Das Weißbuch der Bundesregierung „Zur Sicherheit der BRD“ beginnt mit folgender Feststellung zur „Lage“:

„Am Beginn des letzten Viertels unseres Jahrhunderts stehen die Völker und Staaten der Welt vor Herausforderungen, denen sie gemeinsam begegnen müssen. Politische Unruhen, ideologische Gegensätze und wirtschaftliche Fehlentwicklungen können den Frieden bedrohen.“

Was also den Frieden bedroht, sind „politische Unruhen“, als aktuellstes Beispiel führt das Weißbuch Portugal an, wo davor „gewarnt“ wird, „den Kommunisten die Macht gegen den erklärten Volkswillen zu überlassen (S. 15). Sicher noch aktueller ist die „Lage“ in Italien, wo die NATO mittlerweile „den erklärten Volkswillen“ nachdrücklich davor warnt, den Kommunisten die Macht, zu überlassen. Noch schlimmer für den Frieden sind „wirtschaftliche Fehlentwicklungen“, angesichts der im Weißbuch aufgeführten Tatsache, daß

„ihre (der BRD) wirtschaftliche Stabilität – eine Bedingung äußerer Sicherheit – von der Wirtschaftsentwicklung ihrer Handelspartner, von offenen Exportmärkten und von einer ausreichenden Versorgung Energie und Rohstoffen abhängt.“

Wenn also „unsere Sicherheit“ von diesen Faktoren abhängt, im Falle der „Bedrohung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ unweigerlich der „Verteidigungsfall“ eintritt, so verdanken wir den Frieden dem glücklichen Umstand, daß (1.) trotz der „politischen Unruhen“ in Europa „die unerläßliche Ausgewogenheit“ zwischen dem „Einfluß der Lebens- und Wertvorstellungen“ von Ost und West in Europa erhalten blieb.
und (2.) die „wirtschaftlichen Fehlentwicklungen“ noch nicht dazu geführt haben, „unsere Abhängigkeit von Handelspartnern und offenen Exportmärkten“ allzu schmerzlich spürbar werden zu lassen und daß –
auch dies spricht das Weißbuch offen aus (3.) der militärische, politische und ökonomische Hauptgegner weder stärker noch schwächer als das westliche Bündnis wird:

„Die Ausgewogenheit der militärischen Kräfte zwischen West und Ost bleibt für eine stabile internationale Ordnung unerläßlich.“ (S.4)

Der Frieden in Europa und der Welt ist also der Sicherheit geschuldet, daß der potentielle Feind (das sind alle Staaten, die der Durchsetzung der eigenen staatlichen Interessen Beschränkungen auferlegen), so schwach ist, daß er keine Gewalt hat, die Grundlagen des eigenen Staatswesens ernsthaft zu gefährden, andererseits aber auch so stark ist, daß es sich empfiehlt, sich auf seine Interessen friedlich zu beziehen, weil ein Waffengang unübersehbare Risiken einschlösse. Hieraus folgt nun:

– Die BRD ist alleine zu schwach, um obige Voraussetzungen des Friedens gegen ihre potentiellen Feinde zu erhalten. „Nur im Bündnis mit den USA ist die Sicherheit... der Bundesrepublik gewährleistet.“

– Der so gewährleistete Frieden beruht auf der Anwendung aller Gewalttätigkeiten seitens der imperialistischen Staaten gegen die Staaten, auf die sie als Exportmärkte und Rohstofflieferanten angewiesen sind.

– Im zwischenstaatlichen Verkehr mit den Staaten des ebenbürtigen Militärbündnisses, das ja nach wie vor Feind ist und bleibt („Staat und Gesellschaft, öffentliches und privates Leben werden von geistig-ideologischen Grundüberzeugungen bestimmt. In diesen Grundeinstellungen unterscheiden sich die Staaten der NATO und des Warschauer Pakts wesentlich. Trotz der Entspannungsbemühungen dauert die ideologische Auseinandersetzung zwischen Ost und West an.“ (op. cit, S. 9) muß die Durchsetzung der eigenen Interessen ohne militärische Mittel erfolgen, was einen geradezu zwingt, das gesamte Arsenal aller möglichen Gewaltmittel außer der unmittelbaren Konfrontation der Armeen einzusetzen (Vietnam zeigt, wie weit man dabei gehen kann).


Risse im Bündnis

Die Bundeswehr als Armee des westdeutschen Staates zeigt in ihrer Eingliederung in das NATO-Bündnis zugleich ihre Einbeziehung in das imperialistische System. Jene folgt aus dieser und nicht umgekehrt, wie das Gejammer über die Abhängigkeit der BRD von den USA meint, das deren Auflösung groteskerweise mit dem Argument fordert, eine „unabhängige“ westdeutsche Republik könnte es aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke noch weiterbringen. Daß die ökonomische Potenz des westdeutschen Kapitalismus die militärische Stärke der USA voraussetzt, die das Geschäft der „Offenhaltung der Märkte“ und des Sprudelns der Rohstoffquellen gerade dann absichert, wenn sie nicht zum Einsatz kommt, haben die Politiker begriffen, die trotz aller moralischen Empörung z. B. über Vietnam nicht einmal den Gedanken dachten, man solle aus der NATO austreten, nur weil deren Leitmacht bei der Verfolgung der gemeinsamen Interessen etwas „ungeschickt“ Vorgeht. Gerade die BRD ist zur Verfolgung ihrer außenpolitischen Ziele seit ihrer Konstituierung aus den westlichen Besatzungszonen auf die Eingliederung in die NATO angewiesen, woraus sich ihre „Musterknabenrolle“ erklärt. Was sich die Militärideologie aus der geopolitischen Lage („im Herzen Europas“) erklärt, verweist auf die Funktion der BRD im Konzept des Imperialismus, in dem sie als Frontstaat (mit Frontstadt) zur Eindämmung und Zurückdrängung des sozialistischen Lagers fungiert. Wenn sich jetzt über 20 Jahre nach Gründung der NATO Risse im Bündnis zeigen, so zeugen diese von der Notwendigkeit einer „Neuformulierung“ des ursprünglichen NATO-Konzeptes: die UdSSR und ihre Verbündeten wurden nicht nur nicht zurückgedrängt, ihre Positionen in Europa haben sich konsolidiert, in manchen europäischen Staaten droht eine Übernahme der Staatsmacht durch Bruderparteien der KPdSU und in den Ländern der „Dritten Welt“ haben antiimperialistische Befreiungsbewegungen – nicht zuletzt durch die massive Unterstützung der UdSSR – den USA und ihren Partnern schmerzliche Niederlagen bereitet. Die daraus resultierenden Schwächungen der USA führten letztendlich zu den Schwierigkeiten, die das Interesse der USA in ihrem Jubeljahr mehr auf das eigene Land lenken, als auf das Bündnis. Die Auswirkungen auf die NATO bemerkt auch die Bundesregierung, und sie gibt sogar die im Bündnis selbst angelegten Ursachen, die Unterschiedlichkeit der Interessen der in ihm souveränen Staaten, die untereinander konkurrieren und ihre Gemeinsamkeit nur über den äußeren Feind herstellen, zu:

„Auch zwischen den politischen Interessen gibt es Abweichungen. Hinzu kommen historisch oder politisch bedingte Rivalitäten zwischen Bündnispartnern.“ (op. cit. 8)


IV. Staat und Krieg: Der Nutzen der Bundeswehr

Die Bundesrepublik Deutschland ist keine Bananenrepublik, das sieht man nicht zuletzt an ihrer Bundeswehr. Während hierzulande die Staatsmacht über eine schlagkräftige Armee verfügt, mit der sie ihrem Willen auch außerhalb ihres Territoriums Geltung verschaffen kann, fällt in den Militärdiktaturen Südamerikas, Afrikas und Asiens die Staatsmacht mit dem Militär zusammen. In solchen Ländern hält sich der Imperialismus Oligarchien, die mit Hilfe der Truppe einen permanenten Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen und so die Ausbeutung dieser Länder für die Metropolen sichern. (Vgl. MSZ Nr. 10/1976 „Ausverkauf in Chile“.) In zivilisierten Staaten, demokratischen, herrscht deshalb Friede im Inneren und das Militär ist für sie ein Mittel in der außenpolitischen Konkurrenz um die Ausbeutung solcher Länder.

Dies erklärt, warum Staaten wie die BRD ungeheure Summen fürs Militär ausgeben, ihre Soldaten in der Kunst des Tötens perfektionieren und gleichzeitig alles tun, den Frieden zu erhalten. Im Militärkonzept der BRD heißt dies Abschreckung:

„Die Abschreckung muß so glaubwürdig sein, daß dem Angreifer das Risiko untragbar erscheint. Abschreckung verlangt schlagkräftige Streitkräfte und den erkennbaren politischen Willen, diese Streitkräfte zur Verteidigung einzusetzen.“ (Weißbuch S. 20)

Hier offenbart sich der Zynismus der Unterscheidung von Angriffs- und Verteidigungskrieg: der „Verteidigungskrieg“ ist nur möglich, weil man stark genug ist, den Gegner von einem Angriff abzuschrecken, den er zur Verteidigung seiner Interessen, d. h. zu ihrer Durchsetzung unternehmen könnte. Der Gegner andersherum greift nur deshalb nicht an, sondern verteidigt sich, weil ihn die eigene Stärke abschreckt. Was auf der Ebene der Staatspolitik als „Verteidigungsfall“ definiert wird – äußere Bedrohung der Sicherheit der BRD – und damit den Angriffsfall abdeckt, nötigt den Militärstrategen, für die Angriff und Verteidigung zwei technische Begriffe sind, die Schaffung eines Wortungetüms ab, um nicht mit der Staatsideologie zu konfligieren. Wenn sie angreifen, sprechen sie von „Vorneverteidigung“.

Der Krieg selbst, als Durchsetzung der Interessen nach außen mit Waffengewalt stellt den Widerspruch dar, daß er mit der Zerstörung dessen einhergeht, wofür er eingesetzt wird. Zumindest die Reichtümer des Landes, die in seiner Kriegsmaschinerie stecken – und meistens nicht nur diese – werden vernichtet, die Bevölkerung wird dezimiert (und die Zerstörung macht vor der erhofften Beute nicht Halt):

„Die Reaktion der NATO muß verhindern, daß es zu einem länger andauernden Kampf auf dem Territorium der BRD kommt. Denn: Ein solcher Kampf würde die Substanz dessen zerstören, was verteidigt werden soll.“ (op. cit., S. 87)

Das Weißbuch verschweigt auch nicht, worin die zu verteidigende Substanz besteht und verrät damit den Nutzen der Bundeswehr ebenso, wie es diejenigen angibt, die den Schaden haben:

„Die Industriestruktur unseres Landes ... verbietet Raumverluste. In einem 100 km breiten Streifen westlich der Grenze des Bundesgebietes zum Warschauer Pakt sind etwa 30 Prozent der Bevölkerung und 25 Prozent der Industriekapazität angesiedelt.“ (ebd.)

Daß die Bevölkerung zur Substanz gezählt wird, ist klar: rekrutieren sich doch aus ihr nicht nur die Soldaten, sondern auch diejenigen, ohne deren Arbeit es keine Industriestruktur gäbe und damit auch für den Staat nichts zu verteidigen. Daß auch die toten Soldaten einen Substanzverlust bedeuten, gibt der Staat an seinen Volkstrauertagen zu erkennen, in dem er aber zu den öffentlichen Kranzniederlegungen die Bundeswehr aufmarschieren läßt, macht er klar, auf welchen Teil der Substanz es ihm ankommt und daß er dafür nicht zurückschreckt, wenn es sein muß, relevante Teile seines Volkes zu opfern. So sorgen die meisten Staatsbürger gleich doppelt für das Wohl der Nation: sie schaffen den Reichtum, der ihnen nicht gehört und verteidigen bzw. mehren ihn im „Verteidigungsfall“ für diejenigen, denen er gehört. Hier ergibt sich so auch noch ein letzter Nutzen der Bundeswehr: als bewaffnete Macht, mit der der Staat unter Einsatz und teilweiser Aufopferung der Bevölkerung seine Substanz verteidigt, findet sie auch in Zeiten Verwendung, in denen die Substanz durch Teile der Bevölkerung bedroht ist:

„Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung ... Streitkräfte ... beim Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen.“ (Grundgesetz, Art. 87a)

aus: MSZ 12 – Juli 1976

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