Studienberatung der neuen Studentenbewegung


In der linken Scene der Universitäten der BRD kursiert ein neues Buch: Uni-Angst und Uni-Bluff, „in ländlicher Einsamkeit in Italien heruntergeschrieben“ von Wolf WAGNER, einem „linken Dozenten“ der Politischen Wissenschaften an der FU Berlin, der offenbar ein Problem mit seinen Lehrveranstaltungsteilnehmern hat –

„Unsere Lehrveranstaltungen mißlingen immer wieder, die Teilnehmer sind frustriert, bleiben weg, die Gruppen brechen auseinander, die Papiere sind lustlos (!) und ohne das Interesse am Stoff, das wir erwecken wollen, zusammengekloppt.“ (alle Zitate aus: W. Wagner, op. cit., Westberlin 1972)

–  Weil er in seinen Seminaren alles selber machen muß und seine Studenten nicht die angemessene Aktivität XXXXzeigen
–  weil er „sieben Jahre lang an verschiedenen Universitäten und in einer ganzen Latte von Fächern herumstudiert“ XXhat
–  weil das einzige Wort, das er mit seinen Kommilitonen dabei gewechselt hat, die Bitte in der Bonner Mensa war: XX„Kann ich bitte Salz haben?“
–  weil er sich „seit der Pubertät immer sehr unsicher gefühlt“ hat „und herausfinden wollte, was eigentlich mit mir XXlos ist“ und
– weil er deshalb seinen Studenten ihre Orientierungslosigkeit beim Examen nachfühlen kann und oftmals „in XX XXmündlichen Prüfungen mehr als sie selber Angst hat“,

deshalb hat er ein Buch geschrieben, das „eigentlich helfen (soll), sich durch die Universität nicht mehr einschüchtern zu lassen“.

Wo noch jede Maßnahme im Rahmen der Hochschulreform unmißverständlich klarmacht, welche und zwar welche gesteigerten Anforderungen der Student zu erfüllen hat –

„Das Wort »Teilnahme« oder »Besuch« wird jeweils durch die Wörter »erfolgreiche Teilnahme« ersetzt.“ (Neufassung der GPO in Bayern)

und obwohl auch Wolf Wagner feststellt, daß es „keinen schnelleren Weg zur Depression als das Lesen von Examensanforderungen“ gebe, deren Erfüllung durchaus nicht sicherstelle, ob die „erworbenen Kenntnisse dann auch für die Prüfung ausreichen“, weil es eben „die Führungspositionen ... nur noch (?!) für ganz wenige gibt“ leugnet er die Objektivität nicht nur der Anforderungen:

„die sind purer Bluff, und es gibt niemanden, der sie je erfüll hat.“ und „Die Institution Universität macht normalerweise überhaupt nicht klar, was du leisten mußt“,

sondern auch der Angst der Studenten davor, diesen Anforderungen nicht gerecht zu werden:

„Du mußt die Erfahrung machen, daß die Angst gar nicht nötig ist, daß es in der Wirklichkeit für diese Angst keinen Anlaß gibt.“

Da die Studenten also selbst schuld sind, wenn sie in der „steilen Karriere-Kletterwand“ (KuMi Maier) abstürzen, empfiehlt er denen, die noch um einen der begehrten Plätze kämpfen dürfen, zum einen einfach das Ideal der von ihnen praktizierten Konkurrenz, eine ,,Atmosphäre des sich gegenseitig Akzeptierens und Zuhörens“ ein Ideal, das in seiner konkreten Form seine Herkunft verrät:

„Niemand schreibt mehr als 15 (!) Seiten (je nach Schrift) in den Klausuren und niemand mehr als 120 Seiten in der Diplomarbeit!“

zum anderen nach dem Motto: „Wer den Erfolg erwartet, erlebt ihn auch!“ die „Angst vor dem Scheitern“ sich einfach auszureden oder daran zu denken, wofür man sich die ganze Plackerei antut:

„autosuggestive Übungen mit Hilfe von Gedanken an die positiven Möglichkeiten“, die sich nach (!) der Prüfung eröffnen.“

Ein weiterer wertvoller Tip – v.a. für Erstsemester – besteht darin, die Angst, im Seminar das Maul aufzumachen, mit dem tollen Trick loszuwerden,

„das erste Mal (wenn möglich, schon in der ersten Sitzung) irgendetwas Technisches zu fragen, etwa: »Wieviel Seiten muß denn so ein Referat haben?«“

Angeblich sollen einige Leser in Berlin diesen Tip so gut gefunden haben, daß sie in Wagners Wintersemestergrundkurs eine Schlägerei um die erste Wortmeldung angezettelt haben.

Im Gegensatz zu diesen Erstsemestern weiß W. Wagner jedoch sehr wohl, daß der emanzipatorische Teil seiner Vorschläge niemand nützt außer dem Wagenbach-Verlag und ihm selbst. Deshalb hat er für diejenigen, die nachwievor abstürzen, den gemeinen Trost parat, sie sollten bedenken, daß sie schlechtes Schuhwerk gehabt hätten und immerhin wüßten, auf welchen Berg sie wollten:

„Ein Studienabbruch ist ja dann auch keine Katastrophe, wenn er nicht unbegriffene und verzweifelte Flucht vor etwas bedrohlich Unbewältigbaren ist, das einen auch danach noch weiterverfolgt. Wenn du merkst, daß dir das Studium nichts bringt und deshalb abbrichst, ist das etwas ganz anderes, ist nicht Scheitern, sondern bewußte Entscheidung gegen die ganzen Aufstiegszwänge und für eine Tätigkeit, mit der du dich identifizieren kannst.“

Mit diesem Rat ist zwar dem Studienabbrecher nicht geholfen, wohl aber der Universität, die so eine wertvolle Unterstützung erhält bei ihrem Geschäft, die vermehrte Nachfrage nach gut bezahlten Jobs dem gleichgebliebenen Angebot anzupassen. Und weil dabei eine ganze Menge nicht nur mit einem mieseren Job vorliebnehmen soll, sondern überhaupt keinen bekommt, landet Wagner einen Tiefschlag: er warnt

„vor dem Schielen nach den Lücken des Arbeitsmarktes und dem Sichanpassen an die gegebenen Anforderungen ... in einer kapitalistischen Gesellschaft ändern die sich nämlich dauernd und sind weder steuerbar noch vorherzusehen.“

So versucht dieser Mensch dem geplagten Studenten jeden Ausweg zu versperren, aber nicht um ihn gegen die Ursache seiner Scheiße aufzuhetzen: Noch die größten Sauereien des Kapitalismus dienen einem Solidaritatsfummler dazu, die Leute zum Verzicht zu bewegen, um sie ins „Kollektiv“ zu jagen –

„Das wichtigste ist, Du mußt dich mit anderen zusammentun!“ –

wobei er ihnen verspricht, „daß es da oft noch mehr Frust und mehr Konflikte gibt, als wenn man allein ist.“ Und diese „Schwierigkeiten beim Sichwehren“ sollen ausgerechnet aus zwei Dingen entstehen, die auch ein salonfähiger Sponti haßt wie der Teufel das Weihwasser: Wissenschaft und Klassenkampf. Der Anspruch nämlich,

„den Kapitalismus in allen seinen unterschiedlichen Ausprägungsbereichen“ (unerhört!) „theoretisch erfassen und erklären zu können“ und der Wille, „ständig durch individuellen Einsatz die Klassenkämpfe vorantreiben zu wollen ... ist an der Universität für den solidarischen Zusammenhang besonders gefährlich“.

Gegen solche Ansprüche gilt es eisern zu studieren und sich nicht zu verlieren: sie „sollten auch durchaus aggressiv zurückgewiesen werden“, wofür sich zum Training ganz offensichtlich das Rollenspiel eignet:

„Wichtig ist dabei aber vor allem, daß die Spiele nicht nur sprachlich, sondern mit der Emotionalität des ganzen Körpers und mit aller übertriebenen karikierenden Rachsucht ausgespielt werden“.

Wagners Buch ist einerseits ein kleiner Ratgeber für Studienanfänger, zugleich aber andererseits auch ein „Rotbuch“ weil es die üblichen Tips und Tricks, wie man an der Uni zurechtkommt, mit soziologischen Kalauern und psychologischen Rezepten versieht, wie das Büffeln emanzipatorisch, kritisch und zugleich lustig gestaltet werden kann. Rät der bekannte Rowohltband von P. Conradi jedem vom Germanistikstudium ab, der an einer Buchhandlung vorbeigehen kann, ohne einen Blick auf die Auslage zu werfen, so macht Wagner aus der Lust am Studium ein Programm, in das sein Handbuch einüben soll. So erklärt sich der Erfolg seines Machwerks aus den Auswirkungen der Hochschulreform, die es immer schwieriger machen, mit Gaudeamus wonnevoll an der Alma mater herumzuhängen und aus der Reaktion einer bestimmten Spezies unter den Studenten, aus der sich die neue Studentenbewegung rekrutiert. Für Leute also, die sich mit der durchgesetzten Konkurrenz in der universitären Ausbildung einrichten wollen und nur noch auf Mittelchen und Auswege scharf sind, damit es in der Konkurrenz nicht so ungemütlich wird, daß man es vor lauter Angst nicht mehr aushält: Gegen den Uni-Bluff die Uni geblufft!

 

aus: MSZ 21 – Januar 1978

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