Sternstunden des demokratischen Journalismus

Portugal im Spiegel

Hätte es noch eines weiteren Beweises bedurft, daß ein NATO-Land in Gefahr ist, seit Ende März gibt es ihn: Sowjetische Passagierflugzeuge landen in Lissabon! Da fügt sich eins zum andern: „Der neue Sowjet-Botschafter Arnold Kalinin … hatte den Kreml bereits bei Kubas Castro vertreten.“ Was als große Hoffnung begann, hat zu einer „politischen Dynamik“ geführt,

„die das Land immer rascher auf die Entscheidung zutreibt, ob nach fast 50jähriger Diktatur eine pluralistische Demokratie oder eine neue totalitäre Herrschaft sein wird.“


Dabei hatte alles so schön angefangen: ein Offiziersputsch mit vertrauenswürdigen Spitzenkräften, Generale wie Spinola und Caulza de Arriaga, bewährt in der Verteidigung abendländischen Kulturguts in Guinea-Bissau und Mozambique, eine größtenteils zivile Regierung mit einem liberalen Rechtsanwalt an der Spitze als Garant dafür, daß auch alles rechtens zugeht, die Versicherung unerschütterlicher Bündnistreue und die Aufforderung an die Industrienationen, vertrauensvoll im neuen Portugal zu investieren. Mahnende Stimmen, die die Präsenz zweier Kommunisten in der provisorischen Regierung für gefährlich hielten, wurden überhört, oder gar – wie im Falle derjenigen Richard Jägers – als Unkenrufe aus der reaktionären Ecke diffamiert. Als jedoch der Ex-Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel – ein Gewährsmann in Sachen demokratischer Entwicklung de officio in Porto durch das Geschrei linksextremer Demonstranten belästigt wurde – es zwang ihn, statt mit dem Taxi per Hubschrauber zum Flugplatz zu fahren – wurden auch liberale Ohren hellhörig. Noch jedoch drang Beruhigendes aus Lissabon nach Deutschland, die Vernunft schien sich durchzusetzen: Mitte Februar beschloß die Vollversammlung der Bewegung der Streitkräfte (MFA), von allen übereilten Maßnahmen Abstand zu nehmen. Weder Verstaatlichung der Banken, noch Nationalisierung der Grundindustrie oder gar Enteignung ausländischer Unternehmen seien vorgesehen, denn:

„Vorsicht scheint vonnöten, denn die archaische Wirtschafts- und Sozialstruktur des ärmsten westeuropäischen Landes wurde selbst durch die behutsamen Reformen des Revolutionsregimes schon erschüttert.“

Ein Beispiel: die übereilte Anhebung der Mindestlöhne für Frauen auf DM 1,70 pro Stunde „überforderte die Finanzen der Arbeitgeber. Folge: Die Frauen wurden entlassen. Ungerührt durch solche Mißerfolge und unbelehrt von den Mahnungen demokratischer Beobachter aus der BRD, hielten die guten Vorsätze der Militärs nicht lange an: Gravierend äußerte sich die Unvernunft der Militärs im Haushaltsgebaren: das Budget für 1975 „weist, trotz erheblicher Einsparungen in der Verteidigung, ein Defizit von 1,5 Milliarden Mark auf … weil die Regierung für Erziehung und Kultur rund 50 Prozent, für das Gesundheitswesen beinahe 40 Prozent mehr ausgeben will als bisher.“ Kein Wunder, daß die NATO-Verbündeten keine Lust mehr haben, wie bisher die Defizite der portugiesischen Haushaltspolitik auszugleichen. Ehemals wurden zwar bis zu 3 Milliarden DM über die Militärhilfe bezahlt, doch da wußte man schließlich, was man hatte fürs Geld, „eine stabile Südflanke der NATO“.

Mit sichtlicher Erleichterung nahm man da die ersten Nachrichten zur Kenntnis, daß sich die Kräfte der Vernunft innerhalb und außerhalb Portugals zu regen begannen. So schrieb der CDU-nahe Informationsdienst „Vertrauliche Mitteilungen aus Politik und Wirtschaft“:

,,Einflußreiche Kreise der freiheitlichen Welt unternehmen z. Z. fieberhafte Anstrengungen, einen geplanten Putschversuch der Kommunisten und einen folgenden Bürgerkrieg zu verhindern. Erklärlicherweise muß die Führung dieser Aktionen in amerikanischen Händen liegen. Alle Politiker der portugiesischen demokratischen Parteien profitieren davon. Es könnte, wenn die Aktion gelingt, zu einer Rückkehr von Spinola kommen.“


Stümperhafter Rettungsversuch

Am 11. März endlich kam dann Spinola, doch landete er im brasilianischen Exil. Die Demokraten hierzulande waren zurecht empört. Wie konnte sich Spinola nur für einen „so dilettantisch ausgefallenen“ Putsch hergeben. Zumal dieser nun „den Linken fast wie gerufen kam.“ Zug um Zug versetzten die MFA-Offiziere der Demokratie den Todesstoß: die Christdemokratische Partei wurde von den Wahlen ausgeschlossen, nur weil ihr Vorsitzender am Putsch beteiligt war! Die Banken wurden verstaatlicht und die Regierung erwog ernsthaft eine Landreform zu Ungunsten des Großgrundbesitzes. In jüngsten Verlautbarungen erklärte der Ministerpräsident, der schon früher die Kommunisten gelobt hatte, Portugal solle eine sozialistische Gesellschaft werden. Das war zuviel: die Abscheu vor dem „Diktat der Militärs“ führte in Italien sogar zu einer ersten Bewährungsprobe des compromesso storico: Christdemokraten und KPI verurteilten einmütig die „Verletzung des politischen Pluralismus durch die portugiesische Regierung“ (KPI-Generalsekretär Berlinguer auf dem Parteitag in Rom). Auch die letzte Hoffnung, die für Ende April angesetzten Wahlen, ist vom MFA zunichte gemacht worden: Konnte man bislang darauf hoffen, daß die zum großen Teil analphabetische Landbevölkerung aus Angst vor dem Kommunismus oder wegen Verwechslung der Parteisymbole einen „hohen Wahlsieg der Sozialisten und der sozialliberalen Volksdemokratischen Partei“ bringen würde, so haben die Militärs durch ihr jüngstes Diktat ihren bestimmenden Einfluß auf die portugiesische Entwicklung frech institutionalisiert.


Hilfe von außen

Da kann anscheinend nur noch Hilfe von außen kommen: „Besorgt wurden die Botschafter der EG-Staaten und der USA bei Staatspräsident Costa Gomes vorstellig. „In Brüssel“, so erfährt man, „bemühen sich NATO-Generalstäbler derweil, die Portugiesen vorläufig zu isolieren.“ In vorausdenkender Sorge deutet der „Spiegel“ jedoch schon an, was nach den „vorläufigen“ Maßnahmen kommen könnte: das Angebot der Sowjetunion, beim industriellen Aufbau durch Experten zu helfen, veranlaßt ihn zu einer düsteren Parallele:

„Sowjet-Helfer in einem NATO-Land – das ist, als wären beim Prager Frühling 1968 US-Experten in den Warschau-Pakt-Staat CSSR gereist.“

(Alle Zitate aus: „Der Spiegel“, Nr. 9, 12 und 15/1975)

Letzte Meldung:

Mitte April sahen sich auch die portugiesischen Bischöfe veranlaßt, in einem Hirtenwort mahnend auf die Gefahr für Freiheit und Demokratie hinzuweisen. Wie ernst die Lage ist, zeigt die Tatsache, daß sich die Kirche zum ersten Mal in ihrer Geschichte zu einer solchen politischen Mahnung durchgerungen hat ...

 

aus: MSZ 4 – Mai 1975

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