Der Papst, der aus der Kälte kam

Die Volksrepublik unserer Lieben Frau


Da sich der göttliche Ratschluß unter Zuhilfenahme des Willens der Kardinäle in der Auserwählung des Polen Karol Wojtyla als seines ersten Dienstmannes vergegenständlicht hatte (die Italiener waren bekanntlich selber schuld, daß der Herrgott keine Mehrheit für einen der ihren zuwege brachte), konnten westliche Berichterstatter mit erwartungsfrohem Ton vermelden, die Wahl gehe nicht nur deshalb in Ordnung, weil der neue Pontifex maximus aus dem „katholischsten Land der Welt“ stamme, sondern auch und vor allem, weil dieses im „kommunistischen Machtbereich“ liege.

Die „Schrecksekunde“ der auf dem Petersplatz versammelten, auf den Schornstein starrenden Papa-Jubler wußten die Kommentatoren vor Ort und daheim daher auch souverän zu vernachlässigen gegenüber der welthistorischen Stunde, die damit den Machthabern im Osten geschlagen habe.

Nichtsdestotrotz war von offizieller Seite aus Polen zu hören, die Beförderung des Mannes aus Krakau sei eine „Ehre für Polen“.

Neben Pfarrkindern und Amtsbrüdern reiste dann auch eine Regierungsdelegation der Volksrepublik zur – „schlichten“ – Zeremonie der Amtseinführung an. „Gebilligte“ Circenses aber auch für das Volk zuhause: „Leergefegte Gotteshäuser – Trauben vor den Eurovisionsbildschirmen“ (ähnliche „Weltoffenheit der Zensoren“ gab's zuvor nur bei Ali's Preisboxen). Das „Neue Deutschland“ endlich meldete die Bestallung Johannes-Paul II. zwar „kurz“, aber immerhin mit dem Hinweis, er sei, als er noch Wojtyla war, in Dachau eingesessen – und wer in diesem Lager „Opfer des Faschismus“ tituliert wird, verbucht damit bekanntlich ein Lob für sich.

Der Gegensatz von Kirche und Kommunismus – sollte darauf etwa nicht mehr zu setzen sein?


Unruhe „hinter dem eisernen Vorhang“ – im Namen Gottes

Stefan Kardinal Wyszynski, der Primas des katholischen Polen, jedenfalls enttäuschte die Erwartungen und Hoffnungen der freien Weltöffentlichkeit nicht. Ohne ihre Geduld durch eine überspannte Schamfrist zu strapazieren, meldete er sich deutlich zu Wort:

„Ein Besuch des polnischen Papstes in seiner Heimat könne eine Öffnung der Kirche nach Osten nach sich ziehen. Eine Hinwendung nach »hier hinter dem eisernen Vorhang« werde vielleicht Tragödien, Sorgen und viel Leid der modernen Welt und vielleicht der Kirche lösen, sagte der Kardinal.“ („Süddeutsche Zeitung“ vom 8.11.)

Schlagzeilen wie „Wyszynski attackiert die Regierung“ und die darunter verzeichneten Frontberichte vom klerikalen Antikommunismus bespiegelten die Schreiber im Kommentarteil sogleich als sich aus der Papstwahl ergebende „neue Qualität“ militanten Ost-Christentums:

„Wyszynski zögerte nicht, daraus innenpolitischen Nutzen zu ziehen und die Forderung zu stellen, Gott zu geben, was Gottes ist – im Namen des polnischen Papstes.“ (SZ 8.11.)

Mitunter ist religiöses Eifern eben etwas per se Fortschrittliches. Es muß nur den Richtigen zu schaffen machen.

Der polnische Klerus wetzt derzeit unter dem Beifall der freien Welt neben der Aktivierung seines herkömmlichen antikommunistischen Inventars auch mutig die modernere Menschenrechtswaffe:

„Wyszynski betonte, die nationale Kultur Polens erfordere »Freiheit und Respekt vor den Menschenrechten«. Nur ein freies Volk könne Liebe ausdrücken, und nur ein Volk, das zu lieben vermöge, könne für die Zukunft des Landes arbeiten.“ (SZ 14.11.)

Ein offenes Wort bezüglich des Endes, zu dem die Indoktrination mit christlicher Moral zu führen verspricht: Freiheit – Liebe – Arbeit (für Polen). Seinen wohligen Klang in der bundesdeutschen Öffentlichkeit verdankt es – ideologische Selbstverständlichkeit, die es ist – dem Umstand, daß diese darin die Offensive gegen die Volksrepublik wahrnimmt, so wie ihr an der Entgegnung des Parteichefs der „Vereinigten polnischen Arbeiterpartei“ (PZPR) einzig die entsprechende Defensive auffallen will:

„Der Parteichef Gierek hat die Bevölkerung zur Einheit aufgerufen, damit die »Geduld, Verständnis und Disziplin« erfordernden Ziele erreicht werden können. In der Rede vor dem Parlament sagte Gierek, die Volksrepublik Polen sei die »Mutter aller Polen« – unabhängig von der jeweiligen politischen Zugehörigkeit, ihrer Abstammung oder ihrer Haltung gegenüber der Kirche. Die patriotische Einheit aller Polen sei das größte Gut des Landes.“ (SZ 8.11.)


„Mutter“ versus „Emanation“ – Wettstreit hoher Werte

Der gebildete Zeitungsleser wird angesichts dieser Konkurrenz um die Mutterschaft Polens vielleicht stutzen: einerseits militante Pfaffen – soweit, so gut –, andererseits aber Kommunisten, die sich bei den Pfaffen unterhaken möchten – hat denn der Kommunismus nicht die Kritik der Religion und die Bekämpfung der Wurzeln der Verhimmelung des „irdischen Jammertals“ auf seine Fahnen geschrieben?

Den Worten des obersten polnischen Kommunisten ist allerdings auch zu entnehmen, warum ihm eine Kritik der christlichen Moral schlecht zu Gesicht stünde: seine Position ist die der moralischen Konkurrenz mit der Religion – machen wir's in „Verständnis“ versus machen wir's in „Liebe“ (Polens Zukunft nämlich, mit den Polen). Während die westlichen Demokratien mit der Gewährung von Glaubens- und Gewissensfreiheit die Funktionalität der christlichen Religion für die erforderliche Staatsbürgermoral vorbehaltlos anerkennen, liegt die polnische, in der das Volk sich nun gänzlich selbst beherrschen darf, mit der Kirche im Krieg um das moralische Innenleben des Volkes. Dort, wo es sich bildet und daher zum erstenmal direkt unter die staatliche Fuchtel gerät, in den Schulen, gilt der Auftrag zu einer Erziehung

„im Geist der sozialistischen Moral und der sozialistischen Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens, der Liebe zum Vaterland, des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der Brüderlichkeit mit allen Werktätigen.“ (II, 196)

In Gestalt einer „sozialistischen Moral“, die – ausgebreitet in der Charakterologie der „sozialistischen Persönlichkeit“ – das Erziehungsideal für die Bildungsanstalten der Nation abgibt, will der Staat sich selber im Gewissen der werdenden Bürger verankern. Auf die freiwillige Anerkennung mag man sich also nicht verlassen, daher der Traum vom sozialistischen Charakter, weshalb das Ideal des Bürgers auch im Programm der Staatsgewalt, der Verfassung verankert ist. Allerdings gleich so, daß es seine Herkunft aus anderen Abteilungen der Politik verrät:

„Die Arbeit ist Recht, Pflicht und Ehrensache jedes Bürgers. Durch seine Arbeit, durch die Einhaltung der Arbeitsdisziplin, durch den Arbeitswettbewerb und die Vervollkommnung der Arbeitsmethoden festigt das werktätige Volk in Stadt und Land die Kraft und Macht des Vaterlandes, hebt den Wohlstand des Volkes und beschleunigt die volle Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung. (Artikel 14)
Jeder Bürger der Volksrepublik Polen ist verpflichtet, das gesellschaftliche Eigentum, als die unerschütterliche Grundlage der Entwicklung des Staates und als Quelle des Reichtums und der Kraft des Vaterlandes zu hüten und zu festigen.“ (Artikel 77)

Gerade das Erwerbsleben, der Bereich, in dem nach bürgerlichen Ideologien das Wirken des Egoismus das Wohl aller und das Gemeinwohl garantieren soll, verlangt hier den Tugendkatalog des arbeitsamen Opferwillens, der aus der Arbeit eine Ehre macht und das selbstlose Schaffen für die Kraft des Vaterlandes an die erste Stelle setzt.

Mit der Verwirklichung dieses Programms in der verstaatlichten Produktion hat sich die PZPR denn auch ihre Erziehungsaufgabe geschaffen. Während im freien Westen die Bedingungen des freien Arbeitsmarkts den nötigen Arbeitswillen garantieren, hat die Verwandlung der Arbeit von einer einfachen Existenznotwendigkeit, die sich zur Vermehrung des Kapitals ausnutzen läßt, in eine „Ehrensache“ die unangenehme Wirkung, daß der Egoismus durch seine unmittelbare staatliche Beschränkung sich nicht in gesteigerten Arbeitswillen umsetzt, sondern sich den staatlichen Anforderungen möglichst zu entziehen versucht.

Die fehlende Begeisterung für den Einsatz im Dienste des Staates, der die „Quelle des Reichtums“ fürs Vaterland, also erst einmal nicht für dessen Bewohner, benützt, läßt es den Parteioberen ratsam erscheinen, den sachlichen Zwang zur Arbeitsfreude, der in einer staatlich geregelten Produktion, die nun einmal als offene Zwangsveranstaltung abläuft, gar nicht aufkommt, durch Ideelles zu ersetzen. Als Absicherung für die praktische Indienstnahme der Bürger für den Sozialismus will der reale Sozialismus gleich auch noch deren Gewissen erobern, er begibt sich daher auf das Gebiet der Weltanschauung und Moral und tritt in Wettbewerb zur christlichen Erlösungsbotschaft für die Gebeutelten. Anstatt im Abstandnehmen von „dieser Welt“ sich in deren Notwendigkeiten zu fügen, soll sich nach dem Ideal der Hüter „sozialistischer Moral“ der Bürger allen Privatisierens enthalten und in der Hingabe an die Vervollkommnung der sozialistischen Errungenschaften aufgehen.


Die Kirche – ein ,,absterbendes Problem“?

Er soll – aber daß den Pfaffen in Polens realem Sozialismus das Menschenmaterial nicht ausgeht, ist ein Faktum. Im Gegenteil kann die VR von 1978 mit einer gegenüber der nichtkommunistischen Vorkriegszeit verdoppelten Zahl von Priestern und Kirchen aufwarten – und in letztere strömen die Massen um ersteren zu lauschen.
Daß die im folgenden ausgesprochene Hoffnung eines ehemaligen Erziehungsministers der VR ein frommer Wunsch geblieben ist –

„Das Absterben der Religion tritt nicht durch den Kampf mit ihr ein, sondern durch das Absterben des Problems.“ (I, 99) –

hat durchaus etwas zu tun mit der Konkurrenz, die die Partei der Kirche macht, und aufgrund derer sie die Religion nicht kritisiert: mit der bleibenden Armut und dem Versuch, sie im „ideologischen Kampf“ produktiv zu machen.


Der Fortschritt der VR Polen – durch katholisch gefütterte Weihnachtsgänse ...

Das beginnt damit, daß die polnische Landwirtschaft nach wie vor vom auf eigener Scholle wirtschaftenden Kleinbauern dominiert wird (die wenigen Ansätze zu Argrarkooperation wurden sogar weitgehend wieder aufgelöst), da sich der revisionistische Staat etwas davon verspricht, aus deren „Initiative“ seinen Nutzen zu ziehen. So entsprechen sich eine auf niederer Produktivität dahinwurstelnde Landwirtschaft und die Borniertheit bäuerlicher Frömmigkeit, die die Fährnisse von Landmann's Schicksal durch die Liebe zum gottgeweihten polnischen Boden bemeistert. Im Sejm sind die Landleute mit einer eigenen Partei vertreten und zuhause weitgehend verschont von den Weihen sozialistischer Moral.


... und die Aufgeklärtheit „wissenschaftlich-technischer Revolution“

Aber auch in neuangesiedelten Industriegebieten wie Nova Huta, wo die Stadtplaner vorsorglich den Bau einer Kirche vergessen haben, bricht sich – zur Befriedigung westlicher Beobachter – die Frömmigkeit – mitunter recht brachial – Bahn. Diesmal allerdings in Gestalt der Proleten, und das nicht trotz der von ihnen reichlich genossenen „Aufklärung“ in Sachen „Ideale des Marxismus-Leninismus“, sondern gerade wegen dieser Moral und der dazugehörigen Verhältnisse. Denn aus den aufdringlichen Aufforderungen – Verzicht und Anstrengung für das Wachstum (sozialistisch-)staatlichen Reichtums auch noch mit einer Einstellung zu begleiten, die daraus die „persönliche Verwirklichung in der sozialistischen Gemeinschaft“ herausleiert – entspringt bei der Mehrheit der polnischen Arbeiter – abzüglich jener wenigen, die es sich versprechen können, die Heuchelei dieser Einstellung in einen Vorteil (einen der nicht zu zahlreichen besseren Posten) ummünzen zu können – nicht nur der Wunsch, von der staatlichen Propaganda in Ruhe gelassen zu werden. Mehr noch: durch die Indienstnahme als Arbeiter und die penetrante Erziehungskampagne auch noch als Privatmensch doppelt in die Pflicht genommen, wird im Feld des Gewissens der Aufstand gegen den Staat ausgetragen.

Arbeit, wenn auch im Staatsdienst, bleibt Existenznotwendigkeit (statt der verlangten Ehrensache), so daß deren Pflichten mehr oder weniger gewissenhaft erfüllt werden; die zusätzliche Beanspruchung des persönlichen Bekenntnisses aber, das der Sozialismus für sich einfordert, wird zur Widerstandslinie und die religiöse Betätigung, die Form des privaten Zurechtkommens mit ungemütlichen Lebensumständen, zum Protest gegen den Staat. Der wahrgenommene Gegensatz zwischen sich und dem Revi-Staat verkehrt sich so in den Wunsch, das Abfinden mit den Beschränkungen des praktischen Lebens zumindest sich selbst überlassen zu sehen.

So hat der Sieg des Sozialismus in Polen es nicht nur geschafft, mit ihrer materiellen Grundlage, der Armut, in der man sich mit der Hoffnung auf ein besseres Jenseits einrichtet, die Religion aufrechtzuerhalten – er hat es zudem zu einem kämpferischen Glauben gebracht. Die Veranstaltungen, den staatlichen Zwang bis ins Gewissen auszudehnen, machen aus dem religiösen Bekenntnis die Gegenwehr gegen die Funktionalisierung durch den Staat. Da die Verpflichtung gegenüber Gott und der Welt, obgleich Verpflichtung, eine des freien Christenmenschen ist, also eine, die selbst entschieden und vollzogen wird, gerät die Unterordnung unter den kirchlichen Moralkanon zur Protestbewegung zur Verteidigung der Freiheit gegen die Verbindlichkeit der Staatsideologie.

Entsprechend war bei den wiederholten Arbeiteraufständen in Polen neben der Forderung nach Zurücknahme überzogener staatlicher Zumutungen (es handelte sich jedesmal um drastische Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel) auch immer ein militant religiöser Antikommunismus im Spiel, der verriet, daß die konsequente Bekämpfung materieller Beschränkung mitnichten ihr Anliegen war. (Den dortigen dissidierenden Intellektuellen war das jedesmal Anlaß zu einer Solidarisierung mit den Proleten, die an ihnen den Beweis führte, daß ein pluralistisches Bekenntnis zur Staatsgewalt das der Menschennatur entsprechende ist.)

Die Hinnahme etwas weniger erhöhter Preise neben der Verteidigung der Glaubensfreiheit dokumentiert die Trostlosigkeit der Opposition, die der reale Sozialismus hervorbringt, die sich darauf beschränkt, dem Staat an gewissen Punkten Grenzen zu setzen, sich neben der weitestgehenden Botmäßigkeit eine Sphäre des Widerstands in der Religion offenzuhalten. Was sich durchaus mit einiger Militanz verbindet. Ob nun in Handgemengen anläßlich der Entfernung der Kruzifixe aus den Klassenzimmern, in Schwarzbauten von Kirchen durch die Gemeindemitglieder nach Feierabend, in der massenweisen Anreise zu religiös-nationalen Kulthandlungen – wegen und trotz staatlicher Schikanen – per Fußmarsch: immer wieder setzen die Gläubigen der Partei mahnende Zeichen ihres tatkräftigen Bekenntnisses.

Die Kirche leistet sich auf dieser Basis nicht nur manche Verhöhnung auch des guten Willens der Partei –

„Im Juli 1966 hatte sich die Partei in den eigenen Reihen fast lächerlich gemacht, als sie die Grundsteinlegung eines Denkmals für Johannes den XXIII. in Breslau förderte, während sich der Erzbischof gegen das Denkmal aussprach, weil sein Bau von der parteihörigen »Pax-Gruppe« geplant worden war. Gomulka selbst hatte es für nötig erachtet, in seiner Festansprache vom 22. Juli zu klagen, daß der Episkopat gegen ein Papstdenkmal sei.“ (I, 158) –

sondern macht auch keinen Hehl daraus, daß es für sie mit der Duldung seitens der PZPR nicht getan ist. Im Unterschied zur polnischen Arbeiterpartei hat sie nie versucht, die Vereinbarkeit von Religion und Sozialismus vorstellig zu machen, sondern sich von jeher als politischer Gegner der Kommunisten präsentiert:

„Ich sehe keine humanistischen Elemente im Sozialismus ... Das Staatsgesetz muß bestätigen, was die christliche Moral vorschreibt.“ (Wyszynski, I, 119)


Nationalkatholizismus

Durch den sozialistischen Staat in den Rang politischen Protestes erhoben, betätigt sieh der Glaube in Polen zugleich als gegen den Staat gerichteter Nationalismus, Nicht zuletzt die Abhängigkeit von der Sowjetunion, aufgrund derer die VR zu Geschäften von sehr einseitigem ökonomischen Vorteil gezwungen ist, läßt die eigene Regierung als schlechten Verwalter des nationalen Wohls dastehen, und die Kirche wird zum Hort des Patriotismus, der den eigenen Staat an die Russen verraten sieht. Die polnische Kirche führt dementsprechend ihren Kampf gegen den Staat längst nicht bloß als Verteidigung oder Erweiterung ihres Einflußbereichs im Staat, sondern als Vertreterin eines Besseren, weil wirklich nationalen Staats.

So hat der Klerus jüngst durch seine Initiative für Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der polnischen Staatsgründung nicht nur den Geburtstag der Volksrepublik kompromittiert, sondern auch noch für eine Kundgebung gesorgt, bei der die „Kundgebungsteilnehmer gegen die Regierung gerichtete Sprechchöre anstimmten“, und in deren Rahmen eine Gedenktafel für den polnischen Weltkriegsgeneral Leopold Okulicki geweiht wurde, der „1944 von den Sowjets inhaftiert“ wurde.

Der polnische Klerus erblickt seine höchste Weihe, ein polnischer zu sein:

„Wir sind überzeugt, daß es besser ist, wenn die Nation gläubig ist, daß die Stärkung des Glaubens der Nation dient ... Die Hierarchie war in Polen immer der nationalen Sache besonders nahe ... Niemand ist mehr aus dem Volk und für das Volk als wir Priester. Nicht im politischen oder im Klassen-Sinne. Wir sind die Emanation dieser Nation ...“ (Wyszynski, I, 90)

Welche klerikal-faschistische Zukunftsperspektive ein nationalistischer Katholizismus seinen Anhängern verspricht – dazu ein abschließendes Wort von Kardinal Wyszynski, das er zur Frage der Geburtenkontrolle äußerte:

„Wie können wir uns unsere Grenzen und des Friedens in Europa sicher fühlen, wenn 198 Deutsche auf einen Quadratkilometer wohnen und nur 88 Polen? (Anmerkung der Redaktion: die Zahlen sind überholt, die Botschaft bleibt – was den Frieden so sicher macht, ist, daß man den Krieg gewinnen kann, und dazu braucht's Kanonenfutter) Wenn wir ein starkes Polen wollen, brauchen wir (scheiß Zölibat!) noch weitere 25 Millionen Menschen. (Und deshalb nicht die Pille, sondern eher einen „Lebensborn“ und Mütterburgen und -orden). Das ist polnische Staatsräson! Nur dann werden wir eine Nation, die durch ihre Zahl, ihre Arbeit und ihre Tüchtigkeit den Respekt bei jedermann erwirbt ...“ (I, 194)


Partei und Kirche: Taktik gegen Prinzipientreue

Die Partei möchte den Katholizismus am liebsten durch die Staatsideologie ersetzen, verschafft ihm aber durch ihre eigene Politik neuen Zulauf, so daß man sich auf eine Taktik von Schikanen auf der einen und Versuchen der Funktionalisierung auf der anderen Seite verlegt hat, gemäß dem Verfassungsauftrag, den der Staat sich erteilt hat, zwar den Glauben zuzulassen, aber aus der nationalen Verpflichtung, dem sozialistischen Staat zu dienen, nicht zu entlassen:

„Der Mißbrauch der Gewissens- und Glaubensfreiheit für Zwecke, die gegen das Interesse der Volksrepublik Polen gerichtet sind, ist strafbar.“ (Art. 70, 3)

Einkerkerung von in vorderster Front aufmüpfigen Priestern bei gleichzeitiger Finanzierung neuer Brutstätten der Kuttenmänner; Konfiszierung der Kirchengüter und Neubau von Kirchen auf Staatskosten; Verbot schulischen Religionsunterrichts, zugleich aber Anmieten von Räumen für kirchlichen Religionsunterricht durch die örtlichen Behörden; Einführung eines Pflichtjahres für „ideologische Grundprinzipien“ an den staatlichen Universitäten bei gleichzeitiger staatlicher Bestallung in kirchlicher Regie geführter Hochschulen. Zu den Blüten, die dieses Taktieren mit dem weltanschaulichen Seniorpartner getrieben hat, gehört, daß die Staats- und Parteiführung sich im Sejm gleich zwei Gruppen katholischer Abgeordneter leistet: die Pax-Gruppe, die den „sozialistischen Aufbau“ favorisiert, und die Znak, die es mit dem Episkopat hält. Ihren Realismus in Sachen Konkurrenz der Ideale schließlich belegen die polnischen Kommunisten endgültig mit der Zulassung der Doppelmitgliedschaft in der Polnischen vereinigten Arbeiterpartei und der katholischen Kirche, die ein Parteimitglied folgendermaßen begründet:   

„Nicht richtig sind jene Stimmen, die von einem Parteikandidaten verlangen, daß er schon vorher die Grundsätze des Marxismus-Leninismus kennt, oder daß er sich von seiner religiösen Überzeugung frei macht. Das wären Bedingungen, die in unserer heutigen Lage das gesunde Wachstum der Parteireihen hemmen würden.“ (I, 107)

Wenn also schon dadurch die Zahl der Kommunisten machtvoll anschwellen soll, daß die Religiosität in Ehren gehalten wird, so nimmt es nicht wunder, daß auch noch die Wahl eines Polen zum Papst einen Vorgang darstellt, von dem der polnische Staat profitieren möchte: die ihm gegenüber oppositionell gesonnene – und durch seine Politik als militanter Massenverein geförderte – alternative Verzichtspropaganda der Religion ist dem polnischen Staat, da er nun einmal auch nicht anders mit ihr fertig werden will, durchaus vereinnahmenswert, weshalb seine Chefs versuchen, sie mit allen willigen Kräften unter das Dach der Nation zu versammeln. Und verschafft die Kirche dem Nationalismus der Polen dadurch die enorme Genugtuung, einen Volksgenossen zum Haupt der Christenheit zu erheben, so erhoffen sich die offiziellen Repräsentanten Polens, daß etwas von der Glorie dieses Vorgangs noch auf sie abfärbt. Wenn die Massen schon sonst nichts zu lachen haben, so ist die Befriedigung des Nationalstolzes, und sei es auch das Verdienst der Kirche, doch immerhin etwas, was die Bevölkerung bei Laune hält. Deswegen nehmen die Vertreter des sozialistischen Polens auch in Kauf, daß diese Art von Arrangement mit dem weltanschaulichen Gegner eine sehr zweischneidige Angelegenheit ist und die Papstwahl zu einer neuerlichen Offensive in Gewissensfragen führt. Ein echter Joker für die Freunde der Menschenrechte also, dieser Karol Wojtyla alias Johannes Paul II. und dennoch ein Sohn des sozialistischen Vaterlandes, dem dieser seine Reverenz erweist, weil beide – wenn auch mit gemischten Gefühlen – miteinander leben wollen.

ZITATE

(I) Hans-Jakob Stehle, Nachbar Polen, 1968

(II) Siegfried Lammich, Regierung und Verwaltung in Polen, 1968

 

aus: MSZ 26 – Dezember 1978

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