Der Wirtschaftsteil einer Tageszeitung

Kosten, Preis, Profit – öffentliche Mitteilungen für die, die’s angeht


Schlägt der Leser einer der großen deutschen Tageszeitungen mal zufällig die Seiten mit den Wirtschaftsberichten auf – und zufällig wird es in den meisten Fällen wohl sein, denn wer hat schon Muße und Geld, sich die Sorgen der vielen Unternehmen in unserem Lande, wie der Staat mit allerlei komplizierten Regelmechanismen pfleglich damit umgeht und schließlich die Rohstoffpreise und Aktienkurse schon beim Frühstück zu Gemüte zu führen – dann stößt er zum Beispiel auf so eigenartige Überschriften wie

„Milliarden machen Sorgen – Flick sucht nach lohnenden Objekten – Offenbar viel Spreu und wenig Weizen.“ (Gesamtes Material aus der Süddeutschen Zeitung vom 26.7.1977)

Die Menschen, die diese Seiten bevölkern haben also Sorgen, die der gewöhnliche Mensch sich nur im Traum wünschen mag. Nicht, daß ihnen die Milliarden fehlen, bereitet ihnen Sorgen, sondern daß sie sie haben. Sie nämlich nur in der Tasche zu haben und womöglich aufzubrauchen, entspricht nicht der Bestimmung – weder der Milliarden noch ihrer Besitzer. Rastlose Bewegung und Vermehrung ist ihrer beider Charakteristikum, denn wer rastet, der rostet, was für das Geld bedeutet, daß es – sobald es in ruhender Form verharrt – sehr schnell verschwunden sein kann. Kein Wunder bei den heutigen Preisen. Daß der Kapitalist seiner Bestimmung nachkomme, ist denn auch Anliegen der höchsten Instanz in unserem Lande: sollte Flick sein Geld nicht in volkswirtschaftlich nützlichem Sinne wieder anlegen, schlägt der Fiskus zu und kassiert 60 % Steuern ab – andererseits gewährt er jedoch Steueraufschub und gibt damit zu erkennen, daß der Staat um seiner selbst willen, nämlich wegen der zukünftigen Steuern, auch mal auf gegenwärtige Steuern verzichten kann, hofft er doch dadurch die Vermehrung des Reichtums zu befördern. Er überläßt sie – immerhin haben wir ein System der „Freien Marktwirtschaft“ – denen, die das Geld haben, verläßt sich also in seinem Wohlergehen auf das Handeln dieser Wirtschaftssubjekte.


Die Sorgen des Herrn Flick

Also kommt es auf diese an, soll das volkswirtschaftliche Wachstum funktionieren, was beinhaltet, daß die anderen Wirtschaftssubjekte im Wirtschaftsteil nicht erwähnt werden – es sei denn als Störfaktoren: es braucht sie, um die Milliarden des Herrn Flick zu bewegen; daß sie das tun, ist jedoch ganz selbstverständlich – was sollten sie sonst tun? – und eben darum keiner Erwähnung wert, zugleich sind sie allerdings nur ein Übel, ein notwendiges zwar, das sich der Vermehrung der Milliarden dadurch entgegenstellt, daß es Kosten verursacht. Diese sind also einzusparen für das Wachstum der Milliarden; und offensichtlich gelingt dies Zauberkunststück immer wieder recht gut, was besagter Artikel nebenbei erwähnt, wenn er von gesteigertem Umsatz pro Kopf bei verringertem Arbeitsmaterial berichtet.

Die Sorge, wie so etwas nun tatsächlich in den Betrieben gelingt, hat Herr Flick nicht: von ihm wird als einem berichtet, der Beteiligungen an verschiedenen Betrieben hat, und diese Beteiligungen je nach Rendite hin und herschiebt. Er erreicht also insofern den Höhepunkt menschlicher Vollkommenheit, als er nur noch Eigentümer ist, seinem Geld die ganze Welt eine Anlagesphäre ist, was einschließt, daß ihm das, was in der Welt so produziert wird, ganz gleichgültig ist. Unterschiede gibt es nur hinsichtlich der Rendite (wobei Flick sorgfältig zwischen „Spreu und Weizen“ zu scheiden weiß – das ist seine Arbeit), ein Anteil vom vermehrten Reichtum steht ihm also an jeder Stelle der kapitalistischen Produktion und auf jeden Fall zu. Dafür, daß dieser Reichtum auch angeschafft wird, gibt es die Manager, die denn auch dem aufmerksamen Journalisten die Geschäftsberichte erläutern dürfen, während der Eigentümer eines der schwersten Verbrechen der Neuzeit begeht, nämlich die Anwesenheit der Presse völlig zu ignorieren und sich auf den Bermudas oder sonstwo herumtreibt – was ihm die Presse aber nicht übelnimmt, wofür sie ihre Gründe haben wird.


Lügen als Selbstverständlichkeiten

Wenn der Journalist, der ansonsten nichts im Sinn hat, als das kritische Lob des Staats zu singen und die unaufgeklärten Leser zum Mitsingen zu veranlassen, sich hier so ganz vorbehaltlos auf die Seite der Kapitalisten schlägt, dann zeigt er nur scheinbar einen Widerspruch zu seinem auf den normalen Seiten der Zeitung geäußerten Standpunkt: geht es dort darum, in allem die Allmacht des Staates und die Selbstverständlichkeit, wie dieser das gesellschaftliche Leben in den Griff nimmt, kommentierend zu begleiten, so stellt er sich nun ganz auf den Standpunkt der Wirtschaft und spricht nur noch von deren Erfordernissen, was der Staat dafür tut bzw. dafür tun muß – aber er drückt damit nur aus, daß ohne die Wirtschaft eben nichts geht, daß sie ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten hat, in die auch der Staat nur sich einbettend seine Steuerungsmechanismen einbauen darf. Der Umschwung, der hier innerhalb der Tageszeitung stattfindet, sagt offen heraus, daß wer für unsere Gesellschaft einsteht, auch ohne Wenn und Aber hinter die sie tragende Wirtschaftsordnung sich stellen muß. Dem einfachen Leser eines Massenblattes ist dies häufig genug mitzuteilen, und zwar in Sprüchen derart: „Ohne Wirtschaftswachstum keine Arbeitsplätze / Mit hohen Löhnen schadet sich der Arbeiter selbst.“ Die Zeitung der gehobenen Schichten hat da kein Problem mit ihren Lesern: Agitation entfällt. Diese Sorte Berichterstattung geht von einer Reihe von Lügen als selbstverständlichen aus, Lügen über unsere Gesellschaft, die genau das tägliche Bewußtsein derer ausmachen, die in der Wirtschaft das Sagen haben und die danach auch handeln:
– aus Geld wird mehr Geld
– immer gibt es Leute, die ihre Arbeitskraft gegen Geld verkaufen
– die müssen das tun, weil sie nicht tüchtig genug sind
– denn in unserer Gesellschaft zählt die Leistung
– der Staat ist für alle da, daß sie das tut
– dabei gibt es mehr oder weniger tüchtige Völker
– jedes Ding hat seinen Preis
– wenn man den Marktgesetzen folgt, herrscht Harmonie und Vernunft.

Auf Grundlage dessen breitet der Wirtschaftsteil dem dafür geeigneten Leser die Informationen aus, die für die Bewältigung des täglichen Wirtschaftsgeschehens brauchbar sind: Bilanzen der diversen Unternehmen, Staatsmaßnahmen und –hilfen, außenwirtschaftliche Verwicklungen, Rohstoff- und Börsenpreise. Bei diesem nüchternen und sachlichen Geschäft braucht es nur selten Sonntagsreden, ja, daß immer noch ein kleiner Kommentar auftaucht, muß verwundern.

Was freilich nicht heißt, daß nicht auch das Menschliche zu seinem Recht käme.


Namen ...

Mitten zwischen Erfolgsmeldungen deutschen Unternehmensgeistes findet sich da eine Würdigung zum 65. Lebensjahr: ein gewisser Werner Premauer, den man „ohne Kenntnis seiner Funktionen für einen Diplomaten und Feingeist hätte halten können“ und der sich „für seine wissenschaftlichen und kulturellen Interessen engagiert einsetzte, verdient sich diese Ehrung, nicht weil er mit 65 das goldene Rentenalter erreicht hat, sondern weil seine Funktionen eher eine gewisse Grobgeistigkeit und undiplomatische Gradlinigkeit erforderten, war er doch AR-Vorsitzender und Vorstandssprecher der Bayerischen Vereinsbank. Diese Ehrung und die Tatsache, daß diejenigen nie geehrt werden, die einfach nur arbeiten, verdeutlichen, daß die Welt eben in zwei Sorten von Menschen unterteilt ist, wovon nur eine wirklich das Prädikat „Mensch“ verdient, hat sie es doch aufgrund ihrer besonderen Beschaffenheit zu der Creme gebracht, die in den Wirtschaftsseiten deswegen erscheint, weil sie überhaupt die Schönheiten unserer Wirtschaftsordnung erbauen und selbst darstellen.


... und Namenlose

Die andere Sorte Menschen, die Masse der Namenlosen, erscheint dementsprechend nur als Zahl, die in der Kalkulation zu berücksichtigen ist:

„Er (Bölkow von MBB) wies dabei auf die um 17 bis 19 % über dem US-Niveau liegenden Lohnkosten hin.“

und weil sie immer zu hoch ist, zu den zu verringernden gehört:

Barmenia legt den Außendienst zusammen.“

Solche selbstverständlichen Maßnahmen bedürfen darum auch nicht der begleitenden Erwähnung, daß der Außendienst aus Leuten besteht, die als „Zusammengelegte“ zum Teil eben nicht mehr im Außendienst der Barmenia sich wiederfinden, wie es auch nicht der Erwähnung bedarf, daß sie aufgrund solcher Maßnahmen um ihre Existenz Angst haben müssen, sind sie doch keine Premauers, was sie sich wiederum selbst zuzuschreiben haben.

Und weil sie keine sind, haben sie auch keine Ansprüche zu stellen, oder anders: sie haben ärgerlicherweise ein hohes Anspruchsdenken. Der Unternehmerverband teilt dies dem Arbeitsamt mit in der Form, daß man in Wirklichkeit bedeutend mehr offene Steilen habe, als vom Arbeitsamt angebotene Arbeiter, daß aber diese staatliche Instanz insofern versage, als sie die Arbeiter nicht genügend darauf vorbereite, sich bei ihrem neuem Arbeitgeber mit einer schwereren und schlechteren Arbeit abzufinden, wobei doch gerade dies die Aufgabe des Arbeitsamtes in den jetzigen schwierigen Zeiten sei.


Verkehrsformen der herrschenden Klasse oder: Kapitalisten unter sich

Die offene Parteinahme der Wirtschaftsjournaille für die Sorgen der Unternehmerschaft, die sich in letzterem Fall allein darin schon erklärt, daß eine solche Brutalität schlicht als Information dargeboten wird, verbietet ihr denn auch jedes Bedenken, ob man nicht massenhaft Informationen ausbreitet, die eigentlich niemanden interessieren, nämlich detaillierte Berichte über Tricks, Querelen und Schwierigkeiten der Kapitalisten untereinander: dies ist eben wichtig für eine winzige Minderheit, für die man gelassen auf das sonst so umworbene Publikum pfeift – der Verkehr der Kapitalisten untereinander bedarf solcher Dienstleistungsgeschäfte. In diesem Verkehr entpuppen sich die Kapitalisten zwar als Wölfe, aber als zivilisierte. Im Fertigmachen des anderen entfalten sich ihre menschlichen Fähigkeiten am blühendsten, nämlich mit der Waffe des Rechts, das ihnen der Staat als Geschäftsgrundlage zur Verfügung stellt, so miteinander umzugehen, daß ihre Brüderschaft, wenn auch als feindliche, gegen den Rest der Menschheit erhalten .bleibt. Während der Umgang mit dem Ausbeutungsmaterial von einer absoluten Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit geprägt ist, insbesondere dann, wenn man ihnen was Soziales antut („Anreize“) dafür, daß sich überproportional ein paar DM mehr Umsatz („Beiträge“) herauslocken lassen, ist das Gegenübertreten der Kapitalisten bestimmt von Respekt und Vorsicht, hat doch jeder von ihnen ein Eigentum in der Hand, mit dem er das der anderen angreifen oder gar gefährden kann. Zur täglichen Berichterstattung gehören also Nachrichten wie folgt:

„Madison schickt Syndikats AG Zahlungsbefehl“

Und zwar einen Zahlungsbefehl über die erkleckliche Summe von 35 Mio. Sfr. Der Streit ist ausgebrochen, weil der Hauptaktionär seine Mitaktionäre aus dem Geschäft und damit aus dem Profit drängen wollte (sicher jedoch nicht ins Armenhaus). Diesem manifesten Angriff auf ihr Eigentum begegnen die Mitaktionäre massiv. Sie machen den Zahlungsbefehl zunächst mal nur, damit die Verjährung unterbrochen wird. D.h., der Streit soll nicht gewaltsam auf die Spitze getrieben, sondern ein Schwebezustand aufrechterhalten werden. Grundgedanke ist, daß sich zwar einer der Konkurrenten durchsetzen wird, die andern deswegen aber nicht aus dem Futter gedrängt werden. Der Kapitaltüchtigste gewinnt auf dem Wege der Einigung und Abfindung, wofür es allerhand vorbereitende Maßnahmen gibt: Entweder fährt man dem Konkurrenten an den Karren, indem man je nach Situation einen kleinen Preiskampf nach oben oder unten anfängt, oder man entdeckt unvermutete Freundschaften und bündelt in schnell gegründeten Kartellen miteinander, oder man bedient sich des Rechts und verklagt sich ein bißchen gegenseitig. Insgesamt läuft also alles sehr friedlich ab.


Tips für den Verkehr mit einem störrischen Wirtschaftsfaktor

Allerdings gibt es automatische Störenfriede, die dieser Harmonie immer wieder in die Quere kommen, wenn sie sich am Rande dieser Gesellschaft aufmandeln: die Gewerkschaften. Jedoch – zwar wollen die Proleten nicht einsehen, daß die beste Möglichkeit, in dieser Gesellschaft sich einzurichten, ist, mit sich umspringen zu lassen, aber sie haben sich in ihrer Organisation dem Wirtschaftswachstum so sehr anbequemt, daß die obligate Hetze auf den Wirtschaftsseiten sich auf die Unvernunft der ausländischen Gewerkschaften konzentrieren kann.

So hat man es auch nicht nötig, über die Staatsmaßnahme z.B. der Sparförderung dergestalt zu räsonieren, wie der Staat die Proleten am besten dazu zwingt, sich ihrer Not durch wohlüberlegten Verzicht einzurichten – das besorgen sie prima von alleine –, sondern gibt nur Meldungen wieder, wie das nützliche Instrument Arbeiter vom Staat auch in jeder Hinsicht griffig gemacht wird. Für den Fall der Sparförderung heißt das, daß vom Staat ganz ohne Umschweife verlangt wird, diese Masche des sozialen Netzes so anzuziehen, daß sie dem jeweiligen kapitalistischen Standpunkt adäquat ist. Es wird so getan, als könne der Staat nach Belieben mit seinen arbeitenden Bürgern umspringen, und diese Fiktion ist praktische Leitlinie des kapitalistischen Handelns bzw. taucht nur so auf den Wirtschaftsseiten auf. Sparkassenpräsident Geiger drückt das so aus, daß dem Staat die Leute nur Wirtschaftsfaktoren sind – er erzählt, daß die von ihm gewünschte Maßnahme der Konjunktur förderlich sei (wobei die Empirie schon zeigt, daß Geiger zwecklügt, denn seltsamerweise sparen die Leute immer gerade verkehrtherum, machen ihre Notpfennige nicht konjunkturgeschmeidig – auf diese verrückte Weise zeigt sich dem Staat der Klassengegensatz). Zum anderen bringt er darin sein bestimmtes Interesse unter – die Sparprämien sollen bleiben bzw. steigen, weil dies eine günstige Methode ist, dem Banker das billige Geld der kleinen Leute in das Portefeuille zu treiben. Geiger schafft also in dieser Ineinssetzung mit dem Staat das gar nicht schwierige Kunststück, sein Interesse bequem unterzubringen. Klar ist also, wer hier unter sich ist, über wen hier verhandelt wird, und daß dieser außerhalb steht.


Staat und Kapital

Die Betrachtung seiner Bürger unter dem Gesichtspunkt des Rechts und als Faktoren des Wirtschaftswachstums ist die unpersönliche Konkretion der allgemeinen Einsicht, daß dieser Staat einer für's Kapital ist, und zwar indem er sich eben nicht gemein macht mit diesem. Die Compagnie Financiere de Suez hat das auf ihre Weise voll erfaßt, wenn sie in der agitatorischen Aufbereitung der Bilanz, die der Werbung neuer Geldanleger dienen soll, einmal was ganz anderes macht: wird sonst die geringste linke Regung im Lande als fundamentale Erschütterung aller Ordnung beschrien, weist hier der Präsident darauf hin, daß man sich von den (französischen) Linken nicht allzusehr graulen sollte, denn daß ein Staat im Sinne dieser Menschen beschaffen sein könnte, sei absolut undenkbar:

„Der Präsident der Gruppe hat unterstrichen, daß ihm der gegenwärtige Pessimismus der Börse angesichts dieser drohenden Gefahr übertrieben erscheint, denn die Folgen dieses unnötigen und gefährlichen Programms seien so verheerend, daß die Vorhaben kaum glaubhaft erscheinen.“

Wenn der Präsident hier abwiegelt, dann weil für seine Zwecke eine unaufgeregte Stimmung am Geldmarkt günstiger ist:

„... die Beunruhigung der Sparer über die voraussehbaren Folgen des gemeinsamen Programms der Linken …“

Jetzt ist klar gesagt, was es mit der Politik auf sich hat: sie ist eine Voraussetzung des wirtschaftlichen Handelns. Diese Sicherheit des Präsidenten begründet sich in dem praktischen Handeln seines Staates und beinhaltet zugleich das Wissen, daß der Staat eben nicht von seiner Gesellschaft dirigiert werden kann – auch wenn es schön wäre –, sie vielmehr mit ihm als einer Voraussetzung umzugehen hat. Wenn der Staat einer für's Kapital ist, dann können die einzelnen Unternehmen davon ausgehen, daß er auf ihre Forderungen Rücksicht zu nehmen hat, aber für's Ganze auch gegen die einzelnen Maßnahmen ergreifen wird, was sich für den Staat so ausdrückt, daß er seine eigene Stärke nicht wegen Sonderinteressen auf's Spiel setzen darf.

Die Flugzeug und Rüstungsgesellschaft MBB wendet sich anläßlich ihres „imponierenden Lageberichts“, den zum letzten Mai der Herr Bölkow verlesen darf (die Geschäftsführung hat nämlich beschlossen, dieses altväterliche Fossil persönlicher Verwobenheit des Kapitaleigentümers mit seinem Betrieb aufs Altenteil zu schicken), fordernd und selbstbewußt an den Staat, er solle sich mehr für die Profite des Unternehmens einsetzen:

„Wir brauchen Gesellschafter, deren Interesse an der technischen Leistung größer ist als an der Rendite.“

In der Begründung dieser Forderung ist jedoch genau die Anerkennung der Selbständigkeit des Staates enthalten: 1. müsse er ein Interesse an der Bewahrung von Arbeitsplätzen haben, die ein so großes Unternehmen bekanntlich gerne und in großem Ausmaße zur Verfügung stellen würde, 2. müsse er ein Interesse daran haben, daß die zivile Luftfahrt vom eigenen Land eher aufgebaut werde und 3. wird in allem insgeheim auf die Klemme spekuliert, in der der Staat sich dadurch befindet, daß er die Erstellung der für ihn notwendigen Rüstungsgüter nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten, also von privater Seite erstellen läßt, er also für den Profit dieser privaten Seite zu sorgen habe, kriegt er doch sonst seine Güter nicht mehr. Wenn der Staat auf die Marktwirtschaft baut, dann kann man von ihm erwarten, daß er immer wieder Extra Vorteile springen läßt, mit den Staatsgeldern für Profite sorgt, er also nicht sich an marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten orientiert.

Wenn er für das Funktionieren der Marktwirtschaft als ganzer zu sorgen hat, so gehört zu seinen Aufgaben, Wildwuchs in der Konkurrenz ebenso zu bekämpfen, wie auch nur leichtsinnig angestellte Profitüberlegungen. Da gibt es eine Reihe von Ausländern, die den Verlockungen des Kapitalismus auf falsche Art erlegen sind: sie meinen nicht, viel zu arbeiten sei das Glück auf Erden, sondern Kapitalist zu werden, wofür sie auch bereit sind, in ihren kleinen Klitschen sich bedingungslos selbst auszubeuten unter Zuhilfenahme ihrer Familien. Da sie dabei dem Supermarktfortschritt in die Quere kommen, insbesondere im Einzelhandel, macht der Staat ihnen klar, daß sie einen etwas schärferen Konkurrenzwind nicht überstehen werden, und verbietet sie gleich:

„Die Kammern stellen immer wieder fest, daß sich viele Ausländer falsche Vorstellungen über eine unternehmerische Tätigkeit in Deutschland machen und daß sie vor allem finanziell völlig unzureichend ausgestattet sind. Wenn das schon bei der Antragstellung klar ist, werden solche Anträge sofort abgelehnt.“


Während der Staat hier dafür sorgt, daß nur diejenigen Kapitalist sein können, die die entsprechende Kapitalausstattung mitbringen, und somit den Außenseitern die Querelen mit den Ausgestatteten erspart, muß er sich an anderer Stelle die Klagen eines nicht unbedeutenden Teils seiner geliebten Wirtschaftssubjekte über die Unannehmlichkeiten, die er ihnen verursacht anhören:

„Eine solche Entwicklung (gemeint ist eine zu erwartende DM-Aufwertung) wäre nach Ansicht des BDI angesichts der anhaltenden konjunkturellen Schwäche und der nach wie vor erheblichen Kostenbelastung der deutschen Produktion »besonders bedenklich«. Eine Lösung der vordringlichen wirtschaftspolitischen Aufgaben, besonders eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage, werde durch die Verteuerung der Mark, die eine Erschwerung der Exporte bedeute, »zunehmend behindert«.“

Sie demonstrieren öffentlich ihr Unverständnis für die wirtschaftspolitischen Erwägungen, aus denen heraus der deutsche Staat die DM-Mark immer wieder aufwertet, was zweifellos eine Beschränkung für einen bedeutenden Teil der deutschen Industrie, die Exportunternehmen, ist. Die Stärke der deutschen Wirtschaft wirkt sich so aus, daß die Importländer immer weiter in die Abhängigkeit getrieben – eine Abhängigkeit, die ihnen schließlich verunmöglicht, den wachsenden Schuldenberg abzutragen – schließlich die Waffen strecken, indem sie ihre Schulden per Bankrott abzahlen, wovon letztlich niemand was hat. Die DM-Aufwertungen halten also die Gemeinde der Schuldner als zahlungsfähige zusammen: der deutsche Staat schafft ihnen die Möglichkeit, die Schuldenakkumulation weiter auszudehnen, seiner Exportindustrie also die Möglichkeit, weiter zu exportieren, wofür sie mal Abstriche an den kurzfristig erwünschten Profiten zu machen hat. Damit hier nicht unzumutbare Belastungen entstehen, sorgt der BDI durch seine öffentliche Klage dafür, daß der Staat das rechte Augenmaß behält und seine Aufwertung mit Exportkrediten u.a. flankiert.


Denn mit seiner strengväterlichen Geste befördert der Staat die beständige Expansion des Kapitals, wofür er sich auch eine Abteilung Außenwirtschaft zulegt, ist doch seine vornehmste Aufgabe, dem ökonomischen Willen seiner Wirtschaftssubjekte überall auf der Welt Nachdruck zu verleihen, sofern dieser Wille den Erfordernissen des nationalen Wachstums entspricht. Daß dieser Willensdrang seiner Bürger nicht nur auf die Gemeinheit italienischer Autodiebe stößt, die den wohlverdienten Urlaub vergällen (den er dankerfüllt seinem DM-Hartmacher gegenüber lieber in Spanien verbringt: „Touristen profitieren von Peseta-Abwertung“), sondern daß sich ganze Staaten diese Gemeinheit zu eigen machen, indem sie dem Wachstum der deutschen Industrie nicht den Vorrang vor dem der eigenen einräumen wollen, zeigt die nicht aus den Wirtschaftsseiten wegzudenkende Klage über den Protektionismus – den der anderen natürlich. Der aufgrund seiner Verdienste um die Bekämpfung der Essener Unterwelt nach Brüssel versetzte Kommissar Haferkamp, der nun dort die Spuren des Wirtschaftsverbrechens fremder Mächte zu verfolgen hat. wofür man ihm den Titel eines EG-Kommissars verlieh, warnt eindringlich:

„Nie in den letzten 30 Jahren stand die Welt näher davor, in den Protektionismus der dreißiger Jahre zurück zugleiten, als im Augenblick.“

Sollte das so weitergehen mit der augenblicklichen Welt – und man beobachtet sie sehr genau: so wollen doch die USA tatsächlich die Abgasvorschriften verschärfen, was natürlich nichts mit der verschmutzten Luft dort drüben zu tun hat, sondern eindeutig ein Schlag gegen das VW-Werk ist –, dann ist man allerdings gerüstet. Da auf dem Weltmarkt niemand recht hat, weil es kein Recht auf ihm gibt, andererseits nicht friedlich das dann eigentlich geltende Recht des Stärkeren einspringt, bedarf es einiger unterstützender Hebel für die Durchsetzung des letzteren. Deren hat man sich im eigenen Land beispielsweise in Gestalt des Rüstungskonzerns MBB einige angeschafft. Jedoch: außer MBB ist darüber niemand froh, wird doch hier vom volkswirtschaftlichen Standpunkt einiges Kapital, das der Staat stellt, hinausgepulvert, und selbst wenn es einmal zu sinnvoller Anwendung gelangt, geht darüber wieder einiges von dem, was man eigentlich bewahren oder gar erringen wollte, kaputt. Es empfiehlt sich also, solche Gewaltakte möglichst hinauszuschieben. Dazu nützt ein bißchen Entwicklungshilfe, auch einige gelungene Vertragswerke sind vorzuweisen, insbesondere der Osten ließ sich da diplomatisch noch ganz schön auf Vordermann bringen, und die Wirtschaft tut selbstverständlich ihr eigenes:

„Fichtel & Sachs lagert Nabenproduktion nach Jugoslawien aus.“


Die Welt als Zahlenwerk oder Die Zweckmäßigkeit eines bornierten Standpunkts

Zu den Faktoren, die ein gewaschener Geschäftsmann einzurechnen hat, gehört also, als besondere Zuspitzung der politischen Lage, der Krieg, der an allen Ecken und Enden der Welt stattfindet und als Schranke und Mittel des Profits zugleich auftritt. Da in ihm alle Staatsbürger bedingungslos für den nun allein geltenden Staatszweck vereinnahmt werden, fällt für den Geschäftsmann diese Art der gewaltsamen Auseinandersetzung unter die Kategorie des Schicksals, das bekanntlich blind waltet. Was heißt, daß er ansonsten davon ausgeht, die Welt im Griff zu haben, sie in ökonomische, von ihm beeinflußbare Faktoren aufgeteilt zu haben. Verkörperung dessen ist der laufend erscheinende Konjunkturbericht, die kürzestmögliche Zusammenfassung der Welt, deren ganze Bewegung zusammenfällt mit dem Wollen der vielen Kapitalisten auf ihr.

Daß dieses Wollen keineswegs eine planmäßige Gestaltung der Welt, vielmehr nur das Zurechtfinden innerhalb dessen ist, was sie selbst in Gang gesetzt haben und halten, wobei ihnen allerdings in jeder Hinsicht die führende Stellung zukommt, sagt der Konjunkturbericht in knappen Sätzen:

„Für die Produktion wird vorsichtig die Feststellung getroffen, »die Fertigung dürfte von Januar bis Mai etwas höher gewesen sein als in den letzten Monaten des vergangenen Jahres«. Und als gesichert könne es gelten, daß es am Arbeitsmarkt im bisherigen Jahresverlauf kaum zu mehr als saisonalen Entlastungen gekommen sei.“

In der Form des Rückblicks wird also vorsichtig die Feststellung getroffen, daß man selbst in der Vergangenheit nicht genau weiß, was eigentlich geschehen ist, daß also nicht einmal rückwärts, geschweige denn vorwärts irgendjemand feststellen kann, was denn nun der Wille der Kapitalisten in seiner materialisierten Gestalt war bzw. sein wird. So paart sich mit der Sicherheit der Geschäftswelt die ständige, sorgenvolle Betrachtung des stets unwägbaren Konjunkturverlaufs, für dessen Bemeisterung der Staat die Sicherheiten bereitzustellen hat.


Diese Rationalität der kapitalistischen Welt ist vollendet zusammengeschlossen im Börsenbericht, der aus nichts besteht, als einer ganzen Seite vieler kleiner Zahlen versehen mit seltsamen Zusätzen wie bG, bB, B oder G. Sie sind Indikatoren dafür, ob für ein Wertpapier Angebot oder Nachfrage bestand, ob Angebot oder Nachfrage überwog, ob Umsätze zustande kamen oder nicht. Die Versammlung des gesamten gesellschaftlichen Kapitals, damit auch seine Verkörperung als Macht gegen die gesamte Arbeiterklasse, ist ausschließlich eine Frage von Angebot und Nachfrage, also der Zusammenschluß der vielen divergierenden Willen der einzelnen nur auf ihren Kursgewinn bedachten Kapitalbesitzer, und darin die Bewegung des Kapitals quer durch die ganze Welt schlechthin. Die emotionale Sprache des Börsenberichts – der Markt tendiert „freundlich“ oder „bedrückt“ – verrät, daß hier der Gipfel interessierten Desinteresses an dem, was die Welt bewegt, erreicht ist, gerade dann, wenn das Bewegen in seiner konzentriertesten Form abläuft. Die subjektiven Erwägungen der Geldbesitzer richten sich nach dem, was als Gewinnerwartung von diversen Berichterstattern, heimlichen Quellen, Bilanzveröffentlichungen, Nationalökonomen, Ehefrauen am Frühstückstisch, politisierenden Stammtischbrüdern und launischen Ganglien im Eigentümerschädel kolportiert wird. So fließt das Kapital (laut Wirtschaftspsychologen angeheizt, durch den morgendlichen Anblick mini berockter Börsenmaklersekretärinnen) in die Sphären der profitabelsten Verwendung und sorgt so für den höchstmöglichen Grad der Ausbeutung rund um den Erdball.


Radikal für den Fortschritt

Die Selbstverständlichkeit, daß dabei einiges schiefgehen kann, einem nicht unbedeutenden Teil der Menschheit Erhebliches zugemutet wird, ist eben eine solche und als solche zu akzeptieren. Den Zweifel, ob die Menschheit tatsächlich gut damit beraten ist, das weltweite Wüten des Kapitals mit schöner Beharrlichkeit an sich selbst zu vollziehen, darf es nicht geben: der Vorzug ,,unseres Systems“ liegt auf der Hand, nämlich eben beharrlich so weiterzumachen und dabei alle Menschen hinter sich zu wissen. Bis auf die wenigen Unbelehrbaren, deren absurde Gegnerschaft sich jedoch schon dadurch decouvriert, daß die alltägliche Realität des wirtschaftlichen Zwangs und der dazugehörigen staatlichen Gewalt sie leicht niederhält. Auf dem Standpunkt der Wirtschaft stehen, heißt auf dem Standpunkt des Fortschritts der Menschheit stehen. Wenn die Wirtschaft z.B. Energie braucht, dann hat die Menschheit Energie zu brauchen – und kein Opfer ist dafür zu groß, denn dann ist Energie eben die Verkörperung der menschlichen Freiheit. Warum die Kommentare in den Wirtschaftsteilen so klein sind, ist nun kein Geheimnis mehr: sie werkeln sich ab in dem mehr oder minder überflüssigen, da auf den vorderen Seiten schon längst erledigten Geschäft, die Konsequenzen dessen, wofür alle sind, zu verdeutlichen, beschreiben also nur das, wofür alle zu sein haben. Auf ihre Weise sind die Wirtschaftsjournalisten allerdings radikale Weiterdenker:

„Kernkraftwerke müssen in einer Welt, die nicht frei ist von Terroristen, Desperados und Selbstmördern, ebenso Tag und Nacht sorgfältig bewacht werden ... Es ist nicht auszuschließen, daß der Staat daraus eines Tages die Verpflichtung ableitet, bürgerliche Freiheiten einzuschränken, eben den Nuklear-Faschismus zu etablieren. Aber wie sähe es ohne Kernenergie aus?

Schlecht natürlich – könnte es doch sein, daß es dann einfach keine Welt mehr gibt, weil die Wirtschaft ihre Energie nicht gekriegt hat.

 

aus: MSZ 20 – Dezember 1977

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