Umgang mit Kritik

Was man mit unerwünschter Kritik so alles machen kann: Sie umdeuten, verdrehen, vereinnahmen, ausgrenzen, überhören, ignorieren, totschweigen, für langweilig erklären, sich aufregen,
die Kritik zerreden und in unüberschaubare Detaildiskussionen auflösen,
den Kritiker denunzieren, bespitzeln, unterdrücken, ihn mundtot machen oder über ihn lachen, ihn wegen seiner persönlichen Lebensführung für befassungsunwürdig, unglaubwürdig oder menschenverachtend erklären,
der Kritik vorwerfen, dass sie Gewalt und Unterdrückung beinhalte, sofern sie nicht von vornherein ihre praktische Folgenlosigkeit beteuert und von jedem Geltungsanspruch Abstand nimmt,
die Kritik wegen ihrer Ohnmacht gegenüber dem Bestehenden als unrealistisch, weltfremd und irreführend verwerfen,
der Kritik vorwerfen, dass sie nicht die Lösung aller Fragen ist, immer wieder nach der Alternative fragen,
die Kritik verwerfen, weil sie zu Konsequenzen führt, die einfach nicht mit der bestehenden Ordnung vereinbar sind,
die Kritik zurückweisen, weil ihr Vertreter und seine Organisation verboten sind.

Oder einfach mal darauf scheißen, was Frau Meier, der Papa, die eigenen Kinder, der Erzbischof und der Herr Professor dazu meinen; einfach mal einem Moment nicht danach fragen, wozu der vorgetragene Gedanke beim Gelderwerb, der Steuererklärung, der Ferienplanung oder bei der Verdauung nützlich ist; einfach mal riskieren, dass ein Gedanke am Ende mehr ist als die Bestätigung dessen, was man auch schon ohne ihn wusste und wollte und einfach mal darüber nachdenken und prüfen, ob es stimmt, was die Kritikaster da sagen und schreiben, ganz gleich, ob man sie nun bereits sympathisch findet oder nicht.

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Enke-Feiern & Volkskrankheit Depression

Ein Volk in Trauerlaune

Robert Enke, Nationaltorwart für kurze Zeit, nach Auskunft vieler ein sehr netter Kerl, litt an Depressionen, die ihn in Schüben übermannten und letztlich seinen Selbstmord hervorriefen. Nach allgemeiner Auskunft ist der „Erfolgsdruck, unter dem er stand“, ein Hintergrund für diese tragische „Charakterveränderung“; er ist mit dem Erfolgsdruck, der insbesondere ausschloss, über seine Probleme je etwas an die Öffentlichkeit zu lassen, nicht mehr klar gekommen.

So weit, so schlecht.

Insoweit ist Enke einer von vielen Fällen, in denen ein Mitglied unserer Welt der freien Selbstverwirklichung die Schwierigkeiten beim Erfüllen irgendwelcher (auch seiner eigenen) Anforderungen gegen sich selbst kehrt; eben nur ein prominenter Fall. Ein paar Schlüsse auf unsere sog. „Leistungsgesellschaft“ und die Psycho-Logik des subjektiven Zurechtkommen-Wollens in ihr kann man da schon ziehen.

Was die Öffentlichkeit aus diesem Fall macht, ist etwas ganz anderes: Im sicheren Gespür für den Unterschied zwischen Normalos und einem Promi zieht sie den Hut vor der „tragischen Person“ Robert Enke, inszeniert eine Riesen-Trauerveranstaltung und gibt ein paar moralische Verhaltenstipps, wie man mit seinen Mitmenschen, die vielleicht ebenso krampfhaft wie Enke ihre Depressivität zu vertuschen suchen, umzugehen hat, um ihnen eventuell doch zur Seite stehen zu können. Der von allen genannte Grund für den Selbstmord, das Bemühen, mit dem Erfolgsdruck erfolgreich umzugehen, wird so nicht nur keiner Kritik unterzogen, sondern ausdrücklich ins Recht gesetzt.

Darin hat die „größte nationale Trauerfeier seit Konrad Adenauer“ einen sehr zeitgemäßen Inhalt. In einem Augenblick kollektiver Gerührtheit steht das deutsche Volk zusammen und betrauert „den Enke in uns allen“. Macher und Stützen der Gesellschaft, Politik, Kirche, Medien bis hin zum DFB, haben schnell und professionell erkannt, welche Gelegenheit sich hier auftut, „uns alle“ zusammenzuschweissen auf der Gefühlsebene, aber auch mittels der daraus ableitbaren frohen Botschaft: Das Leben ist einfach hart, auch für die scheinbar Erfolgreichsten unter uns, und nicht jeder, der auf Teufel komm raus darin bestehen will, kriegt das letzen Endes hin. Das tut weh! Umso wichtiger ist es aber, dass ein jeder ständig mit sich und den eigenen Ansprüchen richtig umgeht und dabei von Seiten anderer Unterstützung findet!

Dass das so angesprochene Volk massenhaft mitempfindet, was ihm da zur Deutung seines angestrengten Lebens angetragen wird, ist der Aspekt an dieser ganzen Angelegenheit, der einen fast depressiv werden lässt. Denn damit drückt es mal wieder auf seine Weise aus, mit jedem Scheiß unbedingt klarkommen zu wollen. 

Volkskrankheit Depression ...

Mag sein, dass es auch in früheren Zeiten Menschen gab, denen irgendwelche Umstände ihres Daseins so aufs Gemüt schlagen, dass sie sich in einen Zustand anhaltender Traurigkeit hineinsteigern, am Ende sogar mit sich Schluss machen, weil sie „es“ bzw. sich nicht mehr aushalten. Bemerkenswert ist jedenfalls: Depression ist heute, in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft, zu einem Massenphänomen, zu einer Art „Volkskrankheit“ geworden. Laut „Süddeutsche Zeitung“ gibt es in Deutschland 4 Millionen Betroffene, wovon 12.000 pro Jahr Suizid begehen. Da liegt der Rückschluss auf gesellschaftliche Ursachen eigentlich auf der Hand – und im Grunde haben den auch alle öffentlichen Stimmen in irgendeiner Form mitvollzogen. Allerdings in einer seltsamen Art und Weise.
Da ist einerseits vom „modernen Leben“ die Rede, das die Menschen schon alltäglich enorm „stresst“ und zudem mit schöner Regelmäßigkeit Schicksalsschlägen aussetzt wie dem Verlust ihres Arbeitsplatzes; es wird darüber berichtet, dass sich die Leute von der Schulbank an einer fortwährenden Prüfungs- und Konkurrenzsituation ausgesetzt sehen. Einig sind sich die Experten auch darin, dass sogar Leute, die ihr Leben lang „nur“ fürchten, dass sie in der Konkurrenz scheitern könnten, oder Ängste entwickeln, ihr nicht mehr gewachsen zu sein, krank werden können, psychisch wie physisch.

Andererseits setzen nicht nur die Medienprofis Gründe dieser Art ziemlich umstandslos in eine Reihe (und damit gleich) mit weiteren von erheblich anders geartetem Kaliber, etwa dem Tod einer geliebten Person, einer eigenen Krankheit usw. Was eingangs daherkommt wie ein selbstkritischer Blick auf „unsere Gesellschaft“ verwandelt die aufgezählten Ursachen damit ganz schnell in sachzwanghaft existierende „Umstände“, denen sich der moderne Mensch ausgesetzt sieht und denen er genauso „begegnet“ wie rein individuellem Unglück.

Diese Verwandlung funktioniert darüber, dass man gekonnt nicht weiterfragt bei dem, was man so locker in die Diskussion geworfen hat. Man fragt nicht, warum es eigentlich an allen Arbeitsplätzen dieser Republik die zitierten „ständig wachsenden Ansprüche“ gibt, die nicht nur dafür sorgen, dass der Arbeitstakt von Fabrikarbeitern ständig erhöht wird, sondern alle von Dienstbesprechung zu Dienstbesprechung hetzen, ständig die Ergebnisse ihres Tuns „evaluieren“ müssen und selbst überall bewertet werden. Man fragt nicht, warum es so etwas wie ein Naturgesetz ist, dass immer mehr anfallende Arbeit von immer weniger Leute erledigt werden muss – ob bei Opel, in einer Zeitungsredaktion oder bei der Post. Man fragt nicht, warum „der Konkurrenzdruck“ nie aufhört und niemand mal einfach nur in Frieden mit sich und anderen werkeln kann. Und man fragt nicht, warum – wenn schon diese ganze Welt des Arbeitens so bescheuert organisiert ist – sich dann nicht alle wenigstens in der Freizeit in Ruhe lassen, sondern da mit ihren, jetzt endlich ganz persönlichen Forderungen aufeinander losgehen...

Wenn man in dieser Richtung mal ein wenig nachdenken würde, dann käme man zumindest grob auf folgende Linien:

• Der Zustand ewiger materieller Unsicherheit, nie endender Sorge um den Arbeitsplatz und das eigene Auskommen, ist das Prinzip dieser Gesellschaft und nur ein anderer Ausdruck für das, was sonst emphatisch „Freiheit“ heißt: Alle müssen das, was sie zum Leben und Sich-Vergnügen haben, in Konkurrenz zueinander und auf Kosten anderer erwirtschaften. Einigen gelingt das übrigens ziemlich gut – und zwar genau damit, dass sie den anderen die entsprechenden Sorgen einbrocken.

• Diesem Prinzip Konkurrenz müssen sich alle Mitglieder dieser Gesellschaft stellen, ob sie es befürworten oder nicht. Nicht die wenigsten halten es aber mit ersterer Alternative: Sie bejahen die gegebenen Bedingungen, den eigenen Vorteil in Konkurrenz zu anderen suchen zu müssen. Sie machen sich das Prinzip Konkurrenz zu eigen, zu ihrem eigenen Prinzip. Das hat allerdings Konsequenzen, die sich nicht auf ihren Broterwerb beschränken.

• In eine fortwährende Konkurrenz gestellt beginnen sie damit, sich selbst ständig unter dem Gesichtspunkt wahrzunehmen, ob sie es vor den von ihnen verlangten Maßstäben „bringen“ oder nicht. Sie lassen jede Distanz zu dem fahren, was ihnen im ersten Schritt noch als Anforderung gegenübertritt, vor der sie sich bewähren sollen, und betrachten sich selbst aus der Perspektive der Prüfung, die mit ihnen veranstaltet wird. Bin ich gut? Bin ich gut genug? Und vor allem: Bin ich besser als die anderen?

• Damit machen die Menschen, die es in der Konkurrenz um Schulabschlüsse, Jobs und Geld unbedingt „zu etwas bringen“ wollen, eine eigenartige Psycho-Logik auf. Sie stellen sich sozusagen neben sich und betrachten sich selbst als Vehikel dafür, den übernommenen, zum Teil auch freihändig umgedeuteten Erfolgskriterien gerecht zu werden. Sie fragen sich, ob ihre „Motivation“ stimmt, ihre Einstellung genügend „erfolgsorientiert“ ist oder ob am Ende ihre „positive Energie“ schon irgendwie zu wünschen übrig lässt bei dem, was sie unbedingt hinkriegen wollen: Versicherungsverträge verkaufen, Tore verhindern oder Kerle aufreißen.

• Die Ansprüche, unter die sich selbst setzen, haben insofern auch nur noch bedingt etwas mit denen zu tun, die in der „objektiven Welt“ der ökonomischen Konkurrenz existieren, und sie finden sich auch ganz klassenübergreifend bei denjenigen, die es materiell „geschafft“ haben und sich lässig zurücklehnen könnten, wenn sie nicht „sich selbst“ noch einiges „schuldig“ wären.

• Kein Wunder, dass von denen, die diesen Irrsinn partout mitmachen wollen, nicht gerade wenige depressiv werden angesichts dessen, dass sie den ziemlich maßlosen Maßstäben, die sie selbst oder andere ihnen setzen, nicht gerecht werden. Einige von ihnen machen dann irgendwann endgültig den Grund für ihr ewiges Scheitern in sich selbst, ihrer ungenügenden Persönlichkeit, aus und bringen sich um.

... muss man aushalten!

Wenn das im Fall einer prominenten Persönlichkeit passiert – ansonsten bringen sich ja wie gesagt 12.000 depressive Menschen um, ohne dass das mehr wird als eine Zweizeilennachricht im Lokalteil! –, heißt die Konsequenz bei aller flächendeckend inszenierten „Betroffenheit“ natürlich keineswegs, einmal innezuhalten, sich die Gemeinheit einer Gesellschaft, die das Leben ihrer Leute so einrichtet, wirklich zu durchdenken und eventuell mal sein zu lassen. Der Schluss geht genau umgekehrt: Nachdem man kurz was über die Härten des modernen Daseins genuschelt hat – was, wie gesagt, eine überaus ideologische Fassung desjenigen ist, um was es wirklich geht: Menschen in den Dienst einer ökonomischen und staatlichen Konkurrenzveranstaltung zu stellen! –, dreht man die Blickrichtung kurzerhand, aber sehr entschlossen um. Jetzt kommt nämlich der einzelne ins Visier, der diese Kiste nicht durchgestanden hat. Das schlichte Argument: Die anderen schaffen es doch auch! Oder sie tun zumindest so, als ob. Und tatsächlich: Mit Zusammenreißen und Anstand, sprich moralischer Disziplin und den oben beschriebenen Techniken psychologischen Umgangs geht ja wirklich einiges. „Also“– so lautet der fiese Schluss – liegt es letztlich doch am jeweiligen Individuum, wenn irgendwas schief gegangen ist. Das ist in der einen Hinsicht banal (schließlich hat da tatsächlich einer von vielen ähnlich gelagerten Fällen so reagiert), in der anderen ekelhaft, weil sich die professionelle Öffentlichkeit damit von vornherein auf den Standpunkt stellt, dass es komplett „normal“ ist, das, was den Menschen alles so abverlangt wird, auch hinzukriegen. Von daher würdigt man dann die besondere Tragik eines Falls, in dem es der Betroffene doch „eigentlich“ nach allen Regeln dieser Leistungsgesellschaft geschafft hatte, zu ihrer sportlichen Elite gehörte und nun „doch“ so dramatisch gescheitert ist. 

Es beginnt die Zeit des (medienmäßig ungemein produktiven) Nachbohrens in der persönlichen Geschichte (allerhand zusammen gekommen!); Familie, Freunde und Kollegen fragen sich, was man hätte merken und verhindern können (Teresa Enke: „Wir dachten, wir schaffen das mit Liebe.“) Die Experten in Sachen menschlicher Psyche dürfen sich äußern und diskutieren, ob es hätte anders laufen können, wenn man sie, ihre Pillen und ihre Ratschläge ernster nehmen würde usw. usf. 

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Letzten Endes wird der Fall des Robert Enke so zu einer vorweihnachtlichen Erziehungsstunde für das deutsche Volk. Die Härten seines Daseins, objektive, die ihm eingeschenkt werden, ebenso wie subjektive, die es sich selber dazu schafft, sind „da“ und sie sind zu bewältigen. Das ist das fraglos feststehende Programm für jeden einzelnen. Zugebilligt wird, dass das keine einfache Sache ist – manch einer kann daran zugrunde gehen. Allen wird der Imperativ verordnet, auf sich selbst und auch noch auf andere aufzupassen: Darauf, ob man selbst bzw. der Mitmensch trotz aller Schwierigkeiten beim Erfüllen fremder und eigener Ansprüche noch funktional bleibt, noch alles „irgendwie im Griff“ hat. Damit das nicht passiert, dass die Leute „austicken“, müssen wir alle als moralische Gemeinschaft auf jeden einzelnen aufpassen, ihn nicht wie ein „Rädchen im Getriebe“, sondern „als Menschen“ behandeln. Wozu? Damit er schön weiter macht und sich diesem Mist nicht am Ende noch ganz egoistisch entzieht! Schöne Auskünfte darüber, als was das in dieser Gesellschaft ja stets hoch gelobte Individuum und das nationale Kollektiv gefragt sind.

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Wenn Staaten das Klima schützen wollen ...

Durch die Weltwirtschaftskrise kommt es zu einem Rückgang der CO2-Emissionen um 3-5 Prozent. Experten zufolge ist das der größte Rückgang seit 40 Jahren. Viel mehr jedenfalls, als die vereinte Runde der politischen Führer in ihren jahrzehntelangen „Bemühungen“ zustande gebracht hat. Kaum gerät das weltweite Wachstum ins Stocken, gelingt effektiver Klimaschutz also wie von selbst! UN-Beauftragte sehen in dieser Tendenz eine Chance, unter anderem für eine „Energiewende“, und fordern nun Zusagen der amtierenden Machthaber für die nächste historische Klimakonferenz in Kopenhagen. Die Zusagen für Reduktion der Emis-sionen und für Ausgleichszahlungen an Dritt-Welt-Länder bleiben allerdings vorerst aus. Kein Geld von den USA, kein Geld von China, von Russland und der EU auch nicht. Die Begründung: Den politischen Sachwaltern des Kapitalismus fehlen die Mittel: 20-50 Milliarden. Alles Geld, so die Auskunft, das die Mächtigen haben oder auch nicht haben, benötigen sie dringend, um das Wachstum genau jener Wirtschaft zu fördern, die mit ihrem Energiehunger für den steigenden Kohlenstoffausstoß verantwortlich ist. Weitere Fabriken und Kraftwerke, Ausbau von Straßen, sogar Prämien zur Vernichtung funktionstüchtiger Autos gehören zu daher zu den Konjunkturprogrammen.

Ein Irrsinn? Es ist schlimmer! Nach der Logik der herrschenden Weltordnung muss das skizzierte Muster als sachgemäß gelten: Klimaschutz ist zwar als Ziel des Regierungshandelns inzwischen überall anerkannt. Das heißt aber gerade nicht, dass damit die Ursachen außer Kraft gesetzt werden sollen, die notorisch und global zu den bekannten zerstörerischen Wirkungen führen: die unternehmerischen und staatlichen Rechnungen mit möglichst großem Wachstum, gelingender Profitproduktion, dafür rentabler Energieversorgung und entsprechendem Umgang mit dem anfallenden CO2-Ausstoß. Diese sollen unbedingt weiter existieren, mit ihren Wirkungen soll allerdings so umgegangen werden, dass die dabei anfallenden zerstörerischen Tendenzen nicht auf Dauer den ganzen schönen Betrieb vermasseln oder Kosten verursachen, die den beteiligten Nutznießern über den Kopf wachsen könnten. Als erstes ist also festzuhalten: Politik, die sich Klimaschutz auf die Fahnen schreibt, rechnet mit und will explizit das weitere Wirken der kapitalistischen Ursachen der Klimaerwärmung.

Wie geht Klimaschutzpolitik auf dieser Basis? Sie will – polemisch zusammengefasst – die Umweltzerstörung des globalen Kapitalismus nachhaltig ermöglichen. Dafür sollen die schädlichen CO2-Emissionen gesenkt und damit die bereits anfallenden und künftig in noch größerem Ausmaß entstehenden Unkosten der Klimaerwärmung so gering wie möglich gehalten werden. So – als irgendwie bezifferbare Geldsummen – kommen steigende Meeresspiegel, Artensterben, Naturkatastrophen, Seuchen, Flüchtlingsströme usw. im Bewusstsein der Herrschenden nämlich vor: als zusammengezählte Schäden von Eigentümern, Versicherungskonzernen oder Staaten! Gegen diese ihre eigene Idee, wie weltweiter Klimaschutz anzugehen sei, fallen den Staaten dann allerdings – kaum dass sie den Gedanken ins Auge gefasst haben – sofort eine ganze Reihe von Gegenrechnungen ein: Eventuelle Einsparungsbemühungen von Unternehmen schädigen deren Konkurrenzfähigkeit; Staaten, die ihren Kapitalisten strengere Vorschriften machen würden, sehen sich als Kapitalstandorte beeinträchtigt. Weil es also für Unternehmen wie für die Staaten also „systemisch“ darum geht, bei wem die größte Verwertung stattfindet, findet der Klimaschutz, von dem alle reden, de facto statt nur da statt, wo er mit energie- und wachstumspolitischen Zielen der jeweiligen Nationen zusammenfällt.

In den meisten Fällen heißt das aus Gründen ihrer imperialistischen Konkurrenz: 1. Staaten wollen sich in der Energiefrage in Zeiten sich verknappender Ressourcen von fossilen Rohstoffen emanzipieren, um weniger von anderen Mächten erpressbar zu sein. 2. Sie wollen konkurrierende Nationalökonomien auf Emissions- und Produktionsstandards verpflichten, um deren Marktvorteile einzuschränken. 3. Sie propagieren Energietechnologien, die als Exportschlager der eigenen Ökonomie Aufträge und Gewinne einspielen und auswärtige Nationen auf den Verzicht anderer Energiequellen festlegen. Usw. Je nach Verfügung über Energierohstoffe, Entwicklungsstand der Industrialisierung, Verfügung über alternativen Technologien, Konkurrenzerfolg auf dem Weltmarkt usw. nehmen die wichtigen kapitalistischen Nationen auf der Welt (die natürlich auch die wichtigsten CO2-Emittenten sind) unterschiedliche Positionen im internationalen Gezerre um derart motivierten Klimaschutz ein; gerade weil es ihnen letztlich allen um das gleiche geht: Um Wachstum von privatem Eigentum zum Nutzen und unter dem Schutz ihrer jeweiligen staatlichen Hoheit!

Weil das der Zweck ist, um den sich all das dreht, was momentan als „Beitrag zum Klimaschutz“ verhandelt wird, ist es deshalb auch kein Wunder, dass die dabei zum Zug kommenden Maßnahmen ihrerseits eine ganze Menge wenig naturschonender und menschenfreundlicher Wirkungen haben. Wenn für den Anbau von Energiepflanzen der Regenwald großflächig gerodet wird, ist das sicher nicht unbedingt im Sinne der CO2-Bilanz – dafür stimmen dort momentan die Profitraten; eine Renaissance der Atomkraft „aus Klimaschutzgründen“ ins Spiel zu bringen, ist ideologisch ebenso dreist wie praktisch rücksichtslos; ebenso, dass die Produktion von Biotreibstoff weltweit Lebensmittelpreise in die Höhe treibt und zu einem Rekord-Hungerjahr in der Menschheitsgeschichte beiträgt.

Und dann werfen sich auch noch ausgerechnet diejenigen, die die Welt so eingerichtet haben und mit ihren Rechnungen Tag für Tag weiter zerstören, auf ihren regelmäßig stattfindenden Klimaschutzgipfeln in die Pose, dass sie die verhinderten Retter dieses Planeten sind, die leider nicht so können, wie sie eigentlich wollten ... Geht’s eigentlich noch verlogener?

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Wieder mal ein Lebensmittelskandal

Billiges Menschenfutter geht kapitalistisch nur so

Und wieder grüßt das Murmeltier. An irgendeiner Stelle kommt es raus. Dann dürfen alle Beteiligten die Sache unter tätiger Mithilfe ihrer professionellen Interviewpartner in BILD und Tagesschau erst mal runterspielen. Huch, wie konnte das denn passieren? Menschliches Versagen ... natürlich schlimm, aber Gesundheitsgefährdung auf alle Fälle ausgeschlossen... Scheibchenweise kommt jeden Tag mehr „Skandal“ raus: Umfang, Zeitdauer... Der Verbraucher ist „verunsichert“, das Ausland reagiert mit dem Verbot deutscher Agrarimporte. Jetzt werden die Minister schärfer im Ton: „beachtliche kriminelle Energie“ ist gesichtet worden, die natürlich streng geahndet werden muss – umso mehr, da diese schwarzen Schafe das Image und damit die Exportmöglichkeiten unserer guten deutschen Produkte versauen. So weit, so wie immer.

„Immer wieder“ heißt „so ist es nun mal!“

Dass allein die Wiederholung des ewig gleichen Spielchens auf eine gewisse Systematik verweist, nehmen alle natürlich durchaus zur Kenntnis. Allerdings nicht in dem Sinne, dass die paar möglichen und nötigen Schlüsse über die Gründe gezogen würden, warum von Lebensmitteln im Jahr 2011 nur noch sehr bedingt die Rede sein kann. Stattdessen wird über diesen neuerlichen Fall von Lebensmittelvergiftung erstaunlich abgeklärt nachgedacht.

• Die Presse schmiert zum x-ten Mal ihre sachdienlichen Erläuterungen über die lästigen Kollateralkosten einer „industriellen Landwirtschaft“ (als sei das die richtige Kennzeichnung, wenn es um eine kapitalistische geht!) hin und packt ihre Textbausteine über die unglaubliche „Profitgier“ der ertappten Giftmischer aus. Für sie fängt Vergiftung eben erst da an, wo der gesetzlich vorgeschriebene Grenzwert überschritten wird – und damit wird aus anerkanntem Gewinnstreben dann auch moralisch unanständige und schädliche Profitgier! Nach diesen routinierten Umdeutungen kann sie sich den für sie wirklich spannenden Fragen widmen: welcher interessante Stoff war denn dieses Mal die „Ursache“? wer hat „versagt“? und vor allem natürlich: wer ist wie haftbar zu machen?

• Die Politiker sind einerseits pflichtschuldigst entsetzt und überrascht von den kriminellen Machenschaften, die in ihrem marktwirtschaftlich putzmunteren Volk zu Tage treten. Andererseits sind sie es natürlich nicht wirklich. Nach dem soundsovielten Fall der härteren Art lassen die involvierten Staatssekretäre deshalb durchaus geschickt eine gewisse Hilflosigkeit des Staats heraushängen: man könne schlicht nicht hinter jedes Schwein und jedes Hühner-KZ einen Bullen stellen – so viel Kontrollmacht besitzt selbst der in dieser Hinsicht nicht schlecht aufgestellte deutsche Staat nicht.

• Das versteht der längst nur noch mäßig aufgescheuchte Verbraucher natürlich. Ihm macht sowieso keiner mehr was vor, er weiß schon ewig Bescheid über die Machenschaften, denen er (nicht nur da!) ausgesetzt ist – bemerkenswerterweise hält er das nicht für einen Grund, sich aufzuregen, sondern nur dafür, wissend abzuwinken. Durchaus im Widerspruch zu dieser Diagnose lässt er sich von Presse und Politik dann allerdings auch noch aufs Butterbrot schmieren und glaubt durch die Bank, dass  letztlich er an allem schuld ist: als dämlicher Konsument nämlich, der mit seinem Billigheimer-Einkaufsverhalten all das „verlangt“ (–> siehe dazu: Stichwort: Konsumentenverantwortung).

Insofern ist sich die ganze Gesellschaft ziemlich einig: um diese Art immer wieder „passierender“ Lebensmittelskandale wird man auch in Zukunft wohl kaum herumkommen. Was man damit eigentlich sagt über den Zustand der elementar notwendigen „Versorgung“, deren ach so effiziente Bewältigung doch das Aushängeschild der kapitalistischen Produktionsweise sein soll, und was notwendig dazu gehört zur kapitalistischen Produktion der Lebens-Mittel – das will genau deswegen dann aber doch keiner so richtig wahrhaben. Deshalb einige kurze Überlegungen dazu – die übrigens auch schnell klarmachen, warum die Vergiftung schlicht dazugehört!

Kapitalistische Lebensmittelproduktion ...

In der Marktwirtschaft wird alles produziert, um damit Geld zu verdienen – das ist eine Binsenweisheit. Die hat es aber in sich. Beim Produzieren aller möglichen Güter – von Lebensmitteln bis zur Kohle – steht der Gesichtspunkt, dass man mit ihnen möglichst viel Geld einheimsen will, an oberster Stelle. Was man mit diesen Gütern anfangen kann, wie lange sie halten, wie gut sie schmecken bzw. wie gesundheitsverträglich sie sind, tritt dahinter ebenso zurück wie die Frage, unter welchen Bedingungen sie produziert werden – von der Länge des Arbeitstages bis hin zu Gefahren und Verschleiß für Leib und Leben der Arbeiter. Keine sehr verträgliche Angelegenheit für Produzenten und Konsumenten also, dieses kapitalistische oder marktwirtschaftliche Prinzip.

Bei Milch und Weißkohl ist das einerseits genau so wie bei Autos und Unterhosen. Andererseits können die Produzenten – kleine Bauern, große Agrarkapitalisten – nur dann zuverlässig Gewinn erwirtschaften, wenn sie einige Sonderbedingungen in den Griff kriegen:

• Sie haben es bei der Aufzucht von Tieren wie beim Wachsen von Salatköpfen mit der Natur zu tun. Sprich: ein Hähnchen braucht 12 Wochen, den Salat kann der Hagel treffen usw. All das auszuschalten, was an diesem Herstellungsprozess irgendwie zufällig und von den Launen des Wetters abhängig ist, und ihn tendenziell immer weiter zu verkürzen, damit das vorgeschossene Kapital schneller umschlägt – das sind die Hauptkennzeichen der modernen „industriellen“ Landwirtschaft.

• Das gelingt natürlich umso besser, je größer der Betrieb ist. Maschinen und große Flächen, auf denen deren Einsatz sich lohnt, Gewächshäuser, große Ställe usw.: Wachsen oder weichen, heißt die Devise, zu der gehört, dass in der Bundesrepublik jedes Jahr deutlich mehr als zehntausend Höfe sterben. Der dafür nötige Kredit sorgt dann seinerseits für den entsprechenden Zwang, um jeden Preis die Verträge mit Molkereien, Schlachthäusern und Handelsketten zu erfüllen.

• Für schnelles und verstetigtes Wachstum von Tieren und Pflanzen braucht es selbstverständlich auch die Forschungsergebnisse der Wissenschaft und ihre Anwendung in Form von Düngemitteln, Pestiziden, Wachstumshormonen usw. – schon in diesen ganzen Abteilungen ehrbarer Institute und deutscher Großkonzerne findet sich eine ganze Menge von dem Prinzip wieder, Naturprozesse auf Teufel komm raus rentabel zu machen, das dann als „kriminelle Energie“ in den tatsächlich illegalen Praktiken aufgespürt wird.

• Kostengünstige Vorprodukte als Mittel der eigenen Konkurrenz mit dem Preis bringt den Einsatz von Futtermitteln ins Spiel. Die sind billig, weil sie aus Abfallprodukten anderer landwirtschaftlicher oder technischer Produktionsprozesse nutzbringend recycelt werden können – keine Frage, dass diese Verwertung eigentlichen Produktionsmülls auch schon mal dafür genutzt wird, den ein oder anderen Schadstoff kostengünstig mit zu entsorgen. Auch hier ist das Prinzip der Kostensenkung und Rentabilitätsrechnung aller Beteiligten natürlich als betriebswirtschaftlich notwendig und sinnvoll anerkannt und hat einer ganzen Branche von Zulieferern interessante Geschäftsmöglichkeiten mit immer neuen Stoffen eröffnet.

... und ihre staatliche Beaufsichtigung

Für die werden Grenzwerte festgelegt. Dass es so etwas gibt, zeugt eigentlich schon im Ausgangspunkt davon, dass bei der Herstellung der Lebensmittel der Zweck eben nicht die Versorgung der Gesellschaft mit Lebensmitteln ist, sondern dass die Agrarprodukte nur der fast lästige und entsprechend ruppig behandelte Umweg zum Geld sind. Genau so will der Staat seine Landwirtschaft haben – anders wäre sie ja auch nicht so „effizient“ und marktwirtschaftlich erfolgreich. Nur so sorgt sie nämlich dafür, dass die Konkurrenz der Landwirte volkswirtschaftlich den schönen Effekt hat, dass die Preise für Lebensmittel extrem gesunken sind und damit als wichtiger Bestandteil des Lohns auch dafür sorgen, dass der Preis der deutschen Arbeitskraft stabil niedrig bleibt.  
Andererseits soll der gesunde Profitsinn seiner Bauern nicht gleich die Volksgesundheit untergraben – schließlich wird die auch noch in allen möglichen anderen Funktionen gebraucht, beim Arbeiten, Kinderkriegen und so zu. Also legen die staatlichen Behörden in ihrer salomonischen Weisheit Grenzwerte fest, die den Gebrauch der schädlichen Stoffe nicht gänzlich untersagen, aber auch nicht alles zulassen, sondern eine geregelte Vergiftung gestatten.

Dafür muss es dann wiederum Kontrollen geben – denn ein entsprechendes Gesetz zu erlassen ist natürlich keineswegs gleichbedeutend damit, dass damit das Interesse vom Acker ist, gegen das es sich richtet. Selbst wenn mal einer der Bauern oder Agrarkapitalisten es einsehen würde, dass diese Art der Produktion Land und Leuten schadet – mit der Konkurrenz, die sie sich gegenseitig machen und in der sie gegeneinander bestehen wollen, zwingen sie sich, zum eigenen Vorteil versteht sich, tatsächlich wechselweise die Verwendung immer kostengünstigerer Futterstoffe, immer mehr Wachstumshormone, immer wirksamerer Schädlingsbekämpfungsmittel usw. auf. Kein Wunder, dass die staatlichen Behörden immer neuen Stoffen und Methoden hinterherlaufen. Und kein Wunder auch, dass sie angesichts dieses Sachverhalts, kombiniert mit dem Interesse einer kostengünstigen Behandlung der Frage, inzwischen (wie man bei den Berichten des neuesten Skandals erfahren konnte) mehr und mehr auf die Selbstkontrolle der involvierten Betriebe setzen.

So löst sich also das anfangs zitierte Rätsel, warum es „immer wieder“ dazu kommt.

Anders geht es nämlich gar nicht in der vernünftigsten aller denkbaren Wirtschaften: Es gilt – staatlich anerkannt und von allen als Bedingung ihres Lebens praktiziert – das Prinzip, dass die Gesellschaft sich in ihrer Konkurrenz ums Geld mit aller Rücksichtslosigkeit behandelt. Und ganz entsprechend hat man es mit den ständig und dauerhaft eintretenden Wirkungen zu tun. Diesen relativ simplen Rückschluss will aber niemand ziehen. Lieber wendet man sich „immer wieder“ mit seiner Empörung über fehlenden Anstand in der Wirtschaft oder staatliches Versagen an – ja, an wen eigentlich? Na klar doch, an den Staat!

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