„Die größte PCB-Katastrophe seit Jahrzehnten“:

Envio – ein Lehrstück über die Kooperation von Kapital & Staat zum Wohle des Standorts

Die Negativ-Karriere eines Unternehmens vom „Vorzeigebetrieb für zukunftsweisende Arbeitsplätze und Umweltschutz“ zur „menschenverachtenden Gift-Fabrik“:

Die Envio AG entsorgt seit 2004 im Industriegebiet Dortmunder Hafen PCB-haltige Elektrotransformatoren (wie man jetzt hört, stammen die auch aus Kasachstan, vom Weltraumbahnhof Baikonur) und verkauft die daraus recycelten Teile und Rohstoffe. Die Dortmunder Standortpolitiker sind voller Freude über dieses „hochinnovative Umwelt-Unternehmen“ und unterstützen es. Seit 2008 werden am Dortmunder Hafen erhöhte Konzentrationen von PCB, Dioxinen und Furanen gemessen. Nach behördlicher Auskunft ist die Herkunft der Giftstoffe gänzlich unklar. Sachdienliche Hinweise eines Insiders von Envio gelten als standortschädliche Nestbeschmutzung. Im Mai 2010 finden die Behörden auf dem Betriebsgelände ungesichert gelagerte PCB-verseuchte Trafos. Dieser Fall stellt sich schnell als Normalität bei Envio heraus; und nur angeblich PCB-entsorgte Teile wurden an Aufkäufer unter der Rubrik „ungefährlich“ weiterverscherbelt. Die zuständigen Politiker verfügen die sofortige Schließung des Unternehmens, zeigen sich entsetzt und erklären sich für hintergangen. Luft, Boden (55.000 qm in der Kanalstraße) und Wasser sind verseucht, die dort und ringsherum arbeitenden und lebenden Menschen in extremem Umfang kontaminiert. Die „juristische Aufarbeitung“ beginnt. Die PCB-Werte im Hafen steigen erneut. Envio ist gar nicht der einzige Emittent ...

Ein ziemlicher Irrsinn, in der Tat. Was da aber in der öffentlichen Behandlung zum „Skandal“ erklärt wird, ist schon bemerkenswert. Sicher ist der Fall Envio von außergewöhnlicher Qualität, sowohl was das unternehmerische Vorgehen als auch was die Behördenaufsicht angeht. Dennoch ist er für jeden unbefangenen Beobachter nichts als die Spitze eines Eisbergs: Alle Unternehmen sind wegen ihrer Kosten-Gewinn-Rechnung höchst großzügig, wenn es darum geht, die Schädigung von Mensch und Natur durch ihren Produktionsprozess und/oder ihre Produkte in Kaufzu nehmen. Und die staatlichen Behörden überlegen sich sehr genau, inwieweit sie das Florieren des Geschäfts durch einschränkende Auflagen belasten und entsprechende Umgehungstatbestände ahnden wollen und sollen. Auch bei der x-ten Menschen- und Umweltvergiftung entdeckt niemand diese Regel, sondern jeder immer nur die Ausnahme. Hauptverursacher sind auch diesmal nicht die unternehmerischen und staatlichen Kalkulationen, sondern wieder mal nur die hohe „kriminelle Energie“ des Envio-Managements im Verein mit der eklatanten „Untätigkeit“ und „Unfähigkeit“ der zuständigen Behörden in Dortmund und Arnsberg. Infolgedessen sind dann die Leidtragenden keineswegs nur die geschädigten Mitarbeiter samt Anhang, sondern auch just die Instanzen, die das Gift in die Welt gesetzt bzw. genehmigt haben: Kapital und Politik. Dortmunds OB Sierau nennt die Betroffenen beim Namen: „der Industriestandort Hafen, der jetzt gefährdet ist“ und damit die dort ansässigen „Unternehmen und Arbeitsplätze, die in Verruf kommen“.

Es ist also passiert, was nicht hätte passieren dürfen, schon gar nicht bei uns. „So etwas“ trauen wir bekanntlich Dritt-Welt-Fabriken oder dem chinesischen Staat zu, aber nicht deutschen Umwelt-Hightech-Unternehmen und verantwortungsbewussten Politikern.

Warum ist es dann „trotzdem“ passiert?

Erstens, weil schon die ganze Geschäftsidee von Envio – Entsorgung von PCB – darauf beruht, dass die Unternehmen in dieser Marktwirtschaft von sich aus rücksichtlos gegenüber jeglichen Wirkungen auf Mensch (als Arbeitskraft wie Verbraucher) und Natur vorgehen, wenn billige und umsatzstarke, aber gefährliche Stoffe wie PCB zu zig Millionen Tonnen in die Welt gesetzt werden.

Zweitens, weil das internationale PCB-Verbot, das die Staaten irgendwann zum Schutz von Mensch und Natur als Wachstumsvoraussetzungen erlassen haben, sofort eine neue Geschäftssphäre eröffnet, auf die das Kapital sich gerne stürzt. Das Entsorgen und Recyceln wird dann für Firmen wie Envio, einer Ausgründung der PCB-Schleuder ABB, zum 1a-Wachstumsmarkt. Um die Ansiedlung solcher Unternehmen wetteifern wiederum Kommunalpolitiker der diversen Standorte. Umwelttechnik erklären sie zu dem Aushängeschild für den „Strukturwandel“ nach Kohle & Stahl und zum attraktiven Werbeargument für Dortmund. Dass Unternehmen, was auch immer sie produzieren, streng darauf achten, ihre Kosten zu minimieren, um ihren Gewinn zu steigern, ist auch in dieser Branche die selbstverständliche, allseits akzeptierte Voraussetzung der Kooperation von Staat und Kapital. Da können manche – dann unerwünschte – Wirkungen einfach nicht ausbleiben. Besonders dann nicht, wenn es um so tolle Geschäftsideen wie bei Envio geht, wo aus verseuchten Teilen unbedingt wiederverwendbares Zeug herausmanipuliert werden soll, das man mit Gewinn wieder verkaufen kann.

Jetzt ist der gute Ruf des Industriestandorts Dortmund beschädigt

und die gedeihliche Kooperation von Envio und Stadt plötzlich am Ende. Die Politiker fühlen sich um den Ertrag ihrer freundlichen Genehmigungen betrogen – und plötzlich darf jeder wissen, was für eine Dreckschleuder eine gute Adresse in der Nordstadt war:

– Bei Envio haben vorwiegend billige Leiharbeiter im T-Shirt mit der Reinigung von Transformatoren ihren Lohn verdient, das anfallende hochgiftige PCB hat sich dabei in ihre Kleidung und ihre Umgebung entsorgt. Jetzt soll man sich über die „kriminelle Energie“ des Managements aufregen, das selbst einfachste Sicherheitsmaßnahmen unterließ. Dass das Sich-Hinwegsetzen über Vorschriften und Grenzwerte verboten ist, heißt aber noch lange nicht, dass deren Einhaltung Mensch und Umwelt schonen würde: Die staatliche Festsetzung verträglicher Normen gibt nämlich zu Protokoll, dass die Leute das kapitalistische Dauerexperiment mit ihrer Gesundheit ertragen sollen. Beim Produzieren wachsender Waren- und Müllberge soll das Volk nicht über Gebühr belastet werden. Giftwerte vom Tausendfachen des Erlaubten, also die Steigerungsform von Gesundheitsschädigung, allein das gilt bei uns als unerträglich.

– Kürzlich hat Envio auch die Stammbelegschaft entlassen, es ist „keine Arbeit mehr da wegen Stilllegung“. Jetzt schlägt auch noch die ehemals so hoffnungsfrohe Nachricht über die schönen neuen Arbeitsplätze, die mit der Envio-Ansiedlung nach Dortmund gekommen sind, um in eine große Enttäuschung über den Verlust derselben. Wenn die Betroffenen nicht heilfroh sein können, diese lebensgefährlichen Scheiß-Jobs los zu sein, was sagt das eigentlich über die Lage der arbeitenden Klasse in unserer fortschrittlichen Wirtschaftswelt aus?

____________________________

Fußball-Fieber            

Wenn Nationen Tore schießen ...

Wenn Podolski, Kaka oder Ronaldo ein Tor schießen, steigt weder das Bruttoinlandsprodukt noch der außenpolitische Einfluss des Landes. Belanglos sind die Ergebnisse der Nationalkicker deswegen noch lange nicht. Während der WM herrscht Ausnahmezustand: Wildfremde Menschen, die sich sonst eher misstrauisch begegnen, liegen sich beim Public Viewing betrunken in den Armen; Fabrikbesitzer, die normalerweise um jede Sekunde Arbeitszeit feilschen, halten die Fließbänder an, damit ihre Arbeiter den Nationalhelden die Daumen drücken können; Lehrer, die ansonsten jede Fehlstunde penibel ins Klassenbuch eintragen, schicken die Schüler auch schon mal nach Hause; die Herrschenden unterbrechen beim G20-Gipfel pünktlich zum Spiel ihre Sitzung und die Sprecher von Tagesschau und „heute“ widmen ohne Weiteres die Hälfte ihrer Sendeminuten Berichten über die Taten der deutschen Mannschaft.

Eine Fußball-Weltmeisterschaft ist also etwas anderes und viel mehr als sommerliches Gekicke von ein paar mehr oder weniger guten Balltretern. Sie hat den Charakter einer regelrechten Staatsaffäre, die alle irgendwie angeht. Und angehen soll: Presse und Fernsehen tun ihr Bestes, um das Publikum auf diesen Standpunkt zu verpflichten, indem sie ihn in x Varianten als völlig natürliches Verhalten darstellen: „Alle feiern begeistert mit.“  „Das ganze Revier ist aus dem Häuschen.“  „Tolle Stimmung“ usw. – wer da nicht mitmacht, ist also ein komischer Außenseiter, der keinen Spaß versteht. Und tatsächlich machen auch (fast) alle mit. Ganze Straßenzüge sind in schwarz-rot-gold geflaggt, Muttis, die sich ihr Leben lang noch nie für Fußball interessiert haben, finden die Spiele der deutschen Mannschaft spannend und die Jugend hat seit dem „deutschen Sommermärchen“ von 2006 einen neuen Hype entdeckt: Nach der Lena-Party von neulich amüsiert sie sich wie damals damit, die Siege von Lahm & Co. zu feiern und darauf einen zu saufen.

Nochmal: Worum geht es bei der WM und diesem Drumherum? „Es geht um Fußball, also um die Nation“, schreibt der Spiegel – und tut so, als sei das „also“ völlig logisch. Das Magazin für die Durchblicker weiß mal wieder, wie der Hase läuft: Sport wird hergenommen, um nationales Identitätsgefühl zu erzeugen – und findet das völlig in Ordnung! Denn an etwas orientieren, mit etwas identifizieren, das brauchen die Massen nun mal, insbesondere in „schweren Zeiten“. Warum sie das brauchen und was es ihnen eigentlich nutzt in ihren „schweren Zeiten“ – diese Frage soll genau so wenig aufkommen wie die: Was ist das eigentlich, die Nation? Denn auch da ist alles längst klar: Alle Menschen haben eine und es ist eine Art natürliches Lebensgefühl aller Menschen, sich in ihrer nationalen Gemeinschaft aufgehoben zu fühlen. Bumms. Aus! Mehr gibt es da nicht zu fragen!

Dass die Nation eine ziemlich eigenartige Gemeinschaft ist; dass sie ihren Kern in der politischen Zwangsgemeinschaft hat, die der Staat mit seiner Gewalt über Land und Leute herstellt; dass sie ökonomisch eine Gemeinschaft ist, die durch Konkurrenz und Klassengegensätze gekennzeichnet ist; dass das Gemeinschaftsgefühl eines ist, dass von allen materiellen und herrschaftsmäßigen Gegensätzen absieht und hinsieht auf den Erfolg des „großen Ganzen“, von dem jeder einzelne abhängig (gemacht) ist – diese ganze Palette von Gewalt und Opportunismus ist unterstellt und abgehakt, wenn sich ein nationales Kollektiv dann auch noch die höheren Weihen verleiht und sich – in Gestalt seines neuen Bundespräsidenten, in seiner Kultur oder mit seinen sportlichen Leistungen – feiert.   

In der Unterstützung der eigenen Mannschaft zelebrieren dann Arme und Reiche, Mächtige und Einflusslose, Volk und Regierung über alle Gegensätze hinweg ihre verlogene Verbrüderung. Was  ihren jeweiligen Alltag bestimmt – ob sie sich als Hartzer durchs Leben schlagen oder diesen gerade das Leben schwer machen – das lassen sie einfach hinter sich und fingieren eine Identität, die sich dementsprechend abstrakt verwirklicht: im tatkräftigen, nämlich vor allem lautstarken Mitfiebern mit der deutschen Elf.

Und alle Welt ist sturzzufrieden mit dieser Funktion, die der Sport für die Gemütslage des Volks hat. Ab und an wird schon davon geredet, dass der Fußball heute das „Opium des Volks“ sei ...

PS: In Frankreich ist das Ausscheiden der „Equipe tricolore“ ganz buchstäblich zur Staatsaffäre geworden. Einer Nation, die im Bewusstsein ihres Rechts auf den Meister-Titel das Turnier verfolgt, vergeht offenbar der Spaß, wenn die eigene Mannschaft „bereits“ in der Vorrunde ausscheidet. Weil sie die sportliche Konkurrenz mit dem Anspruch verknüpft hat, in ihr den Beweis auch ihrer sonstigen Erstklassigkeit im Konzert der Nationen zu erbringen, ist das Ergebnis für sie eine Blamage. Prompt gerät der Auftritt der Spieler neben dem Platz zum Fehltritt: Gestern noch als „Symbol eines geglückten multikulturellen Gesellschaftsmodells“ (Spiegel) gefeiert, heute als „kickende Negertruppe“ (Le Pen) beschimpft. Wenn schon die Spielstärke der eigenen Elf für glorreiche Siege nicht ausreicht, hat die mitfiebernde Nation zumindest das Recht auf einen aufopferungsvollen Kampf. Sportministerin Roselyn Bachelot führt im Auftrag von Staatspräsident Nicolas Sarkozy ein Krisengespräch mit Spielern und Trainer. Danach griff sie die Mannschaft genauso wie andere Politiker scharf an: „Es ist ein moralisches Desaster für den französischen Fußball. Die Spieler haben das Image Frankreichs angekratzt. Sie können nicht länger die Helden unserer Kinder sein.“ Bachelot forderte die Profis in einer Stellungnahme dazu auf, „den guten Namen des französischen Teams wiederherzustellen“. Sarkozy zitiert Kapitän Thierry Henry in den Präsidentenpalast, um sich das katastrophale Abschneiden der französischen Nationalmannschaft erklären zu  lassen. Ein Land schämt sich für seine Mannschaft, die vor den Augen der Welt die Vortrefflichkeit des nationalen Kollektivs demonstrieren sollte und darin versagt hat.

____________________________

 

Stichwort: Konsumentenverantwortung            

Als Verbraucher die Welt in Ordnung bringen?

Ob Klimawandel, Kinderarbeit in Entwicklungsländern oder Gammelfleisch: Als Verursacher aller Miseren der modernen Welt gilt gemeinhin der Mensch mit seiner „Geiz-ist-geil-Mentalität“. Dabei sollte und könnte in der Konsumgesellschaft von heute eigentlich jeder seinen Beitrag zur Verbesserung der Welt leisten: Wenn sich alle Verbraucher für Waren entscheiden würden, die unter ökologisch und ethisch einwandfreien Umständen hergestellt wurden, wären die Unternehmen im eigenen Interesse gezwungen, nach diesen Maßstäben zu wirtschaften. Heißt es. 

Nehmen wir uns diesen sagenhaften Konsumenten und seine fantastischen Möglichkeiten doch einmal genauer unter die Lupe.

Eine fertige funktionierende Marktwirtschaft ...

Nicht unbedeutend ist erst einmal, womit es der Verbraucher zu tun kriegt, wenn er die Bühne des Geschehens betritt. Es ist nämlich eine ganze fertige Welt des Produzierens, Verkaufens und Gewinnemachens, auf die er trifft, wenn er mit seinen Wünschen, Kaufentscheidungen und seinem „Konsum“ anfängt. In der setzen kapitalistische Unternehmen jedes Mittel ein, das ihre Kosten senkt und ihren Gewinn steigert – für diesen Zweck produzieren sie bekanntlich, und nicht, um der Menschheit einen flotten Konsum zu ermöglichen; inzwischen können sie das ohne große Probleme weltweit und mobilisieren so jeden Fitzel an billiger Arbeitskraft, interessanten Naturressourcen und möglichen Absatzmärkten, um sich den größtmöglichen Anteil an der global vorhandenen Kaufkraft zu sichern.

In dieser Welt und ihren Rechnungen lohnt es sich beispielsweise, Waren mit einem immensen Energieaufwand und Schadstoffausstoß um den halben Globus zu schicken, um die billigsten Löhne auszunutzen oder die letzte Zahlungsfähigkeit abzugrasen. Nordseekrabben zum Pulen nach Marokko zu verfrachten und zum Verzehr wieder zurück; deutsche Kartoffeln zum Waschen nach Polen zu fahren oder Schweine aus Nordrhein-Westfalen in Italien zu Parma-Schinken zu verarbeiten und nach erneuter Alpenüberquerung in Deutschland ins Kühlregal zu bringen. Aktionen dieser Art rufen vielleicht bei manchem, der davon hört, ein Kopfschütteln hervor, sind tatsächlich aber an der Tagesordnung, weil ökonomisch unter den herrschenden Bedingungen total sinnvoll, sprich: gewinnträchtig. Und die Staaten, die diese marktwirtschaftliche Produktionsweise einrichten und beaufsichtigen, verhindern diesen logistischen Wahnsinn, den man jeder Planwirtschaft als Totalversagen vorgehalten hätte. nicht nur nicht. Ganz im Gegenteil: Als Betreuer ihres Standorts, der unbedingt konkurrenzfähig sein soll, helfen sie den Rechnungen ihrer quirligen Unternehmer praktisch erst auf die Welt, indem sie die nötigen Autobahnen und Flughäfen bauen; noch dazu setzen sie einen „flexiblen Arbeitsmarkt“ durch, der Millionen Arbeitskräfte mobil macht, die zusätzlich zu den Warentransportern die Umwelt durch Abgase verpesten etc.

... systemimmanent von ihrer Irrationalität befreien

Diese ganz und gar nach den Gesetzen der kapitalistischen Rationalität eingerichtete Produktionsweise soll nun unser Verbraucher durch seine „bewussten“ Kaufentscheidungen so ins Lot bringen, dass die hässlichen Wirkungen dieser Rechnungsweise auf die Natur verhindert werden – allerdings gefälligst, ohne das kapitalistische Gewinninteresse selbst anzutasten. Denn das wäre ja verboten. Oder Sozialismus. Geht also jedenfalls nicht. Den Geschäftemachern in ihr ökonomisches Handwerk hineinzupfuschen, welches die beklagten Schäden überhaupt erst verursacht, ist von vornherein komplett ausgeschlossen, wenn man als Verbraucher die Welt retten soll. Statt dessen sollen die beklagten Missstände sozusagen systemimmanent beseitigt werden: Dadurch, dass die Masse der Verbraucher mit ihren Kaufentscheidungen Einfluss auf die Produktion nimmt, soll ganz elegant und ohne, dass überhaupt ein richtiger Gegensatz zu den bis dato herrschenden Kalkulationen aufgemacht werden muss, alle auf den richtigen Pfad gelenkt werden.

Diese Idee beinhaltet allerdings zunächst einmal, dass man sich das Funktionieren der Marktwirtschaft ein wenig umdeutet. Weil das Gewinninteresse der Unternehmen davon abhängt, dass sie Waren verscherbeln, wird den Käufern rückwärts die Verantwortung für „Fehlentwicklungen“ in die Schuhe geschoben – so als hätten sie beim Warensortiment und der Einrichtung der ebenso lohndrückerischen wie umweltschädlichen Produktion mitgeredet, die Handelswege ausgesucht, usw usf. Und wenn unser Konsument dann die Euros im Portemonnaie mal wieder umdreht, wie es so seine Art ist, will man an ihm partout nicht bemerken, dass er als Lohnempfänger mit seiner ganzen Geiz-ist-geil-Mentalität selbst ja auch bloß Bestandteil und Produkt dieser Rechnungen ist. Statt dessen kriegt er gleich den nächsten Vorwurf zu hören: Dass es nur an seinem Verlangen nach „billiger Ware“ liegt, dass nicht nur die Waren- sondern überhaupt die ganze Welt so ausschaut, wie sie ausschaut. Kartoffeln vom Nil, Kirschen aus der Türkei, Äpfel aus China, – all das gibt es schließlich nur „wegen ihm“, Beweis: Man muss nur registrieren, wo der ganze Mist letztendlich landet. Weil er kauft, was ihm angeboten wird und dabei nach guter marktwirtschaftlicher Manier auf den Preis achtet, ist er nicht nur schuld daran, dass die deutschen Bauern keine Streuobstwiesen mehr pflanzen, sondern trägt auch Verantwortung für die Zunahme von Kinderarbeit oder dafür, wie die christliche Seefahrt heute den weltweiten Handel mit ihren Containerschiffen managt – ganz nach dem Motto: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Diese „Macht“, die man sich so konstruiert hat, soll unser Verbraucher nun dazu gebrauchen, die Unternehmer zur Produktion weniger schädlicher Waren zu zwingen. Tatsächlich ist es auch hier eher umgekehrt. Denn er ist ja abhängig davon, in jeder Lebenslage mit dem kapitalistischen Warenangebot zurechtkommen zu müssen, auf das er als Resultat der verschiedenen Gewinnkalkulationen trifft. Aus dieser Abhängigkeit wird nun aber in der Vorstellung eine Erpressungsmöglichkeit, die er angeblich gegen die Eigentümer dieser Waren hat. Zwar hat er keineswegs die Freiheit, aufs Einkaufen zu verzichten – das wissen auch diejenigen, die gar nicht genug von seiner Verantwortung reden können. Aber immerhin kann er „bewusst“ kaufen:  Sich informieren,  umweltschonende Produkte herausfinden und auftreiben, eine missratene Firma abstrafen usw usf. Das ist zwar ein ziemlich tagesfüllender Job, bei dem er zudem ewig den lustigen Einfällen der Unternehmen, wie die ihren Profit mit ein paar neuen Hormonen, Pestiziden, giftigen Ersatzstoffen usw. noch ein bisschen steigern können, hinterherhinken wird. Und dem er auch generell nur dadurch nachkommen kann, dass er die Kassen eines anderen, natürlich ebenso auf Gewinn ausgerichteten Unternehmens füllt, der „irgendwie nicht ganz so schlimm, zumindest tut der so, sieht gesund aus, hat doch sogar ein Bio-Siegel...“ daherkommt. Diese Logik des Vergleichs – umweltschonendere, etwas weniger schädliches Zeug wird es schon irgendwo geben – gewährleistet natürlich nicht, dass überhaupt Produkte auf dem Markt sind, die „seinen“ Maßstäben auch nur annähernd gerecht werden. Und natürlich ist auch noch dieser Treppenwitz der Geschichte klasse: Nach dieser Idee verhalten sich notwendigerweise die Besitzer der größeren Geldeinkommen „vernünftiger“, schlicht weil sie mehr Freiheit haben, die höchste Energieeffizienzklasse zu nutzen, mal eben auf ein Hybrid-Auto umzusteigen oder eine neue Heizung mit alternativer Energie auszuprobieren.

Fazit: Die Idee von der Macht des Verbrauchers ist wirklich schön – zwar nicht als irgendwie praktisch gemeintes Mittel, mit dem man die an allen Ecken und Enden festgestellten Schäden, die die Marktwirtschaft „so mit sich bringt“, in den Griff kriegt. Aber sie taugt doch wunderbar dazu, die Verantwortung für immer wieder aufkommende Vorwürfe gegen diese Produktionsweise „uns allen“ anzulasten – denn kaufen und auf diese Art und Weise von ihr leben, das tut eben jeder. Kein Wunder, dass Jahr für Jahr Lehrer und Schüler (und nicht nur sie) den Gedanken durchexerzieren, was der Verbraucher doch alles könnte, wenn er denn nur wollte... und ein bisschen konsequenter ...

zurück zur Titelseite „Von Marx lernen“