Was das Volk in der Krise braucht, kriegt es auch 

Moral und echte Führung
Die Krise ist für Otto Normalverbraucher eine harte Zeit. Nicht bloß in dem schlichten Sinne, dass sein Erspartes fürs Alter nicht mehr sicher ist, der Arbeitsplatz verloren zu gehen droht und vermehrtes ‚Einteilen’ des eh zu kleinen Geldbeutels ins Haus steht. Auch sein Vertrauen in die prinzipielle Güte des marktwirtschaftlichen Systems sowie in die seiner ökonomischen und politischen Sachwalter steht schwer auf der Kippe. Zumindest treibt diese Sorge die professionellen Meinungsbildner - und mit ihnen die herrschende Elite – um. Das halten sie für die eigentliche Notsituation, in der sich das einfache Volk befindet und die unbedingt betreut werden muss.

So soll sich empört werden
Das Volk in der Demokratie hat ein Recht auf Information über die Lage, in der es sich befindet. Und wenn die unabweisbar kritikabel ist, dann kommt es umso mehr darauf an, dass die Kritik in die richtige Richtung geht. Nämlich in die, zwischen dem System und seinen finanzkapitalistischen Häuptlingen zu scheiden. Und so schreiben die Medien Schlagzeilen, die auf die Erregung öffentlicher Empörung über die Schuldigen, welche diese Katastrophe verursacht haben, zielen: „Verzocken Banker unseren Wohlstand? Die Finanzmarktakteure haben sich im ganz großen Stil verspekuliert. Hochriskante, gefährliche Geschäfte aus Gier nach mehr sind die Ursache.“

Der Finanzelite wird also moralisches Versagen zugeschrieben: Sie haben sich mit ihrer „Gier“, dieser Wurzel allen Übels, an „unserem Wohlstand“ vergangen. So sollen sich diejenigen, für die im Alltag bei der Erwirtschaftung des Wohlstands für Kapital und Nation die Rolle der schweigenden und arbeitenden Manövriermasse vorgesehen ist, in der aktuellen Notsituation in die Pose des Anklägers werfen: Die ‚da oben’ sind eigentlich für lauter gute Dienste zuständig und die haben sie jetzt versaubeutelt. Dieselben, die gestern noch die  Finanzelite als zutiefst vertrauenswürdige Helden des großen und schnellen Geldes bewundert haben, bezichtigen diese Elite jetzt der Misswirtschaft, gar der kriminellen Veruntreuung des „Volksvermögens“. Gerade so als wäre der kapitalistische Reichtum, der in der Vermehrung von Geld bei Unternehmen und Banken besteht, eine Art Gemeinschaftsprodukt, für das alle Beteiligten ihre Pflicht zu tun haben. Und ist der Volkszorn erst einmal in Richtung Pflichtvergessenheit von Managern geschürt, dann kanalisieren ihn die öffentlichen Meinungsmacher für den dringenden Appell an die öffentliche Gewalt, da mal durchzugreifen.

Und das soll her: eine echte Führung
So steht also fest, wer uns aus der Not wieder herauszuführen hat, und auch, wie er dabei vorzugehen hat. „Der Staat als Retter“ ist gefragt, und zwar ganz dringlich, ohne falsche Rücksichtnahme und das übliche „Hick Hack“. Ohne dass man auch nur einen Gedanken darauf verschwenden müsste, was da gerettet wird und auf wessen Kosten das geht, erfreuen sich die staatlichen Rettungsmaßnahmen grundsätzlich einer abgrundtief positiven Würdigung. Die politischen Verantwortungsträger können mal so richtig zeigen, was in ihnen steckt – an Kompetenz, entschlossener Führungskraft und allem anderen, was es in dieser Welt für eine erfolgreiche politische Vertrauenswerbung so braucht, folglich auch an Volksbetörung. Mit großer Genugtuung nimmt die Öffentlichkeit zur Kenntnis, wie gut in dieser schweren Zeit „die große Koalition funktioniert“, weil da die parlamentarischen „Kontrollmechanismen“, wegen der wir sonst unsere Demokratie so lieben, erst gar nicht greifen können. An Rettungsplänen und –schirmen ist in erster Linie bemerkenswert, wie „geschlossen“ und „schnell“ sie vereinbart werden. Allenthalben gibt es Zeugnisse „überzeugender Tatkraft“ zu vermelden, weswegen umgekehrt am Auftritt der Kanzlerin im Bundestag auch zu bemängeln ist, dass sie keine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede abgeliefert hat – mit einer solchen wäre man ja noch viel mehr von ihrer Tatkraft überzeugt gewesen.

Lesetipp:
Der GegenStandpunkt 4/2008 gibt einen gründlichen Überblick über diese und weitere Erträge, die Deutschlands öffentliche Meinung bei der Diagnose und Therapie der Finanzkrise zustande bringt.

____________________________

„Wie sicher ist mein Geld?“

Ein paar sachdienliche Hinweise

Alle Arten von Geldvermögen und das Geld selbst sind im modernen Kapitalismus prinzipiell unsicher. Jeder ist zwar auf Geld angewiesen, jeder muss es sich verdienen und zur Vorsorge auch etwas beiseite legen. Aber was er da eigentlich besitzt, was es wert ist und was es taugt, hängt von ganz anderen Dingen ab.

„Mein“ Geld – egal, ob erarbeitet, geerbt oder auf der Spielbank gewonnen, befindet sich nämlich normalerweise in der Hand anderer, die etwas damit anstellen. Was die ­– Banken, Versicherungen oder sonstigen Vermögensverwalter – mit „meinem“ Geld hinkriegen, ob sie Gewinne oder Verluste machen, hat unmittelbare Konsequenzen für das, was ich ihnen anvertraut habe. Letzten Endes hat es sogar Konsequenzen für das Geld, das ich bar in der Hand oder aus Sicherheitsgründen schon unterm Kopfkissen habe. 

In der gegenwärtigen Finanzkrise wird dieser allgemeine Sachverhalt besonders offensichtlich und alle kriegen Angst, dass ihr Geldbesitz in Gefahr ist.

• Wenn das Geld angelegt/investiert ist, also in irgendwelchen Finanzprodukten (Zinspapiere, Aktien, Fondsanteile) steckt, kommt man ohne Verluste nicht mehr heran. Man hat sein Geld Profis des Geldvermehrens anvertraut. Die haben damit ihr risikoträchtiges Geschäft veranstaltet und folgerichtig wird man jetzt für deren Probleme in Mithaft genommen. Verkaufen viele gleichzeitig, um ihr Geld zu retten, sinken die Kurse erst recht. Wer nicht verkauft und abwartet, muss schauen, was die nächsten Jahre daraus wird, und sich graue Haare wachsen lassen.

• Wenn man sein Geld für kleinen oder gar keinen Zins auf irgendwelchen Bankkonten liegen hat (Giro-, Tagesgeld-, Sparkonto), dann „arbeitet“ dieses Geld – für die betreffende Bank. Die hat es als Kredit weiterverliehen oder selber in irgendwelche Anlagepapiere investiert, um Gewinne zu erwirtschaften. Wird die Bank von der Krise erfasst, zu der sie selbst wie jede andere Bank beigesteuert hat, wird sie zahlungsunfähig und das Geld ist weg. Wenn man es vorher abholen möchte und das viele andere auch tun, tritt die Insolvenz noch früher ein und die Bankschalter werden geschlossen. Alle existierenden Sicherungssysteme (Einlagensicherungsfonds, Staatsgarantie für Einlagen) sind für die Katz, wenn alle „ihr“ Geld zu sich nach Hause holen wollen.

• Bleibt natürlich die Alternative, sein Geld gar nicht erst aus der Hand zu geben und niemandem anzuvertrauen, der damit nur zu gerne „arbeiten“ möchte. Dumm daran ist nicht nur, dass dann natürlich kein Vermögenszuwachs mehr möglich ist: Das Bargeld liegt in irgendeinem Versteck, kann abhanden kommen, gestohlen werden oder man gibt es dann doch lieber aus. Dann ist es weg. Aber selbst wenn man es sicher aufbewahrt, kann man es doch verlieren. Entweder die schon eingeläutete Krise der gesamten Wirtschaft, nicht nur der Finanzbranche, führt zur Inflation: Dann ist das  Geld zwar noch da, aber nichts mehr wert. Oder sie führt zur Deflation: Dann könnte man zwar eigentlich mehr Güter davon kaufen als vorher (weil die Unternehmen die Preise ihrer Absatzwaren senken müssen), wird sich das aber nicht mehr trauen, weil alles den Bach runter geht und völlig unsicher wird, wie man neues Geld verdienen soll. Dann ist das Geld auch noch da, aber zu gar nichts mehr nutze.

Und die Moral von der Geschicht? Im modernen Geldwesen ist alles vom gelingenden Kreditgeschäft der Profis abhängig. Nicht nur das Geschäftsleben der Unternehmen, bei denen man sein Geld verdienen muss, sondern alle Formen von Geldbesitz, der gesamte Reichtum der Gesellschaft. Unser Staat hat das mit seinen Gesetzen so eingerichtet. Er will das so, weil er vom Wachstum der mit Geld und Kredit angeschobenen Geschäfte profitiert. Und in der großen Krise tut er alles dafür, dass genau das weiter so bleibt.

In der Krise erleiden alle privaten Geldbesitzer Schaden. Die Reichen machen die großen Verluste, die weniger Reichen die kleinen. Das Geld erweist sich für alle als ein widersprüchliches Ding, als prekäre Form von Reichtum. Wer für sein Geld auf eigene Arbeit angewiesen ist, kommt in den so genannten „guten Zeiten“ nicht zu Geld, denn mit seiner Arbeit macht er nur andere reich. Aber er hat auch nichts – jedenfalls nur sein bisschen Erspartes – zu verlieren. Wenn man so will, ist das die beruhigende Seite an der Armut.

____________________________

Wieder einmal: Hunger in Afrika

Merkel gibt eine Million

Seit Tagen hört man die Meldung, es gebe derzeit im Osten Afrikas wegen Dürre die größte Hungerkatastrophe überhaupt. 10 Millionen Menschen seien vom Hungertod bedroht, davon 2 Millionen Kinder.

Gerade ist die deutsche Kanzlerin zu Besuch in Afrika, um den deutschen Einfluss auf Kosten Chinas auszuweiten. Dafür werden Geschäfte (Öl!) angebahnt und die deutsche Regierung sorgt für Deals mit Waffen.  Angesichts des Elends – in Kenia warten in den weltweit größten Flüchtlingslagern viele Hunderttausende auf Hilfe – reagiert die gute Protestantin, Chefin eines der reichsten Länder der Welt, prompt. Sie greift tief in die Tasche und spendiert Hilfe in der Höhe von einer Million Euro.

Offensichtlich die passende Summe – eine Geste des guten Willens, ein Symbölchen dafür, dass verantwortungsvolle deutsche Außenpolitik auch an die denkt, die in dieser Weltordnung einfach nicht gebraucht werden. So billig ist das im Jahr 2011 zu haben.

Im Juni 1986, vor sage und schreibe 25 Jahren also, war in einer Marxistischen Studenten Zeitung (MSZ) der folgende Artikel zu lesen. Beim Thema „Hunger in Afrika“ scheint die Welt gut vorwärts zu kommen.


Eine Reportage aus Afrika

„DAS VIEH KREPIERT, DIE KINDER KRIEGEN DICKE BÄUCHE“

Da ist ein Land in Afrika, ziemlich groß. Viele schwarze Menschen leben darin. Seitdem die Kolonialherren abgezogen sind, haben sie eine eigene Regierung und eine Hauptstadt, deren Namen viele von ihnen sogar verstehen. Die schwarzen Menschen leben zum Teil von Ackerbau, indem sie dort säen und pflanzen, wo es am besten wächst; zum Teil vom Vieh, das sie immer dorthin treiben, wo es etwas zu fressen und Wasser gibt. Das Land ist ja so groß. Von Überbevölkerung kann nicht die Rede sein. Wenn die Savanne in der gewohnten regenlosen Zeit austrocknet, ziehen die Viehzüchter näher an den Urwald oder an die Flüsse. Die Ackerbauern roden, wenn der fünf Jahre bebaute Boden nichts mehr hergibt, eben ein neues Stück. Der Urwald ist ja so groß und wächst auch immer wieder zu. In die Quere kommt man sich kaum – es sei denn, ein christlicher Missionar und ein ehrgeiziger Medizinmann ohne Mission brechen aus Konkurrenzgründen eine sinnlose Stammesfehde vom Zaun. Wenn schon einer auf dem Stück Land sitzt, zieht man halt weiter. Gegend gibt‘s ja genug.

Dann kommen weiße Menschen mit gepflegten Afrikanern aus der Hauptstadt. Die wollen eine Plantage aufmachen. Sie sagen, so kämen viel mehr Nahrungsmittel heraus. Sie nehmen sich ein riesiges Gebiet von der fruchtbarsten Gegend. Da merken die aufgeweckten schwarzen Menschen, dass es enger wird. Einmal bleibt der normale Regen aus. Da wären sie normalerweise dorthin gezogen, wo jetzt die Plantage ist. Jetzt treten sie sich schon auf die Füße.

Der Boden, auf dem etwas wächst, wird knapp. Es gibt schon sieben Plantagen. Und die übrige Gegend gibt so wenig her. Die Viehzüchter müssen immer weitere Wege ziehen. Die Plantagen brauchen so viel Wasser. Die schwarzen Menschen sehen, wie ungemein viel Erdnüsse und Bananen auf den Plantagen wachsen. Davon kriegen sie nichts, denn das Zeug wird in die Hauptstadt abtransportiert. Einige von ihnen gehen schon auf die Plantage arbeiten. Sie zeigen ihren Stammesgenossen stolz ihr Geld. Dann kommen Holzfäller-Kolonnen. Die Herren aus der Hauptstadt sagen, man könne das Holz gut verkaufen und mit dem Geld auf dem urbar gemachten Boden ganz viel Hirse anbauen.

Die Holzfäller roden mit ihren riesigen Sägen an einem Tag riesige Flächen. Dann sind sie weg und die abgeholzte Gegend sieht wüst aus. Das abgeholzte Land bleibt so liegen. Jetzt bleibt der gewohnte Regen schon das dritte Mal aus. Weite Gebiete der Savanne werden zur Steppe. Und was vorher Steppe war, ist jetzt Wüste. Die Ackerbauern fangen an, auf schlechtesten Böden wenig nahrhafte Knollenfrüchte zu ziehen. Einige verkaufen, was sie noch an Mais und Sojabohnen geerntet haben, in der nächsten Stadt.

Nachher stellen sie fest, dass das Geld nicht reicht, um Saatgut zu beschaffen. Die Viehzüchter greifen ihre Stammherde an, die durch die Dürre schon stark reduziert ist. Sie stillen damit den Hunger ihrer Familien oder verkaufen das Vieh in der nächsten Stadt. Was sie dafür kaufen können, ist schnell aufgegessen. Die Lebensmittel, die jetzt eingeführt werden, sind sauteuer. Der Bestand der Herden geht ständig zurück. Einige Söhne der Familien gehen in die Hauptstadt. Man soll da als Soldat einen guten Sold bekommen. Das ist ein Esser weniger. Das Kinderkriegen wird nämlich wie gewohnt gepflegt, und die schwarzen Menschen merken gar nicht, daß sie damit eine „Überbevölkerung“ in die Welt gesetzt haben.

Dann wird ein Staudamm gebaut. Sie sagen, daß dann ganz viele Leute elektrisches Licht kriegen und riesige Flächen bewässert und fruchtbar gemacht werden können. Das Licht kommt nicht, es geht in die Hauptstadt oder ganz anderswo hin. Das Wasser kommt und bleibt so lange stehen, bis der Boden endgültig sauer ist. Wo die Bewässerung dosiert geregelt wird, mit Rohren und so, bricht nach zwei Jahren die Instandhaltung dieses Bewässerungssystems zusammen. Die Regierung gibt nichts. Die Erträge der Kleinbauern sind negativ. Sie können mit den Plantagen nicht konkurrieren. Jetzt hätten sie besser Knollenfrüchte für sich statt Zuckerrohr für den Markt in der Stadt angebaut. Die Grundlagen für die nächste Aussaat müssen aufgezehrt werden. Geld hat man kaum oder gar nicht. Die Kleinkinder schreien. Nach dem Einkauf der paar Pfund Milchpulver aus der Stadt wundern sich die Eltern, daß ihre Kleinen das kalte Kotzen kriegen. Sie und der Medizinmann können damit nichts anfangen. Die nomadisierenden Viehzüchter können wegen des Staudamms kaum noch herumziehen. Der Regen bleibt zum siebten Mal aus. Die Holzfäller sind immer noch am Werk. Das Vieh krepiert, die ersten Kinder kriegen dicke Bäuche. Einige machen beim Bau des Staudamms mit und ziehen nachher in die Stadt ab – da soll es was geben. Die langen Wege reduzieren das Maß der „Überbevölkerung“ ein wenig.

Dann kommt die Entwicklungshilfe. Ein paar Schwarze, die es gerade trifft, bekommen von Agraringenieuren und Missionaren gesagt, wie man‘s machen sollte. Auf einen grünen Zweig kommen die Auserlesenen damit nicht. Selbstversorgung geht nicht, weil für den Markt produziert werden soll. Und da sieht‘s finster aus: Die erzielten Preise sind keine Grundlage für den kontinuierlichen An- und Ausbau. Dann geht das Entwicklungsgeldprojekt wieder zu Ende. Die Missionare versuchen immer noch, das Beste draus zu machen. Der liebe Gott mit seinem großen Zauber bietet Abwechslung. Hier und dort, ab und an werden Reisrationen verteilt. Kaufen kann die Lebensmittel, die die Regierung einführt, nachdem sie vorher die Plantagenprodukte ausgeführt hat, sowieso niemand mehr. Misereor füllt ein paar dicke Bäuche. Unterdessen krepieren Hunderttausende, weil die Regenzeit schon zum 10. Male ausgeblieben ist und Hunderttausende in Sandwüsten rumtorkeln, wo sie vorgestem noch Hirse angebaut hatten oder Vieh hatten grasen lassen. Andere wundern sich unterdessen, dass sie angereisten Soldaten im Weg zu stehen scheinen. In Flüchtlingslagern treffen sie Karlheinz Böhm und warten unter Anleitung eines Roten Kreuzes auf bessere Zeiten.

Doch nicht genug damit. Die einzige Aktivität wird den schwarzen Menschen von Abgesandten von der Bevölkerungsplanungsbehörde der Regierung madig gemacht, was die schwarzen Menschen einfach nicht kapieren: Was soll denn falsch daran sein, den Weibern dicke Bäuche zu machen? Lederne Omas und Opas stopfen das Inlett von Kakteen und nahrhafte Termiten in sich hinein, weil das den Bauch wenigstens ausfüllt. Eine Safari kommt vorbei. Fünf Krieger werden kurz vor Dakar von Audi Quattro umgefahren. Dann kommt der Regen, und nicht zu knapp. Die heiß ersehnte Regenzeit führt zu Überschwemmungen, die auch noch die letzte Ackerkrume wegreißen. Viele ertrinken einfach. Die Regierung weiht einen Nationalpark und ein neues Stadion ein und begrüßt Außenminister Genscher mit Folklore. In den Slums der Hauptstadt treffen sich ehemalige Stammesgenossen wieder. Hier üben Schwarze ohne Ausbildung die Kunst des Abfall-Recycling. Die Alternative Hunger oder Klauen oder Abgeknallt-werden steht den Stadtrandbewohnern offen. Ein Papstbesuch bringt Rummel in den Dschungel. Ein Medizinmann wird blass vor Neid und stirbt. Gleichzeitig wird den Hunderttausenden im ganzen Land, die kurz vor dem Krepieren stehen, “Hilfe zur Selbsthilfe” und “kulturelles Selbstbewußtsein” anempfohlen. Sie helfen sich auch selbst, indem sie einfach abkratzen. Diese Kultur lassen sie sich nicht nehmen.

____________________________

 

Wikileaks

„Freiheit braucht Verantwortung“

Mit dieser Überschrift kommentiert „Die Welt“ am 30.11. die Wikileaks-Veröffentlichung von Depeschen der Außenstellen des US-Außenministeriums. Zur Sache selbst ist eigentlich wenig zu sagen: Jedem einigermaßen aufmerksamen Menschen hätte eigentlich schon früher auffallen können, dass die Übergänge von Diplomatie und Geheimdienst fließend sind und Staaten entlang ihrer Interessen ihre Feind- und Freundschaften permanent neu sortieren. Allen voran die Super- und Führungsmacht, die schlicht überall auf der Welt Interessen hat. Insofern bestehen die beiden einzigen echten Ärgernisse darin, dass jeder, der will, das jetzt im internen Jargon nachlesen kann und dass etliche US-Diplomaten wohl versetzt werden müssen. Am Sachverhalt selbst ändert das nichts, ein „Geheimnis“ war er ohnehin nie. Anders gesagt, dass der US-Botschafter den deutschen Außenminister für ein eitles und dummes Arschloch hält, ändert nach der Publikation vermutlich etwas in ihrem persönlichen Umgang, aber nichts am Interesse beider Staaten an- und gegeneinander.

Trotzdem oder gerade deswegen reagiert die Politik ziemlich gereizt auf die nun geöffnete Schlüssellochperspektive in die Hinterzimmer der Macht. Die zitierte Zeitung übersetzt den Vorgang daher auch gleich in einen Auftrag ganz allgemeiner Art: Freiheit braucht Verantwortung! Will sagen, die Dokumente hätten nicht veröffentlicht werden dürfen. Der Imperativ stellt klar, dass die Säulenheiligtümer der Demokratie – Informations- und Meinungsfreiheit – Instrumente der Staatsmacht zu sein haben und keine gegen sie. Und das ganz unabhängig davon, ob dieser Generalverdacht einer Gedankenpolizei im vorliegenden Fall überhaupt begründet ist. Es wäre ja schön, wenn jemand durch Wikileaks an der Politik irre werden würde, aber dazu gehört leider mehr als ein Blick durchs Schlüsselloch.

____________________________

 

Zwei Gutachten zur neuen schwarz-gelben Energiewende

Ein Lehrstück über wissenschaftliche Politikberatung

Staatliche Kalkulationen mit riskanten Technologien wie der Stromgewinnung aus Kernkraft fallen verschieden aus, je nachdem, über welche verschiedenen Möglichkeiten der nationalen Energieversorgung ein Staat verfügt oder in Bälde verfügen zu können meint. Auch „nach Fukushima“ sehen die großen Weltmarktkonkurrenten wie USA, China, Japan oder Deutschland keineswegs denselben oder überhaupt einen Handlungsbedarf in Sachen Atomenergiepolitik (vgl. dazu die Artikel „Nach Fukushima: Wende in der Atompolitik?“ und "Laufzeitverlängerung für AKW's beschlossen: Rot-grün-schwarz-gelbe Energiepolitik"). Im Rahmen dieser Abwägungen wird auch das Risiko für die Volksgesundheit verschieden bewertet. Mal wird es als tragbar erachtet, mal nicht. So oder so ist Rücksicht auf die Leute, die ein Staat als seine „Ressource“ verbucht, eine Sache, die von vielem abhängig gemacht wird und entsprechend aussieht.

Neben diesen wirklichen Abwägungen, die die Politiker zu treffen haben, findet die demokratische Inszenierung von Entscheidungen und Entscheidungsprozessen statt. Bei der steht, egal welche Partei sich zu Wort meldet und wofür auch immer votiert wird, „der Mensch im Mittelpunkt“. Sein Wohlergehen und seine Sicherheit vor Gefahren haben selbstverständlich „allerhöchste Priorität“. Bürgerliche Medienvertreter, die dabei munter mitmischen und Politik gerne als eine Frage der „Verantwortungsethik“ in Szene setzen, registrieren ab und an – betrübt oder voll Häme –, wie viel Schaumschlägerei da am Werk ist. Der schwarz-gelbe Umweltminister Norbert Röttgen zum Beispiel wird angesichts seiner mehrmaligen Umentscheidungen in der Frage der AKW-Laufzeiten, bei denen er den jeweiligen Beschluss, ob Verlängerung oder Ausstieg, jedesmal mit großer Emphase zum „großen Wurf“ und in jeder Hinsicht „vernünftige Problemlösung für uns alle und die künftige Generationen“ aufgeblasen hatte, gerne mal als „Unglaubwürdigkeitspolitiker“ tituliert. Und die jetzige Ausstiegsentscheidung der Regierung, die von der Opposition im Prinzip gutgeheißen wird, tritt für die Medien schon fast in den Hintergrund zugunsten der für sie wirklich wichtigen Frage, wer eigentlich Sieger und wer Verlierer ist in dem ganzen Zirkus: Verkraften die Regierungsparteien ihr Wendehals-Stigma? Ist der Aufstieg der Grünen, denen Merkel ihr Kernthema klaut, schon wieder vorbei?

Eine besondere Rolle bei der Inszenierung der deutschen „Atom-Wende“ spielt der „gesellschaftliche Sachverstand“, den die Regierung sofort nach Fukushima, nach Verhängung eines auf 3 Monate terminierten Moratoriums (`Einfrieren´ des Laufzeitverlängerungsbeschlusses, vorläufiges Abschalten der ältesten Meiler), mit einem Auftrag traktierte: Zwei Kommissionen, die schon lange tätige Reaktorsicherheitskommission und eine neu zusammengestellte „Ethikkommission Sichere Energieversorgung“, sollten der Nation bei ihren schwierigen Entscheidungen Hilfestellung leisten. Sie sollten Gutachten erstellen, in die das ganze Wissen der Gesellschaft zur Frage der sicheren Energieversorgung und der Verantwortbarkeit von Risiken einfließt.

Was ist dabei herausgekommen?

1. Der Bericht der Reaktorsicherheitskommission
Seit den ersten Tagen deutscher ziviler Kernkraftnutzung gibt es diese Kommission. Offenbar genügt zur `Abnahme´ des Sicherheitsnachweises bei dieser Technologie, anders als sonst, nicht der TÜV. Die Existenz dieser Kommission und ihre Dauertätigkeit ist selbst schon ein Hinweis auf die besondere Gefährlichkeit des Betriebs von Atommeilern, aber auch von Atommülltransporten und -lagerung. Die Experten, die in dieser Kommission tätig sind, wissen sehr viel über die technischen Risiken der Atomstromgewinnung, haben sich aber, anders als manch ein Kollege der Zunft, nie gegen deren „Verantwortbarkeit“ ausgesprochen. Im Bewusstsein der Wichtigkeit `ihrer´ Technologie für den Wirtschaftsstandort haben sie stets nach Wegen für die Machbarkeit gesucht. Entsprechend haben sie dann auch Wege gefunden, wie man die diversen Gefahrenquellen durch technische Vorkehrungen, die auch finanzierbar sind, so weit einhegen kann, dass man guten Gewissens, auch in Kenntnis mancher unvermeidbarer „Restrisiken“, auf Unbedenklichkeit plädieren kann. Noch im letzten Herbst hatten diese Wissenschaftler die „hohen Sicherheitsstandards deutscher Atommeiler“ zu Protokoll gegeben und damit den Verlängerungsbeschluss der Regierung mit dem Stempel der Naturwissenschaft abgesegnet.

Genau deshalb wurde diese Kommission von dem Ansinnen Frau Merkels, nach Fukushima müsse die Sicherheit der deutschen AKWs völlig neu überprüft werden, ein wenig auf dem falschen Fuss erwischt. Dennoch haben sie den Auftrag nicht abgelehnt, sondern mit der Abgebrühtheit von Staatsbediensteten angenommen. Nach dem Motto: Okay, wenn ihr als politische Auftraggeber nach Fukushima wegen der überraschend hohen Tsunamiwelle neue Prüfmaßstäbe vorgebt, dann sind wir selbstverständlich dabei zu Diensten, eine neue Lagebeurteilung abzuliefern. Auch wenn für einen ernsthaften „Stresstest“ der 17 Meiler, von denen die Regierung gleich 8 vorerst vom Netz genommen hat, wenig Zeit zur Verfügung steht, sind sich die Experten der Reaktorsicherheitskommission nicht zu schade, mit Hilfe ihrer vorhandenen Unterlagen und einer zusätzlichen Befragung der AKW-Betreiber ein neues Gutachten zu jedem gewünschten Termin auf den Tisch zu legen.

So sieht das dann auch aus. Mit der Akribie ihres Sachverstandes legen die Verfasser dar, in welchem Grade die 17 Meiler welchen „level“ an Sicherheit erfüllen. Nicht überraschen kann, dass kein deutsches AKW, wie alt auch immer, auch der „Pannenreaktor“ Krümmel nicht, als sicherheitsmäßig „untauglich“ bewertet wird. Alle erfüllen sie laut Gutachten, mehr oder weniger eben, unsere hohen und momentan weiter verschärften Sicherheitskriterien. Die Reaktorsicherheitskommission lässt sich, anders als ihr Auftraggeber, durch Fukushima offensichtlich nicht aus der Ruhe bringen.

Das wird ihr umgekehrt von der Politik keineswegs als Obstruktionshaltung angesichts des dramatisch ausgerufenen Zwangs zum Umdenken angelastet. Ungerührt kommentiert Umweltminister Röttgen den Bericht als hilfreiches Dokument: Die Kommission habe ihrer Verantwortung voll genügt und ein hinreichend „differenziertes Bild“ der Sicherheit und Sicherheitslücken der deutschen Meilerlandschaft gezeichnet. „Dankeschön!“, das erleichtert die politische Beschlussfassung. Die Politik kann angesichts des Kommissionsgutachtens und unter Berufung auf jeden Satz darin genau das beschließen, was sie nach ihren eigenen Kriterien für richtig hält.

2. Der Bericht der Ethikkommission
Diese Kommission ist extra ins Leben gerufen worden, weil die Kanzlerin die Wende, die sie sich und Deutschlands Energiepolitik sofort nach Fukushima verordnet hat, nicht nur auf die Basis einer technischen Risikoeinschätzung stellen möchte, sondern eine „ganzheitliche Betrachtung“ aller Vor- und Nachteile aus allen denkbaren Perspektiven einbeziehen will. Unter Vorsitz des alten CDU-Umweltministers Klaus Töpfer sollen Sachverständige aus allen gesellschaftlichen Lagern und verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen bis hin zur religiösen Weisheit (Marx, der Kardinal) alles mögliche Schlaue zusammentragen und in ethischer Verantwortung für unser Gemeinwesen abwägen, auf dass eine Entscheidungshilfe für die Politik resultiere. Diesen schönen Auftrag hat die Ethikkommission in vorbildlicher Weise wahrgenommen. Zwar ist ihr 68 Seiten starkes Gutachten eigentlich nur dahingehend öffentlich gewürdigt worden, dass unter Aufbietung jeglicher Verantwortungsethik ein möglichst schneller Ausstieg unter Beachtung aller Folgeprobleme vorgeschlagen wurde, also das, was alle Parteien der Republik ihrerseits auch sagen. Das macht aber nichts. Dass sie als Bestätigungsinstanz für politische Beschlüsse fungiert, die jede Partei in ihrem Sinne nutzen kann, ist eine so hohe Ehre für die Kommission und ihre Mitglieder, dass das Wie der Begründung, der Sermon, der die 68 Seiten füllt, zurecht in den Hintergrund treten kann.

Dennoch lohnt ein kleiner Blick ins Innere des Gutachtens.

Ganz wichtig ist den Autoren, dass der Aufbruch in eine AKW-freie Zukunft, den Deutschland nur mit viel Mut, Anstrengung und Durchhaltevermögen bewältigen könne, von allen gesellschaftlichen Kräften, von Politik, Energiekonzernen und der sonstigen Wirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften und von allen Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam angegangen werden muss. Die ganze Nation muss sich als ein „Gemeinschaftswerk `Energiezukunft Deutschlands´“ verstehen und alle müssen entsprechend zusammenwirken. Als erstes muss dafür, und die Ethikkommission geht in ihrer Arbeitsweise, im von ihr veranstalteten Dialog kontroverser Positionen beispielhaft voran, die „vergiftete Atmosphäre“ aus Deutschland herausgenommen und entsorgt werden. Im Gutachten wird dies dadurch geleistet, dass in Kapitel 4 die Befürworter und Gegner der Atomindustrie, ganz egal, wie machtvoll oder machtlos ihr jeweiliges Interesse in den letzten 50 Jahren zur Geltung kam, als Vertreter von zwei „ethischen Positionen“ eingeordnet werden, die man als denkender und verantwortlicher Mensch und Mitbürger jeweils mit guten, respektablen Gründen einnehmen könne: Das Risiko eines durch die Kernenergienutzung möglicherweise erzeugten „Großschadensfalls“ wie die Zerstörung von Gesundheit und Umwelt incl. Auswirkungen auf künftige Generationen könne man prinzipiell so oder so „bewerten“, im Sinne einer „kategorialen Ablehnung“ oder einer „relativierenden Abwägung“ gegen andere Risiken. Bevor man sich hier ereifert oder gar wie einst die Köpfe blutig schlägt, sollte man sich wechselseitig respektieren und am Ende die Vereinbarkeit einsehen:

„In praktischer Hinsicht gelangen beide Grundpositionen im Hinblick auf die Kernenergie zu dem gleichen Schluss, die Nutzung der Atomkraftwerke so zügig zu beenden, wie ihre Leistung durch risikoärmere Energien nach Maßgabe der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Verträglichkeit ersetzt werden kann.“ (Gutachten „Deutschlands Energiewende – Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft“, Ethikkommission Sichere Energieversorgung, 30.5.11, 
S. 15)

Was macht es, dass diese angebliche „Schlussfolgerung“ aus gleichzeitig konträren und dann doch auch kompatiblen ethischen Positionen in ihrer kaugummiartigen Beschaffenheit genauso gut als Formel für den schwarz-gelben Verlängerungsbeschluss vom letzten Herbst getaugt hätte?! Wichtig ist der Kommission: Der alte Streit, der Deutschland jahrzehntelang in Lager geteilt hat, ist endlich philosophisch aufgelöst und versöhnt! Der von Merkel gewünschte Konsens aller Parteien bezüglich des jetzt gerade von der regierenden Koalition durchgezogenen endgültigen Ausstiegsbeschlusses ist recht eigentlich betrachtet nur Ausdruck dessen, dass alle Deutschen, wie pro oder kontra Atomkraft sie bisher ein- und aufgestellt gewesen sein mögen, einig sind und sich das ab sofort auch eingestehen müssen: Sobald möglich, sind andere Energieträger für Deutschlands Strombedarf zuständig als spaltbares Uran.

Nach diesem dekretierten Akt der Versöhnung widmet sich das Gutachten den vielfältigen Aufgaben, denen alle von uns im Rahmen des nationalen Gemeinschaftswerks nachzukommen haben, damit die zukünftige Versorgung unseres edlen Gemeinwesens mit Energie gelinge, ohne dass irgendeines der vielfältigen wirklichen oder denkbaren Anforderungskriterien vernachlässigt werden darf (genannt werden: Klimaschutz, Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit, soziale Aspekte der Kostenverteilung, Wettbewerbsfähigkeit, Forschung und Innovation sowie Vermeidung einseitiger Importabhängigkeit). Selbstredend stellt das Gutachten keineswegs in Abrede, dass es Zielkonflikte hinsichtlich dieser Kriterien geben werde, die aber mit Augenmaß und vor allem einer soliden Bereitschaft, die Kosten dieses neuen nationalen Projekts zu zahlen, einvernehmlich so oder so aufgelöst werden müssten …

Fazit
Beide Gutachten sind Zeugnisse wissenschaftlicher Redlichkeit und staatsbürgerlicher Verantwortung, weil in unserer schönen Demokratie und ihrer freien Wissenschaft beides eh in eins fällt. Beide zeigen geradezu vorbildlich, wie „praxisrelevante“ Wissenschaft geht: Sie beschäftigen sich, wie verlangt, damit, was energiepolitisch verantwortbar ist bzw. sein könnte – und behelligen in keinem Fall die verfassungsmäßig verankerte Souveränität der gewählten Entscheidungsgewaltigen durch Versuche einer Bevormundung. Die Regierung tut das, was ihr passend erscheint, und die Vernunftprofis nicht nur aus dem Lager der Wissenschaft haben ihre Entscheidungen im Vorhinein mit ihrem naturwissenschaftlichen Sachverstand wie ihrer geballten ethischen Kompetenz ins Recht gesetzt. Mehr Legitimation geht wohl kaum! Das war ja auch der Zweck der Veranstaltung.

zurück zur Titelseite „Von Marx lernen“