Suff und Humanitas – Die Elite der Nation

 

Die Zeitschrift „Capital“, berühmt für Tips an alle, die die Möglichkeit besitzen, alternativ ihr Einkommen zu erhöhen, setzt die Nachteile, die Studenten aus der herrschenden Akademikerarbeitslosigkeit erwachsen können, gleich in nützliche Ratschläge um: die angehenden Juristen, Volks- und Betriebswirte sollten sich – in ihrem eigenen Interesse – um Aufnahme in eine der zahlreichen Burschenschaften und Corps bemühen (Capital 12/75). Und auch der Bursch hat den Trend erkannt; nach Jahren der Mitgliederstagnation und allgemeiner Anfeindungen jubiliert er:

,,Hohes Präsid, verehrte Festcorona! Wir können wieder lauter singen – die Zeit des neuen Konservativismus ist gekommen – ich hoffe, daß diese Tatsache von allen bemerkt wurde. (...) Wir befinden uns sicher an der Schwelle einer neuen, wahrscheinlich glänzenden Zeit für das Verbindungsleben und den burschenschaftlichen Nachwuchs.“


„Farbe tragen – Farbe bekennen!“

Man wird sich also wieder auf ein massiveres Auftreten jener Spezies des akademischen Nachwuchses gefaßt machen müssen, die – lauter singend – mit Bierzipfeln, farbigen Bändern und lächerlichen Kappen durch die Gegend streift, immer bereit, jedermann zu demonstrieren, daß man ein eingeschworener Haufen ist, zufrieden mit sich und der Welt, jederzeit bereit, für den anderen in die Bresche zu springen, der ebenso wie man selbst die Devise ,,Farbe tragen – Farbe bekennen“ zur Lebensmaxime erhoben hat. Ein besonders konsequenter Vertreter dieser Leitlinie, der Bundesbruder, Internist und KZ-Mörder Dr. H. E. Schütz, erfreute sich vor seinem Prozeß massiver Unterstützung Mitcorporierter (allesamt Repräsentanten des öffentlichen Lebens und der Industrie); sie bescheinigten ihm seine „integre, nie im geringsten angezweifelte Persönlichkeit“ (Spiegel 43, 75) und konnten wohl nicht anders: der Lagerarzt hatte im KZ seine Treue zur Farbe bewiesen: er zog die schwarze SS-Uniform dem weißen Arztkittel vor.

Den Neuzugang zum Freundeskreis wird dies nicht schrecken, erkennt er selbst noch darin den Grund seines Eintritts in die Burschenschaft: auf seine Freunde kann er rechnen, eine Tatsache, die ihn angesichts der Positionen, die seine „.alten Herren“ in der gesellschaftlichen Hierarchie einnehmen, auch den Protektionsvorwurf vieler Institutionen der öffentlichen Meinung vergessen lassen. Denn daß jeder seines eigenen Glückes Schmied wäre-, diese Ideologie belegen eindrucksvoll die Praktiken der Stellenvergabe, die v. a. in den oberen Hängen des beruflichen Gefüges Usus sind und lediglich von den Gepflogenheiten der eigens dafür geschaffenen Clubs des akademischen Nachwuchses übertroffen werden. Daß zur Konkurrenz um die besten Positionen auch gehört, sich ihr zu entziehen – als eine besonders elegante Form des Konkurrierens – kommt liberalen Journalisten gelegen, die Ideale dieser Gesellschaft gegen dieselbe hochzuhalten, um so ihr Einverständnis damit zu bekunden.


„Verbum peto“
(§ 23, Bierkomment)

Feierlich farbenfroh also stellen sich die Burschenschaftler als ein Kreis mit der Welt zufriedener Akademiker dar, deren Besonderheit darin besteht, ihrer elitären Stellung in dieser Gesellschaft so sicher zu sein, daß jede ihrer Aktivitäten nur einen Zweck verfolgt: man feiert die bestehenden Zustände, indem man permanent die eigene Existenz würdevoll begeht. So werden noch die allernormalsten Inhalte mit einer höheren Weihe versehen. Nicht nur, daß eine Altherrensitzung „eindrucksvoll vom Bundesbruder F. geleitet“ wurde, findet umständliche Erwähnung, man gestattet sich auch fortwährend „Hochachtungsschlucke“: überhaupt ist jedes gesellschaftliche Ereignis innerhalb des Corps Anlaß, mit rhetorischen Überhöhungen der jeweils anstehenden Banalität eine besondere Bedeutung zu verleihen. Dies zu beherrschen, ist u. a. auch das Ziel der Rhetorikkurse, die von den Corporierten als wesentlicher Teil ihrer Ausbildung hervorgehoben werden: dabei geht es um die Leichtigkeit und v. a. die Flüssigkeit, mit der sie ihre Ideologien ausbreiten. Bei wöchentlichen Übungsdiskussionen über Gegenstände. zu denen unter Bundesbrüdern allgemeine Übereinstimmung herrscht – etwa den historischen und dialektischen Materialismus – schult man sich in der ,,Kunst der Diskussion und der freien Rede.“ Etwa so:

„Das Leben jedes Menschen umfaßt nur einen winzigen Zeitabschnitt der Raumfahrt unseres Planeten: eine Reise, zu der wir uns verdammt oder als liebe Gäste eingeladen fühlen können. Das kommt ganz auf das einzelne Besatzungsmitglied an.“ (Thuringia)

Wer nicht mitreisen darf, führt ein anderer, nicht minder gewandt, aus:

„Einer meiner großen angelsächsischen Lehrer hatte einen Ratschlag, mit dem er falschen Ansprüchen und Parolen in gerade“ zu souveräner Weise den Garaus machte: »Put them where they belong«“. (Der Beitrag der studentischen Verbindungen zur Universität heute, Cimbria München, 1974).

Das reaktionäre Geseiche, in dem das Interesse an der gewaltsamen Erhaltung der bestehenden Verhältnisse – nur hier ist man Elite – sich artikuliert, reicht der Freundesgemeinschaft nicht hin: das ihnen Selbstverständliche muß in einem Stil vorgetragen werden, der die würdevolle Erhabenheit des Inhalts entsprechend unterstreicht.

„Zum Zippel, zum Zappel, zum Kellerloch hinein, heute muß alles besoffen sein!“ (Bierkomment, § 141)

Und dies auch beim Bier. Die Burschenschaften machen aus dem Saufen die Pflege einer ehrwürdigen Tradition, und das Resultat des Kneipens, der Suff, bekommt bei den frohen Gesellen die Ehre einer Übung in akademischer humanitas. Somit ist auch klar, daß das – auch in anderen gesellschaftlichen Kreisen übliche – Biertrinken „geradezu als ein ideales Übungsfeld für (die antike Tugend der) Selbstbehauptung“ gefeiert wird, im Gegensatz zum ortsüblichen „Überschwang des Trieb- und Rauschhaften.“ Wobei die Tugend darin besteht, volltrunken nicht umzufallen und nur bei erteilter Erlaubnis pinkeln zu gehen, was Schaftstiefel und Säbel als Teil der Uniform bzw. Wichs erklärt.

Begeleitet wird das ganze von gemeinschaftlichem Gesang („Wir bierorgeln eine Weise voraus: Pagina vier, Doppelloch“ o. ä.):

„Und in Kiel da saufens viel (...) und in Leipzig der Bursch beweibt sich und in Marburg da saufens ganze Jahr durch“ etc. (Marburger Anstichlieder)

Hat man so die Banalitäten des Alltags weit über diesen hinausgehimmelt, die Lieder ihrem subtilen Inhalt gemäß dargebracht und damit alle zwanglosen Formen des Feierns kaputtgekriegt, so hält das bundesbrüderliche Vereinsleben eine dritte, nicht weniger würdige Prozedur bereit. Geht es bei den Gesängen noch um die musikalische Begleitung des Bierzapfens, so ist wesentliches – auch nach außen sichtbares – Kennzeichen der Mensur das Anstechen der Bundesbrüder. Diese Kennzeichnung der akademischen Fechterei jedoch ist profan: sie hat vielmehr Beleg zu sein für Mut und Charakterfestigkeit und eröffnet zudem „die Möglichkeit, die Verbundenheit und Treue zur gewählten Gemeinschaft nicht nur durch Worte zu bekunden (Schall und Rauch und so), sondern durch die Tat der Mensur zu beweisen.“ Und somit beweist der Schmiß nicht allein, daß es sich bei dem Gezeichneten um einen eher schlechten Fechter handelt, er gibt auch ein untrübliches Zeichen vom Charakter des Geritzten – was angesichts von BDA-Schleyer überzeugt.


„Dreimal drei ist neune / wißt ja wie ich's meine“
(§ 71, Bierkomment)

Nach dieser eindrucksvollen Demonstration burschenschaftlicher Ausbildung kann man die Verbindungen „nicht einfach mit Vereinsmeierei abtun“, mehr ward beabsichtigt: die „Erziehung zur Persönlichkeit“ stand an, zu einer Persönlichkeit, die auch in der Lage ist, den Möglichkeiten eines solchen „Lebensbundes“ zu entsprechen. Daß man dabei reüssiert, dokumentieren nicht allein die exklusiven Zugänge zu Spitzenpositionen (die bspw. bei der Bayerischen Vereinsbank fest in Händen der BS Onoldia sind), sondern auch die vielen Berichte von Examina, bei denen der professorale Bruder dem zu prüfenden Bundesbruder mit entsprechendem Wohlwollen gegenübersteht, geleitet von der Sicherheit, daß dieser Kandidat „im Leben draußen“ nicht versagen, vielmehr zur Zierde der Zunft (und damit des Corps) beitragen wird. Gleichgültig wieviel oder wenig er fachlich beherrscht, verfügt er doch über die in dieser Gesellschaft unerläßliche Einstellung zum Erhalt des Ganzen:

„Persönliche und politische Freiheit des Einzelnen einerseits und persönliches Verantwortungsbewußtsein für die Gesellschaft andererseits sind zwei Seiten der selben Medaille.“

Welchem Bursch leuchtet das nicht ein, hängt doch vom Bestand dieser Gesellschaft alles für ihn ab, so daß die anderen gefälligst einiges hinter dieses große Ganze zurückzustellen haben. Deshalb mischt sich an dieser Stelle ein leiser Keim der Besorgnis über die Freiheit in die alltägliche Feiere herrschender Zustände und weckt das staatsbürgerliche Verantwortungsbewußtsein des Burschen. Eine recht unerfreuliche Auffassung von ihren Rechten und Pflichten macht sich gerade bei den Underdogs (= alle außer Burschenschafter) und ihren Organisationen breit:

„Tatsächlich aber haben sich unter dem Mantel eines falsch verstandenen Pluralismus die Verbände eine bedrohlich starke Stellung verschafft.“

Der Politiker, zum „Handlanger von Interessengruppen erniedrigt“, beugt sich zunehmend den Organisierten, die nur nach einem Prinzip leben :

„Haste was, biste was! Bequemlichkeit und Komfort sind dem Bundesbürger liebste Kinder.“

so daß man diese Leute abschließend charakterisieren kann:

„Der für diese Gesellschaft typische Mensch ist bequem, ein Egoist, oberflächlich und unreflektiert, abhängig von Statussymbolen und scheut Verantwortung für sich und andere. Der in Denken und Fühlen erstarrte Wohlstandsbürger ist kein Mensch mehr – allenfalls noch ein Zerrbild.“

So zieht der interessierte Bursch alle Register dumm-dreister Gesellschaftskritik, die immer dann bemüht wird, wenn die anderen versuchen, sich um ihren Nutzen in dieser Gesellschaft zu kümmern, statt brav das Maul zu halten und dieses Revier der Elite zu überlassen, die das ja auch historisch-gebildet zu kritisieren weiß:

„Wo sich das Staatsvolk in Interessengruppen auflöst, (...) da richtet sich der Staat, so wie Athen es tat, zugrunde“,

und so beweist, daß das faschistische Bewußtsein („Du bist nichts, der Staat ist alles“) denen am besten ansteht, die ihre Positionen innehaben und deshalb vehement von der Staatsgewalt verlangen, alles beim alten zu belassen wozu diese freilich keinerlei Erinnerung braucht und dazu denen auf den Kopf zu hauen, die sich nicht bescheiden können.

Daß der Bursch sich dieser Sorte Bundesbürger nicht zurechnet und darum das Recht besitzt, von diesen zu profitieren, sprechen die diversen Clubs der Ehrenmänner in der ihnen eignen, würdigen Weise aus, womit sie auch noch den letzten Rest des Zweifels an ihrer Führungsrolle beseitigen:

„Prüft man einmal, was der Convent von seinem Bruder erwartet, dann läßt sich das ohne viel Mühe auf Ansprüche zurückführen, die erst allein ein menschliches Zusammenleben ermöglichen.“

Womit eigentlich alles – wie immer – in Butter wäre: „Wir lugen hinaus in die sonnige Welt allzeit mit lachenden Augen“, und benennen gleich noch den Unterschied der Burschen vom Corps zu denen des RCDS: die agitieren dafür, daß auch noch der letzte sich dafür entscheiden soll, diese Welt sonnig zu sehen; weshalb der RCDS auch Mühe hat, die Corpsknaben – falls nötig – als Schlägertrupps zur Durchsetzung der sonnigen Weltsicht zu gewinnen.