Verfaßte Studentenschaft

Organartige Böen


Was lange währt, wird endlich gut! Seit acht Jahren kämpfen die Freunde der verfaßten Studentenschaft um deren Erhalt. Und soweit die vielfältigen Listen dieses eine ganze Szene in Atem haltenden Gefechts zu überblicken sind, ist das „letzte Gefecht“ über die Bühne gegangen, ohne daß groß dazu aufgerufen worden ist. Obwohl das Ganze – wegen der Ungleichzeitigkeit der Bewegung des historischen Fortschritts – da und dort noch ein Nachspiel haben wird, so kann die Lage doch als gut und der Kampf als erfolgreich bezeichnet werden.


Legitimationsproblem studentischer Demokratie

Daß der MSB die 4. ordentliche Mitgliederversammlung der VDS als „ein(en) Schritt zur Konsolidierung“ feiern konnte, hat seine Berechtigung, schließlich war es gelungen, die MV ganz auf die wichtige Frage zu konzentrieren, welcher von den AStas, Ustas, Kastras usw. das Stimmrecht bekommen sollte, je nachdem, ob unterstützt von LUF oder LAF, BuF oder BAF, LiSA oder OTTo, ob basis- oder spitzendemokratisch zustandegekommen: ein niedriges Subjekt nur könnte hier auf die Idee kommen, daß es dabei lediglich darum ging, mit demokratischen Manövern die Mehrheit im Vorstand zu erringen bzw. zu erhalten. Schließlich haben die gewerkschaftlich orientierten Demokraten, nachdem sie, Recht und Demokratie wahrend,

„gemäß der VDS-Satzung Tübinger Basisgruppenvertretern das Stimmrecht als AStA verweigert“ (MSB)

und so die GO-Mehrheit im Vorstand für ein weiteres Jahr gesichert hatten, den Basisgrüpplern ihren alten Minderheitssitz – zur Rückkehr einladend – freigehalten. Letztere nämlich waren ob der „undemokratischen MSB-DKP-Machenschaften“ beleidigt abgezogen und mußten sich vorhalten lassen, daß sie „in einer Situation fernblieben, in der die VDS starken reaktionären Angriffen ausgesetzt seien“ (MSB). Daß den Freunden der wahren Demokratie diese wirklich über alles geht, hatten sie ja auch schon bewiesen, als sie noch in einmütiger Geschlossenheit den nordrhein-westfälischen, staatlich sanktionierten ASten, soweit sie sie heuer noch boykottiert haben, einerseits die Stimmberechtigung mit der Begründung verwehrten, daß sie als „Promille-Kandidaten“ nicht legitimiert seien, weil sie mancherorts nur eine geringe Wahlbeteiligung aufweisen könnten, wie man sie sonst nur von Gegen-StuPas gewöhnt ist, andererseits zusprachen, wo sich die Beteiligung als „wirkungsvollste Form des Boykotts“ erwies.


Mir san mit’m Radl da!

Aber nicht nur diese Einmütigkeit berechtigt zu der Hoffnung, daß die nächste VDS-MV wieder in alter Zwietracht stattfindet, ganz entgegen dem Wunsch der

„als »liberal« geltenden Süddeutschen Zeitung, die VDS »den Bach hinabschwimmen zu lassen«“.

Entscheidend ist da, was sich an der – einer alten materialistischen Wahrheit zufolge – den Überbau bestimmenden Basis tut. Wenn sich auch in der studentischen Basis trotz anderslautender Meldungen des SHB (,,Besonders bei Erstsemestern ist eine größere Bereitschaft, sich aktiv für ihre Interessen einzusetzen, festzustellen“) bezüglich der Einsatzbereitschaft für ihre Organe nichts zum Besseren gewendet hat –

„Und deshalb – herrgottnochmal – Fachschaftsaktivisten! – muß endlich klar werden, daß man dafür den Arsch vom Stuhl reißen muß, wenn man in Zukunft noch einigermaßen selbstbestimmt der obrigkeitlichen Unterdrückung begegnen will“ (BG-AStA, Tübingen) –

so ist es zum einen auf ziemlich breiter Basis doch gelungen, bundesweit „Fahrraddemonstrationen“ durchzuführen, wenn auch nicht immer mit dem „Ziel, auf die Bundesregierung Druck für eine BAFÖG-Erhöhung“ (SHB) oder gar für eine Wiedereinführung der VS auszuüben. Solche Demos haben ja eine Menge für sich:

1. Sie sind lustig und nicht anstrengend, weswegen

2. zumal bei gutem Wetter auch ein paar Leute mitradeln, die bei einer Spazierfahrt auf die Notwendigkeit von Fahrradwegen hinweisen wollen, was dann

3., weil alles so nett und umweltfreundlich aussieht, einen prima Eindruck macht auf die Leute, auf das Fernsehen und vielleicht gar – als Druck? – auch auf die Politiker.

Zum anderen aber hat sich an der Basis des VDS, bei den ihn tragenden Organisationen, Entscheidendes getan: warum auch schmollend mit den selbstgeschaffenen Organen in der Ecke stehend, von den Massen und den Politikern unbeachtet, um deren Anerkennung ringen, wenn man die Politik, die man macht, auch mit den von den LHGs zur Verfügung gestellten Organen betreiben kann, noch dazu, wo alles andere, ob mit eigenen oder fremden Organen, nur staatliche „Schikanen“ in Form von Geld- und Gefängnisstrafen nach sich zieht? Da „Schikanen“ dem Begriff nach grundlos und überflüssig sind, muß man dem Schikanierer ja auch nur klar machen, daß man so staatsfeindlich., wie man eingeschätzt wird, gar nicht ist.


Den Krüppel ins Rad der Hochschulreform

Und wie kann man sich besser als konstruktiver und relevanter Ansprechpartner der Hochschulpolitiker beweisen als dadurch, daß man die angebotenen Organe, die man bisher als Krüppel verachtet hat, nimmt, wie sie sind, und dem Uni-Präsidenten – wie in Hamburg geschehen – das Versprechen gibt, in Zukunft brav auf die Wahrnehmung des politischen Mandats – das die Gerichte dem GO-AStA immer teurer hatten bezahlen lassen – zu verzichten. Schließlich hatte man ja auch andernorts und quer durch die Organisationen schon erkannt, daß man in den LHG-Organen die Politik betreiben muß, die sie einem erlauben, denn daseinfache Fernbleiben hätte eben diese Politik den Rechten überlassen:

„Eine Vogel-Strauß-Politik gegenüber den LHG-Gre- mien ... beschwört die Gefahr herauf, daß sich diese Gremien in den Augen vieler Studenten zu vollwertigen Vertretungsorganen mausern.“ (MSB)

„Die Praxis zeigt uns: Mit Nichtmitarbeit in den Gremien ist die Politik der Rechten nicht zu verhindern.“ (BG, Tübingen)

Schließlich ließ sich der Staat den ,,Boykott durch Teilnahme“ nicht gefallen, der nicht zusehen wollte, wie die Linken in den Referaten rumgammeln, um den Studenten beizubringen, daß man ihre Triebe nur in den selbstgeschaffenen Organen befriedigen könne: die Boykotteure durch Teilnahme wurden in Tübingen z.B. kurzerhand an die Luft ge- und durch willigere Vertreter ersetzt. Was liegt also näher, als die Organe zu nehmen, die zu haben sind:

„Die Verfaßte Studentenschaft darf nicht zu einem Sprachrohr der Bourgeoisie werden! Dies können wir auch dann erreichen, wenn es aufgrund des jetzigen Standes der Bewegung nicht möglich ist, das Gesetz in größerem Umfang zu brechen, z.B. dadurch, daß das politische Mandat weiter wie bisher wahrgenommen wird durch die Organe der VS. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, innerhalb der VS weiter zu arbeiten. Dabei gehen wir davon aus, daß dies teilweise eine eingeschränkte Arbeit sein wird.“ (KSV)

Organstrategien sind denn auch schon sichtbar; von den „Roten Blättern“ kritisch befragt, konstatiert der SHB-Vorsitzende:

„Die letzten Monate haben gezeigt, daß sich die Widersprüche innerhalb des Lagers der HRG-Vertreter verschärft haben.“

Und angesichts der neuen Lage in der Studentenbewegung hat gar ein Hochschulsenator zur Belohnung für soviel Einsicht sich dazu hinreissen lassen, die Verfaßte Studentenschaft wieder einzuführen, was der MSB mit Recht als Erfolg dieser Studentenbewegung feiert:

„Und schließlich ist auch die Wiedereinführung der VS im Westberliner Hochschulgesetz ohne die bundesweiten Massenaktionen der Jahre 1976 und 1977 nicht denkbar.“

Wirklich nicht!

 

aus: MSZ 29 – Mai 1979

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