Rekrutenvereidigung:

Es gilt wieder etwas, Soldat zu sein, oder
Ave patria, morituri te salutant


Seit einiger Zeit haben die Bundesbürger zunehmend Gelegenheit, ihre Wehrmacht nicht mehr nur in Manöverberichten in der Tagesschau zu sehen, sondern vor der eigenen Haustür an Militärspektakeln teilnehmen zu können. Nach altem militärischen Brauch organisieren Bürgermeister und Heereskommandeure wieder die Vereidigung der Rekruten im nächtlichen Fackelschein auf öffentlichen Plätzen. Man darf wieder begeistert sein und den Hut abnehmen, wenn unter den Klängen der Militärkapelle die Rekruten aufmarschieren und schwören, sich gegebenenfalls für die Nation totschießen zu lassen, nicht ohne ihrerseits vorher möglichst viele Russen, Araber, Neger oder andere umgebracht zu haben. Denn diese Tätigkeit ist nicht mehr nur der Traumberuf für Tüftler und Fans komplizierter Apparate (,,Navigationsoffizier bei der Bundeswehr“), heutzutage hat man zur Bundeswehr zu gehen, weil Soldat sein so schön ist („Schweiß verbindet ... Der erste Nachtmarsch ... 20 km. Zwischendurch schanzen und weiter marschieren; schwitzen, fluchen und sich anspornen“).

Damit auch die Bevölkerung etwas davon hat und sich für den Verein begeistert, den sie dem Staat mit ein paar Tausendern pro Jahr und Nase finanzieren darf, bietet man ihr etwas fürs Gemüt: stimmungsvolle Beleuchtung, Tschingderassabum und am Schluß gemeinsames Absingen des Deutschlandliedes. Denn der Stolz auf die Armee, der in anderen demokratischen Staaten nicht nur an Nationalfeiertagen eine Selbstverständlichkeit ist, hat jetzt auch hierzulande zu herrschen. Die Zeiten, wo das Nachkriegsgeschenk der Amerikaner eine Einrichtung bloß für den Fall eines Falles war, sind vorbei, weil es sich für die friedfertig Hähnchen-, Elektronik- und Schweinekrieg führende BRD allmählich gehört, daß auch die militärische Seite ihrer Stellung als Weltmacht zur Geltung kommt und die ihr gebührende öffentliche Anerkennung findet.

Und wenn sie sich einmal leider gezwungen sähe, im Verein mit den Bündnispartnern die Verteidigungsbereitschaft ihrer sibirienfesten Panzerverbände unter Beweis zu stellen, dann stehen diese gleich ganz anders da, wenn sie nicht nur ein zahlendes, sondern auch begeistertes Volk im Rücken haben.


Häßliche Töne

Die letzte Einstimmungsveranstaltung der Bundeswehr im September in Nürnberg ist allerdings „wenig feierlich“ verlaufen, denn die Worte des Oberbürgermeisters „Nürnberg ist stolz auf seine Bundeswehr“ gingen in einem Pfeifkonzert unter, worauf die Polizei den halben Platz räumen ließ. Die Presse hat dies zum Anlaß genommen, ihrer Sorge um die Freiheit der Meinungsäußerung Ausdruck zu verleihen:

„Die erste demokratische Tugend, den Andersdenkenden das Wort zu gönnen, scheinen diese Friedensfanatiker“x (Militär und Polizei?) „nicht zu kennen“.

Eine überraschende Wendung, aber gleichwohl, wie wahr! In ihrer Verblendung haben die Demonstranten gar nicht bemerkt, daß hier doch bloß ein paar verschreckte Stahlhelmträger einmal ihre unmaßgebliche Meinung bekanntgeben wollten. Keine Frage daher auch, daß die 160 Rekruten nicht etwa deshalb zu bedauern sind, weil sie haben schwören dürfen, fürderhin nie mehr zu meinen, daß Umbringen und Umgebrachtwerden nicht erstrebenswert ist (es sei denn, diese Meinung ist ihnen das Kriegsgericht wert). Vielmehr verdienen sie Mitleid, weil sie „nicht vergessen werden, wie sie gegen eine johlende Minderheit anzuschreien hatten“. Merke also erstens: Hierzulande hat jeder die Freiheit, gegen das Militär zu sein. Zweitens muß er deshalb auch dem Staat die Freiheit zugestehen, sich ein Militär zu halten und dieses öffentlich bejubeln zu lassen. Drittens hat daher bei solchen Feiern gefälligst andächtige Stille zu herrschen.

 

aus: MSZ 31 – Oktober 1979

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