Schleyer und Vetter konzertiert:

Einigkeit macht stark!


Bestürzt über die Unterstellung, die in der letzten MSZ in einem Artikel über den Aufschwung zu lesen stand, die Gewerkschaften beteiligten sich am „öffentlichen Streit um den Aufschwung“, nahm Heinz Oskar Vetter die nächste Gelegenheit wahr, sich gegenüber dieser Diffamierung zur Wehr zu setzen. Gemeinsam mit Hanns Martin Schleyer bestritt er eine Solidaritätskundgebung an der Universität St. Gallen vor 2000 künftigen oder bereits ausgewachsenen Managern. Zwar hatte der Veranstalter unglücklicherweise noch die Form der Podiumsdiskussion gewählt, es bereitete dem DGB-Chef jedoch keine Schwierigkeiten, diesen faux-pas auszubügeln und alles, was an die Verhandlung eines Gegensatzes erinnern könnte, bis auf den Diskussionsleiter und das Podium zum Verschwinden zu bringen. Journalistische Sorgfaltspflicht wie die außergewöhnliche Qualität dieses zeitgeschichtlichen Dokuments, das die ARD am 7. Juni zu sehr später Stunde ausstrahlte (die wertvolle Sendezeit wurde mit Paul Anka vertan, so daß wieder einmal der Bildungsauftrag der Medien der Unterhaltung geopfert wurde), gebieten gleichermaßen, dieses Ereignis einem größeren Publikum zugänglich zu machen.


Moralische Verantwortung

Bereits während der einleitenden Begrüßungsfloskeln zum Thema „Recht auf Arbeit“ verschaffte Hanns Martin Heinz Oskar mit dem Stichwort „Osten“ die Gelegenheit zu einer ersten Ergebenheitsadresse: keinesfalls wolle er damit Staatseingriffen in die unternehmerische Freiheit das Wort geredet haben, für ihn sei das Recht auf Arbeit ausschließlich eine „moralische Kategorie“. Hanns Martin seinerseits schenkt ihm – neben dem Hinweis, daß, wer für das Recht auf Arbeit sei, zuerst die Pflicht zur Arbeit wollen müsse – die „moralische Verantwortung“ des Unternehmers, was Heinz Oskar mit einem Angriff auf den groben Irrtum untermauert, ein Unternehmer sei ein „Eigentümer“, er erfülle vielmehr „einen sozialen Auftrag“, Worauf man einträchtig in die Erläuterung eben dieser Moral einsteigen kann. H.O.: „Wem könnte eher daran gelegen sein als den Gewerkschaften, daß die Arbeitslosenzahlen, die zur Zeit als ein Buhmann, ein Popanz aufgebaut werden, analytisch aufgegliedert werden,“ denn dann kann man aus einer großen Zahl eine kleine machen, und überdies ist man damit weg von der Arbeitslosigkeit und bei den -losen angekommen. Daß die von Hanns Martin vertretene Seite ihre Auswahl gerecht getroffen hat, weiß Heinz Oskar mit seiner „analytischen Aufgliederung des Buhmanns“ anzuerkennen. Denn daß „Unbedarften, Alten, Frauen, Kranken und Arbeitsunwilligen“ die erforderliche Moral für das Recht auf Arbeit abgeht, ist ja wohl kaum zu bestreiten. Hanns Martin dankt, meint aber, daß Heinz Oskar seine Mitglieder nicht so schlecht machen solle: wer soviel Abgaben zahlen muß, dem könne die Lust an der Arbeit schon vergehen. „Arbeit, Leistung lohnt sich nicht mehr“. Vielleicht könnte man ihm die DGB-Mitglieder zu einer gemeinsamen Aktion gegen diese üble Besteuerung zur Verfügung stellen. Heinz Oskar denkt aber die Moral noch zu Ende: es sind die

„Unbedarften, Kranken, Faulen, die wir einfach mitnehmen müssen. Dann kommen noch mal 100 000 arbeitslose Lehrer dazu. Das ist dann der politische Zündstoff darin, wo das Ganze in eine politische Kategorie umschlägt.“

Bislang hätten er und seine Freunde zwar für Vernunft („die besondere (!) Vernunft der Arbeitnehmer“) sorgen können (Zäune gezogen zwischen arbeitslosen Proleten und Lehrern, damit sie nicht in eine Kategorie umschlagen?), er mag es aber nicht länger mit ansehen, welchen Gefahren Hanns Martin entgegensteuert.


Gemeinsame Problemlösung

Hanns Martin findet die Fürsorge lieb, aber etwas aufdringlich: zwar kennt er auch „die politische Brisanz, vor allem wenn sie sich verbündet mit arbeitslosen Lehrern“, aber seine Mitglieder können nun mal auch nicht so wie sie wollen. Die Investitionszuwachsraten! Er mag es auch nicht, wenn Heinz Oskar ihm über den Staat zuviel zustecken will, es ist „nicht gut, die Investitionen noch stärker anzuheizen“, macht sich doch zur Zeit auch der Überschuß auf dem Arbeitsmarkt ganz angenehm spürbar, und dafür, daß die Lehrer kein Unheil stiften, bürgt ihm ja, wie gesagt, Heinz Oskar. Dieser mag jedoch das Gespräch nicht so schnell abreißen lassen und bringt weitere Vorschläge zwecks Verhinderung des Umschlags in Kategorien. Eine Verminderung der wöchentlichen Arbeitszeit würde ihm gefallen; die Durchsetzung der 5-Tage-Woche z.B. habe sich ja als ausgezeichnetes Mittel zur Verhütung von Arbeitslosigkeit und sozialem Unfrieden herausgestellt. Den realistischen Einwand von Hanns Martin, der sich so viel Sorge um den sozialen Frieden nun einfach nicht machen will, – bei einer neuerlichen „Verkürzung der Wochenarbeitszeit“ werde er „nicht mitmachen können, das stößt in der Praxis auf Schwierigkeiten“ (die Proleten wissen ja bekanntlich in ihrer Freizeit nichts mit sich anzufangen) –  nimmt Heinz Oskar denn auch nicht übel, er hat es ja auch gar nicht so ernst gemeint, vielmehr will er nur einmal gesagt haben, daß man doch „gemeinsam alle Probleme lösen kann“. Und bei soviel werbendem Verständnis mag sich Hanns Martin auch nicht grundsätzlich verweigern, über eine „befristete Begrenzung der Lebensarbeitszeit“ (Senkung der flexiblen Arbeitsgrenze auf 60) ließe er schon mit sich reden. Bei der augenblicklichen Musterung des brauchbarsten Arbeitsviehs ist eine Erleichterung der Kündigungsbedingungen nicht zu verachten. Heinz Oskar stellt ihm großmütig den Lebensabend einiger Millionen Mitglieder zur Verfügung und gelobt, ihm weiterhin treu zur Seite zu stehen besonders gegenüber den Arbeitsunwilligen:

„In Zukunft werden wir sehr viel stärker diese Unsolidarität gegenüber der Gemeinschaft erklären und durchsetzen müssen.“

Es gibt noch ein paar Fragen, wie Rationalisierung, Lehrlingsausbildung usw., die Heinz Oskar Sorgen machen, ob Hanns Martin denn nicht zu leichtsinnig ist und auch wirklich genügend an seine Zukunft denkt? Dieser, endgültig gerührt über soviel Entgegenkommen, mag nicht länger über kleinliche Sachfragen reden, auch wenn ihn der Diskussionsleiter (Johannes Gross, Chefredakteur der Zeitung „Capital“) auf die Gewinnlage zu sprechen bringen will, mit der er ja gar nicht mehr kommen muß. Er bekräftigt stattdessen das Eigenlob von Heinz Oskar, „produktive Systemkritik“ der Gewerkschaften ist etwas Feines, und würdigt vorbehaltlos die deutschen Gewerkschaften (vielleicht auch weil die Zuhörer noch etwas zu einseitig Beifall gespendet haben), denn was bleibt schließlich einem Unternehmervertreter bei einer solchen Gewerkschaft anderes zu tun übrig, als ihrem Chef schulterklopfend ihre Brauchbarkeit zu bestätigen.


Das Gespräch fortführen

Das Schlußwort darf Heinz Oskar sprechen: es war schön, wieder einmal miteinander sprechen zu dürfen und das Gespräch, das nun – dank der Krise – endlich angefangen habe, dürfe so schnell nicht wieder abbrechen, es gebe ja noch so viel, worüber man sprechen könne ... (Wie recht hatte doch Prof. Mitscherlich mit seinem Gefühl, daß Menschen

„sich durch Notsituationen sehr näher rücken und daß dabei dann oft Hindernisse, die zwischen ihnen sind, fallen und daß tatsächlich, wie man mit aller Vorsicht sagen kann, der Mensch ohne Not ärmer wäre.“

Zumindest zwei Sorten Mensch werden sogar ausgesprochen reich dabei: der einen Art garantiert es ihre Gewinne und der anderen den Genuß, mitreden zu können, die dritte Art kann es sich immerhin in der Not gemütlich machen.) An diesem Näherrücken ist Heinz Oskar sichtlich gewachsen, denn im Gefühl der neuen Einheit muß er eine Mahnung aussprechen gegenüber denjenigen, die in der augenblicklichen ernsten Lage, anstatt auch verantwortungsvolle Gespräche zu führen, mit ihrem politischen Hickhack die Bürger beunruhigen. Sie sollten sich an ihnen beiden ein Vorbild nehmen:

„Es sollte an uns liegen, daß die politische Konfrontation, die zur Zeit über der Bundesrepublik liegt, nicht auch auf uns übergreift.“

(Vor dem häßlichen Parteienzwist, der schon einmal den deutschen Staat in Gefahr gebracht hat, hat schon einmal eine deutsche Arbeitsfront den deutschen Staat schützen müssen.)


Der Dritte im Bunde

Auch damit hat er Hanns Martin aus dem Herzen gesprochen. Zwei Tage zuvor hat Arbeitgeber- und Industriepräsident Hanns Martin Schleyer erklärt, die Regierung tue in ihren flankierenden Maßnahmen das Richtige und zeigt sich zufrieden über den „Anti-Steffen-Effekt“. Angesichts der Tatsache, „daß diese Bundesregierung auf dem Boden der Marktwirtschaft steht“, daß ihre Konjunktur-, Arbeitsmarkt- und Steuererleichterungsprogramme zu „begrüßen“ sind, hält der rechte Schleyer gar nichts von der CDU/CSU-These,

„es bedürfte lediglich eines politischen Klimawechsels, damit Deutschlands Unternehmer wieder Zuversicht und Risikofreude empfinden.“

Undogmatisch, wie die Unternehmer gegenüber Politikern nun einmal sind („Wir haben zu jeder Bundesregierung ein Verhältnis kritischer Partnerschaft“), wenn nur das Dogma von den Erfordernissen der Konjunkturlage berücksichtigt wird, macht Schleyer Front gegen den Mißtrauenszirkus und die risikoreichen Machtansprüche und parlamentarischen Quertreibereien der CDU/CSU. Lieber ein schnelles SPD-Wirtschaftssanierungsprogramm als eine Regierungskrise und damit einen Aufschub der notwendigen Gesetze die von der CDU auch nicht besser gemacht werden können. Steuererleichterungen, Konjunkturspritzen und soziale Netzkorrekturen zur Eindämmung von Arbeiteransprüchen, das ist das politische Klima, in dem die Gewinne steigen und (Rationalisierungs-)Investitionen gedeihen. Die Unternehmer gehören also zu den wenigen neben der MSZ (vgl. Nr. 17/1977Wer ist hier verbraucht?“), die das öffentliche Gejammer über Schmidtsche Abnutzungserscheinungen Lügen strafen. Sie halten einen Regierungswechsel nicht nur für unnötig, sondern für eine Beeinträchtigung der politischen Aufgaben, die der Staat – egal wer regiert – gegenüber den Unternehmern hat. Und über eventuelle Unruhe im Volk machen sie sich keine Sorgen; dafür steht Gesprächspartner Vetter ein, der ja der SPD-Regierung noch viel solidarischer gegenübersteht.

Wie hat doch ein hellsichtiger Kommentator bemerkt:

„Die Dreierauftritte Schmidt/Vetter/Schleyer im Ausland sind mittlerweile zur Modellreife in fremdsprachigen Blättern gediehen.“ (SZ)

Warum nicht auch so im Inland?

Wofür die Solidarität von Kapital und Arbeit gut ist, den „Aufschwung –  die Konzertierte Aktion von Kapital, Staat und Gewerkschaft“ zu befördern, haben wir in MSZ Nr. 17/1977 ausführlich dargestellt.

 

aus: MSZ 18 – Juli 1977

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