Wahlen in Portugal:

Ein Sieg der Demokratie (I)


Seit sechs Jahren gibt es nun das Gerede von der Portugiesischen Revolution. Jetzt so falsch wie zu Anfang – wenn Teile des Herrschaftsapparats sich selbst zur Einrichtung einer anderen Form der Herrschaft entschließen, sind es nicht die Existenzprobleme der Leute, sondern die ihres Staates, die durch einen Umsturz gelöst werden sollten –, tut es nach wie vor gute Dienste. Versehen mit der Parole, der Rückfall in die Diktatur müßte unbedingt verhindert werden, ist jede stinknormale Wahl ein Sieg der Revolution. Wobei der Witz darin besteht, daß, begleitet von der Wahlpropaganda, gegen die ständig drohende Gefährdung der jungen Demokratie ein mächtiges Votum abzugeben, die portugiesischen Massen sich mehrheitlich das rechte Bündnis der Allianca Democratica gewählt haben, gebildet aus dem PSD Sa Carneiros, dem Christdemokratischen Zentrum (CDS) und einer monarchistischen Splitterpartei, also dem Spektrum jener Politiker, die die Stützen der alten Diktatur waren. Von Gefährdung der Demokratie also nicht die Spur: die stabile portugiesische Regierungskrise, von diesen sogenannten Technokraten ohne Schädigung des Ansehens der Parteien zum Regieren benutzt, hat auch die Funktion erfüllt, den Wählerwillen zu einer brauchbaren mehrheitlichen Entscheidung zu bewegen. Und die Vertreter einer „liberal-konservativen Politik der Stärke“ brauchen gar nicht ans Putschen zu denken, sondern operieren offen und ehrenwert als demokratische Parteien.

Günstige Konjunktur für Liberalität

Nicht zuletzt dank der Leistung der Technokraten findet die Liberalität Sa Carneiros (so heißt bei Staatsmännern ökonomisch schwacher Länder immer deren Aufgeschlossenheit gegenüber den Bedingungen, die ausländisches Kapital stellt, um Land und Leute für ausbeutungswürdig zu befinden) ausgezeichnete Bedingungen vor: eine 14prozentige Arbeitslosenrate und eine 25prozentige Reallohnsenkung allein während der letzten drei Jahre haben die portugiesischen Arbeitskräfte so weit verbilligt, daß die Lohnstückkosten auf 1/4 des bundesrepublikanischen Niveaus gesunken sind. Die unter Anleitung des IWF durchgesetzte laufende Entwertung des Escudo hat eine weitere Verbilligung für ausländische Investoren hergestellt und eine Inflationsrate von 25 % garantiert bei der Aufnahme der freigiebig angebotenen Kredite für Industrieunternehmen sogar einen Negativzins. Alles in allem ein brauchbares Investitionsklima, das das Handelsblatt seinen Lesern empfiehlt.

Was die Rücknahme sozialismusverdächtiger Regelungen betrifft, wird Sa Carneiro mit sich reden lassen, die wichtigsten Schritte, um die anfangs gemachten Konzessionen an das zur Herstellung einer Demokratie auf gerufene Volk zu beseitigen, haben die Technokraten schon unternommen – staatliche Entschädigungen und die Rückgabe von großen Teilen des Großgrundbesitzes. Die Schwierigkeiten, in denen die Arbeiterkooperativen stecken, tun ein übriges zur Belehrung der Massen. Ohne Kredite, deren Zahlung der Staat nach und nach eingestellt hat, ohne genügende Produktionsmittel und ohne ausreichende Fachkenntnisse – nicht zuletzt ist auch die begeisterte Anteilnahme der europäischen Linken in der letzten Zeit ausgeblieben –, halten sie sich kaum über Wasser und das auch nur durch den ständigen Mehreinsatz der Beteiligten, die mit weniger als den üblichen Mindestlöhnen auskommen müssen. Erschießungen von Landarbeitern, die sich weigern, den in Besitz genommenen Boden an die alten Besitzer zurückzugeben durch die Nationalgarde bewirken so auch keinen Volksaufstand.


Demokratische Reife

Daß die Portugiesen, deren Existenzbedingungen nunmehr unter das Niveau zu Zeiten der Revolution gedrückt worden sind, sich das Rechtsbündnis mit einer staatlichen Mehrheit gewählt haben, ist ein eindrucksvoller Beweis für ihre demokratische Reife und noch einmal dafür, daß die Revolution nie eine war. Die Ermächtigung einer Regierung, die sich für die ,,Reaktivierung des privaten Sektors der Industrie“ stark macht, verdankt sich dem Mißverständnis, eine von den Soares-Sozialisten und den Interimspräsidenten angerichtete Mißwirtschaft müsse beseitigt werden. Der große Verlierer der Wahl, Mario Soares, dagegen weiß es besser, daß er die Grundlagen für den Erfolg seines Nachfolgers geschaffen hat:

„Die Restriktionspolitik war unumgänglich. Wie die Deutschen nur zu gut wissen, gibt es keinen Wirtschaftsaufschwung ohne Opfer. Ich wußte, daß ich zwar die Grundlagen für die Demokratie schuf, aber die Popularität meiner Partei aufs Spiel setzte.“

Dabei verblassen die von ihm angeordneten Opfer der Portugiesen natürlich hinter dem riesenhaften eigenen, das er sich vom Herzen gerungen haben will:

„Es war die ernsthafte patriotische Entscheidung eines Politikers, der nicht nur an Wahlkampf denkt. Jetzt muß ich dafür zahlen und ich bin bereit, die Folgen zu tragen.“

Dabei kann er getrost abwarten. Die Hoffnung der Wähler, durch Sa Carneiros Programm zumindest die Existenznotwendigkeiten garantiert zu bekommen, die ihnen nichts anderes einbringen wird, als im besten Fall die ausgiebigere Benutzung ihrer Existenz durch ausländisches Kapital nach dessen Geschmack, wird wohl auch wieder einmal zur Enttäuschung, und dann haben die Portugiesen eine weitere Lektion Demokratie gelernt.

 

aus: MSZ 33 – Januar 1980

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