Die Natur und ihre Schützer

Vor nicht langer Zeit wurde in einer Münchner Zeitung in großen Lettern die Frage diskutiert, ob die im Englischen Garten frei herumlaufenden Köter nicht von der Polizei zu erschießen seien, stellten sie doch eine Belästigung, ja Gefährdung der unbetierten Spaziergänger und friedlicher Entenfamilien dar. Die Drohung – man muß das lobend erwähnen – ging von der Polizei aus und ihr wurde dann konsequenterweise entgegengehalten, daß gerade sie das nicht tun dürfe – handle es sich doch hierbei um Mord. Zwar wurden auch Nachteile des Hundeauslaufs zugestanden und auch gewisse Vorbehalte wurden laut gegen die diversen Greyhounds, Bassets, Afghanen und wie die Luxusviecher alle heißen, es siegte jedoch die Solidarität der Zamperlfreunde über die Klassenschranken.

Nicht erst, daß schwerwiegende Rechtskategorien auf den Umgang mit Tieren angewendet werden, schon allein die Aufwendigkeit der Diskussion zeigt, wie wichtig den Menschen hierzulande die Tiere sind, gerade wenn sie keinen unmittelbaren materiellen Nutzen aus ihnen ziehen. Dabei setzte sich die für eine Zeitungsdiskussion erforderliche goldene Mitte wieder einmal durch: die nützliche Funktion der Tiere für die Menschen wurde hervorgehoben und mit dem Appell verbunden, die Viecher an die Leine zu nehmen.


Ein Hund für den Staat

Diese Art, das Tier zu loben, unterstellt ein Wissen um die Menschen und was sie füreinander sind: eben auch Tiere, allerdings mit einem berechnenden Bewußtsein ausgestattet. Um Menschen bleiben zu können, brauchen sie im rauhen Alltag ein Eckchen voll Ruhe, Frieden und Solidarität, in dem sie die Widerwärtigkeiten des täglichen Lebens vergessen können. Wer es gut meint mit den Menschen, begrüßt denn auch die Tierliebe, weil sie tatsächlich hilft, mit dem Leben besser fertigzuwerden.

Die Anwälte der Menschlichkeit in einer unmenschlichen Welt diskutieren zu diesem Zweck die vorhandenen Formen der Tierliebe und fragen sich, welche davon unter ihrem Gesichtspunkt – des menschlichen Wohls – tauglich sind. Da fallen ihnen sogleich die Kinder, Schwachsinnigen und Alten ein, für die es sehr sinnvoll sein kann, wenn sie sich auf eine Stufe mit den Tieren stellen, denn gerade so ist die sozialpädagogische Funktion der Fellmenschen gewährleistet:

– Die Kinder lernen spielend, sich um etwas zu kümmern, weil Verantwortung, sei es auch nur für ein Tier, den Menschen reifen läßt, und man sich auch sonst sehr intensiv um sie kümmert; sie können ihren Werdegang zum Staatsbürger liebevoll am vierbeinigen Gefährten nachvollziehen und die ihnen dabei widerfahrenden Grausamkeiten mittels ihres kindspezifischen Analsadismus am Tier aus- und wegleben.

– Die Schwachsinnigen lernen, daß es noch andere Schwachsinnige gibt, mit denen man sehr liebevollen Umgang pflegen kann, auch wenn die Normalen ihn verweigern, weil vom Schwachsinnigen keinerlei staatsbürgerliche Einstellung zu erwarten ist; findet sich jedoch eine auskömmlich bezahlte Anstellung als Schuhsohlenannäher oder Lehmkneter, braucht er auch kein Tier mehr, Ahle und Lehm sind seine neuen Partner.

– Die Alten lernen, daß auch, der unnütz gewordene Staatsbürger – will er schon nicht sterben – noch mancherlei Erfüllung und – Liebe – finden kann in der Ansprache an den Hund oder andere Hundebesitzer, was sie vor unwürdigem Altern, sprich: sabbernder Belästigung ihrer Mitmenschen, bewahrt. Und einen Hund kann man gleich doppelt sparen, wenn Oma/Opa sich um das Kind kümmern.

Nach dieser erfreuten Anerkennung der Tierliebe fragt der Menschenfreund natürlich weiter, ob nicht allzu viel Liebe an die Tiere verschwendet wird, weil er gewisse Nachteile feststellt: Das völlige Aufgehen der Seniorin im Schoßhund, wie sie dafür unbedacht ihr knappes Geld in Hundesalons und -Friedhöfen vergeudet, die Lärmbelästigung in dünnwandigen Mietshäusern, das unangenehme Ausrutschen auf beschmutzten Burgersteigen bzw. die Infektion, die sich Kinder in Sandkästen holen, bringen ihn darauf, daß zuviel an Tierliebe den Menschen  seiner Würde und Vorbildhaftigkeit berauben kann und mancherlei Eigenheiten hervorbringt, die dem friedlichen Zusammenleben abträglich sind – also nicht dem nützen, wofür er die Tierliebe dulden will. Schließlich wittert er dahinter, daß neben der Entlastung des durch seine wehleidigen Bürger geplagten Staates diesem auch Probleme, d.h. Kosten entstehen.

Partner auf vier Pfoten
Hunde besitzen eine erstaunliche Eigenschaft: Sie passen sich jedem Alter mühelos an. Dasselbe Tier, das vor kurzem noch ausgelassen mit einem Kind tollte, geht wenig später überaus manierlich mit einem älteren Menschen spazieren. Es sieht in seinem zweibeinigen Freund immer den Partner, den Gefährten, auf den es angewiesen ist und der es ebenso braucht. Das macht den Hund zu einem idealen Begleiter älterer Menschen.

Oft genug bringen die Lebensumstande im Alter zwangsläufig Einsamkeit mit sich. Aus der Perspektive des Einsamen mag es so aussehen, als gäbe es keinen anderen Ausweg als den, sich damit abzufinden. Aber muß man das wirklich? Der Partner auf vier Pfoten ist ein ausgezeichnetes Mittel gegen jede Resignation.

Ein Hund gibt und fordert. Durch ihn erwächst dem Besitzer eine neue Lebensaufgabe und damit der Zwang zur notwendigen Regelmäßigkeit. Der vierbeinige Gefährte will zu festgesetzter Zeit seinen Napf gefüllt sehen, er will seinen Spaziergang in frischer Luft machen und zwingt seinen Besitzer förmlich zur Bewegung.

Das Tier erwartet, daß man sich mit ihm beschäftigt. Da bleibt keine Zeit für trübe Gedanken. Und noch ein wichtiger Punkt: Ein Hundebesitzer trifft immer wieder andere Hundebesitzer. Ganz einfach kommt man plötzlich miteinander ins Gespräch. Grenzen, die eine normale Zurückhaltung leicht zieht, fallen selbst für Schüchterne, wenn sie ihren Hund ausführen. Gemeinsame Freude und Fürsorge der Besitzer bauen ebenso schnell wie fest ungeahnte Brücken von Mensch zu Mensch.

Deshalb raten Psychologen gerade älteren Menschen immer wieder, sich einen vierbeinigen Gefährten anzuschaffen. Besonders Alleinstehende neigen leicht dazu sich nur mit sich selbst zu beschäftigen. Davon lenkt ein Hund bestimmt ab. Schließlich erwartet er selbst eine ganze Portion Zuneigung von seinem Besitzer. Bekommt er sie, ist auch er ganz für den großen Freund da.

Das Tier hat demnach seinen Wert, wenn es niemanden stört und diejenigen bei der Stange hält, die von Haus aus Störfaktoren sind. Der ordentlich arbeitende Staatsbürger hat kein Tier zu brauchen, findet er doch Erfüllung in seinem alltäglichen Dasein, in seinem Dienst an anderen.

Wer bei diesen aufgezeigten Nachteilen der Tierhaltung am Hund festhält, muß seinem Köter mehr bieten können, als den meisten Menschen geboten wird, oder eine entsprechend tierfreundliche Familie zu Hause sitzen haben, die dem Tierbeiner, wenn schon keinen Auslauf, so doch Familienanschluß bieten kann. Die geforderte Leistung ist, mit der darin enthaltenen Entsagung fertigzuwerden und auch ohne den entsprechenden materiellen Rückfluß seinen Mann zu stehen, d.h. nicht in der Welt des Tieres aufzugehen und gegenüber der wirklichen Welt Gleichgültigkeit, Verbitterung, gar Feindseligkeit zu entwickeln.


Der Mensch im Hund

Der wahre Tierfreund schlägt zurück. Doris Day („Ein Hauch von Nerz“), die sich um ihr materielles Wohl nicht sehr viele Gedanken zu machen braucht, möchte das Geld völlig neuen Verwendungszwecken zuführen – solange sie selbst noch genug davon hat, wohlgemerkt:

„Ich liebe alten Schmuck, und große Klunker lassen mich so kalt, wie sie sind. Wenn ich sehe, was sich Liz Taylor alles um den Hals hängt, wird mir speiübel. Alles, woran ich dann denke, sind die vielen Tierheime, die man dafür bauen könnte.“ (Gong)

Fridericus rex war es sehr angenehm, daß er seine Herrschaft über die Preußen und andere mit einer abgrundtiefen Verachtung für sie verbinden konnte:

„Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere.“

Und der Philosoph Schopenhauer konnte sich die Peitsche sparen, weil er sich seine Überlegenheit über die Menschen mit seiner Liebe für die Tiere bewies;

„»Woran sollte man sich von der endlosen Verstellung, Falschheit und Heimtücke des Menschen erholen, wenn die Hunde nicht wären, in deren ehrliches Gesicht man ohne Mißtrauen schauen kann?« fand Schopenhauer, Philosoph, Pessimist und Hundeliebhaber. Er liebte seinen Pudel abgöttisch.“ (Bild am Sonntag, Die Diktatur der Dackel)

Diese Persönlichkeiten der Weltgeschichte treiben ihre Erkenntnis, daß das Zusammenleben der Menschen nicht eben erfreulich ist, radikal weiter und gehen ganz im Tier auf – um für die Gesellschaft nicht nur tauglich zu bleiben, sondern darin auch eine hervorragende Stellung einzunehmen. Weil sie es mit ihrer Abkehr von der Welt zu etwas gebracht haben, werden sie vom ordinären Tierfreund auch gerne zitiert und bilden die Stützpfeiler seines Weltbildes. Er macht sich seinen Ekel vor der Welt dadurch erträglich, daß er sich eine neue, eigentliche Welt aufbaut, ohne deswegen seine Pflichten in der alten zu versäumen – „erholen“ will man sich nach den Worten des großen Philosophen. Daß dies – gemessen an staatsbürgerlichen Idealbildern – eine unkooperativ-egoistische Einstellung ist, stört den kleinen Mann weniger, wuchert um ihn herum doch der Egoismus, dem er hilflos ausgesetzt ist. Das Tier ist ihm nicht nur ein vertrauenswürdiger und erholsamer Mitmensch, der allzeit nur gibt und – richtige Dressur vorausgesetzt – das tut, was sein Herr will, sondern auch gerade in seiner Wehrlosigkeit so wohltuend, denn an ihm lassen sich Tugenden befriedigend praktizieren, die im alltäglichen Leben regelmäßig zum Nachteil ausschlagen. Die vollkommenste Form hat dies in der Heranzüchtung des Hundes gefunden, denn kein Tier sonst unterwirft sich so aktiv und freudig dem Willen seines Herren. Deswegen hat die Soziologie den hilflos Unterworfenen, solange er eine gesellschaftlich stabilisierende Rolle spielt, „underdog“ getauft und nicht „undercat“, denn Katzen sind bekanntlich noch nicht vollständig domestiziert, gelten als intellektuell und heimtückisch. Tieren gegenüber braucht es keine Höflichkeit und sympathisch braucht man sie auch nicht zu finden – man kann sie ganz einfach lieben. Betrachtet der Menschenfreund das Tier vom Standpunkt des Nutzens für das Staatsbürger dasein, so ist auch dem radikalen Tierfreund sein Nutzen sehr wichtig, den ihm das Tier ganz zweckfrei, völlig vorbehaltlos als Erholung, Freundschaft, Verständnis schenkt, womit nicht nur für Fridericus rex erwiesen ist, daß Tiere die besseren Menschen sind.


Der Hund an sich

Die wirklichen Höhen der Tierliebe sind damit allerdings nicht erklommen, noch steckt zu sehr die persönliche Nutzenerwägung hinter der liebevollen Zuwendung zum Tier. Trotz all seiner Mühe mit regelmäßigem Gassi-Gehen, Sorge um richtiges und billiges Kraftfutter, Planung des Urlaubs auf tieradäquate Ferienorte hin, muß sich der Tierfreund sagen lassen, daß er dem Tier eigentlich schade, für das Tier entsagen müsse:

„Es ist ein alter Hut unter Züchtern: Die Hausfrau, besorgt um die zufriedenen Bäuche ihrer Lieben, ist unbewußt der größte Feind einer humanen (!) Nutztierhaltung. Es hat ihr dies, abends um 20.15 Uhr im Fernsehen, nur noch keiner zu sagen gewagt. Es schadet dem Tierfreund-Image.
... anämische Weißfleischigkeit von Mastkälbern zur Befriedigung der Qualitätswünsche deutscher Hausfrauen ... abnorme Großfüßigkeit der auf Schenkelfleisch gezüchteten Junghähne ...“ (Horst Stern, Mut zum Widerspruch, Kindler 1974, S. 39, 87)

Derjenige, der das der Hausfrau, ohne um sein Leben zu fürchten, zu sagen wagt, ist kein geringerer als der TV-Star Horst Stern. Und was er zu sagen hat, geht sicher weit über die Bäuche deutscher Familien hinaus – allerdings nicht bis zum Kopf.

In dem Angriff Sterns auf die schäbig-materialistische Sorge der Hausfrau um ihre Familie und deren Kalkulation mit dem knappen Haushaltsbudget, welche angeblich die Schuld hat, wenn den Hühnern so dicke Schenkel wachsen, steckt ein Angriff auf die Gesellschaft überhaupt – sie habe nicht die richtige Ehrfurcht vor der Natur:

„… Computergesellschaft mit Übergewichtigkeit des Herzens und Mangel an einer Art von Verstand (!), die im Industriezeitalter nach einem Wort des Adorno(!)-Schülers Walter Hoeres (hört, hört) kaum mehr die Kontemplation der Welt zum Ziel hat, sondern die Herstellung einer Welt von nützlichen Produkten, an denen sich zu freuen niemand mehr recht fähig ist vor lauter ungehemmter Jagd nach dem Nutzen.“ (S. 118)

Die Gesellschaft ist also nicht so, wie Horst Stern sie haben will, fehlt ihr doch ganz entschieden der wahre Wert des menschlichen Lebens: die Hochschätzung der Natur als Wert an sich. So gilt es auch nicht gegen die Natur zu kämpfen, sondern für die beste Sache der Welt:

„Was haben wir denn zu fürchten? Diese Sache Naturschutz ist die beste, die lebenswichtigste der Welt.“ (S. 131)

Der Naturfreund spürt, daß ihn die Wogen des Zeitgeistes sanft mit sich spülen, und darum ist er in seinen Bemerkungen auch sehr offen heraus:

„Es ist an der Zeit, meine ich, daß die Naturschützer endlich ein Paar Dinge deutlich aussprechen. Zum Beispiel werden sie zu Komplizen einer opportunistischen politischen (!) Geisteshaltung, wenn sie nicht endlich sagen, daß ein ernst zu nehmender Schutz gefährdeter Lebensräume für selten gewordene Tiere und Pflanzen notgedrungen(S) ein Naturschutz gegen Menschen ist.“(118)

und er fährt gleich fort, daß der Mensch in der Natur eigentlich nichts zu suchen hat, macht er sie doch automatisch kaputt:

„Von einem kleinen Hochmoorschutzgebiet südlich von Hamburg wird berichtet, daß schon eine einzige(!) Exkursion von Naturfreunden, also von einschlägig gebildeten(!) Menschen immerhin, zu irreversiblen Schäden führte.“
„Wir können nur noch die Achseln zucken, wenn man(!) uns immer wieder zu verstehen gibt, wir schützten die Natur für uns selber, zum eignen, durch Mitmenschen nicht gestörten Vergnügen an Pflanzen und Tieren.“ (119,13 2)

Die Geschichte der Menschheit wird von dieser Spezies dann systematisch daraufhin untersucht, wie lebendig jeweils der Tierschutzgedanke und die Ehrfurcht vor der Natur waren; und begeistert konstatieren sie bei den alten Griechen einen sehr entwickelten Tierschutz, weil jene einem Buben, der einem Raben die Augen ausgestochen hatte, zum Tode verurteilten (Emmulat/Zoebe: Das Tier im neuen Recht, Stuttgart 1972, S.12 – übrigens ein juristischer Kommentar vom Standpunkt des Tiers aus.)

Und schließlich entdecken sie neben den Autobahnen auch noch andere positive Seiten an Hitler, der bekanntlich von der urwüchsigen Kraft des Lebens so fasziniert war, daß er dafür ein paar Millionen Juden umbrachte:

„Die gesetzgeberische Hürde war unter Tierfreund Hitler niedriger geworden. Im November 1933 schon erließ man ein eigenständiges Reichstierschutzgesetz.“ (15)

wobei man nicht versäumt – und aus gutem Grund, wie sich noch zeigt –, die demokratische Aufgeklärtheit hintanzuhängen: –

„In den Konzentrationslagern waren von nun an die Wachhunde die besseren Menschen“,

sind sie doch nur dafür, Konzentrationslager Konzentrationslager sein zu lassen und sich um die Erhaltung der Hunde ohne jeden Zweck („Wachhunde“) Sorgen zu machen.

Hausfrau sucht Eier, die nicht aus Hühner-KZ stammen. Lohmüller, Neuhausstr. 10, Oberursel.

Aus der „Frankfurter Rundschau“

 

Wie man von den Hunden lernen kann

Die Freundschaft für die Natur, unfähig den gesellschaftlichen Umgang mit ihr und daher ihre Verwandlung zu begreifen, richtet ihren Haß also gegen die Geschöpfe, die sich aus der Natur erhoben haben: Die Menschen zeigen sich in ihrer ganzen Entartung dort, wo sie ohne Rücksicht auf die innersten Lebensgeheimnisse die Natur entartet haben:

„In kleinen Boxen aus Beton, die an langen Stallgassen aufgereiht sind, stehen die Hündinnen als Gebärmachinen, oft ohne Auslauf und meist ohne sozialen Kontakt. Es interessieren nicht ihre Gefühle und sozialen Bedürfnisse ...“(21)

Die Rettung liegt nur im Zurückgehen, in der Vereinigung mit der Natur, die, sich endlich selbst überlassen, die Menschen einer schönen, lebenswerten Zukunft entgegenführt. Es gibt allerdings eine Institution, die all dem widerspricht, die in der Natur herumfuhrwerkt und sie einfach nicht in Ruhe läßt: für die Unterwerfung unter die gewinnbringende Produktion hat sich der Kapitalismus als mächtiges Instrument die Naturwissenschaft geschaffen. Prompt entdeckt der Naturfanatiker in ihr den Hauptfeind. Sie ist nicht nur naturfeindlich und gegen die Menschen gerichtet, die mit ihrem von Natur aus kleinen Verstand in ihrer übergroßen Mehrzahl die Naturwissenschaft nicht begreifen können.

„Ich meine die unleugbare Tatsache, daß zu einer Zeit, in der menschliches Naturverständnis mit der Spitze einer riesenhaften Wissenspyramide im wahrsten Wortsinn an die Sterne stößt, die große Masse der Menschen daran keinen nennenswerten Anteil hat.“

Und obwohl eine ziemlich kleine Menge von Menschen aus der Anwendung der Naturwissenschaft durchaus nennenswerte Anteile herausschlägt, erklärt Stern sie nicht nur für im Grunde überflüssig,

„Daß Leukippos und Demokrit – zwei philosophierende ältere Herren, die die Mittelmeersonne wärmte – die Atome als Bausteine der Welt schon dachten, bevor zweieinhalbtausend Jahre später mit dem technischen Aufwand unseres Jahrhunderts die atomare Struktur der Materie experimentell bewiesen wurde, das macht mir Mut, hier dem Erstgeburtsrecht der menschlichen Sinne vor der denaturierenden Macht des wissenschaftlichen Apparats das Wort zu reden.“ (76f.)

sondern darüberhinaus für eine üble Verschwendung:

„Irgendwo auf der antarktischen Palmer-Halbinsel traf ich auf eine gottverlassene(!) Feldstation amerikanischer Botaniker ... das ganze zentnerschwere Zeug aufgebaut ... standen sie also herum, die Gaschromatographen, die so kompliziert waren, daß sie zum regelmäßigen Kundendienst jährlich mit Eisbrecher und Flugzeug zurückgeschickt werden mußten ... Stromaggregate, Lochkartenschreiber, EDV-Anlagen, bedient von hochqualifizierten Spezialisten, denen es nach eigenem Eingeständnis schwerfiel, Weizen von Hafer zu unterscheiden. ... in die Hunderttausende ging. Und all dies … galt einem schlichten Moos namens Neuropagon … Mir kam dies ziemlich akademisch vor....“(67f.)

Nicht das wird also kritisiert, wofür die Naturwissenschaft da ist, sondern – offen reaktionär – ihre De-Denaturierung gefordert, also ihre Rückführung auf staunendes vergleichendes Beobachten des Lebens, das sich in allem nur als Vorform des heutigen entpuppt. Es lebe also die Verhaltenstheorie, mit deren Hilfe sich die moderne Gesellschaft nicht nur als komplexere Graugansfamilie erklärt, sondern jener die Rückkehr zu den natürlich-harmonischen Formen des Zusammenlebens im Tümpel anempfohlen werden kann:

„Hier wäre Gelegenheit zu der unmerklichen Erziehung der Menschen in Richtung auf ein neues(?) Harmonieverständnis, das Konrad Lorenz (werdet Graugänse!) als den einzigen Ausweg aus der ökologischen Krise sieht. Hier ließe sich auf eine diskret pädagogische Weise Naturwissenschaft an den Mann bringen. Hier ließe sich ohne Zeigefinger Demut und Moral lehren angesichts der stillen Geschöpfe der Natur. Hier könnte menschliche Hybris wieder lernen, sich einzuordnen in einen Kreislauf, aus dem wir zu unserem leiblichen und seelischen Schaden ausgebrochen sind.“ (135)

Das entartete Menschengeschlecht ist also nicht nur dumm und unwürdig, es muß – dies der Höhepunkt des Naturreaktionärs – zur Anerkennung seiner Dummheit und Unwürdigkeit erzogen werden!


Des Hundes und des Staates Harmonie

Wenn der Naturfreund die Demut vor der Allmacht der Natur deswegen herstellen will, weil sonst die Natur draufgeht, hat er den Widerspruch in seinem Denken explizit gemacht: nur eine andere über den Menschen stehende Allmacht kann die der Natur retten – der Staat.

Dieser richtet seinen Zwang jedoch nach dem aus, was seiner Erhaltung und Stärkung dient, und sein Interesse, die Staatsbürger zur Anerkennung einer (Natur-)Gewalt neben ihm anzuleiten, ist demgemäß sehr beschränkt, insbesondere kümmert ihn sehr wenig, daß „wir zu unserem leiblichen und seelischen Schaden aus dem Kreislauf der Natur ausgebrochen sind.“ Im Gegenteil unterstützt er mit seiner Absicherung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung diese Ausbruchsbemühungen mit allen Kräften. Dies läßt die Naturschützer in ein großes Jammern über die böse Politik ausbrechen, was aber der Staat, hier insbesondere repräsentiert durch seine Landwirtschafts- und Umweltsminister, sehr gelassen beantwortet. Er erläßt ein Gesetz, das die Menschen zur Achtung vor der Natur verpflichtet: sie sollen Tiere nicht unnötig quälen (§ 1), sie nicht per Nachnahme versenden (§ 3), bei der Nutztierhaltung zweckmäßig vorgehen, kein Gerümpel in die Landschaft werfen, welches eine verteuerte Grundwasserreinigung nach sich zieht, keine Wälder mit ihren Zigaretten anstecken, da Rauchen sowieso ungesund ist, und die Nägel auf den Oxern nicht so lang machen, daß unglücklich verletzte Springpferde keine Goldmedaillen mehr für die Nation gewinnen können.

In dieser Antwort des Souveräns drückt sich aus, was gesellschaftliche Realität ist: der Kapitalismus bedient sich der Natur gemäß seiner Erfordernisse, und Mensch und Tier sind ihm dabei gleichgültig, solange ihr Verrecken sich auszahlt. Der Naturfreund wird darüber freilich nicht zum Staatsfeind, ist doch seine Sorge um die Natur nur eine der mannigfaltigen Formen demokratischer Sorge um den Staat. Ganz handgreiflich wird das, wenn der Naturschützer dem Staat Einsparungen in seinem Budget und bessere Moral der Bürger verspricht, sollte er sich der guten Sache zuwenden.

Wie glücklich Staat und Natur übereinstimmen, zeigt die staatliche Reaktion auf Sterns Klage; entschieden wendet er sich gegen den Bau eines Parkplatzes neben einem Freibad, da „ökologisch und fiskalisch“ sinnlos:

,,Man(?) belehrte mich, daß es die arbeitende Bevölkerung, die nach Feierabend zum Baden strebe, nicht verstehen würde (dummes Pack), wenn man sie auf ihre Füße verwiese. Mein Einwand, die im Sitzen oder Stehen (aber nicht in freier Wildbahn) arbeitende Bevölkerung habe nach(!) Feierabend nichts nötiger(!) als 300 Schritte zu Fuß in der Natur. ,..“ (126f.)

– und trifft auf die offenen Ohren der für sachliche Argumente immer dankbaren Administration:

„Nach dieser Rede erging an die fragliche Gemeinde überraschend(?) der Bescheid der Obersten Naturschutzbehörde, daß das Projekt nicht bezuschußt werden könne. ...“ (Fußnote)

Daß so freundschaftliche Zusammenarbeit sich geradezu zwangsläufig ergeben muß, ergibt sich aus dem innersten Wunsch des Naturfexen, daß nämlich überall die Harmonie der Natur herrschen möge und jegliche Unruhe und Unordnung verschwinde. Wenn der Staat einerseits die Instanz ist, die die Zerstörung der Natur zuläßt und absichert, so ist seine Macht andererseits nichts anderes als Erbgut der Natur, er ist nur ihr Lebenswalter, somit unhinterfragbar und letztendlich auch nur ein nach Harmonie strebendes Gleichgewichtssystem:

„Die Bienen und ihr nach dem Prinzip der „Arbeitsteilung“ geordnetes Staatswesen – faszinierende neue Erkenntnisse ...“ (Verlagsankündigung zu „Sterns Bemerkungen über Bienen“)

Wen wundert es da noch, daß die Radikale Naturpartei überall in der Welt kleine, wohlgeordnete Staaten entdeckt – bei den Affen, den Ameisen, den Amöben –, welche aufgrund einer verhaltenswissenschaftlich modernisierten Evolutionstheorie nichts anderes darstellen als frühere( unverdorbene) Formen menschlichen Zusammenlebens.

Wenn Stern in der Öffentlichkeit als progressiver Mensch gilt, dann verdankt sich das dem, daß er das normale Staatsbürgerbewußtsein mit einer natürlich gewachsenen Radikalität vertritt und immer und überall Vorschläge macht, wie der Staat reibungsloser und mehr der menschlichen Natur entsprechend sein harmonisches Gleichgewicht gegen alle Widerstände herstellen kann.

Alle Unterschiede zwischen den Tierfreunden schmelzen dahin und stellen sich als unterschiedliche Varianten dar, die zum selben Ergebnis kommen:

1. soll der Staat neben dem Nutzen der Natur für die Ausbeutung nicht ihren „Freizeitwert“ für die Ausgebeuteten XXXXXXvergessen,

2. soll er endlich den Erziehungswert des Viehzeugs für die Staatsbürgermoral besser einsetzen, und dabei soll er

3. die überschwengliche Tierliebe seiner Untertanen auf ein nützliches Maß, d.h. auf den entsprechenden XXXXXXPersonenkreis reduzieren.

So gehört auch bei Horst Stern zur Suada über den Wert der unberührten Natur die entsprechende Empfehlung für den Umgang mit ihren domestizierten Exemplaren.

„Für die Städte ist der Zeitpunkt gekommen, sich und die Tiere mit einem Numerus Clausus zu schützen, der in erster Linie die Hinwendung der Kinder zum Tier, die Alterseinsamen und die geistig Defekten begünstigt, auf die neuen Forschungen zufolge ein Hund therapeutische Effekte haben soll. Das wäre der wahre, bis in die Zuchtgettos hineinwirkende ethische Tierschutz.“ (23)

Man darf sich also nicht wundern, wenn Schulter an Schulter die „Naturfreundejugend“, eine Bündnisorganisation der DKP, und CDU-Gruhl, die sozialdemokratisch-engagierte Hausfrau und der knorrbeinige Bundhosen-Wiggerl den Atomkraftwerken ihre grünen, der unberührten Natur entrissenen Zweige entgegenstrecken, tun sie doch damit gleichermaßen ihr kritisches Einverständnis mit dem demokratisch geordneten Staatswesen kund.

aus: MSZ 14 – Dezember 1976

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