Indien:

Die Rückkehr der Mumien


Das Resultat der allindischen Parlamentswahlen hat bürgerliche Beobachter ebenso überrascht, wie ihre Anberaumung durch die Verliererin Indira Gandhi. Das interessierte Auge feiert in der Rückkehr der Mumien (so hießen Desai und Co. in Indien vor dem Putsch Indiras, weil ihre politischen Leichen den Weg der Lady an die Macht markierten) einen Sieg der Demokratie, gar des indischen Volkes über seine Unterdrücker. Dabei zeigt die Analyse jenes Bündnisses, das den Indira-Kongreß in die Opposition schickte, daß in der Reihe der Janata (= Volks)Partei sich alle diejenigen versammelten, die sich von Indira bei der Ausbeutung der indischen Massen übers Ohr gehauen sahen:

Die feudalen Landlords, Bankiers und korrupten Provinzpoliticos, die aus Protest gegen Indiras Versuche einer Kapitalisierung der Landwirtschaft durch Staatseingriffe („Grüne Revolution“) 1969 den Kongreß verließen, sitzen hier in einer Fraktion mit der faschistischen Hindu-Bewegung Jana-Sangh des neuen Außenministers Vajpayee, die sich für die Hindustanisierung eines Großindien (inklusive Pakistan und Bangladesh) einsetzt und aus deren Reihen der Mörder Gandhis stammt, in dessen Namen vor allem die Bhartiya Lok Dal auftritt. Hier vereinigten sich die Interessenvertreter der landbesitzenden Bauern des Nordens mit den „Sozialisten“ des indischen Proudhon Raj Narain, der sich für die handwerklichen Kleinindustrien und gegen die Zinsknechtschaft des Finanzkapitals starkmacht: alles ehemals Teile der Kongresskoalition, die von Landreformprogramm und den Fünfjahresplänen Delhis nicht zu unrecht einen Verlust ihrer ökonomischen Basis befürchteten.

Hinzu kommen diverse Lokalparteien und die Sozialdemokraten des Georges Fernandez, die bis zum Staatsstreich den Kongreß unterstützt hatten, nun aber in Gegnerschaft zu den Zentralisierungsmaßnahmen Delhis bzw. Indiras Vorgehen gegen die Gewerkschaften der Industriearbeiter und Staatsbediensteten gerieten. Flankenschutz bot dem Janata-Block von links die KP (Marxisten), die sich erhofft, daß die Reaktionäre im neuen Regierungslager miteinander genügend beschäftigt sind und sich deshalb weniger intensiv der Ermordung von Kommunisten widmen können, als eine Kongreßadministration. Und innerhalb des Kongreß bemerkte der Landwirtschaftsminister J. Ram, der als Unberührbarer starken Anhang unter den 80 Mio. Parias genießt, die in ihm das Symbol möglichen Aufstiegs trotz ihrer Kastenlosigkeit wähnen (wo es sich doch gerade umgekehrt verhält: Ram kam nach dem Putsch nur wegen seines Symbolgehalts nicht ins Gefängnis), noch rechtzeitig, daß die alte Kongreßkoalition außerhalb des Kongreß stärker geworden war, als der Versuch Sandjay Gandhis, um westlich orientierte Technokraten eine neue Koalition zusammenzuschweißen, und setzte sich an die Spitze der Indira-Gegner. Daß diese heterogene Koalition nur eines eint, der Weg zurück an die Pfründe der Macht, zeigt noch der einzige „Programmpunkt“, den sie gemeinsam zum Wahlschlager machten: die hysterische Kampagne gegen Zwangssterilisierung im Rahmen des „Familienplanungs-Programms“, das jetzt natürlich weitergeführt wird.

Wenn westliche Journalisten die Breite des obsiegenden Bündnisses als Herstellung eines demokratischen Pluralismus in Indien bejubeln, so verleihen sie damit der Hoffnung Ausdruck, daß die Spaltung der herrschenden Klassen Indiens, mit denen man die Geschäfte des Imperialismus macht, nun überwunden ist und einerseits Stabilität da unten wieder einkehrt, andererseits Indiras Paktieren mit der sowjetischen Konkurrenz ein Ende gesetzt wird. Daß die indischen Massen bei dem ganzen Spektakel des Urnengangs außer sich selbst nichts bewegten, zeigt die Tatsache, daß sie jetzt genau die gleichen Leute bejubeln, die sie 1972 ebenso geschlossen abgeschmettert hatten. Das von Desai verkündete Austerity-Programm macht auch deutlich, daß vom Volk in den kommenden Jahren das gleiche stoische Sichfügen in Ausbeutung und Unterdrückung erwartet wird wie bislang. Daß es auf die Zustimmung der Massen beim Regieren und Wählen in Indien ohnehin nicht ankommt, zeigte der Verlauf dieser Wahlen genauso wie das Schauspiel der vorhergehenden. Der Opposition gelang es, mehr Menschen zu ihren Kundgebungen heranzukarren als der Regierung, weil ihre Wahlkassen voller waren (bezeichnend die Panne in einer ZDF-Sendung, die der Feier der demokratischen Willensbildung in Indien gewidmet war und wo befragte Kundgebungsteilnehmer den Redner für den Aga von Delhi hielten), und weil große Teile der Kongreßwahlmaschinerie zum Gegner übergelaufen waren, kam es erstmals zu Schießereien und einer Serie von Zwischenfällen, deren letzter und spektakulärster noch einmal zur Anschauung brachte, wie in Indien Wahlen bislang gewonnen und diesmal auch verloren werden: Indiras Verteidigungsminister Bansi Lal ohrfeigte den Wahlleiter seiner Constituency, nachdem dieser das Ergebnis mit der Kongreßniederlage bekanntgegeben hatte.

Näheres über Staat und Ökonomie Indiens findet Sich in: MSZ–NACHDRUCK AUS DEM 1. JAHRGANG, S. 123 - 132 unter dem Titel „Indien nach dem Putsch“.

 

aus: MSZ 16 – April 1977

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