Demokratischer Realismus


Obenstehendes Bild ist keine Karikatur, dazu bietet der Anlaß, die „Heldentat von Mogadischu“ kein Material. Denn Karikaturen leben davon, das kritischdistanzierte Einverständnis mit staatlichen Entscheidungen zu bebildern. Schwächen von Staatsmännern, die Schwierigkeiten, die sie haben bei der Lösung ihrer Aufgaben und die Faux pas, die sie sich dabei leisten, so darzustellen, daß es etwas zu lachen gibt, ist die Aufgabe dieses Metiers. Das Kritische an der Karikatur soll Grund zum Lächeln und nicht zum Ärgern sein und die prinzipielle Gewißheit, daß die verarschten Staatsmänner das abgebildete Dilemma so oder so lösen werden, bildet die solide Grundlage der Karikiererei. Abstimmungsspielregeln der Regierungspartei, Skandale in der Opposition, Spionageaffairen sind also Anlässe, bei denen die Beteiligten als Geschädigte in Striche übersetzt zu werden pflegen. Daß die in Unterhosen, in Seenot oder despektierlich in Prügeleien verwickelt Gezeichneten die Macht haben und berufsmäßig dafür sorgen, daß die Mehrheit nichts zu lachen hat, ist nie Grund der Kritik, sondern allenfalls Anlaß für eine neue Karikatur. Karikaturen sind Ersatz für Kritik, indem sie die nicht besonders komische Staatsmacht von der komischen Seite nehmen, sind also Antikritik für diejenigen, die es sich leisten können, über die Staatsgewalt zu schmunzeln.

Die ganz der Genugtuung über den gelungenen Coup der Staatsmacht gewidmete Ausgabe der SZ hat auch der Karikatur auf der entsprechenden Seite ihren Platz reserviert. Nun ließe sich auch eine Staatsfeier karikieren, wie etwa die gelungene Kombination der Festlichkeiten mit diversen Leichen, jedoch hätte man damit einen heiklen Punkt erwischt: man müßte etwas dagegen haben, die Karikatur geriete in die gefährliche Nähe der Kritik. Der Zeichner der SZ nimmt sich etwas anderes vor: er bebildert seinen Stolz auf diesen Staat, der etwas geleistet hat, und um die umstandslose Staatsbegeisterung zur Anschauung zu bringen, bedarf es einigen Geschicks.

Beim Kanzler verschwinden Bauch und andere Makel zugunsten des entschlossen (Kinn statt Pferdegebiß) und furchtlos Handelnden. Aufgekrempelte Ärmel, gelockerte Krawatte und starke Faust (wenn dein starker Arm es will ...) stellen ein für allemal klar, daß Politik = harte Arbeit ist.

Daß der Arbeiter ein Maschinengewehr zerbricht, ist Lüge Nr. 2. Es waren Soldaten, Leute, die das genuine Handwerk des Staates als Beruf ausüben, die den RAFlern bewiesen haben, daß sie zwar die MP als Symbol im Stern tragen, aber deshalb noch lange keine Soldaten sind. Wie könnte man schöner ausdrücken als durch die Verwandlung des Staates in einen Arbeitenden, daß im Namen des Staates allein MPs verwendet und Menschenleben riskiert werden dürfen. Wobei es kein technischer Unverstand des Zeichners ist, der das Terroristengerät in der Faust des Kanzler-Arbeiters wie ein Streichholz zerknicken läßt, sondern die Schwäche der RAF: deren Waffen taugen nichts, außer in den Händen des Staates, dessen Umgang damit deshalb auch nicht als das, was normalerweise mit Schußwaffen gemacht wird, ins Bild zu kommen braucht. Jeder weiß aber auch, daß diese Großtat von Schmidt, die nicht die seine war, aber ihm zugute kommt, nur durch einen Eingriff in die Souveränität eines anderen Staates möglich geworden ist. Der Dank der Nation an die, die es ihr gestattet haben, sich als Nation zu bewähren, muß also ins Bild. Natürlich nicht so, daß das wirkliche Verhältnis dieser beiden Nationen zur Darstellung kommt, daß die eine bettelarm ist und ihre Flughäfen noch aus der Kolonialzeit stammen, während die andere einen imperialistischen Staat ihr eigen nennt, der überall auf der Welt den Wünschen seines Kapitals Beachtung zu verschaffen und Nationen ersterer Art dafür gefügig zu machen weiß. Nein, zwei gleiche Figuren, die dasselbe Interesse haben, stehen sich gegenüber, womit die ganze Kritik der letzten 5 Jahre an Somalia durchgestrichen wäre. Verziehen ist die Tatsache, daß einem der Negerstaatsmann gar nicht so gepaßt hat, insbesondere seine Bündeleien mit der SU, um sich an der Macht zu halten, was in Afrika dummerweise üblich ist, – der Neger im kolonialrevolutionären Hemd mit Brusttasche wird zum Kameraden und die solidarische Verschränkung der Arme zeigt jedem, wie fest diese Kameradschaft ist. Negerdiktatoren, grundsätzlich ein dankbares Sujet der Karikaturisten, sind sonst häßlich = korrupt und nicht demokratisch; sie sind dumm = widerspenstig. Sie tragen Uniformen, weil Terror ihr Beruf ist und die Demokratie ihnen abgeht, weil die unmittelbare Identifikation von Staat und Militär in der zivilisierten Welt nurmehr Verachtung verdient, hat man sich doch davon längst entfernt, das Militär ist ein Haushaltsposten. Schließlich sind die Uniformen lächerlich (wie die Orden von Idi Amin), repräsentiert doch der aufgeblasene Negernationalismus keine reale Macht in den Augen der Industrieländer.

Nichts davon in diesem Bild: die treue schwarze Seele hat sich hier zum Genossen des Arbeiter-Kanzlers gemausert. An kleinen Modifikationen in der Darstellung des Negers, die vor allem auf der Gesellschaft des weißen Staatsmanns beruhen (der Zeichner hat sich sogar bei den Wulstlippen, sonst unerläßliches Requisit jeder Afrika-Karikatur, ausgesprochene Zurückhaltung auferlegt), läßt sich ersehen, worin der Dank besteht, den der hemdsärmelige Helmut denen da unten versprochen hat: schon seit längerem sind ja die Nato-Partner durch Waffenlieferungen in die Bresche gesprungen, die die Russen am Horn von Afrika hinterlassen haben.

Daß der RAF-Stern ein bißchen zu groß geraten und sosehr in den Vordergrund gerückt ist, macht die Größe des Sieges und die Stärke des Feindes deutlich, den man niedergemacht hat, Seit an Seit. Daß das Flugzeug hinwiederum ganz klein im Hintergrund bleibt, ist auch nicht verwunderlich, schließlich stehen die 86 Menschenleben bei der Arbeit des Staatsmanns auch bloß in den Kommuniques an erster Stelle. Die Freude, die dem Karikaturisten aus der Feder fließt, ist nicht die, daß die 86 Leute noch einmal davongekommen sind. Es die Freude darüber, daß er ein Deutscher ist, daß er einen Staat hat und daß ihm dieser Staat endlich ein Entebbe und damit einen Anlaß beschert hat, ihn einmal nicht vor Kritik durch den Kritikersatz Karikatur schützen zu müssen, sondern ihm freiweg und aus vollem Hals Lob spenden zu können.

Der krude Symbolismus, den sich der Zeichner für die Darstellung seiner Vorstellungswelt beim sozialistischen Realismus und bei den Zeichnungen der Landser-Romane ausgeborgt hat, fällt natürlich nicht unter § 88 a. Der Grund ist nicht der, daß der Schöpfer für sein Werk den Titel eines Kunstprodukts reklamieren dürfte.

 

aus: MSZ 19 – Oktober 1977

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