Maos Erben:

Zeitgemäße Korrektur einer Parteilinie

 

Wenn hierzulande Parteien ihrer Konkurrenz gegenüber Vorwürfe der Art erheben, sie würde das Volk verhetzen und spalten, die Grundlagen des Staates unterminieren, nationale Interessen ans Ausland verraten, dann löst dies in der Bevölkerung keine sonderliche Empörung aus, denn jeder, der derlei zur Kenntnis nimmt, weiß, was gemeint ist. Die Urheber solcher Anklagen wollen entweder an der Macht bleiben oder Wollen erst hin. Das falsche Bewußtsein leistet sich im Vergleich zwischen den Leistungen verschiedener Regierungen zwar durchaus den Irrtum, bei der Führung der Staatsgeschäfte handle es sich nicht um die Beschränkung, sondern um die Beförderung der Interessen der Mehrheit, doch daran, daß die Nation wegen schlechter Politik untergeht, glaubt ein moderner Bürger so schnell nicht. Er weiß aber wohl zu unterscheiden zwischen dem bedingungslosen Einsatz für die Rettung seines Staates und der Stimmabgabe für die andere Partei, zwischen faschistischen Nationalismus und seiner demokratischen Vorstufe. Die sachkundige Öffentlichkeit raisonniert sogar, ob nicht die einschlägigen Verdächtigungen zwischen den Parteien, welche sich wechselseitig für ein „Sicherheitsrisiko“ erklären, dem Vertrauen der Bürger in das Staatswesen abträglich sind. Die Gelassenheit der Öffentlichkeit ebenso wie die der jeweils beschuldigten Partei, die gewohnheitsmäßig mit gleicher Münze heimzahlt, hat ihre Grundlage in der bekannten und akzeptierten Funktion des Parteienstreits: Beschuldigungen der Art sind nur Mittel in der Auseinandersetzung von Parteien, die sich im Ziel, an die Macht zu kommen, um sich der Verwaltung einer Marktwirtschaft anzunehmen, durchaus einig sind, weshalb auch Machtwechsel nur die Kontinuität in der Erfüllung dieser Aufgabe sichern.


Die Untaten der Vier

In China laufen die Dinge zur Zeit ganz anders. Die mit solchen Angriffen geführte Kampagne ist dort bitterer Ernst. Das Gelingen der Staatsgeschäfte, die Realisierung der ökonomischen wie politischen Ziele der KP ist abhängig davon, daß die Beschuldigungen geglaubt werden. Was der „Viererbande“ alles vorgeworfen wird, stimmt zwar nie und nimmer. So soll sie nicht nur in einem Eisenbahnknotenpunkt „allein 1976 neun Verkehrsstockungen“ (Peking Rundschau 17/18) verursacht, sondern nach Auskunft einer „vorbildlichen Lokomotivbesatzung“ überhaupt „die Produktion gestört“ haben, „indem sie auf Einhaltung der Fahrpläne und der Sicherheitsvorschriften drang“. Durch „Verwirrungen“, entfacht von der „Viererbande“, „hat sich der hygienische Zustand in manchen Orten in den letzten Jahren verschlechtert“ (PR 20/6), „sie schürte Anarchie .... was drastische Qualitätseinbußen der Produkte einiger Betriebe nach sich zog“ (PR 19/20). „Sie hetzte die Kinder zur Kritik an der »absoluten Autorität der Lehrer« auf, hetzte sie auf, nicht zu lernen, sondern Unruhe zu stiften“ (PR 23/ 3), und, „versuchte aus ihnen Analphabeten und Rowdies zu machen“ (PR 18/9), wodurch sie nebenbei den „Binnenmarkt zerrüttete“ – bewiesen mittels einer Statistik über den Konsum von Schulheften, von denen „jeder Schüler derzeit 21 Hefte braucht, 1965 dagegen, als die Viererbande wütete, nur 6,5 Hefte“ (PR 32/30). „Sie praktizierte einen faschistischen Kulturdespotismus übelster Sorte“ (PR 13/9), so daß „der Garten der Literatur und Kunst verödete und verdorrte“ (PR 32/14), ließ auch das Rechtswesen nicht ungeschoren – „nachdem die Justizorgane usurpiert waren, mißbrauchten die Vier diese Macht zur Unterdrückung der revolutionären Kader und Volksmassen“ (PR 32/ 17) –; sie unterminierten mit ihren Verbrechen, „die die sozialistische Wirtschaft und das sozialistische Finanz- und Handelswesen zerrüttet haben“ (PR 30/11) sowohl Basis wie Überbau, in dem sie „Idealismus um sich greifen und Metaphysik wuchern“ ließen (I, 178). Und schließlich galten ihre Umtriebe auch den höchsten Stellen: „Sie entfachten einen höllischen Wirbel und schürten Höllenfeuer, um zur Opposition gegen das ZK aufzuhetzen“ (1,25), wobei sie in der klassenmäßigen Zusammensetzung ihrer Bündnispartner nicht gerade wählerisch waren, es waren „die Grundherren, Großbauern, Konterrevolutionäre und asozialen Elemente, die Teufel und Dämonen und solche politischen Karrieristen, Renegaten, neuen Konterrevolutionäre, Rowdies, Schläger und Plünderer ..., auf die sie sich stützten“ (I, 55).

Diese ansehnliche Liste von Untaten, mit denen die „Viererbande“ mehr oder weniger sämtliche Bereiche der Gesellschaft zum Erliegen gebracht haben soll – ein erstaunliches Arbeitspensum für vier Leute –, hat sie angeblich begangen, ohne jemals die Macht in Händen gehabt zu haben. Wenn einige wenige Mitglieder der Partei solches Unheil angerichtet haben sollen, so wird ihnen ein beträchtlicher Einfluß auf die Massen zugestanden, die der eigentliche Adressat der massierten Vorwürfe sind. Freilich hütet man sich, davon großes Aufhebens zu machen; und ebensowenig wird es öffentlicher Debatte für wert befunden, wie solch schändliches Wirken inmitten einer Partei möglich wird, die das rote Banner seit Jahrzehnten immer höher gehalten hat. Wenn die KPChina der Meinung ist, die Kampagne gegen die „Viererbande“, die sie nun schon seit über 2 Jahren aus dem Verkehr gezogen hat, immer noch fortsetzen zu müssen, so spricht sie mit diesen Anklagen, Beschimpfungen und Verfolgungen einen Appell an die Massen selbst aus, und diese verstehen das Spektakel auch richtig: In China funktioniert die politische Kommunikation zwischen Partei und Massen vermittelt über Pseudoargumente, über den Mummenschanz mit 4 Bösewichtern, deren verderblicher Einfluß allerorten zu bekämpfen sein soll, und nur bürgerliche oder revisionistische Anhänger der Harmonie von Staat und Volk können den Zweck dieser Veranstaltung mißverstehen und übersehen, daß die so traktierten Chinesen nichts zu lachen haben. Denn der Sinneswandel der Partei zielt auf einen Wandel in den Taten des Volkes.


Mit dem „11. Großen Linienkampf“ zum „allseitigen Sprung nach vorn“

Nicht zum Zweck, die vier angegriffenen Figuren zu entmachten, werden die fortdauernden Kampagnen geführt: es ist vielmehr das Programm der KPCh auf dem Weg ins Jahr 2000, das auf diese Weise den Chinesen beigebracht und in bewährter chinesischer Tradition den Massen selbst von den Lippen abgelesen wird:

„Mit einem Wort, die Lage ist ausgezeichnet, und unter den Massen herrscht der Wunsch nach Ordnung.“ (I, 81)

konstatiert der neue Vorsitzende. Und eben dieser Wunsch rief die Massen auf den Plan, um durch den Sturz der „Viererbande“ Überbau und Basis wieder einmal in Einklang zu bringen:

„Wenn der Überbau die alten Produktionsverhältnisse schützt, die neuen Produktionsverhältnisse aber untergräbt und die Entwicklung der Produktivkräfte hemmt, wird das Volk sich erheben, um ihn zu stürzen .... Ein Überbau, wie sie (die Vier) ihn errichtet hatten, stand in so schroffem Gegensatz zur Diktatur des Proletariats, zu den Erfordernissen der sozialistischen Wirtschaftsbasis und der Entwicklung der Produktivkräfte, daß sich unter den Werktätigen Unzufriedenheit breitmachte, eine solche Unzufriedenheit, daß sich selbst deren Ochsen und Maschinen sträubten. Es war daher nur natürlich, daß sich das Volk erhob, die »Viererbande« stürzte und an den Pranger stellte!“ (I, 56)

Das Volk quält ja bekanntlich nichts mehr als Unstimmigkeiten im Verhältnis von Überbau und Basis, so daß es um der lieben Produktivkräfte willen „einen absolut verfaulten und ultrareaktionären Überbau“ (a.a.O.) über den Hoang-Ho gejagt hat. Daß die verehrten „revolutionären Massen“ dabei nur als Vollzugsorgan der Produktivkräfte in Erscheinung treten, braucht die Freunde der chinesischen Massenlinie nicht zu stören, hat sich doch Vorsitzender Hua beim Vorsitzenden Mao rückversichert und das passende Wort dazu ausgeliehen:

„Die Produktivkräfte sind der revolutionärste Faktor. Haben sich die Produktivkräfte entwickelt, ist eine Revolution unvermeidlich.“ (II, 34)

In der KPCh hat man sich also auf die Bedeutung der Ökonomie besonnen in einer Weise, die die Anbetung der Produktivkräfte als Ideal ökonomischer Potenz, wie sie bei den westlichen staatssozialistischen Parteien schon traditionsgemäß zum Repertoire gehört, noch um einiges übertrifft: die Produktivkräfte sind hier nicht Reichtum und Mittel seiner Vermehrung, sondern Mittel der Revolution; ohne jeden legitimatorischen Verweis auf etwaige Nutznießer wird ihnen mit dem Titel „revolutionärster Faktor“ das Verdienst zugesprochen, durch ihre Entwicklung die Ziele der Partei zu realisieren. Nicht die Bauern und Arbeiter machen Revolution, um sich die Beschränkungen ihrer Lebenslage vom Hals zu schaffen – die Revolution besteht in der Entwicklung der Produktivkräfte, wofür die Massen sich zur Verfügung stellen.


„Nicht wenige Schwierigkeiten zu überwinden“

Wenn das chinesische Volk also gemäß seinem ureigensten Wunsch zur Ordnung gerufen wird, dann deswegen, weil Ordnung den Produktivkräften zuträglich sein soll. Neben der unvermeidlichen Anfeuerung von Optimismus durch Statements über die ausgezeichnete Lage versäumte keine der Parteitagsreden den Hinweis darauf, wozu der Optimismus gebraucht wird –

„Wir müssen der Realität ins Auge sehen, denn wir haben noch viele Probleme zu lösen und nicht wenige Schwierigkeiten zu überwinden“ –

und wer ihn vor allem an den Tag legen und dadurch die genannten Schwierigkeiten aus der Welt räumen soll:

„Wir sind jedoch fest davon überzeugt, daß wir die Schwierigkeiten nach und nach überwinden können und einen neuen Sieg nach dem anderen erringen werden, wenn wir tatsächlich in die Massen vertrauen und uns auf sie stützen.“ (I, 221)

Wo das Vertrauen in die Massen zur proklamierten Linie einer Partei wird, folgt auch im fernen Osten der Klartext solcher Moral auf dem Fuße: stützen will man sich ganz fest aufs Volk, und die Klagen über die „durch die schwerwiegende Stör- und Sabotagetätigkeit dieser Bande entstandene Situation, daß die Produktion stagnierte oder sogar zurückging“ (I, 79) gelten der mangelnden Effizienz in der Produktion, wobei die ausgeprägte Bereitschaft zur politischen Diskussion vor Ort – eine einst von Mao und der gesamten Partei empfohlene Praxis – den Charakter der Störung annimmt. Aus der einst gefeierten Politisierung der Massen wird angesichts der Entdeckung, daß die Produktivkräfte den Fortschritt vermissen lassen, „konterrevolutionäre“ Unruhe. Selbstredend hat daher

„die Bewegung zur Entlarvung und Kritik der Viererbande den Aktivismus der Volksmassen stimuliert. Die Massen sind fest entschlossen, die von der »Viererbande« verursachten schweren Verluste so schnell wie möglich wettzumachen.“ (PR 28/17)

Daß in dieser Weise die Einstellung der Massen, weil sie durch die „Viererbande“ verführt waren, zur Ursache der ökonomischen Schwierigkeiten gemacht wird, und andererseits ebenso, nunmehr angeleitet durch den erfolgreichen Parteiflügel um Hua, zu dem Mittel erklärt wird, mit dem sich die Produktion auf Vordermann bringen läßt, ist ein Spezifikum chinesischer Politik: es handelt sich um eine Revision der alten Linie, die auf die nützliche Seite der alten Massenlinie, auf die Begeisterung für das neue China, nicht verzichten will. Die alten Parolen haben in China deshalb auch nicht ausgedient.


„Den Volksmassen wohnt eine unbegrenzte Schöpferkraft inne“

Die Beurteilung der ökonomischen Rückständigkeit, die man loswerden will, erfolgt nach wie vor in den Hymnen auf die Produktivkraft Mensch, auf die Kraft der vereinten Massen Chinas, die seit der Machtübernahme und verstärkt nach dem Verlust sowjetischer Hilfe die ideologische Begleitmusik zu einer Ökonomie der Not abgaben. Jedoch richten sich die Sprüche, die Zuversicht stiften und die Einsatzbereitschaft anstacheln sollen, auf andere Ziele – die Mängel, welche das heutige ökonomische Programm beheben will, sind anders als die von einst.

War die „Schöpferkraft der Massen“ 2 Jahrzehnte damit beschäftigt, erstmals in der Geschichte Chinas die Existenz der Bevölkerung zu sichern, und zwar durch nichts anderes als die Kooperation und elementarste Formen der Arbeitsteilung, so geht es heute um die Beseitigung der Schranken, die eine solche Produktionsweise kennzeichnen. Wenn das Parteiprogramm immer noch den Aufruf enthält „Vorbereitungen auf Naturkatastrophen zu treffen“ (I, 100), so hat die praktizierte Produktionsweise die Mittel noch nicht entwickelt, die verhindern, daß Naturereignisse zu ökonomischen Katastrophen werden. Regen- oder Dürreperioden erinnern die Chinesen daran, daß ihre bisherigen Sprünge so groß nicht waren, und die Parteiführung bemerkt, daß mit einer Landwirtschaft, deren Mechanisierung noch ansteht, der Reichtum auf sich warten läßt, der vonnöten ist, um sich auf und im Gegensatz zu einem kapitalistischen Weltmarkt zu behaupten – ganz zu schweigen von den gewalttätigen Übergriffen, die der Imperialismus zur Bewahrung seiner ökonomischen Mittel unternimmt. Gerade in den Siegesmeldungen über Großeinsätze von Kadern wie Massen, die das Wasser kilometerweit auf Fahrrädern herbeischleppten, um einer Dürre Herr zu werden (PR 30/4), über die heroischen Taten jener Kollegen in Pingding, denen der Bau eines Wasserreservoirs trotz des Mangels an Werkzeugen gelang –

„Kader und Arbeiter meinten: »Wir haben 2 Hände und wollen von den Arbeitern lernen, die das Ölfeld Datjing erschlossen haben …« Anstatt Bohrmaschinen benützten sie Brechstangen und Hämmer und meißelten Sprenglöcher. Da es keine Wasserleitung gab, mußte das Wasser getragen werden. Am Tag wurden Tunnel vorgetrieben, abends wurden Straßen gebaut ...“ (PR 26/15) –

liefert die parteiliche Berichterstattung ein Geständnis nach dem anderen dafür, daß auch in China Fleiß und Erfahrung der Massen ein schlechter Ersatz für Wissenschaft und Industrie sind. Zugleich aber auch das Bekenntnis, daß der rücksichtslose Einsatz menschlicher Arbeitskraft weniger Beunruhigung in der Partei auslöst als seine kargen Resultate. Die neue Losung heißt denn auch:


„Vorwärts zu einem modernen und starken sozialistischen Staat“

Die Anordnungen bezüglich des Aufschwungs der Produktivkräfte verheißen nichts Gutes für die Produktionsverhältnisse, unter denen die Chinesen künftig auftreten dürfen.

„Wir müssen ... unser Land unabhängig und selbständig, im Vertrauen auf die eigene Kraft, durch harten Kampf und mit Fleiß und Sparsamkeit aufbauen, müssen ... Vorbereitungen auf einen Kriegsfall, Vorbereitungen auf Naturkatastrophen treffen, alles für das Volk tun und die Volkswirtschaft voranbringen.“ (I, 99)

Schon die Verwendung der traditionellen Parolen läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß das Programm für den neuen großen Sprung mit der Kritik an den Fehlern der Vergangenheit nicht zu verwechseln ist. Nach wie vor gilt der Einsatz der Massen, der mit dem Lob ihrer Kraft gefordert wird, ihr Fleiß und ihre Sparsamkeit als das Movens des ökonomischen Fortschritts – das Programm ward nicht um der Massen willen erfunden und keine strapaziöse Pflicht soll ihnen erspart bleiben: ihr Beruf heißt „Hauptproduktivkraft“. Im fristgemäß herausgegebenen Band V der Ausgewählten Werke Maos findet Vorsitzender Hua die fälligen Worte:

„Aus Band V ist ersichtlich, daß sich Vorsitzender Mao stets Gedanken darüber gemacht hat, wie die Überlegenheit des sozialistischen Systems voll zur Geltung zu bringen ist, um den Aufbau unseres Landes schneller und besser durchzuführen ... und aus China einen großen sozialistischen Staat zu machen. 1956 forderte er erneut dazu auf, in 50 bis 60 Jahren die USA wirtschaftlich einzuholen bzw. zu überflügeln. Er sagte:  »Das ist eine Verpflichtung. Ihr habt eine so große Bevölkerung, ein so riesiges Territorium und einen solchen Reichtum an Naturschätzen. Außerdem baut ihr, wie man hört, den Sozialismus auf, der eigentlich überlegen sein sollte. Und wenn ihr dann nach alledem die USA in fünfzig oder sechzig Jahren noch immer nicht überholt habt, wie wollt ihr euch dann rechtfertigen? Dann sollte euch wahrhaftig die Erdangehörigkeit für diesen Globus entzogen werden!« Also – die Überflügelung der USA ist nicht nur möglich, sie ist eine absolute Notwendigkeit und Pflicht. Andernfalls würde unsere chinesische Nation die anderen Nationen der Welt enttäuschen, und unser Beitrag für die Menschheit wäre nicht groß.“ (II, 38)

Der ökonomische Aufbau des Landes verschafft der Nation enorme Geltung in der Welt, der Sozialismus hat nichts Wichtigeres zu leisten als seine „Überlegenheit“ im Überholen der USA unter Beweis zu stellen; all diese nationalistischen Parolen besorgt man sich aus dem Maotsetung-Gedankengut („bereicherte außerordentlich die Schatzkammer der marxistisch-leninistischen Theorie“ – II, l), um die Massen mit ihrer Aufgabe vertraut zu machen, China für sein Auftreten in der Welt mit entsprechenden Mitteln auszustatten.

„Wer von uns Chinesen, der diese Worte des Vorsitzenden Mao liest, könnte ungerührt bleiben! Welcher Chinese fühlt sich nicht von ihnen angespornt!“ (a.a.O.)

Die Berechnung, die dieser wie allen rhetorischen Fragen zugrunde liegt, geht auf die Begeisterung der Massen für die Partei, die sich in der Vergangenheit deswegen eingestellt hatte, weil die geringen Fortschritte der chinesischen Ökonomie von enormer Bedeutung für die Chinesen waren: die Beseitigung von Hunger und Krankheit ist eine Leistung, die durch die von der Partei organisierten Formen der Kooperation vollbracht wurde, und für diesen Fortschritt sollen die Chinesen auch weiterhin ihrer politischen Führung vertrauen – auch wenn ihr Opfermut und ihre Arbeit nun für Ziele in Anspruch genommen werden, die nicht mehr mit ihren materiellen Sorgen zusammenfallen. Die implizit propagierte Kritik an der bisherigen ökonomischen Linie bemißt sich keineswegs an deren zweifelhaftem Nutzen für die Massen, sondern mißt ihre Leistungsfähigkeit an den politischen Ambitionen der Partei. Eine von Naturkatastrophen immer wieder betroffene Landwirtschaft – in den vergangenen Jahren war China immer wieder dazu gezwungen, Getreide zu importieren, um die Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten – und eine trotz schöpferischer Anwendung des Roten Buches stagnierende Industrie liefern nicht das Mehrprodukt, mit dem ein „großer sozialistischer Staat“ seine Stellung in der Welt erobern möchte.

Nicht nur die chinesische Bündnispolitik der „3. Welt“ gegenüber leidet an der kärglich bemessenen Entwicklungshilfe – auch der großzügige Export blauer Ameisen schneidet im Vergleich mit Krediten, Technologie und know-how, die andere Staaten zu bieten haben, schlecht ab – die Produktion von Erdsatelliten und Atombomben, mit der man den Führungsanspruch der „Supermächte“ untergraben möchte, ist eine kostspielige Angelegenheit. Nicht umsonst führt das Parteiprogramm unter den vordringlichen Zielen neuerdings die „Vorbereitung auf einen Kriegsfall“ auf, um die Chinesen nachdrücklich an ihre Aufgabe zu erinnern, ihrem Staat zu mehr Reichtum für die Entwicklung und Produktion so nützlicher Güter wie Panzer, Raketen und U-Boote zu verhelfen.

Daß die chinesische Ökonomie keine solide Grundlage mit ständig wachsenden Mehrerträgen für einen Staat darstellt, der auf der Weltbühne seinen Großmachtambitionen entsprechend agieren möchte, ist der Grund für die neuerliche Wendung in der ökonomischen Politik: den Massen wird der Auftrag erteilt, in allen Bereichen eine beschleunigte Entwicklung der Produktivkräfte durchzuführen. Die 3 Bewegungen und 4 Modernisierungen stehen an.

„Die neue Etappe verlangt, daß wir unentwegt dem sozialistischen Weg folgen, die drei großen revolutionären Bewegungen, Klassenkampf, Produktionskampf und wissenschaftliches Experimentieren gleichzeitig durchführen und das grandiose Ziel der vier Modernisierungen, Modernisierung der Landwirtschaft, der Industrie, der Landesverteidigung, der Wissenschaft und Technik erreichen müssen.“ (PR 20/8)

„Unter Anspannung aller Kräfte, immer vorwärtsstrebend, »mehr, schneller, besser und wirtschaftlicher« den Sozialismus aufbauen!“ (I, 101)


„Jetzt wäre Stabilität am Platz“ (Mao) – Abrechnung mit der Kulturrevolution

Ein Volk, das viel leisten muß, ohne sich viel leisten zu sollen, braucht eine Ordnung. Politische Streitereien über die Berechtigung von Entscheidungen, womöglich direkt am Arbeitsplatz vom Zaun gebrochen, sind in China nach der Kulturrevolution nicht mehr gefragt und überhaupt sind derlei Praktiken nur durch die subversiven ideologischen Manöver der Viererbande unter die Leute gekommen:

„Die »Viererbande«, die ultra »links« auftrat, verwirrte das Denken der Menschen, indem sie den Unsinn verbreitete, daß der Klassenkampf alles andere ersetzen könne.“ (PR 17/4)

Deshalb besteht der Klassenkampf heute darin, „den Kampf gegen die Viererbande zu Ende zu führen“ (PR 17/5), da der verderbliche Einfluß der Vier vor allem in „Störung und Sabotage der Produktion“ bestand, findet der Klassenkampf gegen die Viererbande vornehmlich als Behebung der Unordnung in der Produktion statt, um „Stabilität und Einheit zu verwirklichen und im ganzen Land eine große Ordnung herzustellen.“ (1/60). Vorsitzender Mao hatte dies auch schon zu Beginn der Kulturrevolution dialektisch gesehen: „große Unordnung im ganzen Land führt zu großer Ordnung“. Und weil auch immer schon das Prinzip galt, „die Revolution anpacken, die Produktion fördern“, kostet die interpretatorische Verwandlung des Klassenkampfs in den Produktionskampf keine große Mühe.

Wenn „die elf Jahre andauernde erste Große Proletarische Kulturrevolution ihr siegreiches Ende“ ausgerechnet „mit der Zerschlagung der Viererbande“, also vier ihrer maßgeblichen Anführer, findet (I, 61), und die Devise für die jetzige Etappe – „ was wir brauchen, ist weniger leeres Gerede und mehr harte Arbeit“ (Teng I, 219) – keine allzu große Achtung vor den Leistungen der Kulturrevolution erkennen läßt, so ist dies nicht verwunderlich. In ihrem „siegreichen Ende“ offenbart sich der Charakter der moralischen Aufrüstung, den kulturelle Revolutionen so an sich haben und auf den es allein ankommt. Die Partei befreit die Produktion von den lästigen Störungen, die ihr aus der aberwitzigen Praktizierung einer im übrigen durchaus noch brauchbaren Ideologie erwachsen sind. In den Tagen der Kulturrevolution war die politische Begeisterung auch gefragt, wenn sie sich nicht unmittelbar in Leistung niederschlug; „die Revolution anpacken, die Produktion fördern“ bedeutete da noch folgendes:

„Die politische Arbeit ist der Lebensnerv jeder wirtschaftlichen Tätigkeit ... Wie kann man die sozialistische ökonomische Basis weiter konsolidieren und die sozialistischen Produktivkräfte weiterentwickeln, wenn man die Revolution im Bereich des Überbaus nicht durchführt, die breiten Massen der Arbeiter und Bauern nicht mobilisiert, die revisionistische Linie nicht verurteilt, die Handvoll von Renegaten, Geheimagenten, den kapitalistischen Weg gehenden Machthaber und Konterrevolutionäre nicht entlarvt und die Führung durch das Proletariat nicht festigt?“ (IV, 2)

Weil „ein vielgleisiger Verwaltungsapparat, der sich von den Massen loslöst, eine scholastische Arbeitsweise, welche die revolutionäre Initiative der Massen niederhält und fesselt, ... die sozialistische ökonomische Basis unterminiert“ (IV/54), galt es „das Banner der revolutionären Kritik und Verurteilung durch die Massen“ hochzuhalten und in den Revolutionskomitees in den Fabriken „das lebendige Studium der Maotsetungideen an die erste Stelle aller Arbeit zu setzen,“ (IV, 50-52)

Mit einer von der Partei ins Leben gerufenen Massenbewegung, Veranstaltungen wie gemeinsames Rezitieren von Mao-Sprüchen unter heftigem Schwenken des roten Büchleins und Entlarvungskampagnen gegen Parteifunktionäre und Betriebsleiter, wurde eine Politisierung der Arbeiter und Bauern in Gang gebracht, die, angeleitet von den Maotsetungideen den Kampf gegen die „schwarze Linie“ (Liu und später Lin Biao) und andererseits gegen die „vier Alten“, die aus der feudalen Vorgeschichte überkommenen Ideologien führen sollten. Die Kulturrevolution appellierte an das Vertrauen der Chinesen in die Partei, an den im Volk vorhandenen Enthusiasmus für die Person Mao Tse-tungs, die Inkarnation all der realen Verbesserungen der Lebensverhältnisse, die unter Anleitung der Partei erreicht worden waren, um die Ideologie von der Kraft des Volkes, die Berge versetzt, die im roten Buch konzentrierten moralischen Devisen, als Mittel zur Überwindung der ökonomischen Probleme zu verbreiten. Die Kampagnen, die die „Tugenden des chinesischen Volkes“, Einfachheit, Bescheidenheit, Schöpferkraft und Einsatzfreude ohne jede „kapitalistische“ Berechnung von Seiten des Individuums verherrlichten, wandten sich sowohl gegen das selbstzufriedene Sich-Einrichten in den erreichten Verhältnissen wie gegen die Einführung der „kapitalistischen Methode“ der materiellen Anreize, die man als Abirrung vom Vertrauen in die revolutionäre Masseninitiative verdammte. Der Erfolg war eine rege Beteiligung der Massen, die zwecks Führung des ideologischen Kampfes auch einmal die Produktion stillstehen ließen, die, aufgerufen zur Kritik an den „den kapitalistischen Weg gehenden Machthabern“, bei Parteifunktionären und Betriebsleitern mancherlei Anzeichen für das Beschreiten des kapitalistischen Wegs entdeckten und der Massenkritik unterzogen, ihre Arbeit liegen ließen, um in die Städte zu reisen und dort Aufmärsche und Masssenkundgebungen zu veranstalten.

Die desorganisierende Wirkung einer Politisierung, die jeden Handgriff begleitet und durchaus auf Kosten der Produktion geht, veranlaßt nun die Partei, die Massen zurückzupfeifen. Das Prinzip der Kulturrevolution, durch eine massenhafte Politisierung sich der Einstellung des chinesischen Volks als der Produktivkraft zu versichern, wird darin angegriffen, daß sich das „leere Gerede“ ökonomisch nicht ausgezahlt, sich auf Kosten der ökonomischen Ziele entwickelt hat, weshalb die Funktionalität dieser Einstellung durch ihre Trennung von der Pflichterfüllung hergestellt werden soll.

Die Dummheit der Parolen, mit der die Partei die Massen auf Vordermann bringt, läßt das Maß ahnen, in dem ihr Idealismus künftig gefordert werden soll.


 „… man muß auch die materiellen Interessen der Massen berücksichtigen“

Und diese Strategie nennt sich „Verbindung von moralischem und materiellem Ansporn“ (PR 16/6), wobei das Gelungene an dieser Verbindung in der Trennung der beiden Elemente besteht. Der Aufruf, das „leere Gerede“ durch „mehr harte Arbeit“ zu ersetzen, appelliert an den Enthusiasmus. Wie sich das für Massen so gehört, sollen sie schaffen, und zwar möglichst viel. Ihre Teilnahme an der Politik findet in Zukunft in der Fabrik und auf den Äckern statt und die Verkündung und Feier der ideologischen Prinzipien wird ihnen von Berufenen abgenommen und als Freizeitprogramm serviert.

Nach wie vor laufen die Kampagnen „Lernen von Datjing“ und „Lernen von Dadschai“, die für Industrie und Landwirtschaft gleichermaßen die moralisierenden Prinzipien der selbstlosen Arbeit für den Staat herbeten:

„Es genügt nicht, nur darauf bedacht zu sein, sich selbst satt zu essen, sondern wir müssen an ganz China und an die Völker der ganzen Welt denken ... Wir müssen die Ansichten von Feiglingen und Faulenzern, die Strapazen und Mühen fürchten, entschieden kritisieren. Manche Leute denken nur daran, wie sie ihr Leben angenehmer gestalten können ... Härte und Mühe zu fürchten, das gehört nicht zu den Eigenschaften der armen Bauern und unteren Mittelbauern. Genußsucht und Faulenzerei sind den Ausbeuterklassen eigen. Eben weil wir die falsche Weltanschauung, bekämpften, wurden bei Kadern und Massen der große Arbeitselan erhalten. Je mehr wir arbeiten, desto grösser werden unsere Lust, unser Mut und unsere Fähigkeit bei der Arbeit.“ (V, 47-48)

Gleichzeitig aber dokumentiert die Partei ihr Mißtrauen gegenüber der Wirkung solcher Moralisierungskampagnen durch die Reinstallierung des Systems „materieller Anreize“ – eben weil ihr die ökonomischen Resultate dieser Form der Mobilisierung nicht reichen, weil sie den Idealismus der Massen benützen will, um effizienter zu produzieren, bemerkt sie die Grenzen dieses „Ansporns“ und ergänzt bzw. korrigiert dessen Leistung durch den anderen, den „materiellen“. Daß es bei der nach dem Prinzip „höherer Verdienst für höhere Leistung und geringerer Verdienst für geringere Leistung“ vollzogenen Änderung nicht um den Verdienst, um die materielle Besserstellung der Arbeitenden, sondern um deren Leistung geht, die gesteigert werden soll, wird mit aller Deutlichkeit ausgesprochen:

„Würden alle gleich entlohnt, ungeachtet dessen, ob sie mehr oder weniger leisten, gut oder schlecht arbeiten und ob sie überhaupt arbeiten oder nicht, so würde das den Enthusiasmus der Massen dämpfen.“ (PR 31/6)

Auf den an den Massen unentwegt gelobten Enthusiasmus allein will man sich also nicht verlassen, so daß leistungsfordernde Mittel materieller Natur die seltsame Funktion erhalten, die Massen zur Betätigung ihres ureigensten Drangs anzustacheln. Wo materielle Anreize zur Unterstützung der Moral eingesetzt werden, besteht von vornherein kein Zweifel daran, wie die materiellen Interessen der Arbeiter und Bauern berücksichtigt werden: aus ihrer Armut und Bescheidenheit wird ein Geschäft.


„Gleichmacherei würde den Enthusiasmus der Massen dämpfen“

Wenn die Arbeiter einer Pekinger Aluminiumfabrik, die als Beispiel für die erfolgreiche Anwendung des Prämiensystems angeführt wird, einen Normallohn erhalten, der solche normalen Aufwendungen wie Friseur und Fahrtkosten nicht einschließt, so daß die Arbeiter ein Anrecht auf zusätzliche Zuschüsse haben; wenn also der Normallohn die Reproduktionsnotwendigkeiten kaum oder nur knapp deckt, dann ist das Angebot von ein paar Yuan mehr als Prämie eine Erpressung, die mit dem kärglich bemessenen Normallohn kalkuliert und die Hoffnung auf ein paar Erleichterungen in der Reproduktion – von zusätzlichen Genüssen läßt sich schwerlich sprechen – ausnützt, um die Produzenten zu einer gesteigerten Verausgabung ihrer Arbeitskraft zu bewegen. Die „Viererbande“, die das Prämienwesen als kapitalistische Einrichtung ablehnte – gemeint ist auch hier wieder die Kulturrevolution selbst, die die von Liu und Lin Biao empfohlenen Lohnsysteme als Weg zum Kapitalismus verdammten –, wird anschaulich widerlegt, daß auf Grundlage dieses Lohnsystems keine Kapitalisten entstehen können, weil dabei sowieso niemand reich wird. Womit auch das Prinzip der Entlohnung selbst ausgesprochen ist, das die Armut der Produzenten zum Stimulans der Leistungssteigerung machen will:

„Unter diesem Prinzip kann man seinen Lebensunterhalt bzw. sein Geld nur durch seine eigene Arbeit verdienen. Das heißt, niemand kann ein Ausbeuter werden, der sich die Arbeitsfrüchte anderer unentgeltlich aneignet. Wird dieses Prinzip tatsächlich durchgeführt, können die Werktätigen sehr gut feststellen, daß die Früchte der gesellschaftlichen Arbeit mit ihren eigenen Interessen sehr eng verknüpft sind und daß jeder Verlust auf sie selbst zurückschlägt (!).“ (PR 31/11)

Zweck der Entlohnung ist also auch alles andere als die Verteilung nach der Leistung – die Kritik am Prämienwesen vor der Kulturrevolution,

„so war es möglich, daß manche Arbeiter Prämien bekamen, die ihre Reallöhne überstiegen... und eine kleine Anzahl von Arbeitern schaute nur noch auf die Prämien“ (PR 16/8),

erwähnt mit keinem Wort die Leistung dieser Arbeiter. Kritikabel ist die Tatsache, daß man ihnen zu viel hat zahlen müssen und die Arbeiter sich offensichtlich daran gewöhnt hatten, die vorgebliche Entsprechung zu ihren Gunsten auszunutzen. Gegenüber solchen Auswüchsen wird nun energisch darauf hingewiesen, daß das Verhältnis von Lohn und Leistung nicht das Verhältnis dieser beiden Größen ist, nicht darin besteht, daß die Produzenten nach den notwendigen Abzügen den Gegenwert dessen erhalten, was sie an Arbeit geliefert haben, sondern daß Lohnerhöhungen sich an etwas ganz anderem bemessen: an der Kalkulation des Staates, mit welcher Lohnsteigerung ein Optimum an Leistung aus den Arbeitern herausgeholt werden kann. Deshalb darf sie weder zu groß noch zu klein sein:

„Bei der Verteilung müssen wir einerseits allzu große Unterschiede vermeiden, andererseits aber Gleichmacherei bekämpfen ...“ (PR 31/6)

„Gleichmacherei“, d.h. geringe Lohndifferenzen, „würde den Enthusiasmus der Massen dämpfen“ (a.a.O.),

d.h. mehr Einsatz nicht lohnend erscheinen lassen; zu großzügig bemessene Steigerungen wiederum würden dem ausschließlich an gesteigerten Erträgen interessierten Abnehmer zu viel Kosten, Abzüge von dem Reichtum verursachen, über den er verfügen möchte.

Die Leistungsgerechtigkeit ist fingiert – auch in China sind die staatlichen Ziele inzwischen so beschaffen, daß auch das Übersoll zum Soll gehört –, sie „verkörpert die Verbindung der Interessen des Staates, des Kollektivs und des Einzelnen“, die so aussieht, daß das Interesse des Einzelnen zum Hebel des nationalen Reichtums wird, weil es auf der Strecke bleibt:

„Höherer Verdienst für höhere Leistung bedeutet daher in erster Linie (!) höheres Einkommen für Staat und Kollektiv und sodann auch (!) für die Werktätigen wobei Staat und Kollektiv Priorität genießen. Dieses Prinzip verbindet ... die Interessen dieser drei Seiten eng und organisch miteinander.“ (PR 31/13)

Weil das Organische dieser Verbindung darin besteht, die Bedürftigkeit der einen Seite als Mittel für die Mehrung des Reichtums der anderen Seite zu behandeln, was die Erhaltung dieser Bedürftigkeit einschließt, bleibt auch die klassische staatssozialistische Lüge nicht aus, daß die jetzigen Entbehrungen nichts anderes als die Garantie zukünftiger Genüsse darstellen:

„Das Prinzip der Verteilung nach der Leistung ist ein praktischer Ausdruck dafür, daß die Produktivkräfte und der materielle Reichtum der sozialistischen Gesellschaft noch schwach entwickelt sind. Doch die Praktizierung dieses Prinzips kann selbst zur Entwicklung der Produktivkräfte beitragen (!) und die materielle Grundlage für die künftige kommunistische Gesellschaft legen.“

Nur (!) durch die Verteilung nach der Leistung kann die Verteilung nach den Bedürfnissen erreicht werden.“ (PR 31/14) 

Wer Reichtum dadurch vermehren will, daß er seine Inanspruchnahme seitens der Produzenten möglichst knapp bemißt, beabsichtigt auch in Zukunft nicht, ihn den Massen zugute kommen zu lassen: 1. besteht das Mittel zur Steigerung des Reichtums nicht in der Beschränkung der Konsumtion, sondern der Entwicklung der Produktivkräfte und 2. ist eine Betrachtungsweise, der die Befriedigung der Bedürfnisse als Abzug vom Reichtum erscheint, unabhängig davon, wieviel objektiv vorhanden ist, weil es ihr auf eine andere Verwendung desselben ankommt.


„Eine kommunistische Arbeitshaltung fördern“

Der materielle Ansporn richtet sich auf die Bedürfnisse der Leute, die arbeiten; er rechnet mit ihrem Materialismus, ohne ihm zu entsprechen – und deshalb macht er den moralischen Ansporn alles andere als überflüssig. Aus dem Schatzkästlein revisionistischer Morallehre, aus dem die Chinesen schon jahrzehntelang übersetzen, entnimmt Vorsitzender Hua seine Klarstellung –

„Die Menschen müssen zu einer kommunistischen Einstellung zur Arbeit erzogen und angehalten werden, dem Volk von ganzem Herzen zu dienen“ –

und auch Vorsitzender Mao bestand darauf, daß wir

„eine kommunistische Arbeitshaltung fördern, bei der die Lohntüte nicht der entscheidende Faktor ist, so daß wir von ganzem Herzen dem Volke dienen können.“ (PR 31/15)

Wie man sieht, werden die Kommunisten auch nicht zahlreicher – Leute, die der unmaßgeblichen Auffassung sind, daß, solange es Lohntüten gibt, diese für Arbeiter der entscheidende Faktor sind, gehen der chinesischen Parteidoktrin zufolge sogar den „kapitalistischen Weg“, was umgekehrt den Propagandisten des neuen großen Sprungs, denen es durchaus auf viel Leistung und wenig Lohn ankommt, nicht vorzuwerfen ist. Ihre Praxis und Ideologie stammt nicht aus dem Arsenal der freien Marktwirtschaft, wo die Form des Arbeitslohns samt der dazugehörigen Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sowie in der Fabrik schon dafür sorgen, daß die Lohntüte nicht zu dick wird und die Ruinierung der Leute in den Fabriken Hand in Hand mit der Akkumulation des Kapitals geht. Es sind die Praktiken des Staatssozialismus, die hier im Vertrauen auf die Massen, die dem Volke dienen möchten, kopiert werden. Da sorgt der Staat und die Vorhut der Arbeiterklasse nicht dafür, daß in der Welt der Arbeit alles den Gesetzen der Konkurrenz, also denen des Kapitals gehorcht, sondern die Organisation der Produktion wird von ihnen bestimmt. Und wenn diese Instanzen die herrliche Kombination von materiellen und moralischen Anreizen propagieren, so ist das keine bloße Agitation, die den Massen ihre Opfer auf schwätzen will. Da werden die Bedingungen beschlossen, unter denen sie zu arbeiten und zu leben haben. Auch die Kampagne zur „Essensfrage“, die selbstverständlich ebenfalls unter die Rubrik „um das Wohl der Massen kümmern“ fällt, ist keineswegs mit dem „gesünder leben“ hierzulande zu verwechseln. Die Partei hat bemerkt, daß bei den Massen ein tiefer Wunsch danach entstanden ist

„die Nahrungsmittelproduktion zu mechanisieren und zu automatisieren und die diesbezügliche Dienstleistungsindustrie zu modernisieren, um die Massen von der Hausarbeit zu befreien.“

Der Haken an dieser Befreiung besteht nur darin, daß sie einen Angriff auf die traditionellen Vorlieben der Chinesen vorsieht –

„Das Problem, daß manche Leute nicht an Brot gewöhnt seien, meinten die Korrespondenten, könne dadurch gelöst werden, daß die Brotfabriken einerseits eine neue Methode zur Herstellung von Mantou studieren sollten und andererseits die Eßgewohnheiten sich allmählich ändern würden.“ –

und keineswegs auf die Erleichterung, sondern auf die Funktionalisierung freier Zeit gerichtet ist. So rationell die Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion als Vorhaben anzuerkennen ist, so deutlich lauert hinter der betreffenden Ankündigung die Berechnung derer, die aus China einen starken sozialistischen Staat machen wollen: bei der Essensfrage fallen ihnen die 300.000 t Soda ein, die jährlich für die Herstellung von Mantou bewilligt werden, und die Aussicht, daß es den Massen möglich wird,

„sich voll und ganz auf die Produktion, die Arbeit und die wissenschaftliche Forschung zu konzentrieren und so die sozialistische Modernisierung unseres Landes zu beschleunigen.“

Offenbar bedingt das neue große Ziel eine Sichtweise, die jede Lebensregung der geliebten Massen im Hinblick auf ihre Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft beurteilt.


„Frühling für die Wissenschaft“

„Der Schlüssel für die 4 Modernisierungen liegt in der Modernisierung von Wissenschaft und Technik“. (PR 14, 6)

Im Zuge des geplanten ökonomischen Aufschwungs setzt man sich nunmehr energisch über die früheren Vorbehalte gegenüber der Wissenschaft hinweg. Die alte, mit der Schöpferkraft der Massen legitimierte Wissenschaftsfeindlichkeit, die gegen die Buchgläubigkeit die Erfahrungen der Massen empfahl und dem chinesischen Volk mit dem gefürchteten Gegensatz von Wissenschaft und Arbeiterklasse auch 1 die Entwicklung der Produktivkräfte ersparte, hat abgedankt. Nicht mehr die Massen haben recht – als Erzogene ernten sie das Lob der Partei:

„Die Jugendlichen mit Schulbildung gleichen der Sonne um acht oder neun Uhr morgens und besitzen zudem eine Bildung.“ (Hua 1, 124)

Und damit China auch gründlich in den Genuß seiner aufgehenden Sonnen kommt, wird in den Lehrplänen der bislang überwiegende und nunmehr als unzweckmäßig erachtete ideologische Teil zusammengestrichen und auch die Verschickung aufs Land, mit denen sich angehende Studenten zuvörderst von den Massen belehren und auf ihre Tauglichkeit hin prüfen lassen mußten, spart man sich jetzt.

„Die Kritik an der Bourgeoisie gehört natürlich zur politischen und ideologischen Erziehung, und dies gilt zum Teil auch für den Erwerb von Elementarkenntnissen in Industrie, Landwirtschaft und Militärwesen. Dennoch sagte der Vorsitzende Mao klar und deutlich, daß es die Hauptaufgabe der Schüler und Studenten sei, zu studieren, sich Buchwissen anzueignen, d.h. Wissenschaft und Bildung.“ (Teng vor der Nationalen Konferenz über Erziehungsarbeit, PR 18, 7)

Der Rehabilitierung von Bildung und Wissenschaft liegt allerdings keineswegs die Absicht zugrunde, sich dieser solidesten Form des Reichtums, mit der verbunden die Beschränkung der Produktivkräfte Kooperation und Arbeitsteilung überwunden wird, in Gestalt einer umfassenden Bildung der Massen zu versichern: die Entwicklung der Fähigkeiten der Produzenten ist nur bedingt Zweck – den nach wie vor in erster Linie arbeitsbeflissenen Massen soll eine wissenschaftlich trainierte Spezialisten-Schicht zur Seite gestellt werden.

Tengs Lob der Prüfungen, die er offen als Mittel der Selektion bezeichnet –

„Prüfungen sind eine richtige Methode zur Überprüfung der Lern- und Unterrichtsergebnisse. Sie sind genauso notwendig wie die Qualitätskontrolle der Produkte in der Fabrik“ (PR 18, 8) –

verrät mit dem Vergleich auch schon die Absicht der Überprüfung: der Ausschuß soll ermittelt werden – wer nicht zur Fachkraft taugt, wird aussortiert, was mit der albernen Lüge von den Unterschieden der Menschennatur gerechtfertigt wird, auf die dasselbe Bildungswesen, das die Unterschiede in der Bildung produziert, nun leider einmal gezwungenermaßen Rücksicht zu nehmen hat:

„Deshalb müssen wir ... auch die Unterschiede in der Begabung und in den Charaktereigenschaften anerkennen (!), die bei jedem einzelnen im Laufe seiner Entwicklung zutage treten. Wir müssen (!) die einzelnen Menschen demgemäß unterschiedlich behandeln und jedem aufgrund seiner besonderen Umstände optimal ermöglichen, dem allgemeinen Ziel, dem Sozialismus und Kommunismus, entgegenzuschreiten.“ (PR 18, 9)

Mit der Entdeckung der abgeschmackten Ideologie bürgerlicher Bildungspolitiker, daß der eine zum (zweimal gestürzten und rehabilitierten) stellvertretenden Ministerpräsidenten, der andere zum Kombattanten im ,,Produktionskampf“ geboren ist, wird die Umstellung des Bildungswesens zu der Selektionsinstanz vollzogen, die die Scheidung der Massen in Massen und Fachleute hervorbringen soll. Jedem wird „aufgrund seiner besonderen Umstände optimal ermöglicht“, zu was man ihn staatlicherseits zu benutzen gedenkt. Der Ausschluß der „Zurückgebliebenen“ erhält das Heer der ungebildeten, dafür um so emsigeren Massen, während sich der Staat mit der Förderung der „Fortgeschrittenen“ eine Schicht von Intellektuellen und Technikern heranzieht, die den Arbeitswillen der ersteren zu dem anhalten, –  wozu er da ist. Die Kombination von Spezialisten und blöden, eifrigen Massen ist die Methode, mit der man neuerdings die Segnungen der Wissenschaft der Produktion zuteil werden lassen will, weshalb man auch auf eine säuberliche Unterscheidung der beiden Arten Mensch achtet.

Die Massen werden mit der Einführung von Aufnahmeprüfungen von ihrer alten Aufgabe entlastet, bei der Auswahl der Studenten mit ihrem Urteil über deren Volksfreundlichkeit mitzuwirken – umgekehrt verspricht man der neu zu schaffenden Intellektuellenschicht einige ihrem Stand angemessene Vorteile gegenüber dem einfachen Volk.

Neben der nachträglichen Ehrenrettung gegenüber den Vorwürfen der Viererbande, die Intellektuellen seien nicht die „stinkende Nummer neun“ (I, 111), werden ihnen Titel, Respekt und andere handfestere Privilegien zugesagt, was Teng mit der notwendigen „Überprüfung der Gehaltsskala“ (PR 18/12) andeutet. Die Ankündigung,

„um den Sozialismus aufzubauen, muß die Arbeiterklasse ihr eigenes Kontingent an technischen Kadern, Professoren, Lehrern, Wissenschaftlern ... besitzen“. (Hua I, 110),

verheißt der Arbeiterklasse den Besitz von Wissenschaft als einen von ihr getrennten Berufsstand, dessen Anweisungen sie sich, selbst unberührt von wissenschaftlicher Bildung, zu unterwerfen hat.


„Eine neue Politik der Unabhängigkeit und Selbständigkeit“

Die Partei, die sich dergestalt weigert, die Produzenten so auszubilden, daß sie die technologische Fortentwicklung der gesamten Produktion selbst in die Hand nehmen können, mag sich jedoch auch auf den von ihren Spezialisten zu bewirkenden Fortschritt nicht verlassen: er läßt zu lange auf sich warten, so daß man dazu übergeht, sich die Produktivkräfte in Gestalt fertiger Industrieanlagen direkt im Ausland einzukaufen. Während das Ideal der Unabhängigkeit, das früher den Außenhandel mit der Weigerung, anders als bar zu zahlen, streng limitierte, eine Ahnung davon verriet, daß die ökonomische Abhängigkeit von anderen Nationen der Entwicklung der eigenen Ökonomie gefährlich werden kann, soll jetzt das gleiche Ideal, da die eigene Armut der angestrebten Unabhängigkeit beständig in die Quere kam, auf die umgekehrte Weise verwirklicht werden.

Minister Li Tjiang erklärt, daß ein Außenhandelspolitik, die die chinesische Produktion gründlich von den ausländischen Handelspartnern und deren Interessen abhängig macht, der einzige Weg sei, ihre autonome Entwicklung zu fördern:

„Entsprechend dem Bedarf unseres sozialistischen Aufbaus haben wir in den letzten Jahren planmäßig und selektiv einige komplette Anlagen und technisches Know-How für Kunstdünger« Kunstfasern, Walzstahl und Kraftwerke importiert« Dies trug zur beschleunigten Entwicklung der chinesischen Industrie und Landwirtschaft bei und stärkte das Vertrauen in die eigene Kraft … Unsere Politik des nationalen Aufbaus ist eine Politik der Unabhängigkeit und Selbständigkeit ... Das heißt, nur bei gleichzeitiger Ausdehnung unserer Exporte können wir unsere Importe erweitern.“ (PR 26, 17)

Daß dem sozialistischen Aufbau damit gedient sein soll, wenn man sich an einigen Punkten des Landes moderne Technologie hinstellen läßt, während gleichzeitig sowohl auf eine gebildete Arbeiterschaft verzichtet wird, wie auf eine Planung der Industrie, die statt an den Bedürfnissen der technischen Entwicklung am Interesse des Staates, möglichst viel Gewinn zu kassieren, ausgerichtet wird, ist mehr als zweifelhaft, überdies aber wird die Produktion damit den Verpflichtungen unterworfen, die der Handel mit kapitalistischen Partnern so mit sich bringt. Die Meldungen über Handelsverträge, die das neue China abschließt, überstürzen sich seit neuestem und lassen gleichzeitig die Zwangsläufigkeit erkennen, der die chinesische Ökonomie damit ausgeliefert wird. Auf das Handelsabkommen mit Japan, in dem man Fabrikanlagen, moderne Technologie, Transportmittel und Baumaterialien mit Kohle und Rohöllieferungen bezahlt, folgte ein weiteres Abkommen mit der BRD, das komplette Ausstattungen für den Kohlebergbau, eine Fabrik für Bergwerksausrüstung wiederum mit Rohstofflieferungen entgelten will. Sehr interessiert ist man auch am Reaktorkauf in der BRD und zwar ausgerechnet an dem in Biblis verwandten Typ. Der staatsbesuchende Forschungsminister hat auch Kalkar besichtigt und dies keineswegs, um einem Schlachtfeld seiner deutschen Maoisten Reverenz zu erweisen.

Nicht nur, daß für den eigenen Aufbau dringend benötigte Rohstoffe damit aus der Hand gegeben werden; daß man sogar die Mittel zur Förderung dieser Rohstoffe auch im Ausland zu kaufen gezwungen ist, demonstriert die Zwänge, die man sich mit solchen Abkommen und den daraus folgenden Zahlungsverpflichtungen einhandelt. Die triumphierenden Meldungen der westlichen Zeitungen, daß unter Huas Regentschaft China endlich zur Vernunft gekommen sei und künftig als ein rational agierender Partner in die eigene Geschäftspolitik miteinbezogen werden könne, kalkulieren mit der unausweichlichen Verschuldung, die ein bislang dem Kapital verschlossenes Land dazu zwingen wird, sich allen Wünschen seiner neuen Partner gefügig zu machen.

Japan, das sich mit China überhaupt das Hinterland eröffnet hat, mit dem sich die im Welthandel von den anderen imperialistischen Nationen auferlegten Beschränkungen kompensieren lassen, hat auch bei der Erschließung anderer chinesischer Reichtümer fürs Kapital einen vorwärtsweisenden Schritt getan: man liefert eine fertige Textilfabrik, in der dann durch das enorm niedrige Lohnniveau sogar für Japan attraktive Arbeiter ihren chinesischen Arbeitselan an den Tag legen dürfen.

Daß auch der Renminbi nicht mehr „eine äußerst stabile Währung auf der Welt“ ist, weil sich die Verschuldung des chinesischen Staates schon in Preissteigerungen niederschlägt, läßt auch die übrige Bevölkerung mit der Einschränkung ihres Lebensstandards ihr Scherflein zur neuen Variante des „Vertrauens in die eigene Kraft“ beitragen.


Und die Partei hat doch Recht

Angesichts dieser gründlichen Umgestaltung der Basis ist es nur zu begreiflich, daß man sich in China um die Verfertigung eines politischen und ideologischen Überbaus bemüht, welcher der Basis entspricht. Nach der Weisheit, daß zwar Ideen nur das in den Kopf umgesetzte Materielle sind, ihrerseits aber wieder von nicht zu unterschätzender Bedeutung für das Materielle sind, ergeht an die Kulturschaffender einmal hundert Blumen blühen zu lassen.

Der Kampf gegen den „Kulturdespotismus“ der Vier, gegen die Funktionalisierung der Kunst während der Kulturrevolution heißt natürlich keineswegs, daß man auf die Kunst als moralische Anstalt verzichten möchte: während aber damals wie heute die Kulturschaffenden zur farbigen Ausgestaltung der Kampagnen gegen bestimmte Figuren neigten, werden sie nun dazu angehalten, ihre ganze Phantasie zur Bebilderung der Moral zur Verfügung zu stellen, die ein zur harten Arbeit aufgerufenes Volk bitter nötig hat. Obgleich eine moralisch in die Pflicht genommene Kunst die aktuelle Personalisierung nie loswerden dürfte, möchte man es schon etwas prinzipieller haben:

„Nach der Zerschlagung der Viererbande liefert das brodelnde Arbeiten für die Modernisierung den Schriftstellern und Künstlern eine Fülle von Themen und Stoffen.“ (PR 32/27)

Wesentlicher aber als ein den Produktionskampf in hundert Blüten schwarz-weiß widerspiegelndes Kulturleben ist die politische Klammer, die die Eintracht der Massen bei der endgültigen Durchsetzung des modernen chinesischen Staats zu garantieren hat.

Mit der Änderung des Parteistatuts hat der XI. Parteitag keinen Zweifel daran gelassen, wozu so eine Partei gut ist: sie dient als Vollzugsorgan zur Durchsetzung der staatlichen Ziele unter den Massen.

Die Änderungen sind natürlich keine Korrektur, sondern die getreulichste Befolgung der maoistischen Prinzipien, die es je gab. So wird das „Banner des Vorsitzenden Mao“ im Allgemeinen Programm verewigt, und zugleich gibt eine ausführliche Darlegung über die Dauer des Sozialismus – die von den klassischen revisionistischen Staaten bestens bekannte konservative Phasenlehre – zu verstehen, daß die neue Politik ab jetzt unumstößliche Gültigkeit besitzt, daß die Massen sich mit ihr und den „Unvollkommenheiten“ der Vorstufe Sozialismus auf Dauer einzurichten haben.

Mit 8 Anforderungen an die Mitglieder legt die Partei fürs erste fest, daß sie nicht mehr so sehr und hauptsächlich dem Volk zu dienen haben, sondern daß ihre Pflichten vor allem solche gegenüber der Partei sind. Es geht darum,

„die Einheit der Partei zu schützen und an keiner auf die Spaltung der Partei abzielenden Fraktionierung oder Tätigkeit teilzunehmen der Partei treu und ehrlich ergeben zu sein, die Parteidisziplin und die Gesetze des Staates streng einzuhalten und die Geheimnisse (!) der Partei und des Staates zu wahren, die ihnen von der Partei gestellten Aufgaben aktiv zu erfüllen und ... eine vorbildliche Vorhutrolle zu spielen.“ (I, 148)

Den China-Fans, die angesichts der deutlichen Sprache des neuen Statuts erschrecken, weil sie statt der bedingungslosen Einheit der Partei die bunte Vielfalt dekretiert sehen möchten, womöglich unter dem uralten Titel einer „Freiheit der Kritik“, wollen wir nicht vorenthalten, was am Verbot von Abweichungen faul ist. Wenn eine Partei getrennt von ihren Zielsetzungen auf Einheit pocht und Einwände unter die Rubrik „Spaltertum“ einreiht, dann ist es in ihr nicht üblich, Entscheidungen zu begründen; die Zielsetzungen, die es gibt, sind gültig aufgrund von Gewaltverhältnissen und ihre Befürworter vertrauen nicht auf die Kraft überzeugender Argumente, die den Mitgliedern ihren Einsatz für die praktizierte Politik zur Selbstverständlichkeit werden läßt und sie zur Kritik verpflichtet, sooft sie einen Fehler zu entdecken meinen. Die formelle Absicherung gegen Streitigkeiten rechnet geradezu mit Divergenzen, weil ihre Vertreter wissen, was sie gegen andere Mitglieder und die Menschheit außerhalb der Partei durchsetzen wollen. Wer dagegen die Parteiidylle eines pluralistischen Hin und Her setzt, hat freilich dasselbe Interesse an der Beseitigung von Fehlern, will er doch der „Abweichung“ prinzipiell seine Anerkennung zusprechen, was den simplen Schluß zuläßt, daß es ihm um die Behauptung seiner Position in einer Partei geht, die anderes treibt als das, was er für begründet hält. Mit der gewaltsamen Unterdrückung von Kritik will er gleich noch die Kritik selbst ad acta legen und die Koexistenz sich ausschliessender Ziele und Mittel gewährleistet sehen. Anders ausgedrückt: eine Partei mit praktiziertem Einheitsdekret vermeidet Spaltungen, weil das Parteileben sich als endlose Kette von Ausschlußverfahren abspielt, die in Urteil und Procedere dem Gerichtsverfahren nicht nur ähneln. Mehrheit wird identisch mit Gewalt, und an die Stelle des Bemühens, richtige Politik zu betreiben, von der man andere überzeugt, tritt die Anstrengung, das Sagen zu haben. Eine Partei mit praktiziertem Pluralismusdekret hingegen sollte sich auflösen, oder das tun, was ihr als Spiegelbild der Albernheit des „demokratischen Zentralismus“ zu Gesicht steht: dasselbe wie die anderen, die sie „Stalinisten“ nennen – intrigieren, auf Mehrheiten schielen, jeden, der anderer Meinung ist, mit „Genosse“ titulieren und ihn mitsamt seiner Position und seinen Interessen übergehen.

Daß das neue Statut das alte nur in einem verbessert – im Kodifizieren des Gehorsams nämlich –, zeigt sich in den „3 Ja und 3 Nein“, die dem Mitglied sagen, wo es lang geht:


„Den Marxismus und nicht den Revisionismus praktizieren“,

wobei wohl die Parteiführung dafür geradesteht, daß sie selbst das eine und die von ihr mißbilligte Position das andere ist. Es kommt schließlich darauf an, „sich zusammenzuschließen und nicht Spaltertätigkeit zu betreiben“, also sich von der Führung führen zu lassen und nichts in Frage zu stellen; jeder soll

„offen und ehrlich sein und sich nicht mit Verschwörungen und Ränken befassen“ (1, 183),

denn alles, was sich gegen die offizielle Linie stellt, ist unehrlich und so unerquickliche Linienkämpfe wie den mit der Viererbande will man künftig vermeiden. Was gegen die Linie gesagt wird, ist Verschwörung, schon nahe am Verbrechen. Man legt also durchaus keinen Wert darauf, eventuelle Kontroversen innerhalb der Partei durch einen Streit um das Richtige zu beheben. Statt „durch Klarheit zur Einheit“ gilt jetzt erst einmal die Einheit und alles, was sich sträubt, wird als Abweichlertum gebrandmarkt. Statt als politische Organisation, in der über Maßnahmen per Debatte entschieden wird, soll die Partei als Exekutivorgan des Staates funktionieren.

Mißtrauen gegenüber den Parteimitgliedern ist daher geboten:

„Von den über 35 Millionen Parteimitgliedern ist etwa die Hälfte seit der Großen Kulturrevolution, sind über 7 Millionen seit dem X. Parteitag aufgenommen worden ... Aber wir dürfen nicht außer acht lassen, daß unter den Parteimitgliedern noch das ernste Problem der Unreinheit in Ideologie, Organisation und Arbeitsstil existiert ...“ (I, 207)

Diejenigen, die wegen der während der Kulturrevolution praktizierten Prinzipien in die Partei eingetreten sind, könnten ja durchaus noch auf andere Weise dem Volk zu dienen wünschen; sie gelten deshalb als potentielle Parteifeinde. So hat man sich mit Disziplinkontrollkommissionen und einer verschärften Aufnahmeregelung das Instrumentarium geschaffen, um Säuberungen durchzuführen und in Zukunft die Partei von obstruktiven Elementen reinzuhalten.

In der Partei herrscht hinfort der demokratische Zentralismus und der Kampf zweier Linien, ehedem Prinzip, ist endgültig passé. Kritik an Beschlüssen und Weisungen der Parteiorganisationen darf geäußert (!) werden.

„aber das Mitglied muß entschlossen nach diesen Beschlüssen und Weisungen handeln.“ (I, 156)

Denn während früher Parteimitglieder und Massen „im Sinne des Klassenkampfes und des Kampfes zweier Linien“ (IV, 142) erzogen werden sollten, gilt es nun „die Massen zu führen und zusammenzuschließen“ (I, 160)

Nicht umsonst sind die „revolutionären Massen“ des alten Parteistatuts im neuen nur mehr Massen bzw. Nicht-Parteimitglieder. Das „ständig die Meinungen und Wünsche der Massen anhören“ hat deshalb auch nicht mehr den Zweck,

„einen aktiven ideologischen Kampf innerhalb der Partei (zu) entfalten, damit sich das Parteileben frisch und schwungvoll gestaltet“ (IV, 142).

Dieser Satz ist getilgt worden. Heute hält man dergleichen deshalb für unerläßlich, um „den höheren Parteiorganisationen wahrheitsgemäß darüber zu berichten“ (I, 161)

Statt auf der Suche nach der „korrekten Massenlinie“ die Partei dem ständigen Kampf zweier Linien zu überantworten, legt der demokratische Zentralismus die Rollenverteilung eindeutig fest. Erforschung der Massenwünsche, Bericht darüber nach oben und „Freiheit der Kritik“ garantieren der Partei die Kenntnisnahme von Mißstimmungen und Unzufriedenheit unter den Massen – um damit zweckmäßig verfahren zu können, d.h. die Massen zu dem anzuhalten, was ihnen bekanntlich am meisten liegt:

„Wenn wir die Demokratie voll und ganz entfalten, können wir die Initiative der Massen in und außerhalb der Partei zur Geltung bringen und die Volksmassen ... zusammenschließen. Wenn wir dies erreicht haben, können wir unsere Arbeit ständig verbessern ... und unsere Sache wird sich viel reibungsloser entwickeln.“ (I, 190)

Wenn also die Parteiorganisationen die Funktion erhalten, die Reibungen unter Kontrolle zu halten, ist hier wiederum die Führungsrolle der Partei unerläßliche Bedingung der Demokratie:

„Selbstverständlich wird die Demokratie ohne Anleitung durch den Zentralismus die korrekte Orientierung verlieren und auf Abwege geraten.“ (I, 191)

Schließlich führt die Partei nach Auskunft Maos nicht nur alles andere, sondern sicherheitshalber auch noch sich selber:

„In den sieben Bereichen – Industrie, Landwirtschaft, Handel, Kultur- und Bildungswesen, Armee, Regierung und Partei – leitet die Partei alles.“ (I, 179)

Die „Dialektik von Kader und Massen“ ist also eindeutig geklärt für die nächste Phase: die Kader dienen den Massen am besten, wenn die Massen auf sie hören; allerdings müssen sich auch die Kader anständig betragen. Dies ist, wie man der Peking Rundschau entnehmen kann, durchaus nicht immer der Fall.


Das Recht, den Tisch umzuwerfen

Funktionäre mit dem Auftrag, die Arbeiter- und Bauernmassen zum enthusiastischen Einsatz für Staat und Partei zu bewegen – zu einem Einsatz, der China groß und stark macht und zwar auf Kosten derer, die sich einsetzen dürfen –, entwickeln das menschliche Bedürfnis, ihre Aufgabe auf eigene Rechnung zu erfüllen; und so beweisen sie ganz nebenbei, daß die Menschennatur immer so schlecht ist, wie die Produktionsverhältnisse es erfordern. Dies wird natürlich im neuen Parteistatut energisch angegriffen: hier sind schlechte Menschen am Werk, die ihre der massenhaften Kritik entzogene Stellung dazu benützen, sich zu bereichern:

„Gegen die Verletzung von Gesetzen und Disziplin, gegen Unterschlagung und Verschwendung, gegen Bürokratismus und alle anderen ungesunden Tendenzen zu kämpfen“ (I, 161),

wird den Grundorganisationen aufgetragen und die Peking Rundschau verbreitet zur Hebung der Funktionärsmoral die Geschichte vom Kommunebauern Tschao: Angesichts eines privaten Banketts, das der Leiter der Produktionsgruppe mit Gruppengeldern veranstaltete, warf selbiger Bauer wutentbrannt eine Schnapsflasche zu Boden, worauf der Gruppenleiter sich an Tschaos Kochkessel verging. Das Parteikomitee faßte daraufhin den Beschluß, daß Tschao nicht nur einen neuen Kessel bekommen sollte, sondern daß in Zukunft

„Kommunemitgliedern, wenn Kader öffentliche Mittel für Bankette verschwenden, das Recht haben, sie zu kritisieren, ja sogar den Tisch umzuwerfen.“ (PR 17/31)

Da haben sie schon was in der Hand, die Chinesen, mit ihrem Recht aufs freie Tischeumwerfen, dem Mittel der Partei, den Volkszorn dann zum Tragen kommen zu lassen, wenn die Untugenden von Funktionären die Illusion von ihrem „Dienste am Volke“ ankratzen. (Der KBW will im Zusammenhang mit dem Skandal in der Hessischen Landesbank dieses Recht nun auch für die bundesdeutschen, vorerst aber noch unbewaffneten Volksmassen auf seinen Forderungskatalog setzen!)

Doch auch in größerem Maßstab werden Verfahren ersonnen bzw. der staatsozialistischen Tradition in Ural-Nähe abgeschaut, die alle zu erwartenden Unstimmigkeiten zwischen Partei und Volk so regeln, daß sie dem großen Plan nicht in die Quere kommen.

Die Peking Rundschau berichtet stolz von der Reaktivierung der Massenorganisationen, in denen Frauen, Jugendlichen und gewerkschaftlich organisierten Arbeitern in bewährter revisionistischer Manier beigebracht wird, daß ihren besonderen Anliegen als Frauen, Jugendlichen und Arbeitern nur und gerade dann entsprochen werden kann, wenn sie ihrerseits alles zum Aufbau Chinas beitragen, was natürlich einschließt, die besonderen Anliegen einmal zurückzustellen. Darüberhinaus wird die „Einheitsfront“ aus den Tagen Tschiang Kai-scheks wieder ins Leben gerufen: acht demokratische Parteien, die bislang in der Versenkung verschwunden waren, werden in allen Ehren zu einer „politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes“ geladen. Man (ge)bietet also Gruppen, die mit der politischen Linie der KP divergieren, die Möglichkeit der politischen Artikulation, um durch auffällige Akte der Solidarität dafür zu sorgen, daß die Führungsrolle der KP gesichert bleibt.

Daß es sich dabei nicht um eine Annäherung an die Demokratie, sondern wiederum um die Einführung eines bewährten Verfahrens der östlichen Volksdemokratien handelt, ist auch nur zu klar: mit der offiziellen Anerkennung von unzufriedenen Gruppierungen als Bündnispartner verschafft man sich die Möglichkeit, sie effektiver als durch offene Gegnerschaft auf die eigene Linie zu verpflichten. Der Appell und die Zugeständnisse an alle Formen des Nationalismus, der Einheit stiftet, funktionalisiert auch die Teile der Bevölkerung, die anderes vorhaben, für den starken sozialistischen Staat.


Ein neues Nationalchina

Die Verfasser des neuen Parteistatuts können sich zwar der überkommenen Harmonie zwischen Volk und Partei zunächst noch bedienen – aus ihrem eigenen Programm wissen sie jedoch, daß die Gründe für die Begeisterung der Massen künftig weniger werden. Differenzen und Gegensätze zeichnen sich bei diesem Rezept des ökonomischen Fortschritts genügend ab, so daß der Verzicht auf solide Gewaltmaßnahmen, die das Bild des realen Sozialismus im Ostblock verunzieren und dessen Anhängern so manches apologetische Kunststück abverlangen, nicht mehr aktuell ist: man weiß, wie wenig man ihn sich in den kommenden Jahren wird leisten können. Justiz und Polizei werden den Massen nicht mehr das Feld überlassen, wenn es Feinde des Volkes per Wandzeitungen zu entlarven und anschließend mit Papphut versehen durch die Welt zu schleppen gilt. Das Schreiben eines Dazibao dürfte sich vielmehr zu einem Denunziationsverfahren entwickeln, und was Urteil und Strafe betrifft, so setzt wohl der Kodex von Staat und Partei die Kriterien lässig fest. Und in die außenpolitischen Entscheidungen werden sich die Massen ohnehin nicht einmischen: einerseits haben sie anderes zu tun und sind deshalb heute längst nicht mehr so zahlreich als Fähnchen- und Lampionkulisse gefragt wie zu Maos Zeiten, wenn ein Staatsbesuch kommt; andererseits haben sie sich schon während der Amtszeit des „größten Marxisten-Leninisten unserer Zeit“ daran gewöhnt, daß ein Treffen zwischen Staatsmännern immer ein Akt der Begegnung und unverbrüchlichen Freundschaft zwischen den Völkern ist. So können sie in jedem Diktator auch künftig den Repräsentanten von Massen ausmachen, deren Probleme den ihren gleichen, und die Erschütterung über die Diplomatie neuen Typs beschränkt sich erst einmal auf die ML-Szene in der Welt. In ihr gibt es mittlerweile neben China-Fans auch China-Enttäuschte, die ebenso wenig zum Fortschritt des Kommunismus beitragen wie zuvor. Mit der Kurskorrektur im Reich der Mitte geht zwar das anschauliche Modell ihres volksdemokratischen Ideals verloren, nicht aber ihre Ideale selbst. Einige von ihnen suchen noch eine Zeitlang Zuflucht im Land der Skipetaren, weil Enver Hoxha noch keine Atomkraftwerke vom Typ „Biblis“ bestellt, andere haben vom M-L-Handwerk Abschied genommen, das einen so abhängig macht von den weltpolitischen Wechselfällen. Die Unerschütterlichen aber versuchen den Gegensatz zwischen ihrer „Stoßrichtung“ und dem, was die KPCh so vollbringt im Felde des proletarischen Internationalismus, zu erklären: als durchaus verständliche Divergenz, wenn man die unterschiedlichen Ausgangspunkte berücksichtigt, aus denen die Interessen Chinas und die eines KBW hervorgehen. Die offizielle Anerkennung des Nationalismus als genuines Moment des M-L – die andere Abteilung des Revisionismus hat diesen feierlichen Akt als Eurokommunismus und seine kritische Würdigung vollzogen – wird den Chinesen sicherlich Auftrieb geben, zumal auch auf der Ebene der Begegnung zwischen Staatsoberhäuptern keiner mehr kleinlich ist: alle haben sie Interesse daran, dem chinesischen Volk anläßlich solcher Begegnungen ihre Hochachtung auszusprechen: Carter und Strauß, Ceaucescu, Tito und der Schah, von den Afrikanern ganz zu schweigen... Es vergeht kein Tag, an dem nicht ein Abgesandter der Volksrepublik einem innen- wie außenpolitisch gar nicht zimperlichen Politiker zutoastet.


Die Basis des diplomatischen Überbaus

entspricht ihm völlig, womit auch im Bereich „Inter-Nationales“ alles marxistisch-leninistisch-maomäßig in Ordnung wäre. Die in westlichen Zonen begrüßte Bereitschaft der VR China, nun auch mit Hilfe von Krediten „auf die eigene Kraft“ zu bauen, ist sicher nicht auf Unwissen zurückzuführen. Bisher haben chinesische Politiker immer eine Ahnung davon spüren lassen, daß sich ökonomische Abhängigkeit auf dem Weltmarkt mit Hilfe des Kredits ausnützen und verstärken läßt. Nun haben sie offenbar entdeckt, daß sie sich die Völkerfreundschaft des Weltmarkts leisten können, weil die Arbeitsstunden der Massen die Rolle der Münze übernehmen, mit der man im internationalen Handel bezahlt. Daß die Industrialisierung Chinas nicht unabhängig vom Rest der Welt durchzuführen ist, rechtfertigt zur Zeit alle Formen des Kapitalverkehrs mit der EG und Japan, und nur linke, der Ökonomie unkundige Beobachter können sich mit dem Außenhandelsmonopol trösten, das Direktinvestitionen „nicht zuläßt“.

Während sich der ökonomische Nutzen für China langsam, für die Chinesen gar nicht und für den Imperialismus sofort einstellt, ist der politische Segen längst eine ausgemachte Sache. Im Politbüro sieht man die Stärkung des europäischen und japanischen Kapitals nicht so einseitig: dergleichen hat auch eine politische Bedeutung im Kampf gegen den Hauptfeind UdSSR. Teng ermahnt seine europäischen Geschäftspartner, sie sollten ihr wachsames Auge ja nicht von Afrika abwenden, Hua warnt vor Illusionen in den Abrüstungsverhandlungen und plädiert für militärische Überlegenheit ohne die Umschweife von SALT-Gesprächen, die dasselbe Ziel etwas billiger machen sollen. Kein Gegner der SU, dem nicht die Qualität eines Verbündeten zuerkannt und die Theorie von der Unausweichlichkeit des Krieges nahegebracht wird.

Und in dieser Theorie handelt es sich nicht um die Erklärung der Notwendigkeit, die der Imperialismus kennt, will er seine Ökonomie erhalten und expandieren, sondern um eine Parole: es gilt, die Völker der Welt auf den nächsten großen Waffengang vorzubereiten. Was dazu von Chinas Seite getan werden kann, bekommen die Massen längst zu spüren. Nicht nur an der Produktionsfront wird mobil gemacht, und die Berechnungen, wieviel übrig bleiben und wer über mehr Menschen verfügt, sind wieder aktuell.


Auch eine Perspektive

Die Alternative zum sozialistischen Aufbau in der SU gibt es jedenfalls im idyllischen chinesischen Nationalismus, von dem die gesamte Menschheit und die fortschrittliche insbesondere ihre Perspektive empfängt:

„Ich habe die Ansicht vertreten, daß im schlimmsten Falle die Hälfte der Menschheit sterben müßte und die andere Hälfte am Leben bliebe; der Imperialismus würde hinweggefegt werden, und die gesamte Welt würde sozialistisch werden.“ (Maos Aufruf zum Atomkrieg auf dem Kongreß der kommunistischen Parteien in Moskau 1957)



Kleiner aktueller Nachtrag

Zur Klärung der schwierigen Frage, ob der 28 Mrd.-Kapitalexport nach China in die Volksrepublik dem deutschen, dem chinesischen oder keinem der beiden Völker nützt, empfiehlt sich ein akkurates Studium der politischen Ökonomie. Sonst kommt man unweigerlich zu Interpretationsversuchen wie weiland die DKP in Sachen Osthandel (Ostverträge sichern Arbeitsplätze u.ä.). Am leichtesten klärt sich der Sachverhalt auf, wenn man mit der Frage beginnt: Warum pumpt die Dresdner Bank jemandem Geld, und vor allen Dingen so viel? Wo ist in der Welt der Schulden eine Sicherheit herzukriegen? Wer arbeitet für das Geld?

Nachweis der Zitate:

I. Dokumente des XI. Parteitags der Kommunistischen Partei Chinas

II. Hua Guo-feng: Weiterführung der Revolution unter der Diktatur des Proletariats bis zur Vollendung

IV. Dokumente des IX. Parteitags der Kommunistischen Partei Chinas

V. Die ganze Partei mobilisieren für noch größere Anstrengungen in der Landwirtschaft und für den Aufbau von Kreisen vom Typ Dadschai

PR: Peking Rundschau


aus: MSZ 25 – Oktober 1978

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