Horst Mahler im Gespräch mit Gerhart Baum:

Back in the BRD!

„Mit den Bütteln des Kapitalismus redet man nicht, auf die schießt man.“ Horst Mahler 1973

„Der Angelpunkt meiner Orientierung und meines Handelns war und ist die Staatsfrage – was der Staat ist, sein kann und sein wird. Wer darauf sieht, wie ich über den Staat denke, weiß, wie ich im Politischen handeln werde.“ Horst Mahler 1980

Da staunt der aufgeklärte Staatsbürger nicht schlecht: Innenminister Gerhart Baum, „Ordnungsrepräsentant der BRD“ und „oberster Terroristenbekämpfer der Republik (Dienstherr des BKA und des Bundesgrenzschutzes mit der GSG 9)“, trifft sich in der Berliner Redaktion des SPIEGEL zweimal mit Horst Mahler, „Terrorist der ersten Stunde“ und „Gründungsmitglied der RAF“, zu einem öffentlichen Streitgespräch (Gesamtdauer: 7 Stunden). Die beiden Männer, die der SPIEGEL hier zusammenführte, haben – abgesehen davon, daß der eine nicht unbeteiligt daran war, den anderen für über 9 Jahre ins Kittchen zu bringen – tatsächlich eines gemeinsam: Sie eint das Interesse, allen Staatsgegnern von links (und das sind nicht nur die 40 Terroristen im Untergrund sowie ihre Sympathisanten – für die hat der Staat andere Mittel parat), „einen Rückweg in die Gesellschaft offenzuhalten“ (Mahler) bzw. „diese Verständnisschwierigkeiten, den Kommunikationsabbruch (zu) überwinden“ (Baum), damit nicht mehr so „viele junge Menschen abseits stehen“. Voraussetzung für diesen fruchtbaren Diskurs waren eine „Wandlung“, die sich mit Mahler vollzog, und „plötzliche Anwandlungen (Baums), die ebenfalls auf Annäherung gerichtet waren“ (SPIEGEL). Hierin etwas absolut Neues, gar einen „Frühling in Deutschland“ (II Manifesto, 5.1.80) zu entdecken, das erscheint uns – auch diesmal wieder – nicht ganz der Wahrheit zu entsprechen.


Wie alles anfing

Mahler, der schon länger von der bürgerlichen Presse als

„beispielhafter Repräsentant von Herkunft, Werdegang und Ideologie des aus der bürgerlichen Intelligenzschicht kommenden Revolutionärs der Nachkriegsgeneration“ (Süddeutsche Zeitung)

vermarktet wird und der um seine Funktion als abschreckendes und zugleich Mut machendes Exemplar des gefallenen Sohnes weiß, legt selber größten Wert auf Authentizität: – Bereitwillig erzählt er auch beim Streitgespräch mit Baum seine ganz persönliche Geschichte, wobei er die gängigen Ideologien der Bourgeoisie über enttäuschten bzw. fehlgeleiteten Idealismus der gutwilligen Jugend autobiographisch belegt:

„Ich war Jungsozialist ... Mein Versuch, in einer noch relativ positiven Beziehung zum Staate in die Politik zu gehen, wurde zunichte gemacht.“

Die Deutschen taten aber auch schon alles, damit Klein-Horst sich nicht mit ihnen identifizieren konnte: Nicht nur, daß sie ihn von sich stießen, als er gerade endgültig Politik machen wollte (Ausschluß aus der SPD), nein, schon früher ließen sie es zu diesem fürchterlichen Faschismus kommen, bei dem man noch heute rot werden muß: Wegen dem,

„was in den Jahren 1933 bis 1945 in Deutschland geschehen ist, mußte (ich) mich sehr früh, als ich politisch wach wurde, schämen, Deutscher zu sein.“

Das nimmt einen ganz schön mit:

„Das ist eigentlich eine fürchterliche Sache, wenn man sich nicht mit seinem eigenen Volk identifizieren kann.“ (Originalton Mahler: „Die Scham, die wir über den Staat, über den faschistischen Staat, empfunden haben, drückt eine positive Beziehung zum Staat aus.“)

Na, und dann erst der Vietnam-Krieg – ganz klare Sache, daß sich hier der ganze Westen ein „Verbrechen“ zuschulden kommen ließ, ganz einfach nicht mehr der (die) Staat(en) war(en), wie er (ihn) sie sich eigentlich zum Dafürsein gewünscht hätte. Damals überkam nicht nur Mahler die Einsicht, daß „dieser Staat nicht das Ganze, nicht uns repräsentiert“, und zog, auch darin ja nicht allein, den Schluß, daß man diesem mangelhaften Staat etwas eigenes entgegensetzen müsse, auf daß er sich endlich besinne. Schließlich kam es darauf an, „unter allen Umständen Widerstand“ zu leisten, die moralische Scharte der Väter und Zeitgenossen auszuwetzen – erst etwas APO und dem Staat seine immanentesten Aufgaben und Ideale vor den Kopf geknallt, dann direkte Konkurrenz mit der Staatsmacht um das Gewaltmonopol. ,,Bomben ins Bewußtsein der Massen“ hieß die Parole, denn diese hatten ja lediglich Angst vor der allgegenwärtigen Gewalt des Staates, die sie permanent einschüchterte und an dem Widerstand hinderte.

Wenn Mahler das heute etwas anders sieht, dann nicht deswegen, weil er plötzlich seine Meinung über die Gewalt geändert hätte: Beim Streiten mit Baum konzediert er diesem ausdrücklich den ,.Ausbau des Staatsapparates als eine Sache“ (die andere ist dann nur noch die Beachtung ,,rechtsstaatlicher Garantien“) und ansonsten ist er in einem Beitrag zur Diskussion „Die Linke und die Nationale Frage“ in „avanti“ 6/7 1979 der Ansicht, daß das „gegenwärtige Blocksystem“ auf dem Globus nur deswegen „noch relativ instabil“ ist, weil es sich noch nicht ,,in eine höhere Form konkreter Einheit mit universellem Gewaltmonopol aufgelöst“ hat.

Staatliche Gewalt muß also in jedem Fall sein – denn (Mahler in „avanti“) :

„Wie Norbert Elias überzeugend gezeigt hat, ist der Prozeß der Zivilisation gleichbedeutend mit Befriedigung durch Herstellung von Gewaltmonopolen“ –

Mahler geht sogar so weit, seine eigene Gefängnisexistenz gegenüber Baum mit keinem einzigen kritischen Wort zu erwähnen, selbst „dreieinhalb Jahre in strenger Einzelhaft“ erachtet dieser Mann „als obere Grenze an Isolation für zulässig“. Noch aus dem Bau heraus hatte Mahler in einem Brief an P.P. Zahl gegen den „Terminus Isolationsfolter“ protestiert, der den ,,Terroristen in die Hände spiele“. Gegen den brutalen Umgang der Staatsgewalt mit ihren ,,anarchistischen Gewalttätern“ hielt er die Rechtsform, in der Staatsmaßnahmen verlaufen, hoch, und mahnte zur Besinnung auf die Durchhaltequalitäten eines reuigen Täters, der die Strafe als Sühne für seine Irrtümer akzeptiert und damit auch aushalten kann. Mit dem Eifer des Bußfertigen warnte er die Linke, aus den in Stammheim zu Tode gekommenen RAFlern „keine Heroen zu machen“ („Avanti“) und forderte aus diesem Grunde eine ,,internationale Untersuchungskommission“, um zu beweisen, daß „die RAF nicht recht hat.“


Vom Sinn des Staates

Strafe – modern: Resozialisierung – hat also durchaus noch ihren Erfolg. Für die Demonstration, die Baum und die Journalisten unter fleißiger Mitarbeit Mahlers mit diesem veranstalten, taugen selbst seine Sprüche von dem, was heute einen Menschen zur Unzufriedenheit bewegen könne: Sieht man „die Welt als Ganzes“ (und wer tut das nicht?) und empfindet man „auch entferntes Leid“ noch mit (die Tatsache, daß der bundesdeutsche Arbeiter jeden Tag sein Bier trinkt und sein eigenes Auto fährt, überzeugt auch Mahler davon, daß es hier nicht mehr viel auszusetzen gibt), dann muß halt jeder einsehen, daß ,,wir in empörenden Zuständen leben“. Baum kann da nur zustimmen („Wir haben unsere Habgier zum Teil mit der Zerstörung der Natur bezahlt“) und seinerseits ein Plädoyer für ,,mehr Mut zur Emotionalität in der Politik“ beisteuern.

Ganz besonders empörend ist natürlich angesichts dieser beklagenswerten Zustände der Welt bzw. der Natur (drunter geht nix), daß die ,,Bewußtseinskrise der Linken“ keine klaren Perspektiven (und farbenfrohen Alternativen) mehr anzubieten hat. Mahler findet es ausgesprochen Scheiße, daß die Linke nur „weiß, was sie nicht will, nicht, was sie will“ („konkret“ 1/78). Angesichts der nachgerade schon mehr als peinlichen Bemühungen westdeutscher Linker, ihre konstruktiven Vorschläge zur menschlicheren, demokratischeren, grüneren etc. Vervollkommnung des Staates an den Mann und zur Anerkennung zu bringen, ein recht eigenartiger Vorwurf an eine Bewegung, die ihre Positivität durch allerlei Anstrengungen unter Beweis stellt, in den Parlamenten auch institutionell endlich mitwirken zu dürfen. Denn wir alle (Baum bestätigend: „viele sterben an der Sehnsucht (!) nach einer anderen Lebensweise“) stehen vor dem Problem, daß

„das durch Sinnleere demotivierte junge Leben in der Hingabe an eine revolutionäre Bewegung die Errettung aus Nihilismus und Verzweiflung (sucht).“

Daß Mahler der Trendsetter der Zeit ist und sich jetzt der allgemeinen Sinnsuche angeschlossen hat, belegt er mit folgenden Bekenntnissen:

„Das Erlebnis, sich mit seinen Vorstellungen von einem sinnvollen Leben (ein neuer Bündnispartner für den MSB?) nicht verwirklichen zu können, überall die Erfahrungen zu machen, daß sich der private Nutzen gegen (gegen!) das, was als Gemeinschaftswert anerkannt ist, durchsetzt, oft zynisch und rücksichtslos, trifft nun einmal für unsere Gesellschaft zu. Der Anspruch junger Leute, für etwas Höheres dazusein, wird mißachtet. Das setzt den Abwendungsmechanismus in Gang: Es hat ja doch keinen Sinn. Wir können ja doch nichts erreichen.“

Mahler demonstriert hier seinen eigenen enttäuschten Idealismus der frühen Jahre, dessen Mißerfolg er im Vergessen des fundamentalen Dafürseins entdeckt hat und präsentiert sich so als bekehrter Staatsbürger. Mit dem typischen Gestus des Konvertiten beschwört der gereifte Ex-Staatsfeind die verwirrte Jugend unserer Tage, von der Negativität abzulassen und den Staatsbejaher in sich zu pflegen. Fehl geht daher K.H. Roths Vermutung, Mahler sei im Knast „Opfer einer erfolgreichen Gehirnwäsche geworden“. Es ist schlimmer: Im vierundzwanzigstündigen Neonlicht der Isolierhaft muß ihm das Licht seiner Jugendideale wieder aufgegangen sein, mit dem er jetzt eifernd dem „Anspruch junger Leute“ den rechten Weg heimleuchten will. So trifft eher der Vergleich Saulus-Paulus den Bekehrten, nur daß es für Mahler keiner überirdischen Erscheinung bedurfte: seine „Vorstellung vom sinnvollen Leben“ hat sich für ihn anscheinend erstmals in seinem Leben im Knast konkretisiert.

Daß man damit durchaus etwas erreichen kann, dafür steht Mahler mit seiner Person: Anerkannter Gesprächspartner der Staatsmacht, die ihn gerade für nicht unerhebliche Zeit eingebuchtet hatte, voller Vorstellungen (Zeit genug hatte er ja) über ein sinnvolles Leben für die Gemeinschaft jenseits aller veralteten Ansichten eines privaten Nutzens.

„Für etwas Höheres“ – daß das nicht gleich Gott sein muß, dafür bürgt der ehemalige Rechtsanwalt: Auch im Diesseits kann man sich wunderbar einsetzen. Ganz einfach: Der Staat ist der Ort, wo „die junge Generation mit anpacken“ (Baum oder Mahler?) kann, wo sie aus ihrer „Verweigerung“ herauskommen und etwas gegen „soziales Siechtum und Verfall“ tun kann – andernfalls „gehen wir als Gemeinwesen zugrunde“. Also Jugend, hüte dich vor dem „Bruch mit dem eigenen Volk, dem Staat, dem man ja schicksalhaft angehört“, sonst bist du schuld am Untergang des Staates.

Eine gelungene Resozialisierung

Die „Kälte zwischen den Menschen“, die „Sinnleere, gerade für junge Leute“, sie sind wie weggeblasen beim tätigen Einsatz für unseren Staat. In diese so banale und gleichzeitig so aktuelle Erkenntnis kumulieren alle Anstrengungen Mahlers – daß da irgendein gar nicht so sinnvoller Gegensatz mit im Spiel sein könnte, dieses Problems entledigt sich Mahler mit der auch nicht so neuen Erfindung, daß wir der Staat sind.

„Heute, nach einer langen Strecke des Lernens und der Erfahrungen, ist der Staat für mich (wie hättest du es denn gerne?) nicht mehr, was er früher für mich war – nur etwas Äußerliches, verwirklicht in Polizei und Armee, Verwaltungsgebäuden und Beamten.
Der Staat ist auch das; aber er ist mehr als das.
Das moderne Gemeinwesen existiert nur als Staat durch die Menschen, die in diesem Staate leben, die sich mit ihm identifizieren. Der Staat ist so präsent in jedem einzelnen. Wir sind der Staat – und zugleich Individuen als unterschieden vom Staat. (Dieser Mangel an uns muß weg, klar –  oder?)
Der Gegensatz von Staat und einzelnem geht durch jeden von uns hindurch (quer oder längs?); es ist unsere Aufgabe (aha), ihn durch unser politisches Handeln, das eine Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen einschließt (um des Staates willen), zu einer lebendigen Einheit zu versöhnen.“

Daß es dazu kommen konnte, daß Mahler und andere ihre Gegnerschaft zum Staat entdeckten, lag ausschließlich – so die Mahlersche Logik – daran, daß bei ihnen nicht alles richtig tickte:

„Es ist, behaupte ich, in jedem das Bedürfnis vorhanden, sich mit seinem Volk, das nur als Staat existiert, zu identifizieren. Indem uns das nicht möglich war, waren wir innerlich zerrissen (hat weh getan?). Wir waren nicht mit uns identisch. Wir haben das staatliche Moment in uns diskriminiert. Da ist emotional etwas durchgebrannt, und es entstand eine fanatische Feindschaft gegen den Staat, die sich auch gegen uns selbst richtete.“

Damit so was den Linken mal wieder – noch dazu von einem Experten – gesagt wird, opfert der SPIEGEL ohne Bedauern eine Titelgeschichte. In der Tat eine gelungene Resozialisierung: Vom (wie Mahler betont: unfreiwilligen) Staatsgegner zum Stichwortlieferanten für die staatliche Ordnungsmacht, die sich bei ihrem Kampf gegen subversive Elemente auch mal erlaubt, einen noch inhaftierten Ex-Terroristen für ihre ideologische Offensive zu instrumentalisieren. Wenn die Umstände günstig sind und ausreichend Härte praktiziert worden ist, leisten sich die Staatsmacher eben auch mal etwas „Gelassenheit“. Souverän signalisieren sie ihre „Gesprächsbereitschaft“ wollen die „Sprachlosigkeit überwinden“ (als ob sie nicht jeden Tag am Reden wären) und schaffen es lässig – was natürlich „keine gönnerhafte Pose“ ist –, Leute wie Mahler für ihre Propaganda einzuspannen, die sich dann dem Bundesoberbüttel als Stichwortlieferanten in einem Sokratischen Dialog zur Verfügung stellen, indem sich der blamierte Idealismus als Beweismaterial für den idealistischen Realismus des Modells Deutschland ausschlachten läßt.

Von Streit war bei diesem „Streitgespräch“ denn auch nichts zu spüren. Im übrigen: Bei der Bundestagswahl zählt jede Stimme!

 

aus: MSZ 33 – Januar 1980

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