Ein Schritt vorwärts, zwei Briefe zurück


9.6.1978xxx

wenn die msz über bauern schreibt
der bauer schon lange weiß, wohin er treibt.

hallo leute,
da stand nun ein artikel in der msz 23 über bauern. war locker zu lesen, er bestätigt halt erst mal alltägliche erfahrungen aufm land. doch: eine solche „SPIEGEL“-mäßig geschriebene betrachtung mag studierende landflüchtige bauernsöhne befriedigen, denen der alte das landleben mies gemacht hat. doch denen, die sich entschlossen haben, auf dem land politisch weiterzuarbeiten, und den elterlichen bauernhof, samt allem familienkrampf übernehmen, hilft das nicht weiter, außer, daß 2 stunden arbeit im jahr fürs msz-abo weggehen.

also: ich arbeite jetzt 2 stunden, damit diverse msz-mitarbeiter ihre tiefen grübeleien über das kapital und die menschen zu papier bringen, die existenz von bauern ist nicht durch den „beischlaf im märz“, sondern durch ständige konkurrenz untereinander gekennzeichnet, es existiert hier der ausspruch: „ich würde gern ein auge hergeben, wenn mein nachbar zwei augen verliert“.

die konkurrenz und die disparität, das ist die ebene, auf der innerhalb der landwirtschaft der kapitalismus sinnlich und existenziell erfahrbar ist. auf dieser ebene müssen wir, als bauern, mit dem kapitalismus uns auseinandersetzen, „der mensch kann in seiner Produktion nur verfahren, wie die natur selbst, d.h. nur die formen der Stoffe ändern … noch mehr, in dieser arbeit der formung selbst wird er beständig unterstützt von naturkräften. arbeit ist also nicht die einzige quelle der von ihr produzierten gebrauchs- werte .... die arbeit ist sein vater ... und die erde seine mutter.“ (MEW 23 s. 57/58)

die erde ist unser Produktionsmittel, und die arbeit, die wollen wir bezahlt haben.

o.k. ich hab jetzt nicht die zeit, das bis ins letzte zu erklären, morgen früh wartet der weinberg wieder auf mich, (zwang zur reproduktion, das will ich euch nur mal kurz unter eure nasen reiben. keine angst, der mist bleibt hier, den brauchen wir zur düngung. mit eurem schnupfen sollt ihr selbst auskommen.)

ich schick euch noch ne zeitung, die ungefähr den diskussionsstand innerhalb einiger bauerngruppen wiedergibt.
zum schluß: für eine Studentenzeitung seid ihr ganz schön weit, doch von der praxis habt ihr noch viel zu lernen.

wenn Studenten sich mit was auseinandersetzen
und sei's auch noch so locker
es reißt den bauern nicht vom hocker
er kann sich widersetzen.

xxxxxxxxxxseid schön gegrüßt
xxxxxxxxxxstudiert recht fleißig

heiner, vom rheinhessischen winzersyndikat

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Antwort der Redaktion

Daß der Bauer schon lange weiß, wohin er treibt, stimmt doch wohl nicht so ganz. Du selbst widerlegst es mit dem, was Du tust, und in Deinem Brief. Auch Euer „Bauernblatt“ soll ja wohl andere von Eurer Kritik überzeugen und unterstellt gerade nicht, daß jeder Bauer weiß, wohin es ihn warum treibt.

Auf den Vorwurf, unser Artikel über die Bauern sei „Spiegel-mäßig“ geschrieben, wollen wir gar nicht erst eingehen, da wir uns sicher sind, daß Du die Pseudokritik des Spiegels sehr wohl von der Kritik in der MSZ zu unterscheiden weißt. Ausführlich antworten wir aber Deiner Kennzeichnung der Existenz der Bauern, mit der Du unsere Erklärung kritisierst.

Daß Bauern untereinander konkurrieren, erklärt nicht, was mit den Bauern los ist. Konkurrieren tun industrieller Unternehmer, Bankiers, Kaufleute etc. auch. Was die Bauern über die Konkurrenz miteinander erfahren, ist die unangenehme Tatsache, daß sie mit ihren Waren auf dem Markt ständig die Gelackmeierten sind im Vergleich zu nicht-landwirtschaftlichen Unternehmern, die sich da auf dem Markt tummeln. Wir sagten im Artikel, daß die Bauern in der Welt der freien Marktwirtschaft einen „ökonomischen Sonderfall“ darstellen und vom Staat als solcher behandelt werden. Warum wohl werden die Unternehmer in Ackerbau und Viehzucht ständig subventioniert, unterliegt die Landwirtschaft in der EG Sonderbestimmungen? Warum wohl können sich die meisten der selbständigen Landwirte nur als Familienbetriebe erhalten, also nur mit einem ungeheuren Arbeitseinsatz von Vater, Mutter und Kindern (hierher gehört der „Beischlaf im März“: Kinder ersetzen mit ihrer zarten Arbeitskraft das fehlende Kapital)? Warum sind die Bauern Unternehmer und Lohnarbeiter und keines von beiden? Weil ihr Eigentum oder Produktionsmittel in besonderer Weise eine Schranke darstellt. Beim Pächter ganz deutlich: er hat Pacht an den Grundbesitzer abzuführen. Aber auch der selbständige Bauer erfährt in der Größe seines Bodens eine Schranke rationeller Produktion, und zum anderen fehlt ihm das, was der Boden wert ist, als flüssiges Kapital für Produktivitätssteigerungen. Auf dieser Grundlage tritt er auf den Markt und erfährt dort, daß der Verkauf und Verkaufspreis seiner Produkte abhängig ist vom industriellen Zyklus, der die Nachfrage bestimmt und sich um das Produktionsmittel der Landwirtschaft, die organische Natur und ihren Kreislauf, nicht kümmert.

Weil in der vielgepriesenen freien Marktwirtschaft das Eigentum ein unantastbarer Wert ist und in der Industrie das Wachstum erwartet und vollzogen wird, stellt in der Landwirtschaft Erde keine besonders fruchtbare Mutter dar – rationelle Landwirtschaft ist unverträglich mit der kapitalistischen Produktionsweise, so daß Vater Arbeit die Lücke der Mutter ausbaden muß. Du bestätigst diesen besonderen Charakter der Agrikultur, wenn Du forderst: „und die arbeit, die wollen wir bezahlt haben.“ Ebenso in Eurer Zeitung:

„Unser Interesse, das ist ein sozialer Preis, eine gerechte Bezahlung landwirtschaftlicher Produkte, orientiert an der eingebrachten Arbeitsleistung.“ (Seite 8)

Kein industrieller Unternehmer würde auf die Idee kommen, derartiges zu fordern. Sie sind eben nicht ihre eigenen Lohnarbeiter wie die Bauern und erfahren den Markt nicht als ständige Schranke, sondern sehen ihn und die Konkurrenz auf ihm als selbstverständliches Mittel ihrer Gewinne an. Im übrigen ist es falsch, „gerechte Preise, gerechte Bezahlung der Arbeitsleistung“ (wie hoch ist denn gerecht?) zu fordern. Ein derartiges Interesse macht aus dem Gegensatz von Bauern und Grundbesitzern, von Bauern und industriellen Kapitalisten, aus dem Gegensatz von Lohnarbeitern und Kapitalisten, aus der Tatsache also, daß die einen auf Kosten der anderen ihre Gewinne machen, ein Verteilungsverhältnis und unterstellt dabei die Gegensätze als naturgegeben. Marx kritisierte dies schon am Gothaer Programm:

„Die jedesmalige Verteilung der Konsumtionsmittel ist nur Folge der Verteilung der Produktionsbedingungen selbst; letztere Verteilung ist ein Charakter der Produktionsweise selbst.“ (MEW 19/22)

Der Ertl redet auch davon, die Einkommen der Landwirtschaft müßten angepaßt, also gerechter werden. Wieviel Bauern für diese Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben und zu Lohnarbeitern werden, und welche Arbeitsleistungen die Familienbetriebe aufbringen müssen, um den Betrieb und ihre Existenz zu erhalten, dürfte bekannt sein. Und auch, daß fortschrittliche Betriebe der Landwirtschaft »rentabel« sind, weil sie aus ihren Lohnarbeitern sehr viel rausholen (vgl. den Schluß unseres Artikels). Wenn Marx schreibt, daß die „Arbeit die Quelle allen Werts ist“, so kritisiert er damit die kapitalistische Produktionsweise. In der Landwirtschaft ist besonders handgreiflich, daß nicht der Segen der Natur, den sich der Mensch zunutze macht, das Reich der Freiheit vergrößert, sondern der sog. „Segen der Arbeit“ die notwendige Ernährung, die Grundlage der kapitalistischen Industrie, sichern muß.

Noch ein Letztes: Auch Kommunisten haben den „Zwang zur Reproduktion“ und wie Du weißt, wird ihnen ihre Reproduktion nicht gerade leicht gemacht. Daß wir unser Wissen an den Mann zu bringen versuchen, an den Hochschulen, in Betrieben, ist unsere Praxis. Sie von der Warte des praktisch Arbeitenden („morgen früh wartet der Weinberg wieder auf mich“) mit dem Prädikat „Student“ anzugreifen, halten wir für einen Fehler. Würden wir auch so verfahren, käme analog zu Deinem Gruß folgender Zynismus heraus:

Sei schön gegüßt und
arbeite recht fleißig!

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14.6.1978xxx

Liebe Freunde!

Glaubt mir, ich stehe Eurer Zeitung schon ihres Namens wegen sehr solidarisch gegenüber. Ich lese Eure Flugblätter und sonstigen Publikationen seit geraumer Zeit, und nun muß ich mir endlich mal meinen Unmut vom Herzen schreiben.

Es gibt nämlich meines Wissens keine Publikation, die unverständlicher geschrieben ist, als die Eure! Zwar bin ich Student der Politischen Wissenschaft und als solcher – sozusagen von Berufs wegen – ständig mit Texten beschäftigt, die eben nicht immer gleich verständlich sind. Ihr aber schießt bei weitem den Vogel ab: solange ich Eure Sachen lese, habe ich nichts von alledem begriffen, was Ihr eigentlich aussagen wollt!! Ich habe mich wirklich bemüht, aber der Sinn jedes einzelnen Satzes ist so verklausuliert, so intellektuell hoch gestochen und schon vom Satzbau so kompliziert angelegt, daß eine Aussage – gleich welcher Art – eigentlich gar nicht erst zu erkennen ist. Wie gesagt: mir ist es bisher noch nicht gelungen, überhaupt bis zum Sinn Eurer Aussagen vorzustoßen, um zu begreifen, was Ihr eigentlich wollt. Da es 2 Freunden von mir auch so geht, frage ich mich natürlich, was denn eigentlich Euer Unterfangen soll: Flugblätter u.ä., die eine Massenbasis haben sollen, werden doch völlig überflüssig, wenn kein Mensch sie versteht. Vor allem begreife ich überhaupt nicht, was daran denn eigentlich nun marxistisch sein soll? Abgesehen davon, daß ich bisher immer nur den Eindruck hatte, irgendwelche Kommentare von Euch zu lesen (genau kann ich es ja wegen der Unverständlichkeit nicht sagen), finde ich selbst bei krampfhaftem Suchen nirgends irgendwelche Handlungsvorschläge oder Lösungsmöglichkeiten angeboten, Ideen also, die aufzeigen könnten, wie denn nun die ganze Scheisse zu überwinden ist; das ist doch wohl das Hauptanliegen von Marxisten und nicht, aus dem Dunkeln abstruse und kaum verständliche Kommentare abzugeben.

Ich habe meinen Brief nicht geschrieben, um Euch an's Bein zu pinkeln. Dazu ist meine Zeit viel zu schade. Ich stehe Eurer Zeitung schon ihres Namens wegen mit kritischer Sympathie gegenüber. Ich meine aber, daß Ihr noch ein ganz schönes Stückchen Arbeit vor Euch habt, die Zeitung und die darin vertretenen Aussagen so zu gestalten, bis sie auch mit dem Anspruch, marxistisch zu sein, übereinstimmen. Schließlich hat Marx ja dafür gelebt und gestritten, das Leben der großen Mehrzahl der Bevölkerung zu verbessern. Und dazu ist es vielleicht auch notwendig, daß die Betroffenen auch verstehen, was es denn nun für Möglichkeiten der Gesellschaftsveränderung gibt. Und dazu ist ein verständlicher Stil die – wie Ihr Euch ausdrücken würdet – conditio sine qua non!

Man/frau sollte auch nicht vergessen, daß sich ein dermaßen abgehobener Stil schnell auch auf andere Bereiche der eigenen Politik auswirken, sozusagen elitär wird. Daher: Obsta principiis, sero medicina paratur!

Mit freundlichen Grüßen Christian F., Hamburg

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Antwort der Redaktion

Deine Solidaritätsadresse stützt sich auf zwei Affinitäten zur MSZ: erstens gefällt Dir das Adjektiv „marxistisch“ und zweitens bist Du „Student der Politologie“. Genau diese beiden Sachen sind es jedoch, lieber Kommilitone, die wir als tieferen Grund Deines Unverständnisses angeben können. Als linker Politologe die MSZ nach „Möglichkeiten der Gesellschaftsveränderung“ abzuklopfen muß natürlich ergebnislos bleiben. Dies liegt allerdings nicht daran, daß unsere Ausdrucksweise so kompliziert wäre, daß man deswegen unsere „Handlungsvorschläge oder Lösungsmöglichkeiten“ nicht entdecken könnte. Es ist schlimmer. Wir greifen alle „Handlungsvorschläge“ an, die so tun, als habe diese Gesellschaft „Probleme“ mit „Betroffenen“ (oder umgekehrt!), für die es nach „Lösungsmöglichkeiten“ zu suchen gelte. Woraus wir Dir nur folgende, hoffentlich unmißverständliche Alternativen anbieten können: entweder Deine „Zeit ist Dir wirklich zu schade“ und Du verzichtest auf die weitere Lektüre der MSZ oder Du fängst an, sie zu lesen, d.h. das zur Kenntnis zu nehmen, was über die Welt drinsteht, und nicht in dem, was drinsteht, danach zu suchen, was Du gerne haben möchtest.

 

aus: MSZ 25 – Oktober 1978

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