Lehren aus der Krise bei VW

Die Grenzen der gewerkschaftlichen Solidarität

In „tiefer Sorge“ um die langfristige Sicherung der Arbeitsplätze hat sich der Vorstand des Volkswagenwerks erst einmal entschlossen 25 000 Arbeiter zu entlassen. Die gleiche Sorge hat die VW-Arbeiter wohl dazu veranlaßt, diese Maßnahme weitgehend kampflos hinzunehmen. Mehr noch: die Angst davor, selbst zu den Betroffenen zu zählen - und man weiß ja um die Auswahlkriterien der Betriebsleitungen bei „Veränderung der Personalstruktur“ - hat ein merkliches Ansteigen der »Arbeitsmoral bei den Arbeitern bewirkt: sie sind bereit, sich noch mehr als bisher kaputt zu machen, in der Hoffnung, daß es nicht einen selbst, sondern nur den anderen treffen möge. Sie lassen den Zeitnehmern freie Hand, und auch die stark gesunkenen Krankenzahlen sind ein Beleg dafür, daß die Arbeiter in einer solchen Krisensituation auf die Wahrnehmung betrieblicher Rechte verzichten, um der Firmenleitung keinen Vorwand für ihre Entlassung zu geben.
Alle Anzeichen sprechen dafür, daß die verkündeten Entlassungen anstatt die Solidarität der Arbeiter zu fördern, das Gegenteil bewirken: deren Konkurrenz untereinander verschärft sich. Nach oben zeigen sie in ihrer großen Mehrheit Verständnis für die „wirtschaftliche Zwangslage“ des Konzerns und klatschen sogar dem Vollstrecker der vor allem für sie „einschneidenden Maßnahmen“, dem Firmenchef Schmücker Beifall, wenn dieser ihnen auf einer Betriebsversammlung den „Ernst der Lage ungeschminkt“ darstellt. Wofür dieser sich revanchiert, indem er seinerseits die „Objektivität“ und die „Fairness“ der Arbeiter zu rühmen weiß. (Handelsblatt vom 12. 5. 75). Ihre Hoffnungen richten sich auch in dieser Lage auf die Gewerkschaft, die sie vor den härtesten Folgen der Krise bewahren soll.
Daß die Gewerkschaft die Sanierungsmaßnahmen bei VW „im Prinzip“ befürwortet, wird von den verschiedenen linken Gruppen wieder einmal zum Anlaß genommen, die Solidarität der Arbeitermassen mit Appellen aller Art zu beschwören, um zugleich für deren mangelnde Kampfbereitschaft die Gewerkschaftsführung verantwortlich zu machen ...

 

I. Konkurrenz der Arbeiter und Gewerkschaft

Als Anfang 1974 bei Audi-NSU in Neckarsulm mit Einstellungsstops, Entlassungen und Frühpensionierungen die ersten Anzeichen einer Krise deutlich wurden, bekamen die Arbeiter noch hoffnungsfrohe Worte zu hören:

„Man erklärte uns, das Wort Kurzarbeit sei in unserer Lage obszön und erzählte uns von einem dunklen Tunnel, an dessen Ende wieder Licht sein würde.“

Doch die Versprechungen des damaligen VW-Chefs Leidig, daß der Produktionsumfang und 10000 Arbeitsplätze in Neckarsulm erhalten bleiben, konnten kein Licht in die Finsternis bringen: die Tagesproduktion schrumpfte auf die Hälfte, 5000 Arbeiter wurden zur Kurzarbeit gemeldet. Und als Leiding durch Toni Schmücker ersetzt wurde, der den Arbeitern als „Sanierer des Rheinstahl-Konzerns nach der Kopf-ab-Methode“ bekannt ist, verstärkten sich die Gerüchte um bevorstehende Massenentlassungen.

„Ein besseres Indiz für eine große Aufräumungswelle konnten wir doch nicht haben . .. wir alle wußten, es kommt was, aber keiner wußte, was genau.“ (Welt der Arbeit, Nr. 12/75)

Aus dieser ungewissen Situation versuchten sich die Arbeiter durch individuelle Rettungsversuche zu befreien, indem sie alles vermieden, was dem Unternehmen einen Grund für ihre Entlassung liefern könnte. Sie waren sogar bereit, sich durch gesteigerte Arbeitsleistung noch mehr als bisher kaputt zu machen und der Betriebsratsvorsitzende berichtet,

„daß sich die Arbeiter mit Grippe zur Arbeit schleppten, und dies ausgerechnet zu einer Zeit, als ohnehin nur eine von zwei Schichten am Tag gefahren wird.“ (Der Spiegel, Nr. 11/75)

Mit diesem Verhalten drücken die Arbeiter aus, daß sie sich bereits mit den Entlassungen abgefunden haben, jeder hofft nur noch, daß es nicht ihn, sondern die anderen trifft. Um die eigene Haut zu retten, setzen sie den Arbeitsplatz derjenigen aufs Spiel, die bei diesem Leistungsvergleich nicht mehr so gut mithalten können:

„Die Alten und Kranken trifft's in einer Krise immer zuerst. Das ist nicht nur bei Audi-Arbeitern ein langerprobter Erfahrungswert.“ (Welt der Arbeit, Nr. 12/75)

Doch auch mit einer erhöhten Arbeitsleistung erreichen die Arbeiter das genaue Gegenteil von dem, was eigentlich ihr Ziel war: anstatt für ihr Wohlverhalten mit der Sicherung ihres Arbeitsplatzes belohnt zu werden, können sie vom Unternehmen nur umso leichter gegeneinander ausgespielt werden.

„REFA-Leute, die die Stückzahl für die Maschinen bestimmen und die Bandgeschwindigkeit festlegen, haben wieder total freie Hand. Sie legen sich auf die Lauer, ohne daß der Arbeiter weiß, daß seine Akkordzahl festgelegt wird. Keiner wagt sich, solche Dinge an den Pranger zu bringen.“ (Arbeiterpolitik, Nr. 2/75)

Durch die Verschärfung der Konkurrenz untereinander machen die Arbeiter ihre eigenen Erfolge wieder zunichte, die sie im Tarifkampf gegenüber den Unternehmen durchgesetzt hatten und die darauf abzielten, den Leistungskampf der Arbeiter einzuschränken: so wurde im Herbst 73 in Baden-Württemberg nach Schwerpunktstreiks bei Bosch und Mercedes ein Lohnrahmentarifvertrag abgeschlossen, der besondere Schutzmaßnahmen für leistungsschwächere Arbeiter vorsieht. Die Akkordverdienste werden bei 125 % nach unten hin abgesichert, und ältere Arbeiter neben einem besonderem Kündigungsschutz gegen eine Verdienstminderung geschützt. Doch auch der Bezirksleiter der IG-Metall, Steinkühler, wußte, daß die erreichten Erfolge durch die weiterhin bestehende Konkurrenz unter den Arbeitern immer wieder gefährdet sind, sah er doch das wichtigste Ergebnis dieses Tarifvertrages darin, „daß dieses ,wölfische Leistungsprinzip', in dem der Starke den Schwachen ungestraft überrennen, übervorteilen darf, mit einer starken, sozialen Klammer versehen wurde.“ (Der Gewerkschafter, Nr. 11/73). Doch Steinkühler vergaß zu erwähnen, daß schon im Vertrag selbst ein Hintertürchen für das beklagte Konkurrenzprinzip offen gehalten wird, denn wichtige Bestimmungen können dann außer Kraft gesetzt werden, „wenn Arbeitgeber und Betriebsrat dies... im Hinblick auf den technischen Fertigungsstand und ökonomische Zwänge für geboten halten“ (§ 6.3.2. Lohnrahmentarifvertrag II). Mit dieser geschaffenen „Öffnungsklausel“ zollt die Gewerkschaft gerade den ökonomischen Zwängen ihren Tribut, welche den Arbeitern das „wölfische Leistungsprinzip“ aufzwingen: obwohl der gewerkschaftliche Arbeitskampf die Konkurrenz unter den Arbeitern ausschaltet, so wird dennoch in dessen Ergebnissen zugleich der weiteren Aufrechterhaltung der Konkurrenz Rechnung getragen.

Wenn der Siegfried mit dem Toni ...

Wie sehr die „ökonomischen Zwänge“, denen der VW-Konzern gehorchen muß, auch von den Arbeitern ihre Anerkennung erfahren, zeigte sich auf der Betriebsversammlung, als die Arbeiter bei der Darlegung des Sanierungsprogramms neben dem Betriebsratsvorsitzenden Siegfried Ehlers auch VW-Chef Toni Schmücker mit Applaus bedachten. Mit ihrem Beifall für „Toni den Trixer — den Mann der 25 000 Arbeiter entlässt“ (Stern, Nr. 18/ 75) demonstrieren die Arbeiter ihr Einverständnis mit den „harten Regeln des marktwirtschaftlichen Konkurrenzkampfes“ und bekunden, daß auch sie ein „eisernes Durchgreifen“ für notwendig halten, um den Konzern wieder in die „Gewinnzone“ zu bringen. Dennoch zeigt der Beifall für den Betriebsrat, daß die Arbeiter ihre Interessen mit denen des Unternehmens gerade für nicht vereinbar halten. Einerseits wollen sie die Sanierung des Unternehmens, andererseits suchen sie sich mit Hilfe des Betriebsrats gegen die negativen Auswirkungen dieser Maßnahmen zu schützen.
Das Betriebsverfassungsgesetz sieht in solchen Fällen wie bei VW ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats vor „über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung“ entstehen. Er hat die Möglichkeit, die Aufstellung eines „Sozialplans“ zu verlangen, der z. B. Vereinbarungen über die Höhe der Abfindung an die zu entlassenden Arbeiter, Umzugskosten oder das Belassen von Werkswohnungen enthält. Daß es mit dieser Hilfe durch den Betriebsrat nicht allzu weit her sein kann, läßt sich schon daran feststellen, daß diese Sozialmaßnahmen ihre Schranken an der „wirtschaftlichen Vertretbarkeit“ für das Unternehmen haben (§ 112 I 2 und IV 2 BetrVG): Die Vertretung der Arbeiterinteressen durch den Betriebsrat ist nur in den Grenzen möglich, die durch die beabsichtigte „Gesundschrumpfung“ des VW-Konzern gesetzt sind. Die Erstellung eines Sozialplans setzt also die negativen Folgen für den Arbeiter schon voraus, und die Vorteile, die der Betriebsrat in den Verhandlungen mit dem Unternehmen herausholen kann, erweisen sich lediglich als eine Verringerung der Nachteile für die betroffenen Arbeiter.
IGM-Steinkühler reagiert auf die Schranken der betrieblichen Interessenvertretung mit einer Empfehlung an die nächste Instanz: nur der Aufsichtsrat könne noch etwas für die Arbeiter in Neckarsulm tun, doch aus seinen frommen Worten spricht schon der Zweifel, wenn er glaubt, daß „es nicht die letzte Antwort dieses Wirtschaftssystems“ sein könne, „mindestens 5000 Leute der Dauerarbeitslosigkeit zu überlassen.“ (Handelsblatt v. 8. 4 15).

Mitgefangen, mitgehangen

Die Entscheidung über die Massenentlassung, wovon allein in Neckarsulm 4700 Arbeiter betroffen sind, fiel gegen die Stimmen der Arbeitnehmerseite, die ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrats stellt. Als Stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats hat IGM-Chef Loderer den Vorstand des Unternehmens für die geplanten Entlassungen verantwortlich gemacht. Doch die Unternehmerseite erinnert die Gewerkschaft an die gemeinsame Verantwortung für die Zukunft von VW und wirft Loderer einen „schlechten Stil“ vor, bei „gutem Konjunkturwetter“ an den Erfolgen des Unternehmens teilzunehmen, „bei schlechtem Wetter aber Fahrerflucht zu begehen und überhaupt nicht dabei gewesen zu sein“, um dann zynisch fortzufahren: „Mitgefangen, mitgehangen, und wer sich in den Aufsichtsrat begibt, kann darin umkommen.“ (HB v 14. 4. 75).

Mit diesen Vorwürfen aber tut man der Gewerkschaft unrecht. Auch die IG Metallsucht einen Weg, wie man VW aus dem Dreck ziehen kann, und bei näherem Hinsehen zeigt sich, daß die Differenzen der Gewerkschaft mit der Unternehmensleitung nicht die Sanierung an sich, sondern nur die Methode ihrer Durchführung betreffen. Die Gewerkschaft weiß, daß eine Sanierung von VW „nicht ohne Opfer für die betroffenen Arbeiter“ auskommen kann, sucht diese aber dennoch möglichst gering zu halten. Doch die Forderung Loderers nach einer „zeitlichen Streckung der unumgänglichen Anpassungsmaßnahmen“ (HB v. 11./12. 4. 75) kann nur bewirken, daß die unangenehmen Auswirkungen für die Arbeiter auf einen längeren Zeitraum verteilt werden. Und auch jeder andere gewerkschaftliche Alternativvorschlag kann zu keinem besseren Ergebnis führen, denn schon eine geringfügige Milderung der Maßnahmen muß sich dann noch am Zweck der Sanierung bemessen und von der Gegenseite drohen lassen, daß eine allzu soziale Entscheidung nur noch negativere Folgen für den Arbeiter mit sich bringen würde:

„Die Alternative bei einer solchen Entscheidung, die nicht rigoros von der Rentabilität aufgeht, sondern sich von sozialen Gesichtspunkten leiten läßt, Ist unter Umständen noch etwas Unsozialeres.“ (Stuttgarter Zeitung v. 16. 4. 75)

Der Markt ist stärker

An der Reaktion der Gewerkschaften auf die Rationalisierungsmaßnahmen bei VW zeigt sich das Dilemma der gewerkschaftlichen Politik: auf die Gefährdung der Existenz, die der Lohnarbeiter ständig auf dem Markt erfährt, können die Arbeiter gewerkschaftlich nur insoweit reagieren, als es der Markt zuläßt. Die Gewerkschaften wissen, daß die Unternehmen ihre Gewinne nur auf Kosten der Arbeiter machen, dennoch müssen sie — um „Unsoziales zu vermeiden“ — an den Rentabilitätskriterien eines kapitalistischen Unternehmens sich orientieren.
Und so kann die Gewerkschaft nicht verhindern, daß sie sich mit allen Verbesserungen des Lohnarbeitsverhältnisses nur immer wieder neue Beschränkungen der Reproduktion des Arbeiters einhandelt. Die „Veränderung der profitorientierten Arbeitswelt“, wie sie die IG Metall durch eine ständige Verbesserung der Tarifverträge erreichen will, stößt dort auf Grenzen, wo die Profite der Unternehmen gefährdet sind.

Die Öffentlichkeit sieht's mit Genugtuung

Daß auch die Gewerkschaft die Schranken der Marktwirtschaft nicht überspringen kann, wird von der Öffentlichkeit nicht ohne Schadenfreude registriert: was als „Bitternis der Mitbestimmung“ beklagt wird, ist nur die Genugtuung darüber, daß die Gesetze der freien Konkurrenz auch in Krisenzeiten ihre Anerkennung erfahren:
„Es nutzt da gar nichts, daß. IG-Metall-Chef Loderer dem VW-Aufsichtsrat stellvertretend vorsitzt. Der Markt war stärker — und er wird es bleiben“ (Süddeutsche Zeitung v. 16. 4. 75)
Dennoch macht man sich Sorgen um die Zukunft der von der Entlassung betroffenen Arbeiter. Wenn schon die ökonomischen Schwierigkeiten des VW-Konzerns nicht anders als auf Kosten der Existenzsicherung der Arbeiter gelöst werden können, dann soll diese „Amputation wenigstens so schonend wie möglich“ vorgenommen werden:

„Hier reicht es nicht, nur in gewohnter Büro-Routine die Pläne auszuarbeiten. Hier geht es nicht um Autos, sondern um existenzielle Schicksale von Menschen. Da darf kein Einsatz, keine Überstunde zuviel sein, um Unvermeidbares wenigstens zur Gewißheit werden zu lassen. Dies würde den Betroffenen immerhin eine Neuorientierung erleichtern.“ (SZ v. 8.8. 75).

 

II. Der Ruf nach dem Staat

Die notwendigen Entscheidungen sind gefallen, und dennoch bleibt ein Unbehagen: mit der Entlassung der Arbeiter sind auch die von VW abhängigen Unternehmen in einem Ausmaß betroffen, dem die Geschädigten aus eigener Kraft nicht mehr bei kommen können.

„Es droht vielmehr, zumal bei dem von der Autoindustrie ausgehenden Multiplikationseffekt und bei mehr als 6000 Zulieferanten, zu einem gerade in diesem Stadium höchst unwillkommenen volkswirtschaftlichen Einschnitt zu werden.“ (SZ v. 16. 4. 75).

Wo die freie Marktwirtschaft den eigenen Problemen mit „Mitteln des Marktes“ nicht mehr abhelfen kann, soll der Staat herhalten und den wirtschaftlichen Gesamtverlauf wieder in Ordnung bringen. Und auch diejenigen, denen es nur um die eigene Haut geht, wenden sich an die gleiche Instanz. So fordert „ein Arbeiter im Rohbau, der schon 25 Jahre bei VW arbeitet: .Ich bin der Meinung, man sollte eine Abordnung aus den Betrieben in das Parlament schicken. Denn das ist doch eine politische Frage!“ („Unsere Zeitung“ der DKP v. 18. 4. 75), was sich der Vertrauenskörper von Audi NSU nicht zweimal sagen ließ: er veranstaltet eine Busfahrt nach Bonn, um dort die Interessen der Arbeiter geltend zu machen (UZ v. 1. 5. 75).

Nach allen Seiten offen

Mit ihrem Ruf nach der Hilfe des Staates drücken die Arbeiter zugleich die Kritik daran aus. daß der Staat bislang noch nicht in die VW-Krise zu ihren Gunsten eingegriffen hat. Auf der Betriebsratsversammlung in Wolfsburg werden die Politiker aufgefordert, statt „Schaufensterreden“ zu halten, endlich „konkrete Maßnahmen“ zu ergreifen, die den Arbeitern „wirklich helfen“ (HB v. 18. 19. 4 75). Wie trügerisch solche Mahnungen sind, zeigt schon die Tatsache, daß der Staat die Entscheidung über die Massenentlassung durch seine Vertreter im Aufsichtsrat (je 20 Prozent Bund und Land Niedersachsen unterstützt hat Und nicht nur das: Dem Staat wird vorgeworfen, daß die Ursachen der Krise bei VW gerade in eine Zeit fallen, wo der Konzern noch ein reines Staatsunternehmen war, und daß er selbst mit der Aufwertung der DM entscheidend zu den Schwierigkeiten des in starkem Maße vom Export abhängigen Unternehmens beigetragen hat.

„Der Stadt ist schon mit der Aufgabe sachlich überfordert, auch nur zwei Aktionsparameter, nämlich die Währungs- und die Unternehmenspolitik, in Übereinstimmung zu bringen. Er ist mit jeder Planung überfordert, weil er die Krise auch dann nicht rechtzeitig erkennen kann, wenn er sie selbst mit auslöst.“ (HB v. 8. 4. 75).

Um seinen wirtschaftspolitischen Aufgaben nachzukommen, war der Staat offensichtlich gezwungen, die Krise bei VW in Kauf zu nehmen; jetzt, wo er diese Krise beenden und dem Unternehmen zur Gesundung verhelfen will, muß er es hinnehmen, daß die Reproduktion der Arbeiter und die wirtschaftliche Sicherheit anderer Unternehmen gefährdet sind. Und es läßt sich schon jetzt sagen, daß die inzwischen beschlossene staatliche Krisenhilfe den betroffenen Arbeitern keine Existenzsicherheit bringen kann: neben der Übernahme von Kreditbürgschaften für

„extrem stark betroffene Unternehmen und arbeitslose Arbeitnehmer“ sollen mit einer Verbilligung aller gewerblichen Investitionen um bis zu 20 Prozent rund 18 000 Arbeitsplätze „so schnell wie möglich geschaffen werden“. „Bund und Länder können nur das Bett richten, die Decke schön aufschlagen und allenfalls versuchen, jemanden hineinzulocken.“ (Stuttgarter Zeitung v. 16. 4. 75).

Mit der Sicherung des volkswirtschaftlichen Gesamtwohls schafft der Staat die Voraussetzungen für das Funktionieren der freien Konkurrenz und läuft damit zugleich ihren negativen Wirkungen beständig hinterher. Auch mit seinen Unterstützungsmaßnahmen für die entlassenen VW-Arbeiter stützt er gerade die Bedingungen, die zu dieser Massenentlassung geführt haben. Daß der Staat den Arbeitern nur insoweit hilft, als er den Profit der Unternehmer fördert, daß seine Krisenhilfe sich somit als Hilfe für das Kapital erweist, wird von einem Ministerpräsidenten Kubel aus Hannover noch als Gütezeichen unserer marktwirtschaftlichen Ordnung ausgegeben:

„Alle Möglichkeiten laufen. Mehr ist nicht zu erwarten, mehr ist in unserer Wirtschaftsordnung, die wir nicht infrage stellen wollen, auch nicht drin.“ (Der Spiegel, Nr. 18/75)

 

III. Forderung nach mehr Mitbestimmung

Die Gewerkschaft kann sich mit dem bisherigen Resultat ihrer Bemühungen nicht zufrieden geben. Sie muß feststellen, daß weder ihre Interessensvertretung im Betrieb noch der Gang zum Staat den gewünschten Erfolg für den Arbeiter gebracht haben, dennoch sieht sie innerhalb der auch von ihr akzeptierten Wirtschaftsordnung noch einen Ausweg;. Konnte der Mißerfolg nicht daran gelegen haben, daß die Möglichkeiten der Gewerkschaften im Vergleich mit denen der Unternehmer zu sehr beschränkt sind' Müßte man nicht auf allen Ebenen der Gesellschaft mehr Einfluß gewinnen, um mit den Unternehmern gleichzuziehen? Und da die Gewerkschaften wissen, daß die wesentlichen Entscheidungen in den Betrieben fallen, ist es klar, daß zunächst einmal die „Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung“ auf der Tagesordnung stehen muß. Und auch der Betriebsratsvorsitzende Ehlers zieht aus den Vorgängen bei VW den Schluß, daß es nur „mit Hilfe eines paritätisch besetzten Aufsichtsrats“ möglich sei, „das Risiko für den Arbeiter zu verkleinern'' (HB v. 18. 19. 4 75), was von den Betroffenen auf Transparenten bei einer Protestkundgebung in Neckarsulm nur noch verstärkt wird „Ohne Mitbestimmung keine soziale Sicherheit“.

Mitbestimmung ist keine Kampfaufgabe ...

Wie sich die Gewerkschaft die soziale Sicherheit“ bei VW durch mehr Mitbestimmung vorgestellt hätte, geht aus dem Alternativ-Sanierungsprogramm der IG Metall hervor. Anstelle der Massenentlassung sollen die Entlassungen in kleineren Dosen erfolgen und die „erforderliche Kostensenkung' soll „statt durch Stillegung oder Teilstillegung vor allem durch technische und organisatorische Rationalisierung“ geschehen (HB v. 11.“ 12. 4. 75). Die Gewerkschaft ist sich demnach nicht zu schade, anstelle der (auch bei den eigenen Mitgliedern) unpopulären Massenentlassungen eine Intensifikation der Arbeit und damit nur andere Nachteile für den Arbeiter als Ersatz anzubieten. Und auch an den übrigen Vorschlagen zur VW-Sanierung (Zuführung neuer Finanzmittel, bessere Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Zweigbetrieben etc.) wird deutlich, worum es der Gewerkschaft geht: die Unterwerfung unter die Ziele des Unternehmens wird nicht als ein notwendiges übel angesehen, sondern die Gewerkschaften selbst identifizieren sich mit dem Unternehmensinteresse indem sie sich in ihren Vorschlägen als die besseren Unternehmer darstellen:

„Gerade die Arbeitnehmer und ihre Vertreter im Aufsichtsrat haben ein noch dringenderes Interesse am Fortbestand des Wachstums ihres Unternehmens als die Vertreter der Aktionäre.“ (DGB-Vorsitzender Vetter, in; HB v. 14. 4. 75)

... sondern Aufgabe des gewerkschaftlichen Kampfes

Daß es dennoch schon seit langem im politisches Gerangel um eine geeignete Mitbestimmungsregelung gibt, erklärt sich aus der Furcht vieler Unternehmer, daß durch eine erweiterte Mitspräche der Gewerkschaften fällige Entscheidungen im Aufsichtsrat unnötig verzögert werden könnten. Doch zur Entkräftung solcher Argumente verweilen die Gewerkschaften stolz auf die seit 1951 bestehende Mitbestimmungspraxis in der Montanindustrie, in der sich die „Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit“ stets „zum Wohl des Unternehmens“ ausgewirkt hat. Und sie versuchen den Unternehmern glaubhaft zu machen, daß eine Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen für das Unternehmen nur von Vorteil sein könne:

„Das weitgehende Fehlen von Kampfabstimmungen in den Montanunternehmen hat gezeigt, daß konstruktive Lösungen möglich sind, da über umstrittene Fragen vor den entscheidenden Sitzungen bei internen Beratungen Übereinstimmung erzielt wurde.“ (Politik und Programmatik des DGB. Köln 1974, S. 140)

Diese Verläßlichkeit der Gewerkschaften weiß auch die „Süddeutsche Zeitung“ zu schätzen:

„In der gegenwärtigen Phase der Anpassung — VW ist wirklich nur ein besonders auffälliges Beispiel — erweist sich die verantwortliche Mitwirkung der organisierten Arbeitnehmerschaft als zwar umständlich und nach streng betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht als maximal, doch im politischen, volkswirtschaftlichen und sozialen Gesamtzusammenhang ist die Art der Problemlösung immer noch vernünftiger und billiger als die Inkaufnahme von schwersten Arbeitskämpfen, Betriebsbesetzungen, Ausbrüchen sozialer Aggression und politischer Instabilität.“ (SZ v. 19./20. 4. 75)

Ging es der Gewerkschaft in den Auseinandersetzungen bei VW zunächst darum, die Nachteile für den Arbeiter zu lindern, so hat sich mit der Forderung nach mehr Mitbestimmung die Reihenfolge verkehrt: die positive Übernahme der unternehmerischen Verantwortung bildet nun den Ausgangspunkt für die Vertretung der Arbeiterinteressen. Nicht mehr nur sich in der Konkurrenz einzurichten, sondern sie aktiv mitgestalten, ist jetzt die Parole. Obwohl die Gewerkschaften davon ausgehen, daß sich ihr ständiges Eingreifen dem „Interessengegensatz von Kapital und Arbeit“ verdankt, machen sie sich das Wohlergehen des Kapitals zu ihrer vorrangigen Aufgabe. Und die Gewerkschaften erkaufen sich ihren vergrößerten Einfluß auf die Unternehmensgeschäfte mit der Einschränkung dessen, was den gewerkschaftlichen Erfolg erst möglich macht: Mit der Zurückstellung des Streiks zugunsten der friedlichen Mauschelei mit dem Unternehmer und der frei willigen Übernahme von Verantwortung für das „Gesamtwohl“ verzichtet die Gewerkschaft selbst auf das stärkste Mittel ihrer gesellschaftlichen Macht.
Der DGB hält sich auf diese Verzichtserklärung noch etwas zugute, wenn er zufrieden vermeldet, daß auf die BRD im Vergleich zu allen anderen westlichen Industriestaaten die wenigsten Streiktage pro Jahr entfallen. (DGB, wir über uns. Düsseldorf 1970)

 

IV. Kommunistische und gewerkschaftliche Politik

Wer die Veröffentlichungen der bei VW agierenden kommunistischen Gruppen liest, muß sich wundern, warum die Arbeiter nicht schon längst losgeschlagen haben: „Wir lassen uns den Rausschmiß nicht gefallen“, heißt es noch etwas zurückhaltend bei der DKP (UZ v, 17. 4. 75), und auch der KBW geht davon aus, daß „die Arbeiter und die betroffene Bevölkerung (!)“ die Stillegung „nicht kampflos hinnehmen werden (KVZ, 15 75), wahrend die KPD keinen Zweifel daran läßt, daß dir Arbeiter die Massenentlassungspläne „zunichte machen werden“ (RF 15 25). Für die allzu offensichtliche herbe Tatsache, daß die Arbeiter diesen Anforderungen nicht nachkommen, wird schnell eine Erklärung gefunden: nicht die Arbeiter werden für ihre mangelnde Kampfbereitschaft verantwortlich gemacht, sondern die Bonzen und Bürokraten in den Gewerkschaften: „Um die Arbeiter an der Aufnahme von Kampfmaßnahmen zu hindern, haben die Betriebsräte und der IGM-Apparat kein Mittel gescheut, sind sie sich für keine Gemeinheit zu schade gewesen.“ Und noch etwas deutlicher: „Der ,Nutzen des Unternehmens', der Profit, ist das einzige, was diese sauberen ,Arbeitervertreter' im Auge haben.“ (Roter Morgen, 16/75). Man scheut sich auch nicht, Namen zu nennen: „Klarer und deutlicher, Herr Loderer, kann man sich nicht zum Sprachrohr der arbeiterfeindlichen Pläne des Monopolkapitals hergeben.“ (RF, 15/17) Wenn alles schon so klar auf der Hand liegt, müssen ja auch die Arbeiter die Betrugsmanöver der Gewerkschaftler durchschauen und sich auf ihre eigenen Interessen besinnen, wobei noch erleichternd hinzutritt, daß es sich bei VW um eine wirtschaftliche Krisensituation handelt, in der nach Auffassung der KPD jegliche „Unterstützung des Monopolkapitals unweigerlich in Gegensatz zu den Interessen der Arbeiterklasse geraten muß“ (Programm der KPD, S. 25). Auch die sozialistischen Brüder in Offenbach hoffen auf solche Zeiten: da in der Krise der „Spielraum des Kapitals für materielle Zugeständnisse“ an die Arbeiter enger wird, soll die sich daraus ergebende „Verschärfung der Interessengegensätze zwischen Lohnarbeit und Kapital“ in den Gewerkschaften „keinen entsprechenden Ausdruck“ finden, so daß „die Lohnabhängigen beginnen, ihre eigenen Interessen selbstbewusster durchzusetzen.“ (These Nr. 42 des „Sozialistischen Büros“). An den Ereignissen bei VW erweist sich jedoch das genaue Gegenteil: die Krise hat mit der Verschärfung der Konkurrenz der Arbeiter untereinander die Bedingungen des Kampfes verschlechtert und damit das „sozial-partnerische Verhalten“ der Gewerkschaftsführung noch begünstigt. Nicht, daß die Gewerkschaften nicht die Interessen der Arbeiter vertreten, ist zu kritisieren sondern gerade die Tatsache, daß sie sie vertreten.

Wer steht dem Arbeiter am nächsten?

Doch offenbar verwechseln diese kommunistischen Gruppen das gewerkschaftliche Verhalten der Arbeiter mit Klassenkampf: anstatt den Arbeitern die Schranken einer gewerkschaftlichen Solidarisierung zu erklären, fordert man deren Verstärkung: „Es hilft nur die Geschlossenheit“ (Komm. Arbeiterzeitung), „ Arbeitersolidarität ist unsere Stärke“ (UZ) und: „Die einheitliche Kampffront aller VW-Arbeiter muß stehen“ (RF). Das Neue ihres gewerkschaftlichen Kampfes besteht darin, daß man sich den Arbeitern an Stelle der Gewerkschaftsbürokratie als neue Führung anbietet: „Die einzige Kraft, die sich für die Interessen der Arbeiter einsetzt, ist die KPD“ (RF 15/75).

Obwohl alle diese kommunistischen Gruppen schon durch ihre Agitation belegen, daß sie eine bloß gewerkschaftliche Organisierung für unzureichend halten, daß die Arbeiter erst zu Kommunisten werden müssen, wissen sie nichts anderes anzubieten, als eine bessere Gewerkschaftspolitik. Sie wetteifern mit der Gewerkschaftsführung um die Gunst der Massen, deren noch so magere Aktionen sie mit allen ihren guten Wünschen begleiten, in der Hoffnung, es sich auf das eigene Konto gutschreiben zu können. Mit der Anpassung an die vorhandenen Interessen der Arbeiter wird deren falsches Bewußtsein bestärkt, anstatt — wie es die Absicht war — zu einer Einsicht in die notwendige Abschaffung dieser Gesellschaft hin verändert. Wer in der „Stärkung der Gewerkschaften“ eine „Hauptaufgabe komm. Politik“ (DKP) erblickt oder aber mit dem „Kampf um innergewerkschaftliche Demokratie“ den „entscheidenden Hebel“ ansetzen will (KBW) oder aber „außerhalb der bestehenden Gewerkschaften“ in einer „Einheitsfront von sozialdemokratischen, christlichen, kommunistischen und parteilosen Arbeitern“ (KPD) eine wesentliche Aufgabe kommunistischer Politik sieht, hat mit dieser nichts zu schaffen,

Für den Arbeiter ist ohnehin nicht einzusehen, warum er für die prinzipiell gleiche Interessenpolitik, wie sie die Gewerkschaften betreiben, noch die Hilfe der Kommunisten benötigen soll. Angesichts der überdrehten Forderungen dieser Gruppen, die keinerlei Chance auf Durchsetzung haben, kommt er sich eher verschaukelt vor und hält das ständige Anbiedern an seine Interessen für einen Trick, ihn für ganz andere Ziele zu vereinnahmen. Und auf eine solche Interessenvertretung, die nicht einmal mehr der Realität des gewerkschaftlichen Kampfes Rechnung trägt, können die Arbeiter allemal verzichten.

aus: MSZ 5 – 1975

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